Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Bild in der Dichtung

natürlichen Zusammengehörigkeit in Art und Gattung unterscheidet. Psychologisch
erweist sich die Metonymie samt ihrer Unterart, der Synekdoche, als auf der
Kontiguitütsassozicition fußend, während die eigentliche Metapher mit ihren rein
idealen Berührungspunkten die Ähnlichkeitsassoziation zum Ursprung hat. Beides
sind Grundprozesse des Vorstellungs- und Erinnerungslebens. In der Metapher
wird ein Begriff auf einen ähnlichen einfach übertragen, mit ihm verschmolzen
("identifiziert" wäre zuviel gesagt, denn die Verschiedenheit bleibt aufrecht er¬
halten). Aristoteles faßt die Beziehung zwischen Bild und Urbild ziemlich ge¬
künstelt als eine Proportion: wie die Trinkschale zu Dionysos, stehe der Schild
zum Ares; daher könne man die Trinkschale den Schild des Dionysos und den
Schild die Trinkschale des Ares nennen. Oder wenn Perikles sage, mit der
gefallenen Jugend sei der Frühling aus der Stadt gewichen, so stehe die Jugend
in demselben Verhältnis zum Leben wie der Lenz zum Jahr. Noch Biese hält
in seiner "Philosophie des Metaphorischen" die Aristotelische Erklärung auf¬
recht. Sie ist aber zu eng. Wenn der Dichter von "Rosenlippen" spricht, so
sehe ich nicht ein, wie da ein Verhältnis herauskommen soll. Verhalten sich
die Rosen zu andern Blumen oder zum Garten wie die Lippen zum Gesicht?
Nein, sondern es ist einzig die Ähnlichkeit der roten Farbe, die der Metapher
zugrunde liegt; die weitere Beziehung wird künstlich hineingetragen. Man beachte
nur den psychologischen Vorgang: unwillkürlich und ohne weitere Umwege weckt
das Vorstellungsbild der schwellenden roten Lippe das der blühenden Rose.

Darum ist die Metapher auch unmittelbarer als das Gleichnis und darf
nicht als "abgekürztes Gleichnis" definiert werden. Dieses hält die analogen
Teile reinlich auseinander, vergleicht sie nur und gibt auch meist die einzelnen
Punkte der Übereinstimmung an; es ist also nicht so primitiv und schon Produkt
einer geklärten Kultur. Die Metapher ist verwegner, kühner; sie setzt Bild und
Urbild unmittelbar in eins. Logisch ist sie eigentlich falsch; denn der Schlaf
ist nicht ein "Bad der sauern Lebensmiihe", kein "Entwirrer des verworrnen
Sorgenknäuels", wie Sheakespeare sagt; die Lebensmühe kann man nicht baden,
Sorgen können nicht zu einem Knäuel zusammengedreht und wieder entwirrt
werden. Aber das Wirksame der Metapher liegt gerade in dieser Verschmelzung
an sich fremder Vorstellungen; die Phantasie vergnügt es, so entlegne Vor¬
stellungen unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zu stellen, der doch wieder
so Prägnant ist. Doch darf der psychologische Vorgang nicht, wie Emil Stern
will, zur "phantastischen Illusion" gesteigert werden, "die sich von der Hallu-
zination nur dadurch unterscheidet, daß diese letztere gar keine sinnliche Grund¬
lage hat" (Metapher und Subjektivität. Euphorion 1898, S. 217). Im Zu¬
stand psychischer Steigerung "glaube" man an die Realität des Bildes, schaue
wirklich in der Dämmerung die Eiche als "aufgetürmten Riesen" mit flatterndem
Mantel, wie es Goethe schildere. Das geht zu weit.

Der Metapher darf auch nicht die "personifizierende Apperzeption" oder
Beseelung des Materiellen als selbständig an die Seite gestellt werden, wie


Das Bild in der Dichtung

natürlichen Zusammengehörigkeit in Art und Gattung unterscheidet. Psychologisch
erweist sich die Metonymie samt ihrer Unterart, der Synekdoche, als auf der
Kontiguitütsassozicition fußend, während die eigentliche Metapher mit ihren rein
idealen Berührungspunkten die Ähnlichkeitsassoziation zum Ursprung hat. Beides
sind Grundprozesse des Vorstellungs- und Erinnerungslebens. In der Metapher
wird ein Begriff auf einen ähnlichen einfach übertragen, mit ihm verschmolzen
(„identifiziert" wäre zuviel gesagt, denn die Verschiedenheit bleibt aufrecht er¬
halten). Aristoteles faßt die Beziehung zwischen Bild und Urbild ziemlich ge¬
künstelt als eine Proportion: wie die Trinkschale zu Dionysos, stehe der Schild
zum Ares; daher könne man die Trinkschale den Schild des Dionysos und den
Schild die Trinkschale des Ares nennen. Oder wenn Perikles sage, mit der
gefallenen Jugend sei der Frühling aus der Stadt gewichen, so stehe die Jugend
in demselben Verhältnis zum Leben wie der Lenz zum Jahr. Noch Biese hält
in seiner „Philosophie des Metaphorischen" die Aristotelische Erklärung auf¬
recht. Sie ist aber zu eng. Wenn der Dichter von „Rosenlippen" spricht, so
sehe ich nicht ein, wie da ein Verhältnis herauskommen soll. Verhalten sich
die Rosen zu andern Blumen oder zum Garten wie die Lippen zum Gesicht?
Nein, sondern es ist einzig die Ähnlichkeit der roten Farbe, die der Metapher
zugrunde liegt; die weitere Beziehung wird künstlich hineingetragen. Man beachte
nur den psychologischen Vorgang: unwillkürlich und ohne weitere Umwege weckt
das Vorstellungsbild der schwellenden roten Lippe das der blühenden Rose.

Darum ist die Metapher auch unmittelbarer als das Gleichnis und darf
nicht als „abgekürztes Gleichnis" definiert werden. Dieses hält die analogen
Teile reinlich auseinander, vergleicht sie nur und gibt auch meist die einzelnen
Punkte der Übereinstimmung an; es ist also nicht so primitiv und schon Produkt
einer geklärten Kultur. Die Metapher ist verwegner, kühner; sie setzt Bild und
Urbild unmittelbar in eins. Logisch ist sie eigentlich falsch; denn der Schlaf
ist nicht ein „Bad der sauern Lebensmiihe", kein „Entwirrer des verworrnen
Sorgenknäuels", wie Sheakespeare sagt; die Lebensmühe kann man nicht baden,
Sorgen können nicht zu einem Knäuel zusammengedreht und wieder entwirrt
werden. Aber das Wirksame der Metapher liegt gerade in dieser Verschmelzung
an sich fremder Vorstellungen; die Phantasie vergnügt es, so entlegne Vor¬
stellungen unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zu stellen, der doch wieder
so Prägnant ist. Doch darf der psychologische Vorgang nicht, wie Emil Stern
will, zur „phantastischen Illusion" gesteigert werden, „die sich von der Hallu-
zination nur dadurch unterscheidet, daß diese letztere gar keine sinnliche Grund¬
lage hat" (Metapher und Subjektivität. Euphorion 1898, S. 217). Im Zu¬
stand psychischer Steigerung „glaube" man an die Realität des Bildes, schaue
wirklich in der Dämmerung die Eiche als „aufgetürmten Riesen" mit flatterndem
Mantel, wie es Goethe schildere. Das geht zu weit.

Der Metapher darf auch nicht die „personifizierende Apperzeption" oder
Beseelung des Materiellen als selbständig an die Seite gestellt werden, wie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0661" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301160"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Bild in der Dichtung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2671" prev="#ID_2670"> natürlichen Zusammengehörigkeit in Art und Gattung unterscheidet. Psychologisch<lb/>
erweist sich die Metonymie samt ihrer Unterart, der Synekdoche, als auf der<lb/>
Kontiguitütsassozicition fußend, während die eigentliche Metapher mit ihren rein<lb/>
idealen Berührungspunkten die Ähnlichkeitsassoziation zum Ursprung hat. Beides<lb/>
sind Grundprozesse des Vorstellungs- und Erinnerungslebens. In der Metapher<lb/>
wird ein Begriff auf einen ähnlichen einfach übertragen, mit ihm verschmolzen<lb/>
(&#x201E;identifiziert" wäre zuviel gesagt, denn die Verschiedenheit bleibt aufrecht er¬<lb/>
halten). Aristoteles faßt die Beziehung zwischen Bild und Urbild ziemlich ge¬<lb/>
künstelt als eine Proportion: wie die Trinkschale zu Dionysos, stehe der Schild<lb/>
zum Ares; daher könne man die Trinkschale den Schild des Dionysos und den<lb/>
Schild die Trinkschale des Ares nennen. Oder wenn Perikles sage, mit der<lb/>
gefallenen Jugend sei der Frühling aus der Stadt gewichen, so stehe die Jugend<lb/>
in demselben Verhältnis zum Leben wie der Lenz zum Jahr. Noch Biese hält<lb/>
in seiner &#x201E;Philosophie des Metaphorischen" die Aristotelische Erklärung auf¬<lb/>
recht. Sie ist aber zu eng. Wenn der Dichter von &#x201E;Rosenlippen" spricht, so<lb/>
sehe ich nicht ein, wie da ein Verhältnis herauskommen soll. Verhalten sich<lb/>
die Rosen zu andern Blumen oder zum Garten wie die Lippen zum Gesicht?<lb/>
Nein, sondern es ist einzig die Ähnlichkeit der roten Farbe, die der Metapher<lb/>
zugrunde liegt; die weitere Beziehung wird künstlich hineingetragen. Man beachte<lb/>
nur den psychologischen Vorgang: unwillkürlich und ohne weitere Umwege weckt<lb/>
das Vorstellungsbild der schwellenden roten Lippe das der blühenden Rose.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2672"> Darum ist die Metapher auch unmittelbarer als das Gleichnis und darf<lb/>
nicht als &#x201E;abgekürztes Gleichnis" definiert werden. Dieses hält die analogen<lb/>
Teile reinlich auseinander, vergleicht sie nur und gibt auch meist die einzelnen<lb/>
Punkte der Übereinstimmung an; es ist also nicht so primitiv und schon Produkt<lb/>
einer geklärten Kultur. Die Metapher ist verwegner, kühner; sie setzt Bild und<lb/>
Urbild unmittelbar in eins. Logisch ist sie eigentlich falsch; denn der Schlaf<lb/>
ist nicht ein &#x201E;Bad der sauern Lebensmiihe", kein &#x201E;Entwirrer des verworrnen<lb/>
Sorgenknäuels", wie Sheakespeare sagt; die Lebensmühe kann man nicht baden,<lb/>
Sorgen können nicht zu einem Knäuel zusammengedreht und wieder entwirrt<lb/>
werden. Aber das Wirksame der Metapher liegt gerade in dieser Verschmelzung<lb/>
an sich fremder Vorstellungen; die Phantasie vergnügt es, so entlegne Vor¬<lb/>
stellungen unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zu stellen, der doch wieder<lb/>
so Prägnant ist. Doch darf der psychologische Vorgang nicht, wie Emil Stern<lb/>
will, zur &#x201E;phantastischen Illusion" gesteigert werden, &#x201E;die sich von der Hallu-<lb/>
zination nur dadurch unterscheidet, daß diese letztere gar keine sinnliche Grund¬<lb/>
lage hat" (Metapher und Subjektivität. Euphorion 1898, S. 217). Im Zu¬<lb/>
stand psychischer Steigerung &#x201E;glaube" man an die Realität des Bildes, schaue<lb/>
wirklich in der Dämmerung die Eiche als &#x201E;aufgetürmten Riesen" mit flatterndem<lb/>
Mantel, wie es Goethe schildere.  Das geht zu weit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2673" next="#ID_2674"> Der Metapher darf auch nicht die &#x201E;personifizierende Apperzeption" oder<lb/>
Beseelung des Materiellen als selbständig an die Seite gestellt werden, wie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0661] Das Bild in der Dichtung natürlichen Zusammengehörigkeit in Art und Gattung unterscheidet. Psychologisch erweist sich die Metonymie samt ihrer Unterart, der Synekdoche, als auf der Kontiguitütsassozicition fußend, während die eigentliche Metapher mit ihren rein idealen Berührungspunkten die Ähnlichkeitsassoziation zum Ursprung hat. Beides sind Grundprozesse des Vorstellungs- und Erinnerungslebens. In der Metapher wird ein Begriff auf einen ähnlichen einfach übertragen, mit ihm verschmolzen („identifiziert" wäre zuviel gesagt, denn die Verschiedenheit bleibt aufrecht er¬ halten). Aristoteles faßt die Beziehung zwischen Bild und Urbild ziemlich ge¬ künstelt als eine Proportion: wie die Trinkschale zu Dionysos, stehe der Schild zum Ares; daher könne man die Trinkschale den Schild des Dionysos und den Schild die Trinkschale des Ares nennen. Oder wenn Perikles sage, mit der gefallenen Jugend sei der Frühling aus der Stadt gewichen, so stehe die Jugend in demselben Verhältnis zum Leben wie der Lenz zum Jahr. Noch Biese hält in seiner „Philosophie des Metaphorischen" die Aristotelische Erklärung auf¬ recht. Sie ist aber zu eng. Wenn der Dichter von „Rosenlippen" spricht, so sehe ich nicht ein, wie da ein Verhältnis herauskommen soll. Verhalten sich die Rosen zu andern Blumen oder zum Garten wie die Lippen zum Gesicht? Nein, sondern es ist einzig die Ähnlichkeit der roten Farbe, die der Metapher zugrunde liegt; die weitere Beziehung wird künstlich hineingetragen. Man beachte nur den psychologischen Vorgang: unwillkürlich und ohne weitere Umwege weckt das Vorstellungsbild der schwellenden roten Lippe das der blühenden Rose. Darum ist die Metapher auch unmittelbarer als das Gleichnis und darf nicht als „abgekürztes Gleichnis" definiert werden. Dieses hält die analogen Teile reinlich auseinander, vergleicht sie nur und gibt auch meist die einzelnen Punkte der Übereinstimmung an; es ist also nicht so primitiv und schon Produkt einer geklärten Kultur. Die Metapher ist verwegner, kühner; sie setzt Bild und Urbild unmittelbar in eins. Logisch ist sie eigentlich falsch; denn der Schlaf ist nicht ein „Bad der sauern Lebensmiihe", kein „Entwirrer des verworrnen Sorgenknäuels", wie Sheakespeare sagt; die Lebensmühe kann man nicht baden, Sorgen können nicht zu einem Knäuel zusammengedreht und wieder entwirrt werden. Aber das Wirksame der Metapher liegt gerade in dieser Verschmelzung an sich fremder Vorstellungen; die Phantasie vergnügt es, so entlegne Vor¬ stellungen unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zu stellen, der doch wieder so Prägnant ist. Doch darf der psychologische Vorgang nicht, wie Emil Stern will, zur „phantastischen Illusion" gesteigert werden, „die sich von der Hallu- zination nur dadurch unterscheidet, daß diese letztere gar keine sinnliche Grund¬ lage hat" (Metapher und Subjektivität. Euphorion 1898, S. 217). Im Zu¬ stand psychischer Steigerung „glaube" man an die Realität des Bildes, schaue wirklich in der Dämmerung die Eiche als „aufgetürmten Riesen" mit flatterndem Mantel, wie es Goethe schildere. Das geht zu weit. Der Metapher darf auch nicht die „personifizierende Apperzeption" oder Beseelung des Materiellen als selbständig an die Seite gestellt werden, wie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/661
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/661>, abgerufen am 23.07.2024.