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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die Entwicklung der optischen Telegraphie

Nachrichten freizumachen; doch ist nicht bekannt geworden, ob die zweifellos
ingeniöse Idee jemals praktische Verwendung gefunden hat.

In der nachchristlichen Zeit kam man, wie in allen andern Dingen der
Kultur, so auch in der Ausbildung der optischen Tclegraphie während mehrerer
Jahrhunderte nicht über den Stand und die Kenntnisse des Altertums hinaus.
Mit Ausnahme des Pharos in Alexandria, der bis in das zwölfte Jahr¬
hundert hinein als Leuchtturm diente, scheint sogar keiner von den alten Leucht¬
türmen seiner Bestimmung dauernd erhalten geblieben zu sein. Eine systema¬
tische Verwendung optischer Zeichen boten im Mittelalter und in der beginnenden
Neuzeit eigentlich nur die Leuchttürme, die schon seit dem zwölften Jahrhundert
infolge der Schiffährtsbedürfnisse der italienischen Städte und der Hansa neu
zu Ehren gelangten. Der erste Leuchtturm der neuern Zeit wurde von den
Pisanern 1157/58 auf der Insel Meloria errichtet; von deutschen Hansestädten
folgte als erste Lübeck, die im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts einen
Leuchtturm auf Falsterboe erbaute.

Daß aber optische Signale im Mittelalter auch sonst gelegentlich Benutzung
fanden, beweist die Tatsache, daß Herzog Rene von Lothringen vor der
Schlacht bei Nancy (5. Januar 1477) den verbündeten Schweizern über die
Köpfe des feindlichen Vurgunderheeres hinweg durch Feuerzeichen Nachrichten
zugehn ließ.

Erst im siebzehnten Jahrhundert machte jedoch die Sache der Telegraphie
weitere Fortschritte. 1633 arbeitete der Marquis of Worcester, 1660 der Fran¬
zose Amontvns ein optisches Telegravhiersystem aus, und der Engländer Robert
Hooke konstruierte 1684 die erste telegraphische Maschine. Trotzdem dauerte
es noch bis ans Ende des achtzehnten Jahrhunderts, ehe die optische Tele¬
graphie wirklich zu praktischen Zwecken verwandt wurde. Zwar hatte schon
1750 Bergsträßer in Hanau den Vorschlag einer telegraphischen Flaggenlinie
gemacht, doch kam diese Idee ebensowenig zur Ausführung wie ihre Vorgänger.
Eine Telegraphenlinie, die Edgeworth 1763 zu seinem Privatgebrauch zwischen
London und Newmarket erbauen ließ, blieb ein vereinzelter Versuch.

Endlich gelang es 1789 den Brüdern Chappe, ein telegraphisches System
zu erfinden, das allen praktischen Zwecken genügte und in kurzer Zeit eine
sehr große Bedeutung erlangte, ganz besonders in Frankreich, dem Vaterlande
der Erfinder. Mit Hilfe von gegeneinander beweglichen Balken, die an Türmen
oder an hohen Gerüsten angebracht wurden, sodaß man ihre Stellung durch ein
Fernrohr auf weite Entfernungen zu erkennen vermochte, konnte man eine große
Zahl von Zeichen, insgesamt 196, durch verschiedenartige Kombination der
Balkenstellungen übertragen. Der später in Preußen benutzte Telegraph, der
einen Mast mit drei langen Armen an jeder Seite als Zeilengeber benutzte,
erlaubte sogar 4096 verschiedne Zeichen zu übermitteln.

Am 22. März 1792 legte Claude Chappe seine Erfindung der gesetz¬
gebenden Nationalversammlung vor und erhielt im folgenden Jahre vom
Nationalkonvent den Auftrag, nach seinem System eine Telegraphenlinie zwischen


Die Entwicklung der optischen Telegraphie

Nachrichten freizumachen; doch ist nicht bekannt geworden, ob die zweifellos
ingeniöse Idee jemals praktische Verwendung gefunden hat.

In der nachchristlichen Zeit kam man, wie in allen andern Dingen der
Kultur, so auch in der Ausbildung der optischen Tclegraphie während mehrerer
Jahrhunderte nicht über den Stand und die Kenntnisse des Altertums hinaus.
Mit Ausnahme des Pharos in Alexandria, der bis in das zwölfte Jahr¬
hundert hinein als Leuchtturm diente, scheint sogar keiner von den alten Leucht¬
türmen seiner Bestimmung dauernd erhalten geblieben zu sein. Eine systema¬
tische Verwendung optischer Zeichen boten im Mittelalter und in der beginnenden
Neuzeit eigentlich nur die Leuchttürme, die schon seit dem zwölften Jahrhundert
infolge der Schiffährtsbedürfnisse der italienischen Städte und der Hansa neu
zu Ehren gelangten. Der erste Leuchtturm der neuern Zeit wurde von den
Pisanern 1157/58 auf der Insel Meloria errichtet; von deutschen Hansestädten
folgte als erste Lübeck, die im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts einen
Leuchtturm auf Falsterboe erbaute.

Daß aber optische Signale im Mittelalter auch sonst gelegentlich Benutzung
fanden, beweist die Tatsache, daß Herzog Rene von Lothringen vor der
Schlacht bei Nancy (5. Januar 1477) den verbündeten Schweizern über die
Köpfe des feindlichen Vurgunderheeres hinweg durch Feuerzeichen Nachrichten
zugehn ließ.

Erst im siebzehnten Jahrhundert machte jedoch die Sache der Telegraphie
weitere Fortschritte. 1633 arbeitete der Marquis of Worcester, 1660 der Fran¬
zose Amontvns ein optisches Telegravhiersystem aus, und der Engländer Robert
Hooke konstruierte 1684 die erste telegraphische Maschine. Trotzdem dauerte
es noch bis ans Ende des achtzehnten Jahrhunderts, ehe die optische Tele¬
graphie wirklich zu praktischen Zwecken verwandt wurde. Zwar hatte schon
1750 Bergsträßer in Hanau den Vorschlag einer telegraphischen Flaggenlinie
gemacht, doch kam diese Idee ebensowenig zur Ausführung wie ihre Vorgänger.
Eine Telegraphenlinie, die Edgeworth 1763 zu seinem Privatgebrauch zwischen
London und Newmarket erbauen ließ, blieb ein vereinzelter Versuch.

Endlich gelang es 1789 den Brüdern Chappe, ein telegraphisches System
zu erfinden, das allen praktischen Zwecken genügte und in kurzer Zeit eine
sehr große Bedeutung erlangte, ganz besonders in Frankreich, dem Vaterlande
der Erfinder. Mit Hilfe von gegeneinander beweglichen Balken, die an Türmen
oder an hohen Gerüsten angebracht wurden, sodaß man ihre Stellung durch ein
Fernrohr auf weite Entfernungen zu erkennen vermochte, konnte man eine große
Zahl von Zeichen, insgesamt 196, durch verschiedenartige Kombination der
Balkenstellungen übertragen. Der später in Preußen benutzte Telegraph, der
einen Mast mit drei langen Armen an jeder Seite als Zeilengeber benutzte,
erlaubte sogar 4096 verschiedne Zeichen zu übermitteln.

Am 22. März 1792 legte Claude Chappe seine Erfindung der gesetz¬
gebenden Nationalversammlung vor und erhielt im folgenden Jahre vom
Nationalkonvent den Auftrag, nach seinem System eine Telegraphenlinie zwischen


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[0586] Die Entwicklung der optischen Telegraphie Nachrichten freizumachen; doch ist nicht bekannt geworden, ob die zweifellos ingeniöse Idee jemals praktische Verwendung gefunden hat. In der nachchristlichen Zeit kam man, wie in allen andern Dingen der Kultur, so auch in der Ausbildung der optischen Tclegraphie während mehrerer Jahrhunderte nicht über den Stand und die Kenntnisse des Altertums hinaus. Mit Ausnahme des Pharos in Alexandria, der bis in das zwölfte Jahr¬ hundert hinein als Leuchtturm diente, scheint sogar keiner von den alten Leucht¬ türmen seiner Bestimmung dauernd erhalten geblieben zu sein. Eine systema¬ tische Verwendung optischer Zeichen boten im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit eigentlich nur die Leuchttürme, die schon seit dem zwölften Jahrhundert infolge der Schiffährtsbedürfnisse der italienischen Städte und der Hansa neu zu Ehren gelangten. Der erste Leuchtturm der neuern Zeit wurde von den Pisanern 1157/58 auf der Insel Meloria errichtet; von deutschen Hansestädten folgte als erste Lübeck, die im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts einen Leuchtturm auf Falsterboe erbaute. Daß aber optische Signale im Mittelalter auch sonst gelegentlich Benutzung fanden, beweist die Tatsache, daß Herzog Rene von Lothringen vor der Schlacht bei Nancy (5. Januar 1477) den verbündeten Schweizern über die Köpfe des feindlichen Vurgunderheeres hinweg durch Feuerzeichen Nachrichten zugehn ließ. Erst im siebzehnten Jahrhundert machte jedoch die Sache der Telegraphie weitere Fortschritte. 1633 arbeitete der Marquis of Worcester, 1660 der Fran¬ zose Amontvns ein optisches Telegravhiersystem aus, und der Engländer Robert Hooke konstruierte 1684 die erste telegraphische Maschine. Trotzdem dauerte es noch bis ans Ende des achtzehnten Jahrhunderts, ehe die optische Tele¬ graphie wirklich zu praktischen Zwecken verwandt wurde. Zwar hatte schon 1750 Bergsträßer in Hanau den Vorschlag einer telegraphischen Flaggenlinie gemacht, doch kam diese Idee ebensowenig zur Ausführung wie ihre Vorgänger. Eine Telegraphenlinie, die Edgeworth 1763 zu seinem Privatgebrauch zwischen London und Newmarket erbauen ließ, blieb ein vereinzelter Versuch. Endlich gelang es 1789 den Brüdern Chappe, ein telegraphisches System zu erfinden, das allen praktischen Zwecken genügte und in kurzer Zeit eine sehr große Bedeutung erlangte, ganz besonders in Frankreich, dem Vaterlande der Erfinder. Mit Hilfe von gegeneinander beweglichen Balken, die an Türmen oder an hohen Gerüsten angebracht wurden, sodaß man ihre Stellung durch ein Fernrohr auf weite Entfernungen zu erkennen vermochte, konnte man eine große Zahl von Zeichen, insgesamt 196, durch verschiedenartige Kombination der Balkenstellungen übertragen. Der später in Preußen benutzte Telegraph, der einen Mast mit drei langen Armen an jeder Seite als Zeilengeber benutzte, erlaubte sogar 4096 verschiedne Zeichen zu übermitteln. Am 22. März 1792 legte Claude Chappe seine Erfindung der gesetz¬ gebenden Nationalversammlung vor und erhielt im folgenden Jahre vom Nationalkonvent den Auftrag, nach seinem System eine Telegraphenlinie zwischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/586>, abgerufen am 23.07.2024.