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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Dresdner Mnstlerhefte

daß mit der zunehmenden Beweglichkeit unsers Verkehrs auch die Unbeständig¬
keit unsers Wohnens zugenommen hat. Wir wechseln Ort, Straße und Wohnung
wie unser Kleid, wir mieten uns die Wohnung, die wir finden, und stellen
hinein, was wir haben; das ist für die meisten von uns der Lauf des Lebens,
der uns auch wohl kaum noch Zeit lassen würde, mit unsern Gedanken dieser
Raumkunst nachzuhängen. Die Wenigen, die es anders haben können, finden
in frühern Zeitaltern, zum Beispiel in dem Frankreich des Rokoko oder auch
noch in den Schlössern unsrer Fürsten Vorbilder der Einheit von Raum und
Ausstattung von so verlockender Wirkung, daß sich dagegen die neue Raumkunst
mit all ihrer Materialverschwendung kümmerlich ausnimmt. Ob dem Einzelnen
dies oder das mehr oder weniger zusagt, ist dabei völlig gleichgiltig. Man
soll nur nicht Dinge, die weder neu sind, noch Allgemeingut werden können,
dem Publikum als wichtige künstlerische Eroberungen hinstellen.

Vergegenwärtigt man sich den Niedergang unsrer eigentlichen hohen Kunst,
worüber hente wohl kein Wort mehr zu verlieren ist, so scheint der Zeitpunkt
für eine radikale Umgestaltung der sogenannten angewandten Kunst nicht un¬
günstig gewählt. Will das Publikum keine Bilder mehr kaufen, und lang¬
weilt es sich an den Denkmälern unsrer Bildhauer, so wird es um so eher
der Predigt Gehör schenken, daß ihm bis jetzt in seiner häuslichen Umgebung
der richtige Stil gefehlt habe. Jede Zeit muß ihren Stil haben. Machen
wir also einen. Wir sahen kürzlich in einem Dresdner Möbelgeschäft, deren
Inhaber sich durch individuellen Geschmack auszeichnen, eine nach unserm Ge¬
fühl recht gute Herrenzimmereinrichtung in geschnitztem Eichenholze, reich, be¬
haglich und auch ziemlich kostbar. Sie war für die große Ausstellung ge¬
arbeitet, aber zurückgewiesen worden; sie sei nicht "modern". Man sagt den
Dresdnern anderwärts, zum Beispiel in Berlin, "Stiltyrannei" nach, wozu
dieses ein passender Beleg sein würde. Wie wir hören, haben sich sachkundige
Berliner Besucher darüber gewundert, mit welcher Ausschließlichkeit die Moderne
das Dresdner Kunsthandwerk in der Ausstellung beherrsche, und von hervor¬
ragenden Dresdner Gewerbetreibenden haben wir dasselbe aussprechen hören.
Das soll natürlich kein Lob sein. Andrerseits tut sich Dresden etwas darauf
Zugute, daß es der Vorort für die neue Bewegung im Kunstgewerbe ist, nächst
oder neben München. In der Tat wird es allmählich schwer, die noch vor
zehn Jahren so beliebten hübschen Nokokomöbel zu bekommen. Wir haben
auch schon einen förmlichen Kampf mit Worten um den Möbelstil, einen Kampf
des Neuen gegen das Alte in der Fach- und der Tagespresse, in den Re¬
klamen der Geschäfte, in Vorträgen und Gelegenheitskundgebungen. Gerade so,
wie man vor zwanzig Jahren um die Malerei zu kämpfen anfing. Wir möchten
bei diesem Punkt einen Augenblick verweilen, weil uns da vieles lehrreich scheint.
Damals, bei dem Wortkampf um die Malerei, der ja bekanntlich nicht bloß
in Dresden, sondern beinahe überall geführt wurde, und der eine unendliche
Menge von Literatur hervorgerufen hat, hörte und las man viele hohe


Dresdner Mnstlerhefte

daß mit der zunehmenden Beweglichkeit unsers Verkehrs auch die Unbeständig¬
keit unsers Wohnens zugenommen hat. Wir wechseln Ort, Straße und Wohnung
wie unser Kleid, wir mieten uns die Wohnung, die wir finden, und stellen
hinein, was wir haben; das ist für die meisten von uns der Lauf des Lebens,
der uns auch wohl kaum noch Zeit lassen würde, mit unsern Gedanken dieser
Raumkunst nachzuhängen. Die Wenigen, die es anders haben können, finden
in frühern Zeitaltern, zum Beispiel in dem Frankreich des Rokoko oder auch
noch in den Schlössern unsrer Fürsten Vorbilder der Einheit von Raum und
Ausstattung von so verlockender Wirkung, daß sich dagegen die neue Raumkunst
mit all ihrer Materialverschwendung kümmerlich ausnimmt. Ob dem Einzelnen
dies oder das mehr oder weniger zusagt, ist dabei völlig gleichgiltig. Man
soll nur nicht Dinge, die weder neu sind, noch Allgemeingut werden können,
dem Publikum als wichtige künstlerische Eroberungen hinstellen.

Vergegenwärtigt man sich den Niedergang unsrer eigentlichen hohen Kunst,
worüber hente wohl kein Wort mehr zu verlieren ist, so scheint der Zeitpunkt
für eine radikale Umgestaltung der sogenannten angewandten Kunst nicht un¬
günstig gewählt. Will das Publikum keine Bilder mehr kaufen, und lang¬
weilt es sich an den Denkmälern unsrer Bildhauer, so wird es um so eher
der Predigt Gehör schenken, daß ihm bis jetzt in seiner häuslichen Umgebung
der richtige Stil gefehlt habe. Jede Zeit muß ihren Stil haben. Machen
wir also einen. Wir sahen kürzlich in einem Dresdner Möbelgeschäft, deren
Inhaber sich durch individuellen Geschmack auszeichnen, eine nach unserm Ge¬
fühl recht gute Herrenzimmereinrichtung in geschnitztem Eichenholze, reich, be¬
haglich und auch ziemlich kostbar. Sie war für die große Ausstellung ge¬
arbeitet, aber zurückgewiesen worden; sie sei nicht „modern". Man sagt den
Dresdnern anderwärts, zum Beispiel in Berlin, „Stiltyrannei" nach, wozu
dieses ein passender Beleg sein würde. Wie wir hören, haben sich sachkundige
Berliner Besucher darüber gewundert, mit welcher Ausschließlichkeit die Moderne
das Dresdner Kunsthandwerk in der Ausstellung beherrsche, und von hervor¬
ragenden Dresdner Gewerbetreibenden haben wir dasselbe aussprechen hören.
Das soll natürlich kein Lob sein. Andrerseits tut sich Dresden etwas darauf
Zugute, daß es der Vorort für die neue Bewegung im Kunstgewerbe ist, nächst
oder neben München. In der Tat wird es allmählich schwer, die noch vor
zehn Jahren so beliebten hübschen Nokokomöbel zu bekommen. Wir haben
auch schon einen förmlichen Kampf mit Worten um den Möbelstil, einen Kampf
des Neuen gegen das Alte in der Fach- und der Tagespresse, in den Re¬
klamen der Geschäfte, in Vorträgen und Gelegenheitskundgebungen. Gerade so,
wie man vor zwanzig Jahren um die Malerei zu kämpfen anfing. Wir möchten
bei diesem Punkt einen Augenblick verweilen, weil uns da vieles lehrreich scheint.
Damals, bei dem Wortkampf um die Malerei, der ja bekanntlich nicht bloß
in Dresden, sondern beinahe überall geführt wurde, und der eine unendliche
Menge von Literatur hervorgerufen hat, hörte und las man viele hohe


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[0611] Dresdner Mnstlerhefte daß mit der zunehmenden Beweglichkeit unsers Verkehrs auch die Unbeständig¬ keit unsers Wohnens zugenommen hat. Wir wechseln Ort, Straße und Wohnung wie unser Kleid, wir mieten uns die Wohnung, die wir finden, und stellen hinein, was wir haben; das ist für die meisten von uns der Lauf des Lebens, der uns auch wohl kaum noch Zeit lassen würde, mit unsern Gedanken dieser Raumkunst nachzuhängen. Die Wenigen, die es anders haben können, finden in frühern Zeitaltern, zum Beispiel in dem Frankreich des Rokoko oder auch noch in den Schlössern unsrer Fürsten Vorbilder der Einheit von Raum und Ausstattung von so verlockender Wirkung, daß sich dagegen die neue Raumkunst mit all ihrer Materialverschwendung kümmerlich ausnimmt. Ob dem Einzelnen dies oder das mehr oder weniger zusagt, ist dabei völlig gleichgiltig. Man soll nur nicht Dinge, die weder neu sind, noch Allgemeingut werden können, dem Publikum als wichtige künstlerische Eroberungen hinstellen. Vergegenwärtigt man sich den Niedergang unsrer eigentlichen hohen Kunst, worüber hente wohl kein Wort mehr zu verlieren ist, so scheint der Zeitpunkt für eine radikale Umgestaltung der sogenannten angewandten Kunst nicht un¬ günstig gewählt. Will das Publikum keine Bilder mehr kaufen, und lang¬ weilt es sich an den Denkmälern unsrer Bildhauer, so wird es um so eher der Predigt Gehör schenken, daß ihm bis jetzt in seiner häuslichen Umgebung der richtige Stil gefehlt habe. Jede Zeit muß ihren Stil haben. Machen wir also einen. Wir sahen kürzlich in einem Dresdner Möbelgeschäft, deren Inhaber sich durch individuellen Geschmack auszeichnen, eine nach unserm Ge¬ fühl recht gute Herrenzimmereinrichtung in geschnitztem Eichenholze, reich, be¬ haglich und auch ziemlich kostbar. Sie war für die große Ausstellung ge¬ arbeitet, aber zurückgewiesen worden; sie sei nicht „modern". Man sagt den Dresdnern anderwärts, zum Beispiel in Berlin, „Stiltyrannei" nach, wozu dieses ein passender Beleg sein würde. Wie wir hören, haben sich sachkundige Berliner Besucher darüber gewundert, mit welcher Ausschließlichkeit die Moderne das Dresdner Kunsthandwerk in der Ausstellung beherrsche, und von hervor¬ ragenden Dresdner Gewerbetreibenden haben wir dasselbe aussprechen hören. Das soll natürlich kein Lob sein. Andrerseits tut sich Dresden etwas darauf Zugute, daß es der Vorort für die neue Bewegung im Kunstgewerbe ist, nächst oder neben München. In der Tat wird es allmählich schwer, die noch vor zehn Jahren so beliebten hübschen Nokokomöbel zu bekommen. Wir haben auch schon einen förmlichen Kampf mit Worten um den Möbelstil, einen Kampf des Neuen gegen das Alte in der Fach- und der Tagespresse, in den Re¬ klamen der Geschäfte, in Vorträgen und Gelegenheitskundgebungen. Gerade so, wie man vor zwanzig Jahren um die Malerei zu kämpfen anfing. Wir möchten bei diesem Punkt einen Augenblick verweilen, weil uns da vieles lehrreich scheint. Damals, bei dem Wortkampf um die Malerei, der ja bekanntlich nicht bloß in Dresden, sondern beinahe überall geführt wurde, und der eine unendliche Menge von Literatur hervorgerufen hat, hörte und las man viele hohe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/611>, abgerufen am 23.07.2024.