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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die Sperlinge auf dem Naschinarkt

Damit wandte er sich auf dem Absätze uni und wanderte festen Schrittes durch
den Rathausdurchgang davon.

Das verhutzelte Weiblein schaute ihm nach, bis er ihren Augen entschwunden
war, dann wankte sie in ihre Bude und brach schluchzend zusammen.




Als am nächsten Morgen beide Buden geschlossen blieben, steckten die Leute
die Köpfe zusammen und meinten, der alte Zinngräber werde wohl wieder krank
geworden sein, und es müsse recht schlecht mit ihm stehen, wenn sogar Mamsell Bunick
nicht zur gewohnten Stunde erscheine. Die Tochter des Wollwarenhändlers sah den
Fall weniger ernst an und neigte zu der Ansicht, daß Christinens Abwesenheit noch
lange kein Beweis für eine bedenkliche Erkrankung des Alten sei, denn sie stelle sich
nur so besorgt um ihn, weil sie sich in den Kopf gesetzt habe, ihn zu heiraten.

Währenddessen saß das unglückliche Wesen, mit dem sich die Nachbarn so
lebhaft beschäftigten, in seiner Bude, wagte kaum sich zu regen und noch viel weniger,
sich dem Tageslicht und den Augen der Welt preiszugeben. Die arme Alte hatte
keine rechte Empfindung dafür, daß die Zeit ihren Gang weiterging, sie merkte
nicht auf den Schlag der Turmuhr und sah nicht, wie der kleine Lichtfleck, den ein
durch eine Ritze des Holzwerkes fallender Sonnenstrahl an die Wand warf, langsam
weiter rückte und endlich ganz verschwand. Sie saß auf ihrem Schemel, zupfte an
dem viel zu weit gewordnen Kleid herum und dachte an ihre Jugend, die so weit,
so weit hinter ihr lag, als seien seit gestern wirklich volle sechzig Jahre verstrichen.
Als sie Hunger verspürte, entschloß sie sich schweren Herzens, etwas von ihrer Ware
zu verzehren. Ihre Wahl fiel auf ein Lebkuchenherz billigster Qualität, aber ihrem
zahnlosen Munde erschien es so hart, als sei es auch schon vor sechzig Jahren ge¬
backen worden. Sie zerkrümelte es und weichte die Brocken in dem Kaffee auf,
den sie zum Glück am vorigen Nachmittag unberührt gelassen hatte. So brachte sie
zwei volle Tage und Nächte zu, ohne ihr Versteck zu verlassen.

Am dritten Morgen erwachte sie aus ihrem Dämmerzustand, öffnete kurz ent¬
schlossen sowohl ihre eigne wie Zinngräbers Bude und teilte den Nachbarn, die sie
mit erstaunten Augen betrachteten, mit, sie sei Christinens Großmutter. Ihre Enkelin
habe den schwer erkrankten Zinngräber in seine Heimat begleitet und werde ihn auf
seinen Wunsch dort noch eine Zeit lang Pflegen. Und um die Wollwarenmamsell zu
ärgern, fügte sie hinzu, der Alte habe aus Dankbarkeit ihre Enkelin zur Erbin
seines Vermögens eingesetzt, und wenn Christine ja auch nicht so sehr auf Geld zu
sehen brauche, so sei es ihr doch schließlich nicht zu verdenken, daß sie die paar
hunderttausend Taler, die Zinngräber zusammengescharrt habe, mitnehmen wolle. Der
russische Graf, mit dem ihre Enkelin seit einem halben Jahre verlobt sei, wäre so un¬
ermeßlich reich, daß eine Mitgift für ihn gar nicht in Betracht käme, aber es mache
doch einen bessern Eindruck, wenn seine Braut ein halbes Milliönchen blanker Taler mit
in die Ehe brächte. Außerdem sei das Leben in Rußland ziemlich teuer, besonders im
Winter, wo man in Petersburg wohnen und die großen Hoffestlichkeiten mitmachen
müsse. Da brauche man natürlich eine Menge Kleider und Schmuck, und mehr als einmal
könne man eine Toilette auch nicht tragen, denn der Kaiser Nikolaus hielte streng darauf,
daß die Damen, mit denen er Mazurka und Schlcifwalzer tanze, jedesmal in einem
andern Kostüm erschienen. Da sei es also gut, wenn Christine ein paar Groschen
zuzusetzen habe und nicht immer erst ihren Mann um Geld einzugehn brauche.

Dieser Bericht verfehlte seinen Eindruck nicht, und das alte Weiblein hatte
wenigstens die Genugtuung, daß die einstige Rivalin nicht unbedenklich an der
Gelbsucht erkrankte.

Als die Messe zu Ende ging, packte die Alte mit Hilfe eines Lohndieners
ihren und Zinngräbers Kram zusammen und reiste mit der zuversichtlichen Hoffnung


Die Sperlinge auf dem Naschinarkt

Damit wandte er sich auf dem Absätze uni und wanderte festen Schrittes durch
den Rathausdurchgang davon.

Das verhutzelte Weiblein schaute ihm nach, bis er ihren Augen entschwunden
war, dann wankte sie in ihre Bude und brach schluchzend zusammen.




Als am nächsten Morgen beide Buden geschlossen blieben, steckten die Leute
die Köpfe zusammen und meinten, der alte Zinngräber werde wohl wieder krank
geworden sein, und es müsse recht schlecht mit ihm stehen, wenn sogar Mamsell Bunick
nicht zur gewohnten Stunde erscheine. Die Tochter des Wollwarenhändlers sah den
Fall weniger ernst an und neigte zu der Ansicht, daß Christinens Abwesenheit noch
lange kein Beweis für eine bedenkliche Erkrankung des Alten sei, denn sie stelle sich
nur so besorgt um ihn, weil sie sich in den Kopf gesetzt habe, ihn zu heiraten.

Währenddessen saß das unglückliche Wesen, mit dem sich die Nachbarn so
lebhaft beschäftigten, in seiner Bude, wagte kaum sich zu regen und noch viel weniger,
sich dem Tageslicht und den Augen der Welt preiszugeben. Die arme Alte hatte
keine rechte Empfindung dafür, daß die Zeit ihren Gang weiterging, sie merkte
nicht auf den Schlag der Turmuhr und sah nicht, wie der kleine Lichtfleck, den ein
durch eine Ritze des Holzwerkes fallender Sonnenstrahl an die Wand warf, langsam
weiter rückte und endlich ganz verschwand. Sie saß auf ihrem Schemel, zupfte an
dem viel zu weit gewordnen Kleid herum und dachte an ihre Jugend, die so weit,
so weit hinter ihr lag, als seien seit gestern wirklich volle sechzig Jahre verstrichen.
Als sie Hunger verspürte, entschloß sie sich schweren Herzens, etwas von ihrer Ware
zu verzehren. Ihre Wahl fiel auf ein Lebkuchenherz billigster Qualität, aber ihrem
zahnlosen Munde erschien es so hart, als sei es auch schon vor sechzig Jahren ge¬
backen worden. Sie zerkrümelte es und weichte die Brocken in dem Kaffee auf,
den sie zum Glück am vorigen Nachmittag unberührt gelassen hatte. So brachte sie
zwei volle Tage und Nächte zu, ohne ihr Versteck zu verlassen.

Am dritten Morgen erwachte sie aus ihrem Dämmerzustand, öffnete kurz ent¬
schlossen sowohl ihre eigne wie Zinngräbers Bude und teilte den Nachbarn, die sie
mit erstaunten Augen betrachteten, mit, sie sei Christinens Großmutter. Ihre Enkelin
habe den schwer erkrankten Zinngräber in seine Heimat begleitet und werde ihn auf
seinen Wunsch dort noch eine Zeit lang Pflegen. Und um die Wollwarenmamsell zu
ärgern, fügte sie hinzu, der Alte habe aus Dankbarkeit ihre Enkelin zur Erbin
seines Vermögens eingesetzt, und wenn Christine ja auch nicht so sehr auf Geld zu
sehen brauche, so sei es ihr doch schließlich nicht zu verdenken, daß sie die paar
hunderttausend Taler, die Zinngräber zusammengescharrt habe, mitnehmen wolle. Der
russische Graf, mit dem ihre Enkelin seit einem halben Jahre verlobt sei, wäre so un¬
ermeßlich reich, daß eine Mitgift für ihn gar nicht in Betracht käme, aber es mache
doch einen bessern Eindruck, wenn seine Braut ein halbes Milliönchen blanker Taler mit
in die Ehe brächte. Außerdem sei das Leben in Rußland ziemlich teuer, besonders im
Winter, wo man in Petersburg wohnen und die großen Hoffestlichkeiten mitmachen
müsse. Da brauche man natürlich eine Menge Kleider und Schmuck, und mehr als einmal
könne man eine Toilette auch nicht tragen, denn der Kaiser Nikolaus hielte streng darauf,
daß die Damen, mit denen er Mazurka und Schlcifwalzer tanze, jedesmal in einem
andern Kostüm erschienen. Da sei es also gut, wenn Christine ein paar Groschen
zuzusetzen habe und nicht immer erst ihren Mann um Geld einzugehn brauche.

Dieser Bericht verfehlte seinen Eindruck nicht, und das alte Weiblein hatte
wenigstens die Genugtuung, daß die einstige Rivalin nicht unbedenklich an der
Gelbsucht erkrankte.

Als die Messe zu Ende ging, packte die Alte mit Hilfe eines Lohndieners
ihren und Zinngräbers Kram zusammen und reiste mit der zuversichtlichen Hoffnung


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[0738] Die Sperlinge auf dem Naschinarkt Damit wandte er sich auf dem Absätze uni und wanderte festen Schrittes durch den Rathausdurchgang davon. Das verhutzelte Weiblein schaute ihm nach, bis er ihren Augen entschwunden war, dann wankte sie in ihre Bude und brach schluchzend zusammen. Als am nächsten Morgen beide Buden geschlossen blieben, steckten die Leute die Köpfe zusammen und meinten, der alte Zinngräber werde wohl wieder krank geworden sein, und es müsse recht schlecht mit ihm stehen, wenn sogar Mamsell Bunick nicht zur gewohnten Stunde erscheine. Die Tochter des Wollwarenhändlers sah den Fall weniger ernst an und neigte zu der Ansicht, daß Christinens Abwesenheit noch lange kein Beweis für eine bedenkliche Erkrankung des Alten sei, denn sie stelle sich nur so besorgt um ihn, weil sie sich in den Kopf gesetzt habe, ihn zu heiraten. Währenddessen saß das unglückliche Wesen, mit dem sich die Nachbarn so lebhaft beschäftigten, in seiner Bude, wagte kaum sich zu regen und noch viel weniger, sich dem Tageslicht und den Augen der Welt preiszugeben. Die arme Alte hatte keine rechte Empfindung dafür, daß die Zeit ihren Gang weiterging, sie merkte nicht auf den Schlag der Turmuhr und sah nicht, wie der kleine Lichtfleck, den ein durch eine Ritze des Holzwerkes fallender Sonnenstrahl an die Wand warf, langsam weiter rückte und endlich ganz verschwand. Sie saß auf ihrem Schemel, zupfte an dem viel zu weit gewordnen Kleid herum und dachte an ihre Jugend, die so weit, so weit hinter ihr lag, als seien seit gestern wirklich volle sechzig Jahre verstrichen. Als sie Hunger verspürte, entschloß sie sich schweren Herzens, etwas von ihrer Ware zu verzehren. Ihre Wahl fiel auf ein Lebkuchenherz billigster Qualität, aber ihrem zahnlosen Munde erschien es so hart, als sei es auch schon vor sechzig Jahren ge¬ backen worden. Sie zerkrümelte es und weichte die Brocken in dem Kaffee auf, den sie zum Glück am vorigen Nachmittag unberührt gelassen hatte. So brachte sie zwei volle Tage und Nächte zu, ohne ihr Versteck zu verlassen. Am dritten Morgen erwachte sie aus ihrem Dämmerzustand, öffnete kurz ent¬ schlossen sowohl ihre eigne wie Zinngräbers Bude und teilte den Nachbarn, die sie mit erstaunten Augen betrachteten, mit, sie sei Christinens Großmutter. Ihre Enkelin habe den schwer erkrankten Zinngräber in seine Heimat begleitet und werde ihn auf seinen Wunsch dort noch eine Zeit lang Pflegen. Und um die Wollwarenmamsell zu ärgern, fügte sie hinzu, der Alte habe aus Dankbarkeit ihre Enkelin zur Erbin seines Vermögens eingesetzt, und wenn Christine ja auch nicht so sehr auf Geld zu sehen brauche, so sei es ihr doch schließlich nicht zu verdenken, daß sie die paar hunderttausend Taler, die Zinngräber zusammengescharrt habe, mitnehmen wolle. Der russische Graf, mit dem ihre Enkelin seit einem halben Jahre verlobt sei, wäre so un¬ ermeßlich reich, daß eine Mitgift für ihn gar nicht in Betracht käme, aber es mache doch einen bessern Eindruck, wenn seine Braut ein halbes Milliönchen blanker Taler mit in die Ehe brächte. Außerdem sei das Leben in Rußland ziemlich teuer, besonders im Winter, wo man in Petersburg wohnen und die großen Hoffestlichkeiten mitmachen müsse. Da brauche man natürlich eine Menge Kleider und Schmuck, und mehr als einmal könne man eine Toilette auch nicht tragen, denn der Kaiser Nikolaus hielte streng darauf, daß die Damen, mit denen er Mazurka und Schlcifwalzer tanze, jedesmal in einem andern Kostüm erschienen. Da sei es also gut, wenn Christine ein paar Groschen zuzusetzen habe und nicht immer erst ihren Mann um Geld einzugehn brauche. Dieser Bericht verfehlte seinen Eindruck nicht, und das alte Weiblein hatte wenigstens die Genugtuung, daß die einstige Rivalin nicht unbedenklich an der Gelbsucht erkrankte. Als die Messe zu Ende ging, packte die Alte mit Hilfe eines Lohndieners ihren und Zinngräbers Kram zusammen und reiste mit der zuversichtlichen Hoffnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/738>, abgerufen am 23.07.2024.