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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Grinnerungen aus der Bretagne

Klosters zu setzen. Der einzige Omnibus des einzigen größern Hotels nahm
uns als einzige Fahrgäste mit, und auf großen Umwegen -- da wir weder über
den steilen Berg noch durch das Wasser fahren konnten, über das eine einzige
Brücke führt -- rollten wir durch Wiesen und dann durch freundliche alte
Straßen, wo groß und klein den heitern Abend bei Plaudern und Spiel vor
den Türen genoß.

Eine dichte Lindenallee führt auf das Kloster zu. Ziemlich neugierig
traten wir durch das Tor mit den alten Steinbildern. Ein liebliches, fried¬
liches Bild bot sich unsern Augen: die Gebäude umgeben in Form eines
Bierecks einen idyllischen Garten mit alten hohen Bäumen, dichtem Gesträuch
und einem Meer von Rosen. Den Mittelpunkt bildet eine herrliche Zeder.
Rosen, Clematis und Waldrebe sind rechts an der Kapelle und an den übrigen
Gebäuden emporgeklettert. Und als uns nun noch zwei schwarzgekleidete
Nonnen freundlich lächelnd auf dem schmalen Kiesweg entgegenkamen, da war
das Bild fertig. Frisch gewaschen und gekämmt saßen wir nicht lange nachher
im Fremdenrefektorium und verspeisten "selbstgewachsne" Riesenartischocken. Hier
hatten wir den Blick auf den großen Obstgarten, wo Schafe, Hühner und zwei
fette Schweine ihr Wesen trieben. Eine Mutter leistete uns Gesellschaft. Sie
fragte uns nach unsrer Heimat, aber wir merkten bald, daß ihr die deutschen
Städte samt und sonders böhmische Dörfer waren. Aber wie ungebildet die
Nonnen waren, so gut waren sie auch. Wir haben uns sehr behaglich gefühlt
in den Räumen der alten Dominikanerabtei, die 1255 von Blanche de Cham¬
pagne, der Gemahlin Herzog Johanns des Ersten, gegründet wurde. Gern
denke ich an die stillen Wesen zurück: Madame la superieure, eine kleine,
untersetzte Dame, deren ruhige Würde durch die Schwerfälligkeit des Alters
noch erhöht wurde, die komische Mutter, die aus Vogelfedern ganz allerliebste
Vögelchen fabrizierte, die sie zum Wohle der Armen verkaufte, die Bleiche,
Überzarte mit den verzückten dunkeln Augen, die fleißigen Schurf vonvörsös,
die zum Zeichen ihrer dienenden Stellung keine schwarzen Schleier über den
weißen Hauben tragen durften. Alle waren Bretoninnen und hatten ihre
Namen mit denen von Heiligen vertauscht: more Lkünt-Nioliol, 8<"ur Kg.ni>
Lrisuo usw. Zur Bedienung gehörten noch zwei Weltkinder: die alte schel¬
mische Marie, die für das Kloster einholte und die Mahlzeiten sehr unver¬
froren mit ihren guten Witzen würzte, und ihre vierzehnjährige Enkelin. Die
Pensionärinnen, die wie wir zur Erholung und zum Vergnügen da waren,
gehörten meist der englischen Nation an. Doch gab es auch Pensionärinnen
auf Lebenszeit; das waren alte Französinnen, arme Hühner, die gierig wie
Hechte und stumm wie diese ihre Mahlzeiten verschlangen, sich darauf ein dickes
Butterbrot strichen und mit diesem in ihre Gemächer enteilten.

Die größte Denkwürdigkeit der Abbaye Manche war eine kleine, rosen-
umrcmkte Grabkapelle, in der ein höchst unruhiger Herr von seinem Leben aus¬
ruhte. Im Jahre 1345 wurde Herzog Jean der Vierte hier in der damaligen


Grinnerungen aus der Bretagne

Klosters zu setzen. Der einzige Omnibus des einzigen größern Hotels nahm
uns als einzige Fahrgäste mit, und auf großen Umwegen — da wir weder über
den steilen Berg noch durch das Wasser fahren konnten, über das eine einzige
Brücke führt — rollten wir durch Wiesen und dann durch freundliche alte
Straßen, wo groß und klein den heitern Abend bei Plaudern und Spiel vor
den Türen genoß.

Eine dichte Lindenallee führt auf das Kloster zu. Ziemlich neugierig
traten wir durch das Tor mit den alten Steinbildern. Ein liebliches, fried¬
liches Bild bot sich unsern Augen: die Gebäude umgeben in Form eines
Bierecks einen idyllischen Garten mit alten hohen Bäumen, dichtem Gesträuch
und einem Meer von Rosen. Den Mittelpunkt bildet eine herrliche Zeder.
Rosen, Clematis und Waldrebe sind rechts an der Kapelle und an den übrigen
Gebäuden emporgeklettert. Und als uns nun noch zwei schwarzgekleidete
Nonnen freundlich lächelnd auf dem schmalen Kiesweg entgegenkamen, da war
das Bild fertig. Frisch gewaschen und gekämmt saßen wir nicht lange nachher
im Fremdenrefektorium und verspeisten „selbstgewachsne" Riesenartischocken. Hier
hatten wir den Blick auf den großen Obstgarten, wo Schafe, Hühner und zwei
fette Schweine ihr Wesen trieben. Eine Mutter leistete uns Gesellschaft. Sie
fragte uns nach unsrer Heimat, aber wir merkten bald, daß ihr die deutschen
Städte samt und sonders böhmische Dörfer waren. Aber wie ungebildet die
Nonnen waren, so gut waren sie auch. Wir haben uns sehr behaglich gefühlt
in den Räumen der alten Dominikanerabtei, die 1255 von Blanche de Cham¬
pagne, der Gemahlin Herzog Johanns des Ersten, gegründet wurde. Gern
denke ich an die stillen Wesen zurück: Madame la superieure, eine kleine,
untersetzte Dame, deren ruhige Würde durch die Schwerfälligkeit des Alters
noch erhöht wurde, die komische Mutter, die aus Vogelfedern ganz allerliebste
Vögelchen fabrizierte, die sie zum Wohle der Armen verkaufte, die Bleiche,
Überzarte mit den verzückten dunkeln Augen, die fleißigen Schurf vonvörsös,
die zum Zeichen ihrer dienenden Stellung keine schwarzen Schleier über den
weißen Hauben tragen durften. Alle waren Bretoninnen und hatten ihre
Namen mit denen von Heiligen vertauscht: more Lkünt-Nioliol, 8<»ur Kg.ni>
Lrisuo usw. Zur Bedienung gehörten noch zwei Weltkinder: die alte schel¬
mische Marie, die für das Kloster einholte und die Mahlzeiten sehr unver¬
froren mit ihren guten Witzen würzte, und ihre vierzehnjährige Enkelin. Die
Pensionärinnen, die wie wir zur Erholung und zum Vergnügen da waren,
gehörten meist der englischen Nation an. Doch gab es auch Pensionärinnen
auf Lebenszeit; das waren alte Französinnen, arme Hühner, die gierig wie
Hechte und stumm wie diese ihre Mahlzeiten verschlangen, sich darauf ein dickes
Butterbrot strichen und mit diesem in ihre Gemächer enteilten.

Die größte Denkwürdigkeit der Abbaye Manche war eine kleine, rosen-
umrcmkte Grabkapelle, in der ein höchst unruhiger Herr von seinem Leben aus¬
ruhte. Im Jahre 1345 wurde Herzog Jean der Vierte hier in der damaligen


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[0716] Grinnerungen aus der Bretagne Klosters zu setzen. Der einzige Omnibus des einzigen größern Hotels nahm uns als einzige Fahrgäste mit, und auf großen Umwegen — da wir weder über den steilen Berg noch durch das Wasser fahren konnten, über das eine einzige Brücke führt — rollten wir durch Wiesen und dann durch freundliche alte Straßen, wo groß und klein den heitern Abend bei Plaudern und Spiel vor den Türen genoß. Eine dichte Lindenallee führt auf das Kloster zu. Ziemlich neugierig traten wir durch das Tor mit den alten Steinbildern. Ein liebliches, fried¬ liches Bild bot sich unsern Augen: die Gebäude umgeben in Form eines Bierecks einen idyllischen Garten mit alten hohen Bäumen, dichtem Gesträuch und einem Meer von Rosen. Den Mittelpunkt bildet eine herrliche Zeder. Rosen, Clematis und Waldrebe sind rechts an der Kapelle und an den übrigen Gebäuden emporgeklettert. Und als uns nun noch zwei schwarzgekleidete Nonnen freundlich lächelnd auf dem schmalen Kiesweg entgegenkamen, da war das Bild fertig. Frisch gewaschen und gekämmt saßen wir nicht lange nachher im Fremdenrefektorium und verspeisten „selbstgewachsne" Riesenartischocken. Hier hatten wir den Blick auf den großen Obstgarten, wo Schafe, Hühner und zwei fette Schweine ihr Wesen trieben. Eine Mutter leistete uns Gesellschaft. Sie fragte uns nach unsrer Heimat, aber wir merkten bald, daß ihr die deutschen Städte samt und sonders böhmische Dörfer waren. Aber wie ungebildet die Nonnen waren, so gut waren sie auch. Wir haben uns sehr behaglich gefühlt in den Räumen der alten Dominikanerabtei, die 1255 von Blanche de Cham¬ pagne, der Gemahlin Herzog Johanns des Ersten, gegründet wurde. Gern denke ich an die stillen Wesen zurück: Madame la superieure, eine kleine, untersetzte Dame, deren ruhige Würde durch die Schwerfälligkeit des Alters noch erhöht wurde, die komische Mutter, die aus Vogelfedern ganz allerliebste Vögelchen fabrizierte, die sie zum Wohle der Armen verkaufte, die Bleiche, Überzarte mit den verzückten dunkeln Augen, die fleißigen Schurf vonvörsös, die zum Zeichen ihrer dienenden Stellung keine schwarzen Schleier über den weißen Hauben tragen durften. Alle waren Bretoninnen und hatten ihre Namen mit denen von Heiligen vertauscht: more Lkünt-Nioliol, 8<»ur Kg.ni> Lrisuo usw. Zur Bedienung gehörten noch zwei Weltkinder: die alte schel¬ mische Marie, die für das Kloster einholte und die Mahlzeiten sehr unver¬ froren mit ihren guten Witzen würzte, und ihre vierzehnjährige Enkelin. Die Pensionärinnen, die wie wir zur Erholung und zum Vergnügen da waren, gehörten meist der englischen Nation an. Doch gab es auch Pensionärinnen auf Lebenszeit; das waren alte Französinnen, arme Hühner, die gierig wie Hechte und stumm wie diese ihre Mahlzeiten verschlangen, sich darauf ein dickes Butterbrot strichen und mit diesem in ihre Gemächer enteilten. Die größte Denkwürdigkeit der Abbaye Manche war eine kleine, rosen- umrcmkte Grabkapelle, in der ein höchst unruhiger Herr von seinem Leben aus¬ ruhte. Im Jahre 1345 wurde Herzog Jean der Vierte hier in der damaligen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/716>, abgerufen am 23.07.2024.