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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fuciner See

Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,

Verpestet alles schon Ermngne;

Den faulen Pfuhl auch avzuziehn,

Das letzte wär das Höchstermngne, , , ,

Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten!

Das Abgesteckte muß sogleich geraten.

Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß

Erfolgt der nllerschönste Preis i

Daß sich das größte Werk vollende,

Genügt ein Geist für tausend Heerde,


F"use, zweiter Tell

Avezzano hieß für die nächsten drei Tage mein Standquartier. Dieses
nette Städtchen liegt zwölf Kilometer westlich von Celano, eine halbe Stunde
vom ehemaligen Ufer des Sees inmitten reicher Gärten, Weinberge und Korn¬
felder. Neben der Pappel ist dank der niedern Lage (700 Meter) der Ölbaum
vorherrschend. Die etwa 10000 Seelen bergende Stadt hat eine Zukunft als
Endstation der vor einiger Zeit eröffneten Liristalbahn, die die älteste Abruzzen-
bahn Rom--Sulmona hier erreicht.

Eine Merkwürdigkeit Avezzanos ist das alte Kastell, 1499 von Gentile
Orsini gebaut, eine echte Zwingburg des ausgehenden Mittelalters. Lehrreich
ein Vergleich mit der benachbarten Rocca Mcmdolfi. Beide Burgen, wiewohl
beinahe zu derselben Zeit gebaut -- die von Celano in ihrer jetzigen Gestalt
stammt aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts --, haben nichts gemein¬
sames als die vierseitige Grundanlage und dieselbe Zahl der Türme. Bei der
Rocca Mandolfi sitzen die vier quadratische" Türme auf dem Grundbau auf,
sie sind ebenso wie die Mauerbrüstung mit Zinnen bewehrt. Das Kastell von
Avezzano hingegen zeigt an den Ecken starke Rundtürme, die sich unmittelbar
aus dem Boden erheben, ohne sich, wie das unter den Normannen üblich war,
zu verjüngen. Also eine Weiterbildung des unter den Anjous beliebten Festungs¬
stiles, dessen bestes Muster das Castelnuovo in Neapel ist. Unter dem über¬
ragenden Obergeschoß der Türme wie des eigentlichen Kastells zieht sich ein
kräftiger Rundbogenfries, der von Kragsteinen getragen, sehr malerisch wirkt.
Der Eindruck beider Gebäude, obgleich mit so verschiednen Mitteln erreicht, ist
der selbstherrlicher, trotziger Kraft. Doch wirkt meiner Meinung das um vierzig
Jahre ältere Kastell von Celano anmutiger, freiheitlicher, moderner als das von
Avezzano, das das letzte Beispiel des Angiovinischen Festungsstils in Süditalien
sein dürfte.

Ein besondrer Schmuck der Stadt ist ihr öffentlicher Garten, dessen sich
keine Großstadt zu schämen brauchte. Alle möglichen Ziergewächse des Südens
und des Nordens sind um den runden Platz in der Mitte vereinigt, wo ein
großer Springbrunnen Kühle spendet. Beherrschend schauen die zwei Spitzen des
massigen Monte Velino über ein palastühnliches Gebäude -- die "Administration
des Fürstentums Fucino".


Am Fuciner See

Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,

Verpestet alles schon Ermngne;

Den faulen Pfuhl auch avzuziehn,

Das letzte wär das Höchstermngne, , , ,

Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten!

Das Abgesteckte muß sogleich geraten.

Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß

Erfolgt der nllerschönste Preis i

Daß sich das größte Werk vollende,

Genügt ein Geist für tausend Heerde,


F»use, zweiter Tell

Avezzano hieß für die nächsten drei Tage mein Standquartier. Dieses
nette Städtchen liegt zwölf Kilometer westlich von Celano, eine halbe Stunde
vom ehemaligen Ufer des Sees inmitten reicher Gärten, Weinberge und Korn¬
felder. Neben der Pappel ist dank der niedern Lage (700 Meter) der Ölbaum
vorherrschend. Die etwa 10000 Seelen bergende Stadt hat eine Zukunft als
Endstation der vor einiger Zeit eröffneten Liristalbahn, die die älteste Abruzzen-
bahn Rom—Sulmona hier erreicht.

Eine Merkwürdigkeit Avezzanos ist das alte Kastell, 1499 von Gentile
Orsini gebaut, eine echte Zwingburg des ausgehenden Mittelalters. Lehrreich
ein Vergleich mit der benachbarten Rocca Mcmdolfi. Beide Burgen, wiewohl
beinahe zu derselben Zeit gebaut — die von Celano in ihrer jetzigen Gestalt
stammt aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts —, haben nichts gemein¬
sames als die vierseitige Grundanlage und dieselbe Zahl der Türme. Bei der
Rocca Mandolfi sitzen die vier quadratische» Türme auf dem Grundbau auf,
sie sind ebenso wie die Mauerbrüstung mit Zinnen bewehrt. Das Kastell von
Avezzano hingegen zeigt an den Ecken starke Rundtürme, die sich unmittelbar
aus dem Boden erheben, ohne sich, wie das unter den Normannen üblich war,
zu verjüngen. Also eine Weiterbildung des unter den Anjous beliebten Festungs¬
stiles, dessen bestes Muster das Castelnuovo in Neapel ist. Unter dem über¬
ragenden Obergeschoß der Türme wie des eigentlichen Kastells zieht sich ein
kräftiger Rundbogenfries, der von Kragsteinen getragen, sehr malerisch wirkt.
Der Eindruck beider Gebäude, obgleich mit so verschiednen Mitteln erreicht, ist
der selbstherrlicher, trotziger Kraft. Doch wirkt meiner Meinung das um vierzig
Jahre ältere Kastell von Celano anmutiger, freiheitlicher, moderner als das von
Avezzano, das das letzte Beispiel des Angiovinischen Festungsstils in Süditalien
sein dürfte.

Ein besondrer Schmuck der Stadt ist ihr öffentlicher Garten, dessen sich
keine Großstadt zu schämen brauchte. Alle möglichen Ziergewächse des Südens
und des Nordens sind um den runden Platz in der Mitte vereinigt, wo ein
großer Springbrunnen Kühle spendet. Beherrschend schauen die zwei Spitzen des
massigen Monte Velino über ein palastühnliches Gebäude — die „Administration
des Fürstentums Fucino".


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[0115] Am Fuciner See Ein Sumpf zieht am Gebirge hin, Verpestet alles schon Ermngne; Den faulen Pfuhl auch avzuziehn, Das letzte wär das Höchstermngne, , , , Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten! Das Abgesteckte muß sogleich geraten. Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß Erfolgt der nllerschönste Preis i Daß sich das größte Werk vollende, Genügt ein Geist für tausend Heerde, F»use, zweiter Tell Avezzano hieß für die nächsten drei Tage mein Standquartier. Dieses nette Städtchen liegt zwölf Kilometer westlich von Celano, eine halbe Stunde vom ehemaligen Ufer des Sees inmitten reicher Gärten, Weinberge und Korn¬ felder. Neben der Pappel ist dank der niedern Lage (700 Meter) der Ölbaum vorherrschend. Die etwa 10000 Seelen bergende Stadt hat eine Zukunft als Endstation der vor einiger Zeit eröffneten Liristalbahn, die die älteste Abruzzen- bahn Rom—Sulmona hier erreicht. Eine Merkwürdigkeit Avezzanos ist das alte Kastell, 1499 von Gentile Orsini gebaut, eine echte Zwingburg des ausgehenden Mittelalters. Lehrreich ein Vergleich mit der benachbarten Rocca Mcmdolfi. Beide Burgen, wiewohl beinahe zu derselben Zeit gebaut — die von Celano in ihrer jetzigen Gestalt stammt aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts —, haben nichts gemein¬ sames als die vierseitige Grundanlage und dieselbe Zahl der Türme. Bei der Rocca Mandolfi sitzen die vier quadratische» Türme auf dem Grundbau auf, sie sind ebenso wie die Mauerbrüstung mit Zinnen bewehrt. Das Kastell von Avezzano hingegen zeigt an den Ecken starke Rundtürme, die sich unmittelbar aus dem Boden erheben, ohne sich, wie das unter den Normannen üblich war, zu verjüngen. Also eine Weiterbildung des unter den Anjous beliebten Festungs¬ stiles, dessen bestes Muster das Castelnuovo in Neapel ist. Unter dem über¬ ragenden Obergeschoß der Türme wie des eigentlichen Kastells zieht sich ein kräftiger Rundbogenfries, der von Kragsteinen getragen, sehr malerisch wirkt. Der Eindruck beider Gebäude, obgleich mit so verschiednen Mitteln erreicht, ist der selbstherrlicher, trotziger Kraft. Doch wirkt meiner Meinung das um vierzig Jahre ältere Kastell von Celano anmutiger, freiheitlicher, moderner als das von Avezzano, das das letzte Beispiel des Angiovinischen Festungsstils in Süditalien sein dürfte. Ein besondrer Schmuck der Stadt ist ihr öffentlicher Garten, dessen sich keine Großstadt zu schämen brauchte. Alle möglichen Ziergewächse des Südens und des Nordens sind um den runden Platz in der Mitte vereinigt, wo ein großer Springbrunnen Kühle spendet. Beherrschend schauen die zwei Spitzen des massigen Monte Velino über ein palastühnliches Gebäude — die „Administration des Fürstentums Fucino".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/115>, abgerufen am 24.07.2024.