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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Rulturbilder aus den Balkanstaaten

Muster angelegt worden; nur in Belgrad und in Sofia sind die Häuser eng
aneinander gebaut, weshalb diese Städte auch keinen so großen Umfang haben.
Im übrigen wirkt die weitläufige Anlage der Stadt äußerst wohltuend, zumal
in Verbindung mit den vielen Gärten um die Häuser, an denen besonders
Bukarest reich ist, und die ihm den Beinamen einer Gartenstadt verschafft
haben.

Aus dieser nach unsern Begriffen verschwenderischen Bauweise erklärt es
sich auch, daß diese Städte eine im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl
ungeheure Ausdehnung haben, was man sofort bemerkt, wenn man sie von
einem erhöhten Punkte aus betrachtet. So bedeckt zum Beispiel Bukarest
mit 300000 Einwohnern ein Areal von 35 bis 40 Quadratkilometern
-- also etwa ebensoviel wie Berlin -- und hat einen Umfang von mehr
als 25 Kilometern, Athen mit 140000 Einwohnern ein Areal von 18 bis
20 Quadratkilometern. In Bukarest kommen somit auf jeden Bewohner etwa
100 bis 120 Quadratmeter Wohnfläche! Ein wahrhaft idyllischer Zustand,
wenn man damit die Wohnverhültnisse in unsern Städten gleicher Größe
vergleicht.*) Und dabei findet man im Innern der Städte noch viele brach¬
liegende Grundstücke, um die sich keine Terrainspekulation kümmert.

Die lockere Gruppierung der Häuser und deren geringe Höhe machen
allerdings das Städtebild von oben wenig imposant, zumal da ihm noch etwas
fehlt, was das Wahrzeichen unsrer Städte ist: die hochragenden Türme und
die Kuppeln der Kirchen. Das ist um so wundersamer, wenn man liest, daß
Bukarest allein 120 Kirchen hat, Athen etwa 50. Wenn man aber bedenkt,
daß der Balkan der griechisch-orthodoxen Konfession angehört, und wenn man
die Bauart der byzantinischen Kirchen mit ihrer kapellenartigen Anlage, ihrer
wenig monumentalen Architektur und den gedrückten, bauchigen Kuppeln kennt,
so wird man verstehn, daß in der Höhe nicht viel davon zu sehen ist. Und
während gerade unsre ältesten Kirchen die gewaltigsten Bauwerke sind, ist es
in der griechischen Kirche mit ihren individualistischen Tendenzen wieder um¬
gekehrt: es sind kleine, jetzt halbverdaute Kapellen, die man kaum bemerkt; so
wenigstens in Bukarest (das Stavropoleoskirchlein an der Calea Victoriei) und
in Athen (die Kapnikaraea im Zuge der Hermesstraße). Nur die bulgarische
Hauptstadt weist schon mit ihrem Namen (Sofia) darauf hin, daß hier eine
die Gegend beherrschende Kirche der Hagia Sophia gestanden haben muß,
deren gewaltige Ruinen noch heute auf einem Hügel im Osten der Stadt
sichtbar sind und verraten, daß der Bau seines großen Vorbildes in Kon¬
stantinopel nicht ganz unwürdig gewesen sein muß.

Überhaupt darf man in diesen Städten keine gewaltigen historischen Denk¬
mäler aus dem Mittelalter und der Neuzeit erwarten; dazu war ihre Ge-



*) In Paris und in Wien kommen auf jeden Einwohner etwa 30 Quadratmeter
Wohnfläche.
Grenzboten IV 1906 ^
Rulturbilder aus den Balkanstaaten

Muster angelegt worden; nur in Belgrad und in Sofia sind die Häuser eng
aneinander gebaut, weshalb diese Städte auch keinen so großen Umfang haben.
Im übrigen wirkt die weitläufige Anlage der Stadt äußerst wohltuend, zumal
in Verbindung mit den vielen Gärten um die Häuser, an denen besonders
Bukarest reich ist, und die ihm den Beinamen einer Gartenstadt verschafft
haben.

Aus dieser nach unsern Begriffen verschwenderischen Bauweise erklärt es
sich auch, daß diese Städte eine im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl
ungeheure Ausdehnung haben, was man sofort bemerkt, wenn man sie von
einem erhöhten Punkte aus betrachtet. So bedeckt zum Beispiel Bukarest
mit 300000 Einwohnern ein Areal von 35 bis 40 Quadratkilometern
— also etwa ebensoviel wie Berlin — und hat einen Umfang von mehr
als 25 Kilometern, Athen mit 140000 Einwohnern ein Areal von 18 bis
20 Quadratkilometern. In Bukarest kommen somit auf jeden Bewohner etwa
100 bis 120 Quadratmeter Wohnfläche! Ein wahrhaft idyllischer Zustand,
wenn man damit die Wohnverhültnisse in unsern Städten gleicher Größe
vergleicht.*) Und dabei findet man im Innern der Städte noch viele brach¬
liegende Grundstücke, um die sich keine Terrainspekulation kümmert.

Die lockere Gruppierung der Häuser und deren geringe Höhe machen
allerdings das Städtebild von oben wenig imposant, zumal da ihm noch etwas
fehlt, was das Wahrzeichen unsrer Städte ist: die hochragenden Türme und
die Kuppeln der Kirchen. Das ist um so wundersamer, wenn man liest, daß
Bukarest allein 120 Kirchen hat, Athen etwa 50. Wenn man aber bedenkt,
daß der Balkan der griechisch-orthodoxen Konfession angehört, und wenn man
die Bauart der byzantinischen Kirchen mit ihrer kapellenartigen Anlage, ihrer
wenig monumentalen Architektur und den gedrückten, bauchigen Kuppeln kennt,
so wird man verstehn, daß in der Höhe nicht viel davon zu sehen ist. Und
während gerade unsre ältesten Kirchen die gewaltigsten Bauwerke sind, ist es
in der griechischen Kirche mit ihren individualistischen Tendenzen wieder um¬
gekehrt: es sind kleine, jetzt halbverdaute Kapellen, die man kaum bemerkt; so
wenigstens in Bukarest (das Stavropoleoskirchlein an der Calea Victoriei) und
in Athen (die Kapnikaraea im Zuge der Hermesstraße). Nur die bulgarische
Hauptstadt weist schon mit ihrem Namen (Sofia) darauf hin, daß hier eine
die Gegend beherrschende Kirche der Hagia Sophia gestanden haben muß,
deren gewaltige Ruinen noch heute auf einem Hügel im Osten der Stadt
sichtbar sind und verraten, daß der Bau seines großen Vorbildes in Kon¬
stantinopel nicht ganz unwürdig gewesen sein muß.

Überhaupt darf man in diesen Städten keine gewaltigen historischen Denk¬
mäler aus dem Mittelalter und der Neuzeit erwarten; dazu war ihre Ge-



*) In Paris und in Wien kommen auf jeden Einwohner etwa 30 Quadratmeter
Wohnfläche.
Grenzboten IV 1906 ^
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[0097] Rulturbilder aus den Balkanstaaten Muster angelegt worden; nur in Belgrad und in Sofia sind die Häuser eng aneinander gebaut, weshalb diese Städte auch keinen so großen Umfang haben. Im übrigen wirkt die weitläufige Anlage der Stadt äußerst wohltuend, zumal in Verbindung mit den vielen Gärten um die Häuser, an denen besonders Bukarest reich ist, und die ihm den Beinamen einer Gartenstadt verschafft haben. Aus dieser nach unsern Begriffen verschwenderischen Bauweise erklärt es sich auch, daß diese Städte eine im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl ungeheure Ausdehnung haben, was man sofort bemerkt, wenn man sie von einem erhöhten Punkte aus betrachtet. So bedeckt zum Beispiel Bukarest mit 300000 Einwohnern ein Areal von 35 bis 40 Quadratkilometern — also etwa ebensoviel wie Berlin — und hat einen Umfang von mehr als 25 Kilometern, Athen mit 140000 Einwohnern ein Areal von 18 bis 20 Quadratkilometern. In Bukarest kommen somit auf jeden Bewohner etwa 100 bis 120 Quadratmeter Wohnfläche! Ein wahrhaft idyllischer Zustand, wenn man damit die Wohnverhültnisse in unsern Städten gleicher Größe vergleicht.*) Und dabei findet man im Innern der Städte noch viele brach¬ liegende Grundstücke, um die sich keine Terrainspekulation kümmert. Die lockere Gruppierung der Häuser und deren geringe Höhe machen allerdings das Städtebild von oben wenig imposant, zumal da ihm noch etwas fehlt, was das Wahrzeichen unsrer Städte ist: die hochragenden Türme und die Kuppeln der Kirchen. Das ist um so wundersamer, wenn man liest, daß Bukarest allein 120 Kirchen hat, Athen etwa 50. Wenn man aber bedenkt, daß der Balkan der griechisch-orthodoxen Konfession angehört, und wenn man die Bauart der byzantinischen Kirchen mit ihrer kapellenartigen Anlage, ihrer wenig monumentalen Architektur und den gedrückten, bauchigen Kuppeln kennt, so wird man verstehn, daß in der Höhe nicht viel davon zu sehen ist. Und während gerade unsre ältesten Kirchen die gewaltigsten Bauwerke sind, ist es in der griechischen Kirche mit ihren individualistischen Tendenzen wieder um¬ gekehrt: es sind kleine, jetzt halbverdaute Kapellen, die man kaum bemerkt; so wenigstens in Bukarest (das Stavropoleoskirchlein an der Calea Victoriei) und in Athen (die Kapnikaraea im Zuge der Hermesstraße). Nur die bulgarische Hauptstadt weist schon mit ihrem Namen (Sofia) darauf hin, daß hier eine die Gegend beherrschende Kirche der Hagia Sophia gestanden haben muß, deren gewaltige Ruinen noch heute auf einem Hügel im Osten der Stadt sichtbar sind und verraten, daß der Bau seines großen Vorbildes in Kon¬ stantinopel nicht ganz unwürdig gewesen sein muß. Überhaupt darf man in diesen Städten keine gewaltigen historischen Denk¬ mäler aus dem Mittelalter und der Neuzeit erwarten; dazu war ihre Ge- *) In Paris und in Wien kommen auf jeden Einwohner etwa 30 Quadratmeter Wohnfläche. Grenzboten IV 1906 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/97>, abgerufen am 25.08.2024.