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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

Reichs in einer fernen Ecke Germaniens hinter dem hercynischen Walde, daß
diese alte Waffe des Legionars noch als militärisch verwertbar galt. Ob das
nach abermals 1390 Jahren mit unsern modernen Waffen bei den rasenden
Fortschritten der Vernichtungstechnik auch noch der Fall sein wird?

Während sich die Bürgerschaft noch über diese Entwaffnung ärgerte und
darüber wie billig rechtschaffen rüsonierte, brachten die Zittauer Nachrichten,
das Amtsblatt der Stadt, am Nachmittage die offizielle Depesche des Königs
Wilhelm an die Königin von einem entscheidenden Siege der Preußen zwischen
Horschitz und Königgrütz am 3. Juli; noch am Abend erfuhr man, daß der
Feldmarschallleutnant von Gablenz im preußischen Hauptquartier erschienen sei,
um Friedensvorschlüge zu machen, am 6. Juli, daß Kaiser Franz Joseph dem
Kaiser Napoleon Venezien zur Verfügung gestellt und damit seine Intervention
angerufen habe! Der Eindruck war betäubend und erschütternd, denn wer noch
die Hoffnung auf eine Wendung zugunsten Österreichs durch eine Entscheidungs¬
schlacht festgehalten hatte im Vertrauen auf Benedek, der mußte sich sagen, das
sei nun vorbei. Bei alledem empfand man eigentlich die Verflechtung unsrer
eignen Truppen in die furchtbare Niederlage nicht so sehr tief. Denn die
Armee stand der Bevölkerung damals ziemlich fern, die Stadt hatte fast seit
zwanzig Jahren keine Garnison, die gebildeten bürgerlichen Familien hatten,
ganz wenige ausgenommen, deren Söhne Offiziere waren, gar keine Be¬
ziehungen zur Armee, und man wußte auch von ihren Schicksalen begreiflicher¬
weise sehr wenig. Daß sie tapfer ihre Schuldigkeit tat, dessen war man sicher,
und das erkannten auch die preußischen Offiziere zur allgemeinen Befriedigung
unumwunden an.

Und nun kamen sie in langen Zügen, Tag für Tag, mit Eisenbahn und
Fußmarsch, die Verwundeten und die Gefangnen von Königgrütz. Am 6. Juli,
wo ich von Mittag bis Mitternacht Dienst hatte, habe ich drei Züge mit
verpflegt, und ein vierter Zug war schon angekündigt. Der erste kam kurz
dor fünf Uhr und brachte überwiegend Preußen, einige Wagen aber auch mit
Österreichern und Sachsen, die meisten noch von Gitschin. Der zweite traf
gegen halb sieben Uhr ein, aber er enthielt mehr als tausend Mann, statt der
angekündigten fünfhundert, meist gefangne Österreicher, und kostete uns eine
Arbeit von anderthalb Stunden; als er abgefertigt war, hatten wir in unserm
Zimmer keinen Tropfen und keine Krume mehr. Und schon war für elf Uhr
ein dritter Zug angemeldet, siebzehn Wagen mit etwa fünfhundert Mann, zur
Hälfte Preußen, zur andern Österreicher, alle von Königgrütz wie ihre Vor¬
gänger. Die Preußen hatten oft die weißen österreichischen Röcke oder die
schönen, warmen grauen Kapotmüntel angelegt oder Jügerhüte mit den grünen
Federbüschen, denn ihre eignen Uniformstücke waren arg mitgenommen, auch
ihre Mäntel weniger praktisch. Aus ihren Erzählungen gestaltete sich schon
stückweise ein Bild von der gewaltigen Schlacht. Ein preußischer Jäger be¬
richtete ganz zutreffend, der Kampf sei zunächst wesentlich von der Artillerie


vor vierzig Jahren

Reichs in einer fernen Ecke Germaniens hinter dem hercynischen Walde, daß
diese alte Waffe des Legionars noch als militärisch verwertbar galt. Ob das
nach abermals 1390 Jahren mit unsern modernen Waffen bei den rasenden
Fortschritten der Vernichtungstechnik auch noch der Fall sein wird?

Während sich die Bürgerschaft noch über diese Entwaffnung ärgerte und
darüber wie billig rechtschaffen rüsonierte, brachten die Zittauer Nachrichten,
das Amtsblatt der Stadt, am Nachmittage die offizielle Depesche des Königs
Wilhelm an die Königin von einem entscheidenden Siege der Preußen zwischen
Horschitz und Königgrütz am 3. Juli; noch am Abend erfuhr man, daß der
Feldmarschallleutnant von Gablenz im preußischen Hauptquartier erschienen sei,
um Friedensvorschlüge zu machen, am 6. Juli, daß Kaiser Franz Joseph dem
Kaiser Napoleon Venezien zur Verfügung gestellt und damit seine Intervention
angerufen habe! Der Eindruck war betäubend und erschütternd, denn wer noch
die Hoffnung auf eine Wendung zugunsten Österreichs durch eine Entscheidungs¬
schlacht festgehalten hatte im Vertrauen auf Benedek, der mußte sich sagen, das
sei nun vorbei. Bei alledem empfand man eigentlich die Verflechtung unsrer
eignen Truppen in die furchtbare Niederlage nicht so sehr tief. Denn die
Armee stand der Bevölkerung damals ziemlich fern, die Stadt hatte fast seit
zwanzig Jahren keine Garnison, die gebildeten bürgerlichen Familien hatten,
ganz wenige ausgenommen, deren Söhne Offiziere waren, gar keine Be¬
ziehungen zur Armee, und man wußte auch von ihren Schicksalen begreiflicher¬
weise sehr wenig. Daß sie tapfer ihre Schuldigkeit tat, dessen war man sicher,
und das erkannten auch die preußischen Offiziere zur allgemeinen Befriedigung
unumwunden an.

Und nun kamen sie in langen Zügen, Tag für Tag, mit Eisenbahn und
Fußmarsch, die Verwundeten und die Gefangnen von Königgrütz. Am 6. Juli,
wo ich von Mittag bis Mitternacht Dienst hatte, habe ich drei Züge mit
verpflegt, und ein vierter Zug war schon angekündigt. Der erste kam kurz
dor fünf Uhr und brachte überwiegend Preußen, einige Wagen aber auch mit
Österreichern und Sachsen, die meisten noch von Gitschin. Der zweite traf
gegen halb sieben Uhr ein, aber er enthielt mehr als tausend Mann, statt der
angekündigten fünfhundert, meist gefangne Österreicher, und kostete uns eine
Arbeit von anderthalb Stunden; als er abgefertigt war, hatten wir in unserm
Zimmer keinen Tropfen und keine Krume mehr. Und schon war für elf Uhr
ein dritter Zug angemeldet, siebzehn Wagen mit etwa fünfhundert Mann, zur
Hälfte Preußen, zur andern Österreicher, alle von Königgrütz wie ihre Vor¬
gänger. Die Preußen hatten oft die weißen österreichischen Röcke oder die
schönen, warmen grauen Kapotmüntel angelegt oder Jügerhüte mit den grünen
Federbüschen, denn ihre eignen Uniformstücke waren arg mitgenommen, auch
ihre Mäntel weniger praktisch. Aus ihren Erzählungen gestaltete sich schon
stückweise ein Bild von der gewaltigen Schlacht. Ein preußischer Jäger be¬
richtete ganz zutreffend, der Kampf sei zunächst wesentlich von der Artillerie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/595>, abgerufen am 23.07.2024.