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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fnciner See

am Nordfuß des Monte Sirrente treten fast bis an die Straße heran, wundervoll
leuchtete in der Herbstsonne das rotgelbe Laub, auf den Bnchenhängen zeichneten
sich die Schattenrisse der überragenden Bergspitzen ab, so scharf wie von einem
Kohlenstift geführt. Viel Schnee klebt schon an den Schroffen des Monte Sirrente,
der Gipfel des Monte Velino zur Rechten bleibt leider unsichtbar. Hinter dem
armseligen Dorf Rovere beginnt der fünf Kilometer lange Laghetto oder Vado
ti Pozzo (1350 Meter), einst in der Quartärzeit ein See, jetzt ein leidlich
fruchtbares Stück Alluvialboden, geologisch interessant, wie denn die ganze Hoch¬
fläche reich an Höhlen und Dolmen ist. Eisen und auch Aluminium wurde
ziemlich reichhaltig (55 Prozent) im Gestein gefunden, aber bisher nicht aus¬
gebeutet, wohl infolge des weiten Transports bis zur nächsten Station (Aquila).

Lange steht im Vorblick die Silhouette des Wachtturms von Ovindoli
-- jedes auch dieser hochliegenden Abruzzendörfer hat ein mehr oder weniger
verfallenes Kastell --, der Turm gleicht aus der Ferne einem großen Sektglas,
da er durch Abbröcklung des Gemäuers unten schmäler geworden ist als oben.
Hier in Ovindoli war mit 1375 Metern die höchste Steigung der Straße er¬
reicht. Nach einem Abschiedsblick auf den bis hier herüber grüßenden Gran
Sasso ging es abseits der Straße in mächtigen Kürzungen bergunter. In der
Tiefe vor mir breitete es sich wie ein riesiges, buntgemustertes Tafeltuch aus,
lauter Rechtecke -- die große Fruchtebene, die jetzt den ehemaligen Fuciner
See einnimmt. Die Rechtecke stellten, wie ich durch das Glas erkannte, stunden¬
lange, sich regelmäßig schneidende Pappelalleen her und bezeichneten so die ein¬
zelnen Abteilungen des "Fürstentums Fueino". Ein seltsames Bild, aber schöner,
stimmungsvoller war der Blick gewiß vor fünfzig Jahren, als da unten noch
der große See leuchtete. Links über dieser geometrischen Riesenfigur, halb Kunst,
halb Natur, tauchen Berge der Metagruppe (2241 Meter) ans, rechts erhebt
sich der stattliche Monte Viglio (2156 Meter), schon jenseits des Liristales.
Hinter Sau Petito, ebenfalls mit abenteuerlicher Burgruine, wird die bisher so
ernste, einsame Gegend lieblicher und belebter. Die fröhliche Pappel, der
charakteristische Baum der Abruzzen (wie für Kalabrien die Kastanie bezeichnend
ist), tritt wieder in Massen auf. Ganze Scharen von Landleuten begegneten
mir, zu Fuß und zu Esel. Sie kehrten von einem großen Jahrmarkt aus
Celano in ihre cibgeschiednen Dörfer und Höfe zurück, hatten da ihr Korn und
ihre Kartoffeln verkauft und trugen dafür so manches Erzeugnis der Kultur:
Gerätschaften von Holz und Eisen, Geschirr, Stoffe usw. heim.

Nicht lange, so kam Celano in Sicht, überragt von seinem trotzigen Kastell,
der Rocca Mandolfi. Die Sonne war schon hinter dem Monte Viglio unter¬
gegangen, aber ihr Widerschein strahlte noch über das weite Talbecken, die
Segensgefilde, die schön geschwungnen Berge ringsum, vor allem die alte Burg
mit goldigem Dämmer umwebend. Ich ließ mich in einer Fichtenschonung nieder,
erfreut den heimatlichen Baum hier zu begrüßen, und überdachte die Geschicke
dieses reizenden Fleckchens Erde.


Am Fnciner See

am Nordfuß des Monte Sirrente treten fast bis an die Straße heran, wundervoll
leuchtete in der Herbstsonne das rotgelbe Laub, auf den Bnchenhängen zeichneten
sich die Schattenrisse der überragenden Bergspitzen ab, so scharf wie von einem
Kohlenstift geführt. Viel Schnee klebt schon an den Schroffen des Monte Sirrente,
der Gipfel des Monte Velino zur Rechten bleibt leider unsichtbar. Hinter dem
armseligen Dorf Rovere beginnt der fünf Kilometer lange Laghetto oder Vado
ti Pozzo (1350 Meter), einst in der Quartärzeit ein See, jetzt ein leidlich
fruchtbares Stück Alluvialboden, geologisch interessant, wie denn die ganze Hoch¬
fläche reich an Höhlen und Dolmen ist. Eisen und auch Aluminium wurde
ziemlich reichhaltig (55 Prozent) im Gestein gefunden, aber bisher nicht aus¬
gebeutet, wohl infolge des weiten Transports bis zur nächsten Station (Aquila).

Lange steht im Vorblick die Silhouette des Wachtturms von Ovindoli
— jedes auch dieser hochliegenden Abruzzendörfer hat ein mehr oder weniger
verfallenes Kastell —, der Turm gleicht aus der Ferne einem großen Sektglas,
da er durch Abbröcklung des Gemäuers unten schmäler geworden ist als oben.
Hier in Ovindoli war mit 1375 Metern die höchste Steigung der Straße er¬
reicht. Nach einem Abschiedsblick auf den bis hier herüber grüßenden Gran
Sasso ging es abseits der Straße in mächtigen Kürzungen bergunter. In der
Tiefe vor mir breitete es sich wie ein riesiges, buntgemustertes Tafeltuch aus,
lauter Rechtecke — die große Fruchtebene, die jetzt den ehemaligen Fuciner
See einnimmt. Die Rechtecke stellten, wie ich durch das Glas erkannte, stunden¬
lange, sich regelmäßig schneidende Pappelalleen her und bezeichneten so die ein¬
zelnen Abteilungen des „Fürstentums Fueino". Ein seltsames Bild, aber schöner,
stimmungsvoller war der Blick gewiß vor fünfzig Jahren, als da unten noch
der große See leuchtete. Links über dieser geometrischen Riesenfigur, halb Kunst,
halb Natur, tauchen Berge der Metagruppe (2241 Meter) ans, rechts erhebt
sich der stattliche Monte Viglio (2156 Meter), schon jenseits des Liristales.
Hinter Sau Petito, ebenfalls mit abenteuerlicher Burgruine, wird die bisher so
ernste, einsame Gegend lieblicher und belebter. Die fröhliche Pappel, der
charakteristische Baum der Abruzzen (wie für Kalabrien die Kastanie bezeichnend
ist), tritt wieder in Massen auf. Ganze Scharen von Landleuten begegneten
mir, zu Fuß und zu Esel. Sie kehrten von einem großen Jahrmarkt aus
Celano in ihre cibgeschiednen Dörfer und Höfe zurück, hatten da ihr Korn und
ihre Kartoffeln verkauft und trugen dafür so manches Erzeugnis der Kultur:
Gerätschaften von Holz und Eisen, Geschirr, Stoffe usw. heim.

Nicht lange, so kam Celano in Sicht, überragt von seinem trotzigen Kastell,
der Rocca Mandolfi. Die Sonne war schon hinter dem Monte Viglio unter¬
gegangen, aber ihr Widerschein strahlte noch über das weite Talbecken, die
Segensgefilde, die schön geschwungnen Berge ringsum, vor allem die alte Burg
mit goldigem Dämmer umwebend. Ich ließ mich in einer Fichtenschonung nieder,
erfreut den heimatlichen Baum hier zu begrüßen, und überdachte die Geschicke
dieses reizenden Fleckchens Erde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/112>, abgerufen am 24.07.2024.