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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die "Eigenart" der Gymnasien

Leistungen etwas geringer; dafür ist ein volles Plus von zwei Fächern vor¬
handen, deren Wert für geistige Bildung seit Jahrhunderten nicht bloß von
sausenden der geistig höchststehenden Menschen anerkannt, ja überhaupt gar
acht bezweifelt worden ist, sondern deren Wert sich auch heute noch immer in
der glänzendsten Weise bewährt, wie Gott sei Dank unzählige Beispiele beweisen.
M das nicht einfach zum Lachen? Oder nein, ist es nicht eine unglaubliche
Inkonsequenz und Ungerechtigkeit, wie ich schon sagte?'

Na, und wenn es eine wäre, glauben Sie, daß sie durch Ihren Vor¬
schlag beseitigt würde?

So ziemlich, ja.

Nur "so ziemlich"?

. Andres liegt vorläufig noch in zu weitem Felde. Aber dies wäre zu er¬
reichen, ja es muß erreicht werden.

Sie wollen also die Mathematik in der Prima einfach streichen.

Jawohl, einfach streichen.

Und was soll dafür eintreten?

Das, was uns fehlt, um uns zu dem zu machen, was wir sein sollen und
wollen.

Also mehr Humaniora?

So ist es. Denken Sie vier Stunden! "Es schwelgt das Herz in
Seligkeit."

Und wie wollen Sie diese verteilen?

Eine Stunde Latein, zwei Griechisch, eine Deutsch oder Philosophie.

Das nenne ich wenigstens prompt geantwortet. Sollte es nicht auch
andre Möglichkeiten geben?

Für problematische Naturen gewiß noch viele, für mich keine andern.
Denn sehen Sie: daß sechs Stunden im Griechischen besonders der Prima zu wenig
send, darüber sind sich doch wohl alle, die in der Sache mitreden können, einig.
Und gerade das Griechische ist doch das, was uns von allen andern Schulen
unterscheidet. Da für Latein schon sieben Stunden angesetzt sind, so bekämen
Wir je acht Stunden für beide alten Sprachen. Damit kann man etwas schaffen,
um so mehr, wenn die, wie wir doch alle wissen, sehr bedeutende Zeit- und
Kraftaufwendung für Mathematik den alten Sprachen dienstbar gemacht
werden kann.

^ Und was meinen Sie wohl, werden dazu die Mathematiker und auch die
Reformer sagen?

Ja, die werden natürlich Zeter und Mordio schreien, die wenigen aus¬
genommen, die der Frage wirklich mit objektiver Gerechtigkeit gegenüberstehn
und den berühmten Passus in dem kaiserlichen Programm von der Wahrung
der Eigenart jeder Schulgattung nicht bloß für eine rednerische Floskel
halten, sondern wirklich ernst nehmen. Warum in aller Welt sollen wir tole¬
ranter sein als die andern? Wir lassen ja ihre Realschulen gelten, also sollen
ne auch uns unsre Gymnasien lassen.

Das wollen sie auch. Aber sogar Harnack in seiner berühmten Gymnasial¬
es meinte, daß man mit den Lehrplänen, wie sie sind, auskommen könne.

Ich glaube, daß der hochverehrte Mann in diesem Punkte irrt. Außerdem
aber wollen wir doch nicht bloß eben "auskommen", wir wollen blühen und ge¬
deihen, und wir wollen unser gutes Recht. Wenn nicht bloß die Gegner unsers
Gymnasiums, sondern auch viele ihm sonst wohlgesinnte Freunde unter
den Universitütsprofessoren die Kenntnisse in den klassischen Sprachen unsrer


Grenzboten IV I90K 93
Die „Eigenart" der Gymnasien

Leistungen etwas geringer; dafür ist ein volles Plus von zwei Fächern vor¬
handen, deren Wert für geistige Bildung seit Jahrhunderten nicht bloß von
sausenden der geistig höchststehenden Menschen anerkannt, ja überhaupt gar
acht bezweifelt worden ist, sondern deren Wert sich auch heute noch immer in
der glänzendsten Weise bewährt, wie Gott sei Dank unzählige Beispiele beweisen.
M das nicht einfach zum Lachen? Oder nein, ist es nicht eine unglaubliche
Inkonsequenz und Ungerechtigkeit, wie ich schon sagte?'

Na, und wenn es eine wäre, glauben Sie, daß sie durch Ihren Vor¬
schlag beseitigt würde?

So ziemlich, ja.

Nur „so ziemlich"?

. Andres liegt vorläufig noch in zu weitem Felde. Aber dies wäre zu er¬
reichen, ja es muß erreicht werden.

Sie wollen also die Mathematik in der Prima einfach streichen.

Jawohl, einfach streichen.

Und was soll dafür eintreten?

Das, was uns fehlt, um uns zu dem zu machen, was wir sein sollen und
wollen.

Also mehr Humaniora?

So ist es. Denken Sie vier Stunden! „Es schwelgt das Herz in
Seligkeit."

Und wie wollen Sie diese verteilen?

Eine Stunde Latein, zwei Griechisch, eine Deutsch oder Philosophie.

Das nenne ich wenigstens prompt geantwortet. Sollte es nicht auch
andre Möglichkeiten geben?

Für problematische Naturen gewiß noch viele, für mich keine andern.
Denn sehen Sie: daß sechs Stunden im Griechischen besonders der Prima zu wenig
send, darüber sind sich doch wohl alle, die in der Sache mitreden können, einig.
Und gerade das Griechische ist doch das, was uns von allen andern Schulen
unterscheidet. Da für Latein schon sieben Stunden angesetzt sind, so bekämen
Wir je acht Stunden für beide alten Sprachen. Damit kann man etwas schaffen,
um so mehr, wenn die, wie wir doch alle wissen, sehr bedeutende Zeit- und
Kraftaufwendung für Mathematik den alten Sprachen dienstbar gemacht
werden kann.

^ Und was meinen Sie wohl, werden dazu die Mathematiker und auch die
Reformer sagen?

Ja, die werden natürlich Zeter und Mordio schreien, die wenigen aus¬
genommen, die der Frage wirklich mit objektiver Gerechtigkeit gegenüberstehn
und den berühmten Passus in dem kaiserlichen Programm von der Wahrung
der Eigenart jeder Schulgattung nicht bloß für eine rednerische Floskel
halten, sondern wirklich ernst nehmen. Warum in aller Welt sollen wir tole¬
ranter sein als die andern? Wir lassen ja ihre Realschulen gelten, also sollen
ne auch uns unsre Gymnasien lassen.

Das wollen sie auch. Aber sogar Harnack in seiner berühmten Gymnasial¬
es meinte, daß man mit den Lehrplänen, wie sie sind, auskommen könne.

Ich glaube, daß der hochverehrte Mann in diesem Punkte irrt. Außerdem
aber wollen wir doch nicht bloß eben „auskommen", wir wollen blühen und ge¬
deihen, und wir wollen unser gutes Recht. Wenn nicht bloß die Gegner unsers
Gymnasiums, sondern auch viele ihm sonst wohlgesinnte Freunde unter
den Universitütsprofessoren die Kenntnisse in den klassischen Sprachen unsrer


Grenzboten IV I90K 93
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[0729] Die „Eigenart" der Gymnasien Leistungen etwas geringer; dafür ist ein volles Plus von zwei Fächern vor¬ handen, deren Wert für geistige Bildung seit Jahrhunderten nicht bloß von sausenden der geistig höchststehenden Menschen anerkannt, ja überhaupt gar acht bezweifelt worden ist, sondern deren Wert sich auch heute noch immer in der glänzendsten Weise bewährt, wie Gott sei Dank unzählige Beispiele beweisen. M das nicht einfach zum Lachen? Oder nein, ist es nicht eine unglaubliche Inkonsequenz und Ungerechtigkeit, wie ich schon sagte?' Na, und wenn es eine wäre, glauben Sie, daß sie durch Ihren Vor¬ schlag beseitigt würde? So ziemlich, ja. Nur „so ziemlich"? . Andres liegt vorläufig noch in zu weitem Felde. Aber dies wäre zu er¬ reichen, ja es muß erreicht werden. Sie wollen also die Mathematik in der Prima einfach streichen. Jawohl, einfach streichen. Und was soll dafür eintreten? Das, was uns fehlt, um uns zu dem zu machen, was wir sein sollen und wollen. Also mehr Humaniora? So ist es. Denken Sie vier Stunden! „Es schwelgt das Herz in Seligkeit." Und wie wollen Sie diese verteilen? Eine Stunde Latein, zwei Griechisch, eine Deutsch oder Philosophie. Das nenne ich wenigstens prompt geantwortet. Sollte es nicht auch andre Möglichkeiten geben? Für problematische Naturen gewiß noch viele, für mich keine andern. Denn sehen Sie: daß sechs Stunden im Griechischen besonders der Prima zu wenig send, darüber sind sich doch wohl alle, die in der Sache mitreden können, einig. Und gerade das Griechische ist doch das, was uns von allen andern Schulen unterscheidet. Da für Latein schon sieben Stunden angesetzt sind, so bekämen Wir je acht Stunden für beide alten Sprachen. Damit kann man etwas schaffen, um so mehr, wenn die, wie wir doch alle wissen, sehr bedeutende Zeit- und Kraftaufwendung für Mathematik den alten Sprachen dienstbar gemacht werden kann. ^ Und was meinen Sie wohl, werden dazu die Mathematiker und auch die Reformer sagen? Ja, die werden natürlich Zeter und Mordio schreien, die wenigen aus¬ genommen, die der Frage wirklich mit objektiver Gerechtigkeit gegenüberstehn und den berühmten Passus in dem kaiserlichen Programm von der Wahrung der Eigenart jeder Schulgattung nicht bloß für eine rednerische Floskel halten, sondern wirklich ernst nehmen. Warum in aller Welt sollen wir tole¬ ranter sein als die andern? Wir lassen ja ihre Realschulen gelten, also sollen ne auch uns unsre Gymnasien lassen. Das wollen sie auch. Aber sogar Harnack in seiner berühmten Gymnasial¬ es meinte, daß man mit den Lehrplänen, wie sie sind, auskommen könne. Ich glaube, daß der hochverehrte Mann in diesem Punkte irrt. Außerdem aber wollen wir doch nicht bloß eben „auskommen", wir wollen blühen und ge¬ deihen, und wir wollen unser gutes Recht. Wenn nicht bloß die Gegner unsers Gymnasiums, sondern auch viele ihm sonst wohlgesinnte Freunde unter den Universitütsprofessoren die Kenntnisse in den klassischen Sprachen unsrer Grenzboten IV I90K 93

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/729>, abgerufen am 23.07.2024.