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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Zeit der "Herbstzeitlosen"

hatte aber, ohne freilich besondre Erfolge zu erreichen, der Krone zu ver-
schiednen malen schätzbare Dienste geleistet und konnte oben kaum auf besondern
Widerstand stoßen. Während der Reichstagssession im Winter 1875/76 begann
die Presse leise, ihn zu "lancieren". Daß das Ministerium untauglich und
darum zu beseitigen sei, darüber waren die Leser schon hinreichend unterrichtet.
Es sei Zeit, daß man wieder zum reinen und unverfälschten Liberalismus
zurückkehre, wie er zu den glorreichen Zeiten Schmerlings geblüht habe, das
jetzige Ministerium, dessen Präsident daheim kirchliche Paramente sticke, leide
an klerikalen Neigungen usw. Man sprach schon in Salons und Couloirs
unter den Eingeweihten vom kommenden Mann, und es schien sich eigentlich
nur noch um den schicklichen Anlaß zu handeln, bei dem der Stein ins Rollen
gebracht werden könne. Der Anlaß fand sich freilich nicht so leicht, denn das
Ministerium stand bei dem Monarchen, der Veränderungen durchaus nicht
liebt, noch im vollsten Vertrauen.

So kam der Februar 1876 heran, und das Ministerium war immer noch
nicht gestürzt. Der Wiener Journalisten- und Schriftstellerverein "Concordia"
hielt seinen Festvortragsabend, für den diesesmal der berühmte Münchner
Jurist Franz von Holtzendorff gewonnen worden war. Sein Vortrag sowie
das darauf folgende Bankett hatten in der Gartenbaugesellschaft das ganze
liberale Wien vereinigt, Journalisten, Abgeordnete und Börsenmänner waren
vollzählig versammelt, auch Schmerling war anwesend. Nach dem offiziellen
Dank an den Redner und dessen Erwiderung folgten noch einige Gaben
liberaler Beredsamkeit, die den üblichen Beifall entfesselten. Zum Schluß
erhob sich der zum Unterschied von seinem Bruder so genannte "Schützen-Kopp",
sprach über die Leiden des Liberalismus in der Gegenwart, verkündigte dessen
unvermeidlichen Sieg für die Zukunft und schloß mit einem Hoch auf den
"Minister Schmerling". Diese unerwartete Wendung lockte zunächst stürmischen
Beifall hervor, dem aber bald ein unverkennbares Unbehagen folgte. Schmerling
konnte ja wegen seiner Vergangenheit ganz unverfänglich "Minister" genannt
werden, aber man war eben nicht unbefangen. Das Wortspiel des Redners,
der wohl nur als Wissender hatte glänzen wollen, hatte zu viel verraten, die
Sache war noch lange nicht weit genug gediehen, daß sie an der Öffentlich¬
keit verhandelt werden konnte. Vor allem mußte die Eigenart des Monarchen
geschont und in Rechnung gezogen werden, daß er sich Ministerpräsidenten
durchaus nicht aufdringen ließ. Schmerling hielt zur Erwiderung zwar noch
eine Rede zu Ehren des Liberalismus, aber die Stimmung des Spätabends
war dahin, man sah in seiner Rede nicht das Programm der ersehnten
Zukunft, die durch den unglückseligen Zwischenfall wieder sehr unsicher ge¬
worden war.

Der Zustand der Verblüffung hielt an, die Zeitungen halfen sich über
die Verlegenheit des Augenblicks leicht hinweg, indem sie den bedeutungsvollen
Toast wie alles, was ihnen nicht paßte, einfach totschwiegen; aber in den


Aus der Zeit der „Herbstzeitlosen"

hatte aber, ohne freilich besondre Erfolge zu erreichen, der Krone zu ver-
schiednen malen schätzbare Dienste geleistet und konnte oben kaum auf besondern
Widerstand stoßen. Während der Reichstagssession im Winter 1875/76 begann
die Presse leise, ihn zu „lancieren". Daß das Ministerium untauglich und
darum zu beseitigen sei, darüber waren die Leser schon hinreichend unterrichtet.
Es sei Zeit, daß man wieder zum reinen und unverfälschten Liberalismus
zurückkehre, wie er zu den glorreichen Zeiten Schmerlings geblüht habe, das
jetzige Ministerium, dessen Präsident daheim kirchliche Paramente sticke, leide
an klerikalen Neigungen usw. Man sprach schon in Salons und Couloirs
unter den Eingeweihten vom kommenden Mann, und es schien sich eigentlich
nur noch um den schicklichen Anlaß zu handeln, bei dem der Stein ins Rollen
gebracht werden könne. Der Anlaß fand sich freilich nicht so leicht, denn das
Ministerium stand bei dem Monarchen, der Veränderungen durchaus nicht
liebt, noch im vollsten Vertrauen.

So kam der Februar 1876 heran, und das Ministerium war immer noch
nicht gestürzt. Der Wiener Journalisten- und Schriftstellerverein „Concordia"
hielt seinen Festvortragsabend, für den diesesmal der berühmte Münchner
Jurist Franz von Holtzendorff gewonnen worden war. Sein Vortrag sowie
das darauf folgende Bankett hatten in der Gartenbaugesellschaft das ganze
liberale Wien vereinigt, Journalisten, Abgeordnete und Börsenmänner waren
vollzählig versammelt, auch Schmerling war anwesend. Nach dem offiziellen
Dank an den Redner und dessen Erwiderung folgten noch einige Gaben
liberaler Beredsamkeit, die den üblichen Beifall entfesselten. Zum Schluß
erhob sich der zum Unterschied von seinem Bruder so genannte „Schützen-Kopp",
sprach über die Leiden des Liberalismus in der Gegenwart, verkündigte dessen
unvermeidlichen Sieg für die Zukunft und schloß mit einem Hoch auf den
„Minister Schmerling". Diese unerwartete Wendung lockte zunächst stürmischen
Beifall hervor, dem aber bald ein unverkennbares Unbehagen folgte. Schmerling
konnte ja wegen seiner Vergangenheit ganz unverfänglich „Minister" genannt
werden, aber man war eben nicht unbefangen. Das Wortspiel des Redners,
der wohl nur als Wissender hatte glänzen wollen, hatte zu viel verraten, die
Sache war noch lange nicht weit genug gediehen, daß sie an der Öffentlich¬
keit verhandelt werden konnte. Vor allem mußte die Eigenart des Monarchen
geschont und in Rechnung gezogen werden, daß er sich Ministerpräsidenten
durchaus nicht aufdringen ließ. Schmerling hielt zur Erwiderung zwar noch
eine Rede zu Ehren des Liberalismus, aber die Stimmung des Spätabends
war dahin, man sah in seiner Rede nicht das Programm der ersehnten
Zukunft, die durch den unglückseligen Zwischenfall wieder sehr unsicher ge¬
worden war.

Der Zustand der Verblüffung hielt an, die Zeitungen halfen sich über
die Verlegenheit des Augenblicks leicht hinweg, indem sie den bedeutungsvollen
Toast wie alles, was ihnen nicht paßte, einfach totschwiegen; aber in den


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[0582] Aus der Zeit der „Herbstzeitlosen" hatte aber, ohne freilich besondre Erfolge zu erreichen, der Krone zu ver- schiednen malen schätzbare Dienste geleistet und konnte oben kaum auf besondern Widerstand stoßen. Während der Reichstagssession im Winter 1875/76 begann die Presse leise, ihn zu „lancieren". Daß das Ministerium untauglich und darum zu beseitigen sei, darüber waren die Leser schon hinreichend unterrichtet. Es sei Zeit, daß man wieder zum reinen und unverfälschten Liberalismus zurückkehre, wie er zu den glorreichen Zeiten Schmerlings geblüht habe, das jetzige Ministerium, dessen Präsident daheim kirchliche Paramente sticke, leide an klerikalen Neigungen usw. Man sprach schon in Salons und Couloirs unter den Eingeweihten vom kommenden Mann, und es schien sich eigentlich nur noch um den schicklichen Anlaß zu handeln, bei dem der Stein ins Rollen gebracht werden könne. Der Anlaß fand sich freilich nicht so leicht, denn das Ministerium stand bei dem Monarchen, der Veränderungen durchaus nicht liebt, noch im vollsten Vertrauen. So kam der Februar 1876 heran, und das Ministerium war immer noch nicht gestürzt. Der Wiener Journalisten- und Schriftstellerverein „Concordia" hielt seinen Festvortragsabend, für den diesesmal der berühmte Münchner Jurist Franz von Holtzendorff gewonnen worden war. Sein Vortrag sowie das darauf folgende Bankett hatten in der Gartenbaugesellschaft das ganze liberale Wien vereinigt, Journalisten, Abgeordnete und Börsenmänner waren vollzählig versammelt, auch Schmerling war anwesend. Nach dem offiziellen Dank an den Redner und dessen Erwiderung folgten noch einige Gaben liberaler Beredsamkeit, die den üblichen Beifall entfesselten. Zum Schluß erhob sich der zum Unterschied von seinem Bruder so genannte „Schützen-Kopp", sprach über die Leiden des Liberalismus in der Gegenwart, verkündigte dessen unvermeidlichen Sieg für die Zukunft und schloß mit einem Hoch auf den „Minister Schmerling". Diese unerwartete Wendung lockte zunächst stürmischen Beifall hervor, dem aber bald ein unverkennbares Unbehagen folgte. Schmerling konnte ja wegen seiner Vergangenheit ganz unverfänglich „Minister" genannt werden, aber man war eben nicht unbefangen. Das Wortspiel des Redners, der wohl nur als Wissender hatte glänzen wollen, hatte zu viel verraten, die Sache war noch lange nicht weit genug gediehen, daß sie an der Öffentlich¬ keit verhandelt werden konnte. Vor allem mußte die Eigenart des Monarchen geschont und in Rechnung gezogen werden, daß er sich Ministerpräsidenten durchaus nicht aufdringen ließ. Schmerling hielt zur Erwiderung zwar noch eine Rede zu Ehren des Liberalismus, aber die Stimmung des Spätabends war dahin, man sah in seiner Rede nicht das Programm der ersehnten Zukunft, die durch den unglückseligen Zwischenfall wieder sehr unsicher ge¬ worden war. Der Zustand der Verblüffung hielt an, die Zeitungen halfen sich über die Verlegenheit des Augenblicks leicht hinweg, indem sie den bedeutungsvollen Toast wie alles, was ihnen nicht paßte, einfach totschwiegen; aber in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/582>, abgerufen am 23.07.2024.