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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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König Friedrich der Große und der Baron lvarkotsch

schlitternde Überzeugung, daß Warkotsch ein Staatsverräter sei. Der Brief
war ohne Datum und lautete:

"Es ist nichts Veränderlich vorgefallen. Der Wagen oder die viersitzige
Kutsche stehet vor der Thüre, und mag damals wegen dem vielen Regen
sein weggebracht worden. Es ist nirgends ein Picket, auch keine Hauptwache,
auch kein Marketender, Es ist das Hauptquartier nicht so pompös, wie bei
Ihnen. Ich bin heute darin gewesen. Ich sah bei Tage eine Schildwache
ans der Gasse, "ut bei der Nacht wurde ich keine gewahr, daß also aufs
Höchste zwei Schildwachen vorne vorm Zimmer stehen, welches gar sehr klein
ist und etwa eine bei der Thüre. Fürchten Sie sich vor nichts. Sie machen
das größte Glück, und sollte" Sie wider alles Vermuthen nicht rsussiren;
so kann Ihnen nichts widerfahren, als etwa gefangen zu werden. So viel
dient auch zur Nachricht, daß jetzt zu Pogart Jäger zu Fuß, etwa 20 bis
30 Maun, wegen der Desertion siud. Also, da Sie Wegweiser haben; so ist
gar nicht nöthig, über Pogart zu gehen, sondern Sie lassen solches linker
Hand liegen. Morgen geht die Kriegeskasse weg und soll heute die Artillerie
weggehen. Also wäre es noch zum Besten Montags in der Nacht. Denn
ich kann nicht gut dafür sein, daß nicht etwa der Vogel Dienstags in der
Nacht ausfliegt. Adieu! gez. v. W."

Koppel rief nun eiligst seine Frau herbei und teilte ihr das geplante
Verbrechen sowie seine Absicht mit, den Brief sogleich nach Strehlen zu
bringen. Aber er änderte sein Vorhaben, vermutlich auf Anregung der Frau.
Er schlich sich aus dem Schlosse und gelangte, indem er die Dorfstraße ver¬
mied, zu dem Hause des lutherischen Ortspfarrers Benjamin Gerlnch, mit dem
Warkotsch keinen Verkehr hatte. Dort klopfte er an das Fenster, bis ihm
der Pfarrer selbst öffnete und ihn einließ. Nun weihte er den Pfarrer und
dessen Frau, die ihm beide Verschwiegenheit geloben mußten, in das furcht¬
bare Geheimnis ein. Ans des Pfarrers Rat sollte Kappel dem König den
Verrat aufdecken. Gerlach nahm von dem Briefe an Wallis eine Abschrift,
um jeden Verdacht des Barons abzuwenden. Die Urschrift sollte Kappel dem
König ausliefern, die Abschrift aber mit dem Petschaft seines Herrn siegeln,
in dem an Schmidt gerichteten Umschlage verschließen und seinem Lehrburschen
zur Besorgung nach Siebenhufen übergeben. Vorsichtig kehrte Kappel ins
Schloß zurück. Die Kammerzofe war schon erwacht. Kappel gebrauchte die
Ausrede, er habe einen Brief abzugeben, und ließ sich von ihr in das Arbeits¬
zimmer des Barons führen. Dort siegelte er hastig die Abschrift des Pfarrers
mit dem Petschaft des Barons und verschloß sie in dem Umschlage, der
Schmidts Adresse trug. Darauf weckte er seinen im Hofgebäude schlafenden
Lehrburschen Johann Böhmelt und befahl ihm, sofort aufzustehn und das
Schreiben nach Siebenhufen zum Kunden zu bringen, aber niemand, auch den:
Baron nicht, ein Sterbenswort davon zu sagen. Böhmelt führte den Auftrag
seines Lehrherrn getreulich aus. Kappel eilte nun auf das Vorwerk Käscherei,


König Friedrich der Große und der Baron lvarkotsch

schlitternde Überzeugung, daß Warkotsch ein Staatsverräter sei. Der Brief
war ohne Datum und lautete:

„Es ist nichts Veränderlich vorgefallen. Der Wagen oder die viersitzige
Kutsche stehet vor der Thüre, und mag damals wegen dem vielen Regen
sein weggebracht worden. Es ist nirgends ein Picket, auch keine Hauptwache,
auch kein Marketender, Es ist das Hauptquartier nicht so pompös, wie bei
Ihnen. Ich bin heute darin gewesen. Ich sah bei Tage eine Schildwache
ans der Gasse, »ut bei der Nacht wurde ich keine gewahr, daß also aufs
Höchste zwei Schildwachen vorne vorm Zimmer stehen, welches gar sehr klein
ist und etwa eine bei der Thüre. Fürchten Sie sich vor nichts. Sie machen
das größte Glück, und sollte» Sie wider alles Vermuthen nicht rsussiren;
so kann Ihnen nichts widerfahren, als etwa gefangen zu werden. So viel
dient auch zur Nachricht, daß jetzt zu Pogart Jäger zu Fuß, etwa 20 bis
30 Maun, wegen der Desertion siud. Also, da Sie Wegweiser haben; so ist
gar nicht nöthig, über Pogart zu gehen, sondern Sie lassen solches linker
Hand liegen. Morgen geht die Kriegeskasse weg und soll heute die Artillerie
weggehen. Also wäre es noch zum Besten Montags in der Nacht. Denn
ich kann nicht gut dafür sein, daß nicht etwa der Vogel Dienstags in der
Nacht ausfliegt. Adieu! gez. v. W."

Koppel rief nun eiligst seine Frau herbei und teilte ihr das geplante
Verbrechen sowie seine Absicht mit, den Brief sogleich nach Strehlen zu
bringen. Aber er änderte sein Vorhaben, vermutlich auf Anregung der Frau.
Er schlich sich aus dem Schlosse und gelangte, indem er die Dorfstraße ver¬
mied, zu dem Hause des lutherischen Ortspfarrers Benjamin Gerlnch, mit dem
Warkotsch keinen Verkehr hatte. Dort klopfte er an das Fenster, bis ihm
der Pfarrer selbst öffnete und ihn einließ. Nun weihte er den Pfarrer und
dessen Frau, die ihm beide Verschwiegenheit geloben mußten, in das furcht¬
bare Geheimnis ein. Ans des Pfarrers Rat sollte Kappel dem König den
Verrat aufdecken. Gerlach nahm von dem Briefe an Wallis eine Abschrift,
um jeden Verdacht des Barons abzuwenden. Die Urschrift sollte Kappel dem
König ausliefern, die Abschrift aber mit dem Petschaft seines Herrn siegeln,
in dem an Schmidt gerichteten Umschlage verschließen und seinem Lehrburschen
zur Besorgung nach Siebenhufen übergeben. Vorsichtig kehrte Kappel ins
Schloß zurück. Die Kammerzofe war schon erwacht. Kappel gebrauchte die
Ausrede, er habe einen Brief abzugeben, und ließ sich von ihr in das Arbeits¬
zimmer des Barons führen. Dort siegelte er hastig die Abschrift des Pfarrers
mit dem Petschaft des Barons und verschloß sie in dem Umschlage, der
Schmidts Adresse trug. Darauf weckte er seinen im Hofgebäude schlafenden
Lehrburschen Johann Böhmelt und befahl ihm, sofort aufzustehn und das
Schreiben nach Siebenhufen zum Kunden zu bringen, aber niemand, auch den:
Baron nicht, ein Sterbenswort davon zu sagen. Böhmelt führte den Auftrag
seines Lehrherrn getreulich aus. Kappel eilte nun auf das Vorwerk Käscherei,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/108>, abgerufen am 24.07.2024.