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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

zeichnung ihrer Partien ergänzen, um diese wirklich lebensvoll zu gestalten und den
Intentionen eines Autors gerecht zu werden. Die Sorge für eine solche richtige
Ausführung ist Pflicht des Dirigenten, und das Publikum darf mit vollem Rechte ver¬
langen, daß bei einem Händelfest alles geschieht, ihm den echten Händel zu zeigen."

Aber schon die erste, äußerlich glänzende Aufführung des "Israel in Ägypten
genügte in dieser Hinsicht nicht; sie bot eine virtuose, effektvolle Leistung des
Chores, der überall in den Vordergrund gestellt war, selbst einem so ausgeführten
und wichtigen Orchesterpart gegenüber wie den Schilderungen der ägyptischen Plagen.
Das feine Geschwirre und Gesumme der Fliegen und der Mücken wurde erdrückt,
und der kräftig schlagende Rhythmus in Trompeten und Pauken bei dem Hagelstnrin
kam nicht recht zur Geltung. Hier mag der Mangel an der Schwierigkeit der
chorijchcn Besetzung der hohen Trompeten liegen; aber anch die Leistung des Chores
an sich war nicht einwandfrei. Wo blieb zum Beispiel die unerbittliche Härte des
Themas "Und schlug alle Erstgeburt Ägyptens"? Daß gegen Schluß die abgerissenen
Akkordschläge mit Wucht "herausgeholt" wurden, machte nur fühlbarer, wie wenig
kraftvoll das Hauptthema aufgefaßt war. Die Orchesterbesetzung entsprach den Vor¬
schriften der Chrysandcrschen Bearbeitung, man führte auch löblicherweise das
füllende Akkompagnement durch -- aber damit waren noch nicht alle Aufgaben gelöst.
Die Spielerei mit und auf "Jbachorden", die übrigens dem alten Cembalo im
Klänge bedeutend nachstehen, erfüllt keineswegs die stilistischen Forderungen. Die
sogenannten "Manieren" in der Ausführung der Musik des achtzehnte" Jahrhunderts,
wohlbekannt uns den Erklärungen alter Lehrbücher, waren nirgends berücksichtigt,
die notwendigen Durchgangs- und Wechselnoten, die Vorhalte wurden weggelassen;
man sang notengetreu und somit falsch. So kamen die Chorrezitntive im Fiusieruis-
chor zum Vortrag -- dessen durchgängiges Pianissimo als sehr schon und stimmungs¬
gemäß besonders hervorgehoben werden soll --, so sangen die Solisten in ihren
Arien und Duetten. Lehnt der Dirigent die Verantwortung für den solistischen
Teil ab, und doch trägt er sie, denn das ganze Kunstwerk steht unter seiner Leitung,
so trifft ihn trotzdem bei den betreffenden Chorsteller der Vorwurf des Verstoßes
gegen Grundregeln eines Stiles, den ein Musiker in so hervorragender Stellung
vollständig beherrschen muß. Auch die Aufführung des Belsazar zeigte die erwähnten
stilistischen Mängel, und der Chor, offenbar mit viel Fleiß einstudiert, dominierte
ebenfalls. Um die Solisten nud das "Zusammenspiel" mit ihnen hatte man sich
nicht bekümmert, und das Orchester, das gar viel zu sagen hat, fiel hier um so mehr
ab, als eine straffe, temperamentvolle Leitung fehlte: von dem frechen, überlauten
Treiben des Sesachfcstcs horte man wenig, es klang alles viel zu zahm. Der
Belsazar selbst hatte kein rechtes Leben, sein Vortrag wie anch der aller Sängerinnen
war zu gedehnt, konzertmäßig ohne dramatischen Impuls. Das machte natürlich
die an sich bedeutenden Rezitative, die obendrein unter einem ungenügenden, zu
dürftigen Aklompagnemcnt litten, geradezu unerträglich, und die es zu zeigen galt,
Händels hervorragende Kraft einer hochdramatischen, packenden Darstellung, mußte
recht klein erscheinen. Hierin haben künftige Ausführungen mit aller Kraft zu arbeiten,
soll dieses Oratorium in seiner Größe wieder lebendig werden, wozu sich allerdings
noch die Lösung eines wichtigen Problems gesellt, das der Besetzung. Cyrus ist
sür Sopran, Daniel für Alt geschrieben; natürlich für Kastraten, deren Stimmen
eine markigere Kraft hatten als die einer Sängerin. Lassen wir uns schließlich einen
pastosen Alt für den mehr inaktiven Propheten gefallen, so wirkt die Damenstimme
bei demi tatkräftigen Cyrus für unser Empfinden so unnatürlich, daß sich als un¬
abweisbare Forderung ergibt, die Partie für eine Männerstimme umzuschreiben. Ein
solches Verfahren ist sogar historisch gerechtfertigt und mit einem klassischen Beispiel
zu belegen in Glucks eigner Bearbeitung seines Orpheus für die Pariser Oper.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

zeichnung ihrer Partien ergänzen, um diese wirklich lebensvoll zu gestalten und den
Intentionen eines Autors gerecht zu werden. Die Sorge für eine solche richtige
Ausführung ist Pflicht des Dirigenten, und das Publikum darf mit vollem Rechte ver¬
langen, daß bei einem Händelfest alles geschieht, ihm den echten Händel zu zeigen."

Aber schon die erste, äußerlich glänzende Aufführung des „Israel in Ägypten
genügte in dieser Hinsicht nicht; sie bot eine virtuose, effektvolle Leistung des
Chores, der überall in den Vordergrund gestellt war, selbst einem so ausgeführten
und wichtigen Orchesterpart gegenüber wie den Schilderungen der ägyptischen Plagen.
Das feine Geschwirre und Gesumme der Fliegen und der Mücken wurde erdrückt,
und der kräftig schlagende Rhythmus in Trompeten und Pauken bei dem Hagelstnrin
kam nicht recht zur Geltung. Hier mag der Mangel an der Schwierigkeit der
chorijchcn Besetzung der hohen Trompeten liegen; aber anch die Leistung des Chores
an sich war nicht einwandfrei. Wo blieb zum Beispiel die unerbittliche Härte des
Themas „Und schlug alle Erstgeburt Ägyptens"? Daß gegen Schluß die abgerissenen
Akkordschläge mit Wucht „herausgeholt" wurden, machte nur fühlbarer, wie wenig
kraftvoll das Hauptthema aufgefaßt war. Die Orchesterbesetzung entsprach den Vor¬
schriften der Chrysandcrschen Bearbeitung, man führte auch löblicherweise das
füllende Akkompagnement durch — aber damit waren noch nicht alle Aufgaben gelöst.
Die Spielerei mit und auf „Jbachorden", die übrigens dem alten Cembalo im
Klänge bedeutend nachstehen, erfüllt keineswegs die stilistischen Forderungen. Die
sogenannten „Manieren" in der Ausführung der Musik des achtzehnte« Jahrhunderts,
wohlbekannt uns den Erklärungen alter Lehrbücher, waren nirgends berücksichtigt,
die notwendigen Durchgangs- und Wechselnoten, die Vorhalte wurden weggelassen;
man sang notengetreu und somit falsch. So kamen die Chorrezitntive im Fiusieruis-
chor zum Vortrag — dessen durchgängiges Pianissimo als sehr schon und stimmungs¬
gemäß besonders hervorgehoben werden soll —, so sangen die Solisten in ihren
Arien und Duetten. Lehnt der Dirigent die Verantwortung für den solistischen
Teil ab, und doch trägt er sie, denn das ganze Kunstwerk steht unter seiner Leitung,
so trifft ihn trotzdem bei den betreffenden Chorsteller der Vorwurf des Verstoßes
gegen Grundregeln eines Stiles, den ein Musiker in so hervorragender Stellung
vollständig beherrschen muß. Auch die Aufführung des Belsazar zeigte die erwähnten
stilistischen Mängel, und der Chor, offenbar mit viel Fleiß einstudiert, dominierte
ebenfalls. Um die Solisten nud das „Zusammenspiel" mit ihnen hatte man sich
nicht bekümmert, und das Orchester, das gar viel zu sagen hat, fiel hier um so mehr
ab, als eine straffe, temperamentvolle Leitung fehlte: von dem frechen, überlauten
Treiben des Sesachfcstcs horte man wenig, es klang alles viel zu zahm. Der
Belsazar selbst hatte kein rechtes Leben, sein Vortrag wie anch der aller Sängerinnen
war zu gedehnt, konzertmäßig ohne dramatischen Impuls. Das machte natürlich
die an sich bedeutenden Rezitative, die obendrein unter einem ungenügenden, zu
dürftigen Aklompagnemcnt litten, geradezu unerträglich, und die es zu zeigen galt,
Händels hervorragende Kraft einer hochdramatischen, packenden Darstellung, mußte
recht klein erscheinen. Hierin haben künftige Ausführungen mit aller Kraft zu arbeiten,
soll dieses Oratorium in seiner Größe wieder lebendig werden, wozu sich allerdings
noch die Lösung eines wichtigen Problems gesellt, das der Besetzung. Cyrus ist
sür Sopran, Daniel für Alt geschrieben; natürlich für Kastraten, deren Stimmen
eine markigere Kraft hatten als die einer Sängerin. Lassen wir uns schließlich einen
pastosen Alt für den mehr inaktiven Propheten gefallen, so wirkt die Damenstimme
bei demi tatkräftigen Cyrus für unser Empfinden so unnatürlich, daß sich als un¬
abweisbare Forderung ergibt, die Partie für eine Männerstimme umzuschreiben. Ein
solches Verfahren ist sogar historisch gerechtfertigt und mit einem klassischen Beispiel
zu belegen in Glucks eigner Bearbeitung seines Orpheus für die Pariser Oper.


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[0686] Maßgebliches und Unmaßgebliches zeichnung ihrer Partien ergänzen, um diese wirklich lebensvoll zu gestalten und den Intentionen eines Autors gerecht zu werden. Die Sorge für eine solche richtige Ausführung ist Pflicht des Dirigenten, und das Publikum darf mit vollem Rechte ver¬ langen, daß bei einem Händelfest alles geschieht, ihm den echten Händel zu zeigen." Aber schon die erste, äußerlich glänzende Aufführung des „Israel in Ägypten genügte in dieser Hinsicht nicht; sie bot eine virtuose, effektvolle Leistung des Chores, der überall in den Vordergrund gestellt war, selbst einem so ausgeführten und wichtigen Orchesterpart gegenüber wie den Schilderungen der ägyptischen Plagen. Das feine Geschwirre und Gesumme der Fliegen und der Mücken wurde erdrückt, und der kräftig schlagende Rhythmus in Trompeten und Pauken bei dem Hagelstnrin kam nicht recht zur Geltung. Hier mag der Mangel an der Schwierigkeit der chorijchcn Besetzung der hohen Trompeten liegen; aber anch die Leistung des Chores an sich war nicht einwandfrei. Wo blieb zum Beispiel die unerbittliche Härte des Themas „Und schlug alle Erstgeburt Ägyptens"? Daß gegen Schluß die abgerissenen Akkordschläge mit Wucht „herausgeholt" wurden, machte nur fühlbarer, wie wenig kraftvoll das Hauptthema aufgefaßt war. Die Orchesterbesetzung entsprach den Vor¬ schriften der Chrysandcrschen Bearbeitung, man führte auch löblicherweise das füllende Akkompagnement durch — aber damit waren noch nicht alle Aufgaben gelöst. Die Spielerei mit und auf „Jbachorden", die übrigens dem alten Cembalo im Klänge bedeutend nachstehen, erfüllt keineswegs die stilistischen Forderungen. Die sogenannten „Manieren" in der Ausführung der Musik des achtzehnte« Jahrhunderts, wohlbekannt uns den Erklärungen alter Lehrbücher, waren nirgends berücksichtigt, die notwendigen Durchgangs- und Wechselnoten, die Vorhalte wurden weggelassen; man sang notengetreu und somit falsch. So kamen die Chorrezitntive im Fiusieruis- chor zum Vortrag — dessen durchgängiges Pianissimo als sehr schon und stimmungs¬ gemäß besonders hervorgehoben werden soll —, so sangen die Solisten in ihren Arien und Duetten. Lehnt der Dirigent die Verantwortung für den solistischen Teil ab, und doch trägt er sie, denn das ganze Kunstwerk steht unter seiner Leitung, so trifft ihn trotzdem bei den betreffenden Chorsteller der Vorwurf des Verstoßes gegen Grundregeln eines Stiles, den ein Musiker in so hervorragender Stellung vollständig beherrschen muß. Auch die Aufführung des Belsazar zeigte die erwähnten stilistischen Mängel, und der Chor, offenbar mit viel Fleiß einstudiert, dominierte ebenfalls. Um die Solisten nud das „Zusammenspiel" mit ihnen hatte man sich nicht bekümmert, und das Orchester, das gar viel zu sagen hat, fiel hier um so mehr ab, als eine straffe, temperamentvolle Leitung fehlte: von dem frechen, überlauten Treiben des Sesachfcstcs horte man wenig, es klang alles viel zu zahm. Der Belsazar selbst hatte kein rechtes Leben, sein Vortrag wie anch der aller Sängerinnen war zu gedehnt, konzertmäßig ohne dramatischen Impuls. Das machte natürlich die an sich bedeutenden Rezitative, die obendrein unter einem ungenügenden, zu dürftigen Aklompagnemcnt litten, geradezu unerträglich, und die es zu zeigen galt, Händels hervorragende Kraft einer hochdramatischen, packenden Darstellung, mußte recht klein erscheinen. Hierin haben künftige Ausführungen mit aller Kraft zu arbeiten, soll dieses Oratorium in seiner Größe wieder lebendig werden, wozu sich allerdings noch die Lösung eines wichtigen Problems gesellt, das der Besetzung. Cyrus ist sür Sopran, Daniel für Alt geschrieben; natürlich für Kastraten, deren Stimmen eine markigere Kraft hatten als die einer Sängerin. Lassen wir uns schließlich einen pastosen Alt für den mehr inaktiven Propheten gefallen, so wirkt die Damenstimme bei demi tatkräftigen Cyrus für unser Empfinden so unnatürlich, daß sich als un¬ abweisbare Forderung ergibt, die Partie für eine Männerstimme umzuschreiben. Ein solches Verfahren ist sogar historisch gerechtfertigt und mit einem klassischen Beispiel zu belegen in Glucks eigner Bearbeitung seines Orpheus für die Pariser Oper.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/686>, abgerufen am 25.08.2024.