Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen aus der Bretagne

lag König Jeder erschlagen in der Heide -- aber strahlend in der Rüstung
des Toten ritt jung Parsifal frohgemut in die Welt hinaus, als neuer "roter
Ritter" sein Glück zu suchen. Octcwe Feuillee und Pierre Loki hatten noch
beigetragen, meine Sehnsucht zu steigern, und als sich mir diesen Sommer die
Gelegenheit bot, mit einer Bekannten die interessante Gegend zu bereisen, war
ich gern bereit, sie zu benutzen. Ich muß gestehn, daß ich mir bis dahin die
Bretagne, allen Landkarten zum Hohn, viel zu klein vorgestellt hatte. Es
mag sein, daß ich auch darin nicht ganz allein dastehe. Von den fünf De¬
partements, die die alte Landschaft Bretagne umfaßt: Loire-Jnferieure, Mor-
bihan, Ile-et-Vilaine, Cötes-dn-Nord und Finstere, lernte ich genauer nur
Morbihan und Knistere kennen, von den Küsten nur die Südküste. Doch habe
ich wiederholt gehört und gelesen, daß gerade dieser Teil die meisten geschicht¬
lichen Erinnerungen berge, und daß er auch alle landschaftlichen Eigentümlich¬
keiten des Landes in sich vereinige. Nur eines tut mir leid: daß ich nicht
den Mont Samt-Michel gesehen habe, der im Kanal nicht weit von Saint-
Malo aus den Fluten ragt.

Wir fuhren von Paris über Orleans, Tours und Angers, immer an
der Loire hin, die zwischen ihren lieblichen Ufern oft ganz im Sande zu ver¬
laufen scheint. Sie lebt aber immer wieder auf, und bei Nantes sah ich sie
Seeschiffe tragen. Wir erblickten im Vorüberfahren die prachtvollen Schlösser
von Blois und Amboise und die feste Burg Langenais, wo 1491 die Hoch¬
zeit von Ludwig dem Zwölften und Anna, der Erbin der Bretagne, gefeiert
wurde. Unter den Ruinen sind mir die Türme von Cinq-Mars und die
malerischen Reste von Champtoce, wo Gilles de Netz, der Ritter Blaubart,
gehaust haben soll, in der Erinnerung geblieben.

Durch die weinreichen Gegenden von Anjou gelangten wir nach Nantes,
das mit seinen 124000 Einwohnern die größte Stadt der Bretagne ist. Es
liegt auf dem rechten Ufer und auf verschiednen Inseln der Loire, am Einfluß
der Erdre von Norden und der score Nantaise von Süden. Die Eisenbahn
fährt auf den belebten Quais mitten durch die Stadt, am Theater und am
alten Schloß vorbei, das mit mächtigen Wällen und zinnengekrönten dicken
Türmen einen äußerst malerischen Anblick bietet. Die stattlichen Häuser längs
des Stroms wurden, wie man mir berichtet hat, im achtzehnten Jahrhundert
von reichen Reedern erbaut. Unter den vielen Reklameschildern sind die der
Bisquiteries Ncmtaises besonders stark vertreten; die peUts-deurres as Nantes
sind ja in ganz Frankreich so bekannt und beliebt wie bei uns die Leibniz-
"Knusperchen", denen sie sehr ähneln. Weiterhin nach der Mündung zu erhebt
sich ein kolossaler port-transdoräsur, unter dem die größten Seeschiffe hindurch
in den Hafen einlaufen können.

Die Bahn wendet sich nun nach Norden, und die Stationsnamen klingen
schon ganz bretonisch: Savenay, Dreffeac, Samt-Gildas, Severae. Bei Redon
fährt man über die Vilaine, an deren Oberlauf die alte Residenzstadt Nennes


Erinnerungen aus der Bretagne

lag König Jeder erschlagen in der Heide — aber strahlend in der Rüstung
des Toten ritt jung Parsifal frohgemut in die Welt hinaus, als neuer „roter
Ritter" sein Glück zu suchen. Octcwe Feuillee und Pierre Loki hatten noch
beigetragen, meine Sehnsucht zu steigern, und als sich mir diesen Sommer die
Gelegenheit bot, mit einer Bekannten die interessante Gegend zu bereisen, war
ich gern bereit, sie zu benutzen. Ich muß gestehn, daß ich mir bis dahin die
Bretagne, allen Landkarten zum Hohn, viel zu klein vorgestellt hatte. Es
mag sein, daß ich auch darin nicht ganz allein dastehe. Von den fünf De¬
partements, die die alte Landschaft Bretagne umfaßt: Loire-Jnferieure, Mor-
bihan, Ile-et-Vilaine, Cötes-dn-Nord und Finstere, lernte ich genauer nur
Morbihan und Knistere kennen, von den Küsten nur die Südküste. Doch habe
ich wiederholt gehört und gelesen, daß gerade dieser Teil die meisten geschicht¬
lichen Erinnerungen berge, und daß er auch alle landschaftlichen Eigentümlich¬
keiten des Landes in sich vereinige. Nur eines tut mir leid: daß ich nicht
den Mont Samt-Michel gesehen habe, der im Kanal nicht weit von Saint-
Malo aus den Fluten ragt.

Wir fuhren von Paris über Orleans, Tours und Angers, immer an
der Loire hin, die zwischen ihren lieblichen Ufern oft ganz im Sande zu ver¬
laufen scheint. Sie lebt aber immer wieder auf, und bei Nantes sah ich sie
Seeschiffe tragen. Wir erblickten im Vorüberfahren die prachtvollen Schlösser
von Blois und Amboise und die feste Burg Langenais, wo 1491 die Hoch¬
zeit von Ludwig dem Zwölften und Anna, der Erbin der Bretagne, gefeiert
wurde. Unter den Ruinen sind mir die Türme von Cinq-Mars und die
malerischen Reste von Champtoce, wo Gilles de Netz, der Ritter Blaubart,
gehaust haben soll, in der Erinnerung geblieben.

Durch die weinreichen Gegenden von Anjou gelangten wir nach Nantes,
das mit seinen 124000 Einwohnern die größte Stadt der Bretagne ist. Es
liegt auf dem rechten Ufer und auf verschiednen Inseln der Loire, am Einfluß
der Erdre von Norden und der score Nantaise von Süden. Die Eisenbahn
fährt auf den belebten Quais mitten durch die Stadt, am Theater und am
alten Schloß vorbei, das mit mächtigen Wällen und zinnengekrönten dicken
Türmen einen äußerst malerischen Anblick bietet. Die stattlichen Häuser längs
des Stroms wurden, wie man mir berichtet hat, im achtzehnten Jahrhundert
von reichen Reedern erbaut. Unter den vielen Reklameschildern sind die der
Bisquiteries Ncmtaises besonders stark vertreten; die peUts-deurres as Nantes
sind ja in ganz Frankreich so bekannt und beliebt wie bei uns die Leibniz-
„Knusperchen", denen sie sehr ähneln. Weiterhin nach der Mündung zu erhebt
sich ein kolossaler port-transdoräsur, unter dem die größten Seeschiffe hindurch
in den Hafen einlaufen können.

Die Bahn wendet sich nun nach Norden, und die Stationsnamen klingen
schon ganz bretonisch: Savenay, Dreffeac, Samt-Gildas, Severae. Bei Redon
fährt man über die Vilaine, an deren Oberlauf die alte Residenzstadt Nennes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0714" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301213"/>
          <fw type="header" place="top"> Erinnerungen aus der Bretagne</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2887" prev="#ID_2886"> lag König Jeder erschlagen in der Heide &#x2014; aber strahlend in der Rüstung<lb/>
des Toten ritt jung Parsifal frohgemut in die Welt hinaus, als neuer &#x201E;roter<lb/>
Ritter" sein Glück zu suchen. Octcwe Feuillee und Pierre Loki hatten noch<lb/>
beigetragen, meine Sehnsucht zu steigern, und als sich mir diesen Sommer die<lb/>
Gelegenheit bot, mit einer Bekannten die interessante Gegend zu bereisen, war<lb/>
ich gern bereit, sie zu benutzen. Ich muß gestehn, daß ich mir bis dahin die<lb/>
Bretagne, allen Landkarten zum Hohn, viel zu klein vorgestellt hatte. Es<lb/>
mag sein, daß ich auch darin nicht ganz allein dastehe. Von den fünf De¬<lb/>
partements, die die alte Landschaft Bretagne umfaßt: Loire-Jnferieure, Mor-<lb/>
bihan, Ile-et-Vilaine, Cötes-dn-Nord und Finstere, lernte ich genauer nur<lb/>
Morbihan und Knistere kennen, von den Küsten nur die Südküste. Doch habe<lb/>
ich wiederholt gehört und gelesen, daß gerade dieser Teil die meisten geschicht¬<lb/>
lichen Erinnerungen berge, und daß er auch alle landschaftlichen Eigentümlich¬<lb/>
keiten des Landes in sich vereinige. Nur eines tut mir leid: daß ich nicht<lb/>
den Mont Samt-Michel gesehen habe, der im Kanal nicht weit von Saint-<lb/>
Malo aus den Fluten ragt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2888"> Wir fuhren von Paris über Orleans, Tours und Angers, immer an<lb/>
der Loire hin, die zwischen ihren lieblichen Ufern oft ganz im Sande zu ver¬<lb/>
laufen scheint. Sie lebt aber immer wieder auf, und bei Nantes sah ich sie<lb/>
Seeschiffe tragen. Wir erblickten im Vorüberfahren die prachtvollen Schlösser<lb/>
von Blois und Amboise und die feste Burg Langenais, wo 1491 die Hoch¬<lb/>
zeit von Ludwig dem Zwölften und Anna, der Erbin der Bretagne, gefeiert<lb/>
wurde. Unter den Ruinen sind mir die Türme von Cinq-Mars und die<lb/>
malerischen Reste von Champtoce, wo Gilles de Netz, der Ritter Blaubart,<lb/>
gehaust haben soll, in der Erinnerung geblieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2889"> Durch die weinreichen Gegenden von Anjou gelangten wir nach Nantes,<lb/>
das mit seinen 124000 Einwohnern die größte Stadt der Bretagne ist. Es<lb/>
liegt auf dem rechten Ufer und auf verschiednen Inseln der Loire, am Einfluß<lb/>
der Erdre von Norden und der score Nantaise von Süden. Die Eisenbahn<lb/>
fährt auf den belebten Quais mitten durch die Stadt, am Theater und am<lb/>
alten Schloß vorbei, das mit mächtigen Wällen und zinnengekrönten dicken<lb/>
Türmen einen äußerst malerischen Anblick bietet. Die stattlichen Häuser längs<lb/>
des Stroms wurden, wie man mir berichtet hat, im achtzehnten Jahrhundert<lb/>
von reichen Reedern erbaut. Unter den vielen Reklameschildern sind die der<lb/>
Bisquiteries Ncmtaises besonders stark vertreten; die peUts-deurres as Nantes<lb/>
sind ja in ganz Frankreich so bekannt und beliebt wie bei uns die Leibniz-<lb/>
&#x201E;Knusperchen", denen sie sehr ähneln. Weiterhin nach der Mündung zu erhebt<lb/>
sich ein kolossaler port-transdoräsur, unter dem die größten Seeschiffe hindurch<lb/>
in den Hafen einlaufen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2890" next="#ID_2891"> Die Bahn wendet sich nun nach Norden, und die Stationsnamen klingen<lb/>
schon ganz bretonisch: Savenay, Dreffeac, Samt-Gildas, Severae. Bei Redon<lb/>
fährt man über die Vilaine, an deren Oberlauf die alte Residenzstadt Nennes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0714] Erinnerungen aus der Bretagne lag König Jeder erschlagen in der Heide — aber strahlend in der Rüstung des Toten ritt jung Parsifal frohgemut in die Welt hinaus, als neuer „roter Ritter" sein Glück zu suchen. Octcwe Feuillee und Pierre Loki hatten noch beigetragen, meine Sehnsucht zu steigern, und als sich mir diesen Sommer die Gelegenheit bot, mit einer Bekannten die interessante Gegend zu bereisen, war ich gern bereit, sie zu benutzen. Ich muß gestehn, daß ich mir bis dahin die Bretagne, allen Landkarten zum Hohn, viel zu klein vorgestellt hatte. Es mag sein, daß ich auch darin nicht ganz allein dastehe. Von den fünf De¬ partements, die die alte Landschaft Bretagne umfaßt: Loire-Jnferieure, Mor- bihan, Ile-et-Vilaine, Cötes-dn-Nord und Finstere, lernte ich genauer nur Morbihan und Knistere kennen, von den Küsten nur die Südküste. Doch habe ich wiederholt gehört und gelesen, daß gerade dieser Teil die meisten geschicht¬ lichen Erinnerungen berge, und daß er auch alle landschaftlichen Eigentümlich¬ keiten des Landes in sich vereinige. Nur eines tut mir leid: daß ich nicht den Mont Samt-Michel gesehen habe, der im Kanal nicht weit von Saint- Malo aus den Fluten ragt. Wir fuhren von Paris über Orleans, Tours und Angers, immer an der Loire hin, die zwischen ihren lieblichen Ufern oft ganz im Sande zu ver¬ laufen scheint. Sie lebt aber immer wieder auf, und bei Nantes sah ich sie Seeschiffe tragen. Wir erblickten im Vorüberfahren die prachtvollen Schlösser von Blois und Amboise und die feste Burg Langenais, wo 1491 die Hoch¬ zeit von Ludwig dem Zwölften und Anna, der Erbin der Bretagne, gefeiert wurde. Unter den Ruinen sind mir die Türme von Cinq-Mars und die malerischen Reste von Champtoce, wo Gilles de Netz, der Ritter Blaubart, gehaust haben soll, in der Erinnerung geblieben. Durch die weinreichen Gegenden von Anjou gelangten wir nach Nantes, das mit seinen 124000 Einwohnern die größte Stadt der Bretagne ist. Es liegt auf dem rechten Ufer und auf verschiednen Inseln der Loire, am Einfluß der Erdre von Norden und der score Nantaise von Süden. Die Eisenbahn fährt auf den belebten Quais mitten durch die Stadt, am Theater und am alten Schloß vorbei, das mit mächtigen Wällen und zinnengekrönten dicken Türmen einen äußerst malerischen Anblick bietet. Die stattlichen Häuser längs des Stroms wurden, wie man mir berichtet hat, im achtzehnten Jahrhundert von reichen Reedern erbaut. Unter den vielen Reklameschildern sind die der Bisquiteries Ncmtaises besonders stark vertreten; die peUts-deurres as Nantes sind ja in ganz Frankreich so bekannt und beliebt wie bei uns die Leibniz- „Knusperchen", denen sie sehr ähneln. Weiterhin nach der Mündung zu erhebt sich ein kolossaler port-transdoräsur, unter dem die größten Seeschiffe hindurch in den Hafen einlaufen können. Die Bahn wendet sich nun nach Norden, und die Stationsnamen klingen schon ganz bretonisch: Savenay, Dreffeac, Samt-Gildas, Severae. Bei Redon fährt man über die Vilaine, an deren Oberlauf die alte Residenzstadt Nennes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/714
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/714>, abgerufen am 23.07.2024.