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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fuciner See

Rocca ti Mezzo, Novere und Ovindoli angesiedelt haben. Der Paß hat seinen
Namen von einer frommen Sage. Mir wurde eine Steinplatte neben der Straße
gezeigt mit zwei tiefen, rundlichen Eindrücken. Der heilige Bernhardin soll hier
niedergekniet sein und dabei diese kräftigen Spuren hinterlassen haben, als er
von dieser Stelle zum erstenmal die Stadt Aquila liegen sah, die für sein Wirken
bedeutungsvoll werden sollte.

Unsre Mittagsstativn, Rocca ti Mezzo (1275 Meter), verrät in einigen
größern Gebäuden einen gewissen Wohlstand und würde sich mit seiner köstlichen
Luft und seiner hohen Lage sehr wohl zur Sommerfrische eignen, wenn es nicht
so schmutzig, und wenn nur ein wenig Schatten in der Nähe wäre. Der ge¬
wöhnliche Übelstand der italienischen Sommerfrischen. Die schönen Buchen¬
wälder sind auch hier weithin abgeholzt. Was hilft es, daß man jetzt auf den
von Humus entkleideten Geländen junge Pflanzungen anlegt, daß die Forst-
Verwaltung das Halten der schädlichen Ziegen verbietet, um die Schonungen
einigermaßen zu schlitzen und vorwärts zu bringen! Es wird zehn, zwanzig
Jahre bedürfen, ehe diese Bäume einigen Schatten spenden, hoffentlich aber nicht
so lange, bis die Leute von Rocca ti Mezzo begreifen, was für einen Schatz
sie in ihrem Orte haben, den es nur zu heben gilt. Zunächst durch Erbauung
eines bessern Gasthofes, Einrichtung von Sommerwohnungen und -- ein wenig
Reklame. Nur vier Stunden im Postwagen von der Provinzhauptstadt weg,
und man befindet sich mitten im Hochgebirge auf grünen, duftigen Matten.
Und welcher Blick über die weite Hochfläche hinüber nach dem majestätischen
Gran Sasso mit seinen Trabanten, dem Monte Camicia und dem Campo Im¬
perators zur Rechten, den Monti Cefalone, Jntermesole und Corvo zur Linken!
War es der ganze Charakter dieser Landschaft, war es der Eindruck der armen,
aber gesunden und kräftigen Gestalten, die einer spröden Natur in beständigem
Kampf ihre kargen Bedürfnisse abringen, war es die klare Luft, die nahes
und Fernes mit greifbarer Deutlichkeit sich voneinander abheben ließ, dieses
scharfe Licht, das alle Farben frischer leuchten machte: ich wurde immer wieder
an Segcmtini erinnert. Dieselben Motive hätte er hier gefunden wie in Grau-
bünden.

Im Gasthofzimmer zu Rocca ti Mezzo stehn an der Decke vier Worte:
^nor -- I^vor -- Laws -- ?ax. Die vier Dinge, die der Mensch zu seinem
Glücke braucht. Eine ganze Philosophie steckt in diesen vier Worten, und so
schaute ich nach meinem anspruchlosen Mahl durch die blauen Wolken meines
Pfeifchens immer wieder nachdenklich zu der Decke auf, bis die Glocke zwei Uhr
schlug. Nur noch vier Stunden Tag, und gerade vier Stunden Wegs lagen
heute noch vor mir bis Celaeno, der nächsten Stadt am Fuciner See. So nahm
ich meinen Rucksack auf und stapfte auf der Höhe weiter. Rings Bergwiesen,
wo Hunderte von Pferden weiden, dazwischen einige dürftige Getreidefelder, Kar¬
toffeln und Winterkorn, das trotz der langen Dürre schon aufgegangen war,
nur vom Tau gestärkt. Hier und da eine Ziegelbrennerei. Die Buchenwälder


Am Fuciner See

Rocca ti Mezzo, Novere und Ovindoli angesiedelt haben. Der Paß hat seinen
Namen von einer frommen Sage. Mir wurde eine Steinplatte neben der Straße
gezeigt mit zwei tiefen, rundlichen Eindrücken. Der heilige Bernhardin soll hier
niedergekniet sein und dabei diese kräftigen Spuren hinterlassen haben, als er
von dieser Stelle zum erstenmal die Stadt Aquila liegen sah, die für sein Wirken
bedeutungsvoll werden sollte.

Unsre Mittagsstativn, Rocca ti Mezzo (1275 Meter), verrät in einigen
größern Gebäuden einen gewissen Wohlstand und würde sich mit seiner köstlichen
Luft und seiner hohen Lage sehr wohl zur Sommerfrische eignen, wenn es nicht
so schmutzig, und wenn nur ein wenig Schatten in der Nähe wäre. Der ge¬
wöhnliche Übelstand der italienischen Sommerfrischen. Die schönen Buchen¬
wälder sind auch hier weithin abgeholzt. Was hilft es, daß man jetzt auf den
von Humus entkleideten Geländen junge Pflanzungen anlegt, daß die Forst-
Verwaltung das Halten der schädlichen Ziegen verbietet, um die Schonungen
einigermaßen zu schlitzen und vorwärts zu bringen! Es wird zehn, zwanzig
Jahre bedürfen, ehe diese Bäume einigen Schatten spenden, hoffentlich aber nicht
so lange, bis die Leute von Rocca ti Mezzo begreifen, was für einen Schatz
sie in ihrem Orte haben, den es nur zu heben gilt. Zunächst durch Erbauung
eines bessern Gasthofes, Einrichtung von Sommerwohnungen und — ein wenig
Reklame. Nur vier Stunden im Postwagen von der Provinzhauptstadt weg,
und man befindet sich mitten im Hochgebirge auf grünen, duftigen Matten.
Und welcher Blick über die weite Hochfläche hinüber nach dem majestätischen
Gran Sasso mit seinen Trabanten, dem Monte Camicia und dem Campo Im¬
perators zur Rechten, den Monti Cefalone, Jntermesole und Corvo zur Linken!
War es der ganze Charakter dieser Landschaft, war es der Eindruck der armen,
aber gesunden und kräftigen Gestalten, die einer spröden Natur in beständigem
Kampf ihre kargen Bedürfnisse abringen, war es die klare Luft, die nahes
und Fernes mit greifbarer Deutlichkeit sich voneinander abheben ließ, dieses
scharfe Licht, das alle Farben frischer leuchten machte: ich wurde immer wieder
an Segcmtini erinnert. Dieselben Motive hätte er hier gefunden wie in Grau-
bünden.

Im Gasthofzimmer zu Rocca ti Mezzo stehn an der Decke vier Worte:
^nor — I^vor — Laws — ?ax. Die vier Dinge, die der Mensch zu seinem
Glücke braucht. Eine ganze Philosophie steckt in diesen vier Worten, und so
schaute ich nach meinem anspruchlosen Mahl durch die blauen Wolken meines
Pfeifchens immer wieder nachdenklich zu der Decke auf, bis die Glocke zwei Uhr
schlug. Nur noch vier Stunden Tag, und gerade vier Stunden Wegs lagen
heute noch vor mir bis Celaeno, der nächsten Stadt am Fuciner See. So nahm
ich meinen Rucksack auf und stapfte auf der Höhe weiter. Rings Bergwiesen,
wo Hunderte von Pferden weiden, dazwischen einige dürftige Getreidefelder, Kar¬
toffeln und Winterkorn, das trotz der langen Dürre schon aufgegangen war,
nur vom Tau gestärkt. Hier und da eine Ziegelbrennerei. Die Buchenwälder


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[0111] Am Fuciner See Rocca ti Mezzo, Novere und Ovindoli angesiedelt haben. Der Paß hat seinen Namen von einer frommen Sage. Mir wurde eine Steinplatte neben der Straße gezeigt mit zwei tiefen, rundlichen Eindrücken. Der heilige Bernhardin soll hier niedergekniet sein und dabei diese kräftigen Spuren hinterlassen haben, als er von dieser Stelle zum erstenmal die Stadt Aquila liegen sah, die für sein Wirken bedeutungsvoll werden sollte. Unsre Mittagsstativn, Rocca ti Mezzo (1275 Meter), verrät in einigen größern Gebäuden einen gewissen Wohlstand und würde sich mit seiner köstlichen Luft und seiner hohen Lage sehr wohl zur Sommerfrische eignen, wenn es nicht so schmutzig, und wenn nur ein wenig Schatten in der Nähe wäre. Der ge¬ wöhnliche Übelstand der italienischen Sommerfrischen. Die schönen Buchen¬ wälder sind auch hier weithin abgeholzt. Was hilft es, daß man jetzt auf den von Humus entkleideten Geländen junge Pflanzungen anlegt, daß die Forst- Verwaltung das Halten der schädlichen Ziegen verbietet, um die Schonungen einigermaßen zu schlitzen und vorwärts zu bringen! Es wird zehn, zwanzig Jahre bedürfen, ehe diese Bäume einigen Schatten spenden, hoffentlich aber nicht so lange, bis die Leute von Rocca ti Mezzo begreifen, was für einen Schatz sie in ihrem Orte haben, den es nur zu heben gilt. Zunächst durch Erbauung eines bessern Gasthofes, Einrichtung von Sommerwohnungen und — ein wenig Reklame. Nur vier Stunden im Postwagen von der Provinzhauptstadt weg, und man befindet sich mitten im Hochgebirge auf grünen, duftigen Matten. Und welcher Blick über die weite Hochfläche hinüber nach dem majestätischen Gran Sasso mit seinen Trabanten, dem Monte Camicia und dem Campo Im¬ perators zur Rechten, den Monti Cefalone, Jntermesole und Corvo zur Linken! War es der ganze Charakter dieser Landschaft, war es der Eindruck der armen, aber gesunden und kräftigen Gestalten, die einer spröden Natur in beständigem Kampf ihre kargen Bedürfnisse abringen, war es die klare Luft, die nahes und Fernes mit greifbarer Deutlichkeit sich voneinander abheben ließ, dieses scharfe Licht, das alle Farben frischer leuchten machte: ich wurde immer wieder an Segcmtini erinnert. Dieselben Motive hätte er hier gefunden wie in Grau- bünden. Im Gasthofzimmer zu Rocca ti Mezzo stehn an der Decke vier Worte: ^nor — I^vor — Laws — ?ax. Die vier Dinge, die der Mensch zu seinem Glücke braucht. Eine ganze Philosophie steckt in diesen vier Worten, und so schaute ich nach meinem anspruchlosen Mahl durch die blauen Wolken meines Pfeifchens immer wieder nachdenklich zu der Decke auf, bis die Glocke zwei Uhr schlug. Nur noch vier Stunden Tag, und gerade vier Stunden Wegs lagen heute noch vor mir bis Celaeno, der nächsten Stadt am Fuciner See. So nahm ich meinen Rucksack auf und stapfte auf der Höhe weiter. Rings Bergwiesen, wo Hunderte von Pferden weiden, dazwischen einige dürftige Getreidefelder, Kar¬ toffeln und Winterkorn, das trotz der langen Dürre schon aufgegangen war, nur vom Tau gestärkt. Hier und da eine Ziegelbrennerei. Die Buchenwälder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/111>, abgerufen am 24.07.2024.