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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Dresdner Aünstlerhefte

schaftliches Leben, das mit jedem Jahre komplizierter wird, hält jedermann in
Atem, Sorgen der innern und der äußern Politik nehmen unsre Gedanken in
Anspruch, und ein beschäftigter Mann findet kaum noch die Zeit, ein ernstes
Buch zu lesen, dessen Gegenstand außerhalb seines Berufs liegt. So sieht
das wirkliche Leben aus. Und in diesem Ernst sollen wir dem Aufbau unsrer
Möbel nachhängen wie Kinder, die über dem Spielzeug ihre Schularbeiten
vergessen? Als ob das eine Lebensfrage wäre, von der Bildung und Charakter
abhängen, wie die Geräte äußerlich ausgestattet siud, auf oder vor deuen
man sitzt oder liegt, ißt oder schläft, arbeitet oder faulenzt. Man spricht mit
der ernsthaftesten Miene von "Stimmungen", die diese oder jene Zimmer¬
einrichtung "auflöse" (wir sind ja ganz elektrotechnisch geworden), und unsre
Schriftsteller, männliche und weibliche, lassen sich in ihren Arbeitszimmern
öffentlich abbilden, wobei denn freilich manchmal der Schreibtisch mehr bedeuten
möchte als der Mensch, der davor sitzt. Es wäre gut, wenn von Zeit zu Zeit
der Tisch öffentlich ausgestellt würde, an dem Schiller seine sämtlichen Werke
geschrieben hat. Zunehmender Wohlstand befördert immer die Schützung
äußerlicher Dinge; worauf sie sich richtet, das hängt jedesmal von besondern
Ursachen ab. Wir sehen diese im vorliegenden Fall einerseits in einem starken
Expansionstrieb unsrer Kunsterziehungsmänner und andrerseits in der unser
Bedürfnis nach Kunst weit übersteigenden Zahl von Malern und Bildhauern.
Diese finden neue Beschäftigung, jene neue Gegenstände ihrer Lehrtätigkeit,
und so wäre beiden geholfen. Weiter kommt der menschliche Nachahmung^
trieb hinzu. In England hat man eine solche kunstgewerbliche Bewegung mit
Erfolg durchgeführt, und irgendeiner Auslünderei müssen wir ja zu jeder Zeit
nachlaufen. Der Gedanke, warum denn die klugen Franzosen das nicht mit¬
machen, scheint unsern Leuten gar nicht zu kommen. Oder sie beschwichtigen
etwaige Bedenken damit, daß wir eines Bluts mit unsern englischen Vettern
seien, also tun müßten, was sie tun. So geht es ja auch beinahe allen denen,
die von uns hinüber reisen und sich drüben eine Weile aufhalten: sie finden
alles dort musterhaft, möchten womöglich jedes bei sich zu Hause einführen
und übersehen ganz die himmelweiter Unterschiede in den Verhältnissen, auch
wo solche mit Händen zu greifen sind, wie am äußern Zuschnitt des Lebens,
am Geldbeutel, der drüben bekanntlich andre Dimensionen hat als bei uns.
Wenn jetzt das Künstlerhonorar dem Preise von Gebrauchsgegenständen, die
bis dahin der Handwerker allein hergestellt hat, zugeschlagen werden soll, so
ergibt das eine wirtschaftliche Veränderung, deren Kosten das kaufende Publikum
^ tragen haben wird, und außerdem fällt sie noch zufällig gerade in die Hoch¬
konjunktur unsrer Flcischpreise. Und die Handwerker, die in den Blütezeiten
des Kunstgewerbes selbst Künstler waren, werden nun zu ausführenden Arbeits¬
stellen der Künstler. Man rechtfertigt diese Verschiebung damit, daß bisher
der den Künstlern zukommende Erfinderlohn von den kaufmännischen Unter¬
nehmern in die Tasche gesteckt worden sei, nun sollen die Künstler ihre eignen


Dresdner Aünstlerhefte

schaftliches Leben, das mit jedem Jahre komplizierter wird, hält jedermann in
Atem, Sorgen der innern und der äußern Politik nehmen unsre Gedanken in
Anspruch, und ein beschäftigter Mann findet kaum noch die Zeit, ein ernstes
Buch zu lesen, dessen Gegenstand außerhalb seines Berufs liegt. So sieht
das wirkliche Leben aus. Und in diesem Ernst sollen wir dem Aufbau unsrer
Möbel nachhängen wie Kinder, die über dem Spielzeug ihre Schularbeiten
vergessen? Als ob das eine Lebensfrage wäre, von der Bildung und Charakter
abhängen, wie die Geräte äußerlich ausgestattet siud, auf oder vor deuen
man sitzt oder liegt, ißt oder schläft, arbeitet oder faulenzt. Man spricht mit
der ernsthaftesten Miene von „Stimmungen", die diese oder jene Zimmer¬
einrichtung „auflöse" (wir sind ja ganz elektrotechnisch geworden), und unsre
Schriftsteller, männliche und weibliche, lassen sich in ihren Arbeitszimmern
öffentlich abbilden, wobei denn freilich manchmal der Schreibtisch mehr bedeuten
möchte als der Mensch, der davor sitzt. Es wäre gut, wenn von Zeit zu Zeit
der Tisch öffentlich ausgestellt würde, an dem Schiller seine sämtlichen Werke
geschrieben hat. Zunehmender Wohlstand befördert immer die Schützung
äußerlicher Dinge; worauf sie sich richtet, das hängt jedesmal von besondern
Ursachen ab. Wir sehen diese im vorliegenden Fall einerseits in einem starken
Expansionstrieb unsrer Kunsterziehungsmänner und andrerseits in der unser
Bedürfnis nach Kunst weit übersteigenden Zahl von Malern und Bildhauern.
Diese finden neue Beschäftigung, jene neue Gegenstände ihrer Lehrtätigkeit,
und so wäre beiden geholfen. Weiter kommt der menschliche Nachahmung^
trieb hinzu. In England hat man eine solche kunstgewerbliche Bewegung mit
Erfolg durchgeführt, und irgendeiner Auslünderei müssen wir ja zu jeder Zeit
nachlaufen. Der Gedanke, warum denn die klugen Franzosen das nicht mit¬
machen, scheint unsern Leuten gar nicht zu kommen. Oder sie beschwichtigen
etwaige Bedenken damit, daß wir eines Bluts mit unsern englischen Vettern
seien, also tun müßten, was sie tun. So geht es ja auch beinahe allen denen,
die von uns hinüber reisen und sich drüben eine Weile aufhalten: sie finden
alles dort musterhaft, möchten womöglich jedes bei sich zu Hause einführen
und übersehen ganz die himmelweiter Unterschiede in den Verhältnissen, auch
wo solche mit Händen zu greifen sind, wie am äußern Zuschnitt des Lebens,
am Geldbeutel, der drüben bekanntlich andre Dimensionen hat als bei uns.
Wenn jetzt das Künstlerhonorar dem Preise von Gebrauchsgegenständen, die
bis dahin der Handwerker allein hergestellt hat, zugeschlagen werden soll, so
ergibt das eine wirtschaftliche Veränderung, deren Kosten das kaufende Publikum
^ tragen haben wird, und außerdem fällt sie noch zufällig gerade in die Hoch¬
konjunktur unsrer Flcischpreise. Und die Handwerker, die in den Blütezeiten
des Kunstgewerbes selbst Künstler waren, werden nun zu ausführenden Arbeits¬
stellen der Künstler. Man rechtfertigt diese Verschiebung damit, daß bisher
der den Künstlern zukommende Erfinderlohn von den kaufmännischen Unter¬
nehmern in die Tasche gesteckt worden sei, nun sollen die Künstler ihre eignen


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[0613] Dresdner Aünstlerhefte schaftliches Leben, das mit jedem Jahre komplizierter wird, hält jedermann in Atem, Sorgen der innern und der äußern Politik nehmen unsre Gedanken in Anspruch, und ein beschäftigter Mann findet kaum noch die Zeit, ein ernstes Buch zu lesen, dessen Gegenstand außerhalb seines Berufs liegt. So sieht das wirkliche Leben aus. Und in diesem Ernst sollen wir dem Aufbau unsrer Möbel nachhängen wie Kinder, die über dem Spielzeug ihre Schularbeiten vergessen? Als ob das eine Lebensfrage wäre, von der Bildung und Charakter abhängen, wie die Geräte äußerlich ausgestattet siud, auf oder vor deuen man sitzt oder liegt, ißt oder schläft, arbeitet oder faulenzt. Man spricht mit der ernsthaftesten Miene von „Stimmungen", die diese oder jene Zimmer¬ einrichtung „auflöse" (wir sind ja ganz elektrotechnisch geworden), und unsre Schriftsteller, männliche und weibliche, lassen sich in ihren Arbeitszimmern öffentlich abbilden, wobei denn freilich manchmal der Schreibtisch mehr bedeuten möchte als der Mensch, der davor sitzt. Es wäre gut, wenn von Zeit zu Zeit der Tisch öffentlich ausgestellt würde, an dem Schiller seine sämtlichen Werke geschrieben hat. Zunehmender Wohlstand befördert immer die Schützung äußerlicher Dinge; worauf sie sich richtet, das hängt jedesmal von besondern Ursachen ab. Wir sehen diese im vorliegenden Fall einerseits in einem starken Expansionstrieb unsrer Kunsterziehungsmänner und andrerseits in der unser Bedürfnis nach Kunst weit übersteigenden Zahl von Malern und Bildhauern. Diese finden neue Beschäftigung, jene neue Gegenstände ihrer Lehrtätigkeit, und so wäre beiden geholfen. Weiter kommt der menschliche Nachahmung^ trieb hinzu. In England hat man eine solche kunstgewerbliche Bewegung mit Erfolg durchgeführt, und irgendeiner Auslünderei müssen wir ja zu jeder Zeit nachlaufen. Der Gedanke, warum denn die klugen Franzosen das nicht mit¬ machen, scheint unsern Leuten gar nicht zu kommen. Oder sie beschwichtigen etwaige Bedenken damit, daß wir eines Bluts mit unsern englischen Vettern seien, also tun müßten, was sie tun. So geht es ja auch beinahe allen denen, die von uns hinüber reisen und sich drüben eine Weile aufhalten: sie finden alles dort musterhaft, möchten womöglich jedes bei sich zu Hause einführen und übersehen ganz die himmelweiter Unterschiede in den Verhältnissen, auch wo solche mit Händen zu greifen sind, wie am äußern Zuschnitt des Lebens, am Geldbeutel, der drüben bekanntlich andre Dimensionen hat als bei uns. Wenn jetzt das Künstlerhonorar dem Preise von Gebrauchsgegenständen, die bis dahin der Handwerker allein hergestellt hat, zugeschlagen werden soll, so ergibt das eine wirtschaftliche Veränderung, deren Kosten das kaufende Publikum ^ tragen haben wird, und außerdem fällt sie noch zufällig gerade in die Hoch¬ konjunktur unsrer Flcischpreise. Und die Handwerker, die in den Blütezeiten des Kunstgewerbes selbst Künstler waren, werden nun zu ausführenden Arbeits¬ stellen der Künstler. Man rechtfertigt diese Verschiebung damit, daß bisher der den Künstlern zukommende Erfinderlohn von den kaufmännischen Unter¬ nehmern in die Tasche gesteckt worden sei, nun sollen die Künstler ihre eignen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/613>, abgerufen am 23.07.2024.