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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

Tagen nur Verwundete, der erste Zug am Abend des 7. Juli 500 bis 600,
darunter schwer verstümmelte Unglückliche, zu deren Aufnahme zwanzig Trag¬
betten bereit standen, ein andrer von 39 Wagen, der von zwei Lokomotiven
gezogen in der regnerischen, kalten und windigen Nacht des 8. Juli erst nach
Mitternacht eintraf, führte mehr als 800 Verwundete, darunter zwei Wagen
mit Sachsen. Sie hatten das Gefecht von Gitschin und auch den nächtlichen
Kampf um das Städtchen mitgemacht und waren auf die Österreicher, die
nicht recht standgehalten hätten, schlecht zu sprechen. Erst gegen zwei Uhr
dampfte der Zug wieder in die Nacht hinaus. Auch erbeutete österreichische
Munitionswagen, leicht und fast elegant gebaut, kamen gelegentlich mit, so
am 7. Juli zwischen 20 und 30. So ging es Tag für Tag. Die Kon¬
stituierung des Vereins für die Pflege der Verwundeten und Kranken am
7- Juli, an der auch mein Vater teilnahm, war also sehr zeitgemäß.

Daß der Krieg gegen Österreich entschieden sei, wurde inzwischen immer
klarer. Denn der Sieg von Königgrätz erschien, je mehr Einzelheiten bekannt
wurden, um so größer, meldete doch der erste genauere preußische Schlacht¬
bericht am 7. Juli 18000 bis 20000 Gefangne und 120 erbeutete Geschütze
(tatsächlich waren es 174). Vou diesen sahen wir am 13. Juli neun Stück
vorübergehn, schöne Bronzervhre, aber die gelb-schwarzen Räder und Lafetten
von unten bis oben mit dicken Kotlagen bedeckt. Je weniger wir nun an
eine Wendung auf dem österreichischen Kriegsschauplatze noch zu glauben ver¬
mochten, desto mehr bekümmerte es uns, daß im Westen doch noch ein ernster
Kampf begann, der an dem Resultat schwerlich etwas ändern konnte, sondern
nur unnütz deutsches Blut vergoß, falls nicht etwa Napoleon der Dritte sich
zur bewaffneten Intervention entschloß. Es gab verblendete Leute genug, die
sie herbeiwünschten, so sehr hatte die kleinstaatliche Misere alles nationale
Gefühl ertötet. Und nun ging am 10. Juli Graf Beuedetti durch, der fran¬
zösische Gesandte in Berlin, und Beust eilte uach Paris! Das alles beun¬
ruhigte die verständigem Leute sehr. Andrerseits passierte am 13. Juli ein
hoher italienischer Generalstabsofsizier in schwarzem, pelzverbrämtem Schnüreu-
rock mit einem mecklenburgischen Flügeladjutcmtcn unsern Bahnhof, denen
freilich für die Weiterfahrt nur ein Wagen dritter Klasse im Anschluß an einen
langen Proviantzug zur Verfügung gestellt werden konnte. Offenbar wurde
eifrig hin und her verhandelt.

Doch rastlos rückten die Preußen vor; am 12. hatten wir die Nachricht,
daß das königliche Hauptquartier in Zwittau, auf mährischen Boden stehe
(wo Venedetti endlich Bismarck erreichte); am 14. erhielt ein Leutnant von
den Pionieren, der bei uns im Quartier lag, den Befehl, nach Brünn abzu-
gehn, das also schon besetzt war, an demselben Tage gegen Abend hieß es,
den Ereignissen voraus, drei preußische Armeekorps stünden nur noch sechs
Stunden von Wien, am 18., daß sie Lundenburg, die mährisch-niederöster¬
reichische Grenzstation, besetzt hätten. Auch im Westen waren die Preußen


vor vierzig Jahren

Tagen nur Verwundete, der erste Zug am Abend des 7. Juli 500 bis 600,
darunter schwer verstümmelte Unglückliche, zu deren Aufnahme zwanzig Trag¬
betten bereit standen, ein andrer von 39 Wagen, der von zwei Lokomotiven
gezogen in der regnerischen, kalten und windigen Nacht des 8. Juli erst nach
Mitternacht eintraf, führte mehr als 800 Verwundete, darunter zwei Wagen
mit Sachsen. Sie hatten das Gefecht von Gitschin und auch den nächtlichen
Kampf um das Städtchen mitgemacht und waren auf die Österreicher, die
nicht recht standgehalten hätten, schlecht zu sprechen. Erst gegen zwei Uhr
dampfte der Zug wieder in die Nacht hinaus. Auch erbeutete österreichische
Munitionswagen, leicht und fast elegant gebaut, kamen gelegentlich mit, so
am 7. Juli zwischen 20 und 30. So ging es Tag für Tag. Die Kon¬
stituierung des Vereins für die Pflege der Verwundeten und Kranken am
7- Juli, an der auch mein Vater teilnahm, war also sehr zeitgemäß.

Daß der Krieg gegen Österreich entschieden sei, wurde inzwischen immer
klarer. Denn der Sieg von Königgrätz erschien, je mehr Einzelheiten bekannt
wurden, um so größer, meldete doch der erste genauere preußische Schlacht¬
bericht am 7. Juli 18000 bis 20000 Gefangne und 120 erbeutete Geschütze
(tatsächlich waren es 174). Vou diesen sahen wir am 13. Juli neun Stück
vorübergehn, schöne Bronzervhre, aber die gelb-schwarzen Räder und Lafetten
von unten bis oben mit dicken Kotlagen bedeckt. Je weniger wir nun an
eine Wendung auf dem österreichischen Kriegsschauplatze noch zu glauben ver¬
mochten, desto mehr bekümmerte es uns, daß im Westen doch noch ein ernster
Kampf begann, der an dem Resultat schwerlich etwas ändern konnte, sondern
nur unnütz deutsches Blut vergoß, falls nicht etwa Napoleon der Dritte sich
zur bewaffneten Intervention entschloß. Es gab verblendete Leute genug, die
sie herbeiwünschten, so sehr hatte die kleinstaatliche Misere alles nationale
Gefühl ertötet. Und nun ging am 10. Juli Graf Beuedetti durch, der fran¬
zösische Gesandte in Berlin, und Beust eilte uach Paris! Das alles beun¬
ruhigte die verständigem Leute sehr. Andrerseits passierte am 13. Juli ein
hoher italienischer Generalstabsofsizier in schwarzem, pelzverbrämtem Schnüreu-
rock mit einem mecklenburgischen Flügeladjutcmtcn unsern Bahnhof, denen
freilich für die Weiterfahrt nur ein Wagen dritter Klasse im Anschluß an einen
langen Proviantzug zur Verfügung gestellt werden konnte. Offenbar wurde
eifrig hin und her verhandelt.

Doch rastlos rückten die Preußen vor; am 12. hatten wir die Nachricht,
daß das königliche Hauptquartier in Zwittau, auf mährischen Boden stehe
(wo Venedetti endlich Bismarck erreichte); am 14. erhielt ein Leutnant von
den Pionieren, der bei uns im Quartier lag, den Befehl, nach Brünn abzu-
gehn, das also schon besetzt war, an demselben Tage gegen Abend hieß es,
den Ereignissen voraus, drei preußische Armeekorps stünden nur noch sechs
Stunden von Wien, am 18., daß sie Lundenburg, die mährisch-niederöster¬
reichische Grenzstation, besetzt hätten. Auch im Westen waren die Preußen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/597>, abgerufen am 23.07.2024.