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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Das Bild in der Dichtung

Gleichniswelt in der griechischen Poesie. Dieser Band enthält auch genaue Text¬
untersuchung und betrachtet die Tropen in engstem Zusammenhang mit der
Kultur und in genetischem Verhältnis zueinander. Er enthält erstens alle
Metaphern und Gleichnisse der griechischen Poesie, aber nicht etwa unter Kate¬
gorien (leblose Natur, Pflanze, Tierreich, Ackerbau, Technik, Militär, See-
Welt usw.) eingestellt in der öden Manier, wie es die Hunderte von Disser¬
tationsarbeiten angehender Doktoren taten, sondern im Zusammenhang der
Dichtung, sodaß sie'in ihrer künstlerischen Wirkung voll zur Geltung kommen. Die
Metaphern der Ilicis, der Iphigenie, der Pindarschen Oden usw. werden in fort¬
laufendem Zusammenhang übersetzt gegeben; der ausfallende nichtmctaphorische
Teil wird kurz ergänzt, sodaß der Leser das poetische Ganze doch besitzt und
die Metaphern und Gleichnisse nach ihrer Stellung in der Dichtung würdigen
kann. In den Noten wird dann die wissenschaftliche und ästhetische Analyse
gegeben. Diese Methode allein läßt die Wirkung des Tropus hervortreten,
ohne der theoretischen Erwägung zu schaden. Andre Teile (die lateinische
Metapher, die Metapher der Bibel usw.) können folgen. Vorderhand wird
die Monatschrift "Renaissance" das Thema verfolgen.

Einige Proben sollen hier gegeben werden.

Varuna, der älteste Gott der Veden, erscheint daselbst als viercmtlitzig (mit
Rücksicht auf die vier Himmelsgegenden); er ist als Sonnengott der weitschauende,
der das Prachtkleid des goldnen Mantels trägt; rings umgeben ihn Späher
(Sterne). Er breitet die Erde als einen Teppich aus wie der Schlächter das
Fell, er kehrt der Wolken Wassertonne um und läßt sie ausströmen; er schafft
Milch in Kühen, Raschheit in Rossen, Weisheit im Herzen, Blitze in den
Wolken; stehend in der Luft, maß er die Erde mit der Sonne wie mit einem
Maßstab. Sein Auge ist die Sonne, die auch als mächtiger in der Luft
schwebender Vogel, als das goldbeladne Schiff im Luftmeer versinnbildet wird.

Agni, der Feuergott, ist der in Flammen geborne, der Wesenkenner (wegen
der aufhellenden Kraft des Lichts). schlangengleich fliegt er als Blitz durch
die Lüfte und schaut mit seiner Augen Strahl auf Erde und Himmel wie ein
Pfadhüter. Der Glanz des Opferfeuers ist sein Lachen; mit goldner Lippe
genießt er die Opfergaben. Seine Flammen sind langhaarige Mädchen, die
ihn umschlingen; zischend und sich windend wie die Schlange erhebt er sich
schwarzgeflügelt auf seinem Gang (ein herrliches Bild des vom Rauch um-
gebnen Brandes'). Wie ein Bulle unter Gebrüll den Kühen zueilt, so neigt
^ sich gierig dem braunen Holz zu. läßt seinen Leib erstrahlen und schüttelt
die Hörner wie ein wilder Stier. Er schwingt das Flammenbeil und mäht
der Erde Haar ab. Nacht und Morgen sind Ammen des himmlischen Aga;
sie. die ungleichfarbigen Schwestern, säugen den jungen Agni; selbstherrlich
golden glänzt er bei der einen, mit weißer Flamme strahlt er bei der andern.

Die Maruts. die Gewittergottheiten, stürmen wie grimmige Löwen. Blitze
schießend, vor; sie treiben die dunkeln Kühe (die Wolken) heraus und melken


Das Bild in der Dichtung

Gleichniswelt in der griechischen Poesie. Dieser Band enthält auch genaue Text¬
untersuchung und betrachtet die Tropen in engstem Zusammenhang mit der
Kultur und in genetischem Verhältnis zueinander. Er enthält erstens alle
Metaphern und Gleichnisse der griechischen Poesie, aber nicht etwa unter Kate¬
gorien (leblose Natur, Pflanze, Tierreich, Ackerbau, Technik, Militär, See-
Welt usw.) eingestellt in der öden Manier, wie es die Hunderte von Disser¬
tationsarbeiten angehender Doktoren taten, sondern im Zusammenhang der
Dichtung, sodaß sie'in ihrer künstlerischen Wirkung voll zur Geltung kommen. Die
Metaphern der Ilicis, der Iphigenie, der Pindarschen Oden usw. werden in fort¬
laufendem Zusammenhang übersetzt gegeben; der ausfallende nichtmctaphorische
Teil wird kurz ergänzt, sodaß der Leser das poetische Ganze doch besitzt und
die Metaphern und Gleichnisse nach ihrer Stellung in der Dichtung würdigen
kann. In den Noten wird dann die wissenschaftliche und ästhetische Analyse
gegeben. Diese Methode allein läßt die Wirkung des Tropus hervortreten,
ohne der theoretischen Erwägung zu schaden. Andre Teile (die lateinische
Metapher, die Metapher der Bibel usw.) können folgen. Vorderhand wird
die Monatschrift „Renaissance" das Thema verfolgen.

Einige Proben sollen hier gegeben werden.

Varuna, der älteste Gott der Veden, erscheint daselbst als viercmtlitzig (mit
Rücksicht auf die vier Himmelsgegenden); er ist als Sonnengott der weitschauende,
der das Prachtkleid des goldnen Mantels trägt; rings umgeben ihn Späher
(Sterne). Er breitet die Erde als einen Teppich aus wie der Schlächter das
Fell, er kehrt der Wolken Wassertonne um und läßt sie ausströmen; er schafft
Milch in Kühen, Raschheit in Rossen, Weisheit im Herzen, Blitze in den
Wolken; stehend in der Luft, maß er die Erde mit der Sonne wie mit einem
Maßstab. Sein Auge ist die Sonne, die auch als mächtiger in der Luft
schwebender Vogel, als das goldbeladne Schiff im Luftmeer versinnbildet wird.

Agni, der Feuergott, ist der in Flammen geborne, der Wesenkenner (wegen
der aufhellenden Kraft des Lichts). schlangengleich fliegt er als Blitz durch
die Lüfte und schaut mit seiner Augen Strahl auf Erde und Himmel wie ein
Pfadhüter. Der Glanz des Opferfeuers ist sein Lachen; mit goldner Lippe
genießt er die Opfergaben. Seine Flammen sind langhaarige Mädchen, die
ihn umschlingen; zischend und sich windend wie die Schlange erhebt er sich
schwarzgeflügelt auf seinem Gang (ein herrliches Bild des vom Rauch um-
gebnen Brandes'). Wie ein Bulle unter Gebrüll den Kühen zueilt, so neigt
^ sich gierig dem braunen Holz zu. läßt seinen Leib erstrahlen und schüttelt
die Hörner wie ein wilder Stier. Er schwingt das Flammenbeil und mäht
der Erde Haar ab. Nacht und Morgen sind Ammen des himmlischen Aga;
sie. die ungleichfarbigen Schwestern, säugen den jungen Agni; selbstherrlich
golden glänzt er bei der einen, mit weißer Flamme strahlt er bei der andern.

Die Maruts. die Gewittergottheiten, stürmen wie grimmige Löwen. Blitze
schießend, vor; sie treiben die dunkeln Kühe (die Wolken) heraus und melken


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[0663] Das Bild in der Dichtung Gleichniswelt in der griechischen Poesie. Dieser Band enthält auch genaue Text¬ untersuchung und betrachtet die Tropen in engstem Zusammenhang mit der Kultur und in genetischem Verhältnis zueinander. Er enthält erstens alle Metaphern und Gleichnisse der griechischen Poesie, aber nicht etwa unter Kate¬ gorien (leblose Natur, Pflanze, Tierreich, Ackerbau, Technik, Militär, See- Welt usw.) eingestellt in der öden Manier, wie es die Hunderte von Disser¬ tationsarbeiten angehender Doktoren taten, sondern im Zusammenhang der Dichtung, sodaß sie'in ihrer künstlerischen Wirkung voll zur Geltung kommen. Die Metaphern der Ilicis, der Iphigenie, der Pindarschen Oden usw. werden in fort¬ laufendem Zusammenhang übersetzt gegeben; der ausfallende nichtmctaphorische Teil wird kurz ergänzt, sodaß der Leser das poetische Ganze doch besitzt und die Metaphern und Gleichnisse nach ihrer Stellung in der Dichtung würdigen kann. In den Noten wird dann die wissenschaftliche und ästhetische Analyse gegeben. Diese Methode allein läßt die Wirkung des Tropus hervortreten, ohne der theoretischen Erwägung zu schaden. Andre Teile (die lateinische Metapher, die Metapher der Bibel usw.) können folgen. Vorderhand wird die Monatschrift „Renaissance" das Thema verfolgen. Einige Proben sollen hier gegeben werden. Varuna, der älteste Gott der Veden, erscheint daselbst als viercmtlitzig (mit Rücksicht auf die vier Himmelsgegenden); er ist als Sonnengott der weitschauende, der das Prachtkleid des goldnen Mantels trägt; rings umgeben ihn Späher (Sterne). Er breitet die Erde als einen Teppich aus wie der Schlächter das Fell, er kehrt der Wolken Wassertonne um und läßt sie ausströmen; er schafft Milch in Kühen, Raschheit in Rossen, Weisheit im Herzen, Blitze in den Wolken; stehend in der Luft, maß er die Erde mit der Sonne wie mit einem Maßstab. Sein Auge ist die Sonne, die auch als mächtiger in der Luft schwebender Vogel, als das goldbeladne Schiff im Luftmeer versinnbildet wird. Agni, der Feuergott, ist der in Flammen geborne, der Wesenkenner (wegen der aufhellenden Kraft des Lichts). schlangengleich fliegt er als Blitz durch die Lüfte und schaut mit seiner Augen Strahl auf Erde und Himmel wie ein Pfadhüter. Der Glanz des Opferfeuers ist sein Lachen; mit goldner Lippe genießt er die Opfergaben. Seine Flammen sind langhaarige Mädchen, die ihn umschlingen; zischend und sich windend wie die Schlange erhebt er sich schwarzgeflügelt auf seinem Gang (ein herrliches Bild des vom Rauch um- gebnen Brandes'). Wie ein Bulle unter Gebrüll den Kühen zueilt, so neigt ^ sich gierig dem braunen Holz zu. läßt seinen Leib erstrahlen und schüttelt die Hörner wie ein wilder Stier. Er schwingt das Flammenbeil und mäht der Erde Haar ab. Nacht und Morgen sind Ammen des himmlischen Aga; sie. die ungleichfarbigen Schwestern, säugen den jungen Agni; selbstherrlich golden glänzt er bei der einen, mit weißer Flamme strahlt er bei der andern. Die Maruts. die Gewittergottheiten, stürmen wie grimmige Löwen. Blitze schießend, vor; sie treiben die dunkeln Kühe (die Wolken) heraus und melken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/663>, abgerufen am 23.07.2024.