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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die "Eigenart" der Gymnasien

Gymnasiasten mangelhaft finden, so ist das leider nicht unberechtigt. Aber es
kommt daher, wie nun doch allmählich jeder eingesehen hat, daß unsern armen
Humanisten zu vielerlei aufgepackt worden ist. Dadurch stehn wir natürlich
hinter den einheitlicher gestalteten Realschulen zurück. Man gebe uns eine ein¬
seitige, aber verstärkte humanistische Bildung, wie man den Realschulen
eine einseitige modern-realistische Bildung gegeben hat, dann sind die Waffen
gleich, und dann wollen wir sehen, wer sie besser führt.

Aber, Verehrter, Sie werden ja ganz kriegerisch.

Das sollten Sie auch werden und wir alle. Wir sind viel zu friedlich
und überlassen das Kriegspielen den Gegnern.

Nu, die öden Schimpfereien dürfen wir ihnen wohl ruhig überlassen.

Unterschätzen Sie auch das Schimpfen nicht! Man muß sich nichts ge¬
fallen lassen. Aber immerhin haben Sie Recht. Im Schimpfen wollen wir
ihnen den Rekord lassen; aber im Handeln wollen wir nicht zurückstehn. Und
zum Handeln in unserm Falle gehört entschlossenes Eintreten für das, was
wir wollen.

Das einseitige Gymnasium also?

Jawohl, das einseitige Gymnasium, das ganz einseitige Gymnasium
ohne Mathematik in der Prima, dafür mit acht Stunden Latein, acht Stunden
Griechisch und vier Stunden Deutsch oder Philosophie. Dann können wir die
Kraft unsrer klassischen Studien erproben.

Darin haben Sie ja gewiß Recht, daß sich die Verstärkung dieser Studien
gerade in der Prima allerdings besonders fruchtbar erweisen würde. Aber würden
die Schüler den Anforderungen gewachsen sein?

Aha, jetzt kommen Sie damit! Unsre guten Schüler, ja, die würden die
vermehrten Ansprüche erfüllen können, und wie ich urteile, sogar sehr gern
erfüllen.

Aber die schwächern?

Die gehören eben nicht dahin. Sie mögen sich ihre Bildung wo anders
holen.

Und in Städten, wo nur Gymnasien sind, wie zum Beispiel vielfach in
unsern östlichen Provinzen?

Solche Städte darf es eben nicht geben! Denn es ist ein Unrecht und
außerdem ein Unsinn, jemand eine Bildung aufzwingen zu wollen, die er oder
vielmehr seine Eltern aus irgendeinem Grunde nicht mögen, oder die der Zög¬
ling nicht bewältigen kann.

Was soll denn aus diese" andern werden?

Wenn es sich die Städte nicht leisten können, so muß der Staat dafür
sorgen, daß in keiner Stadt nur ein Gymnasium ist, sondern daß ihm eine
Real- oder Handels- oder höhere Bürgerschule, oder wie Sie sie nennen
wollen, zur Seite steht.

Ja, das ist sehr schön gesagt, aber woher soll das Geld kommen?

Das muß geschafft werden. Denn die vernünftige Erziehung unsrer Jugend
ist auch für den Staat zunächst das allerwichtigste, und eine falsche Sparsam¬
keit gerade in diesem Punkte rächt sich furchtbar -- und hat sich schon genug
gerächt.

Sie meinen das Einjährigenzeugnis?

Allerdings, es ist die garantierte Halbbildung.

.
Wollen Sie es denn abschaffen oder von der Abituricntenprüfung ab¬
hängig machen?


Die „Eigenart" der Gymnasien

Gymnasiasten mangelhaft finden, so ist das leider nicht unberechtigt. Aber es
kommt daher, wie nun doch allmählich jeder eingesehen hat, daß unsern armen
Humanisten zu vielerlei aufgepackt worden ist. Dadurch stehn wir natürlich
hinter den einheitlicher gestalteten Realschulen zurück. Man gebe uns eine ein¬
seitige, aber verstärkte humanistische Bildung, wie man den Realschulen
eine einseitige modern-realistische Bildung gegeben hat, dann sind die Waffen
gleich, und dann wollen wir sehen, wer sie besser führt.

Aber, Verehrter, Sie werden ja ganz kriegerisch.

Das sollten Sie auch werden und wir alle. Wir sind viel zu friedlich
und überlassen das Kriegspielen den Gegnern.

Nu, die öden Schimpfereien dürfen wir ihnen wohl ruhig überlassen.

Unterschätzen Sie auch das Schimpfen nicht! Man muß sich nichts ge¬
fallen lassen. Aber immerhin haben Sie Recht. Im Schimpfen wollen wir
ihnen den Rekord lassen; aber im Handeln wollen wir nicht zurückstehn. Und
zum Handeln in unserm Falle gehört entschlossenes Eintreten für das, was
wir wollen.

Das einseitige Gymnasium also?

Jawohl, das einseitige Gymnasium, das ganz einseitige Gymnasium
ohne Mathematik in der Prima, dafür mit acht Stunden Latein, acht Stunden
Griechisch und vier Stunden Deutsch oder Philosophie. Dann können wir die
Kraft unsrer klassischen Studien erproben.

Darin haben Sie ja gewiß Recht, daß sich die Verstärkung dieser Studien
gerade in der Prima allerdings besonders fruchtbar erweisen würde. Aber würden
die Schüler den Anforderungen gewachsen sein?

Aha, jetzt kommen Sie damit! Unsre guten Schüler, ja, die würden die
vermehrten Ansprüche erfüllen können, und wie ich urteile, sogar sehr gern
erfüllen.

Aber die schwächern?

Die gehören eben nicht dahin. Sie mögen sich ihre Bildung wo anders
holen.

Und in Städten, wo nur Gymnasien sind, wie zum Beispiel vielfach in
unsern östlichen Provinzen?

Solche Städte darf es eben nicht geben! Denn es ist ein Unrecht und
außerdem ein Unsinn, jemand eine Bildung aufzwingen zu wollen, die er oder
vielmehr seine Eltern aus irgendeinem Grunde nicht mögen, oder die der Zög¬
ling nicht bewältigen kann.

Was soll denn aus diese» andern werden?

Wenn es sich die Städte nicht leisten können, so muß der Staat dafür
sorgen, daß in keiner Stadt nur ein Gymnasium ist, sondern daß ihm eine
Real- oder Handels- oder höhere Bürgerschule, oder wie Sie sie nennen
wollen, zur Seite steht.

Ja, das ist sehr schön gesagt, aber woher soll das Geld kommen?

Das muß geschafft werden. Denn die vernünftige Erziehung unsrer Jugend
ist auch für den Staat zunächst das allerwichtigste, und eine falsche Sparsam¬
keit gerade in diesem Punkte rächt sich furchtbar — und hat sich schon genug
gerächt.

Sie meinen das Einjährigenzeugnis?

Allerdings, es ist die garantierte Halbbildung.

.
Wollen Sie es denn abschaffen oder von der Abituricntenprüfung ab¬
hängig machen?


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[0730] Die „Eigenart" der Gymnasien Gymnasiasten mangelhaft finden, so ist das leider nicht unberechtigt. Aber es kommt daher, wie nun doch allmählich jeder eingesehen hat, daß unsern armen Humanisten zu vielerlei aufgepackt worden ist. Dadurch stehn wir natürlich hinter den einheitlicher gestalteten Realschulen zurück. Man gebe uns eine ein¬ seitige, aber verstärkte humanistische Bildung, wie man den Realschulen eine einseitige modern-realistische Bildung gegeben hat, dann sind die Waffen gleich, und dann wollen wir sehen, wer sie besser führt. Aber, Verehrter, Sie werden ja ganz kriegerisch. Das sollten Sie auch werden und wir alle. Wir sind viel zu friedlich und überlassen das Kriegspielen den Gegnern. Nu, die öden Schimpfereien dürfen wir ihnen wohl ruhig überlassen. Unterschätzen Sie auch das Schimpfen nicht! Man muß sich nichts ge¬ fallen lassen. Aber immerhin haben Sie Recht. Im Schimpfen wollen wir ihnen den Rekord lassen; aber im Handeln wollen wir nicht zurückstehn. Und zum Handeln in unserm Falle gehört entschlossenes Eintreten für das, was wir wollen. Das einseitige Gymnasium also? Jawohl, das einseitige Gymnasium, das ganz einseitige Gymnasium ohne Mathematik in der Prima, dafür mit acht Stunden Latein, acht Stunden Griechisch und vier Stunden Deutsch oder Philosophie. Dann können wir die Kraft unsrer klassischen Studien erproben. Darin haben Sie ja gewiß Recht, daß sich die Verstärkung dieser Studien gerade in der Prima allerdings besonders fruchtbar erweisen würde. Aber würden die Schüler den Anforderungen gewachsen sein? Aha, jetzt kommen Sie damit! Unsre guten Schüler, ja, die würden die vermehrten Ansprüche erfüllen können, und wie ich urteile, sogar sehr gern erfüllen. Aber die schwächern? Die gehören eben nicht dahin. Sie mögen sich ihre Bildung wo anders holen. Und in Städten, wo nur Gymnasien sind, wie zum Beispiel vielfach in unsern östlichen Provinzen? Solche Städte darf es eben nicht geben! Denn es ist ein Unrecht und außerdem ein Unsinn, jemand eine Bildung aufzwingen zu wollen, die er oder vielmehr seine Eltern aus irgendeinem Grunde nicht mögen, oder die der Zög¬ ling nicht bewältigen kann. Was soll denn aus diese» andern werden? Wenn es sich die Städte nicht leisten können, so muß der Staat dafür sorgen, daß in keiner Stadt nur ein Gymnasium ist, sondern daß ihm eine Real- oder Handels- oder höhere Bürgerschule, oder wie Sie sie nennen wollen, zur Seite steht. Ja, das ist sehr schön gesagt, aber woher soll das Geld kommen? Das muß geschafft werden. Denn die vernünftige Erziehung unsrer Jugend ist auch für den Staat zunächst das allerwichtigste, und eine falsche Sparsam¬ keit gerade in diesem Punkte rächt sich furchtbar — und hat sich schon genug gerächt. Sie meinen das Einjährigenzeugnis? Allerdings, es ist die garantierte Halbbildung. . Wollen Sie es denn abschaffen oder von der Abituricntenprüfung ab¬ hängig machen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/730>, abgerufen am 23.07.2024.