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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Zeit der "Herbstzeitlosen"

Die Weltausstellung an sich verlief glänzend, der Besuch war großartig,
fast alle Fürsten Europas, unter ihnen Kaiser Wilhelm und Viktor Emanuel,
waren erschienen, man hatte Berlin wieder einmal überstrahlt. Aber der
äußerliche Glanz der Ausstellung litt nicht wenig durch den noch vor der
Eröffnung eingetretnen wirtschaftlichen Krach, der das Volksvermögen um
Millionen schädigte, und an dessen Nachwirkungen das Land noch viele Jahre
zu tragen hatte. Das war sehr unangenehm, die hauptstädtische Presse, ob¬
gleich sie sich selbst nicht schuldlos wußte, brauchte einen Schuldigen und
fand ihn nach französischem Muster im Ministerium. Dieses enthielt allerdings
Leute, die in der Gründerzeit nicht weniger gesündigt hatten als die Presse
selbst, aber das wäre ihnen leicht verziehen worden, wenn sie bereit gewesen
wären, nach dem Krache Millionen für die Börse und deren Kostgänger zu
opfern. Die Presse forderte es dringend, die liberale Partei wäre zur Be¬
willigung bereit gewesen, denn sie tat ja alles, was die Presse vorschrieb,
nur das Ministerium verhielt sich ablehnend. Damit hauptsächlich hatte es
die Gunst der sogenannten öffentlichen Meinung verscherzt, der Kampf der
Presse gegen das Ministerium begann und damit auch die Spaltung der
Partei in Fraktionen, zunächst in die "Alten" und die "Jungen". In der
damaligen Wiener Journalistik war unstreitig sehr viel Begabung vorhanden,
und sie hätte mit den besten Erfolgen wirken können, wäre ihr Charakter
ebenso ausgesprochen gewesen wie die Begabung. Darum ist aber auch ihr
Sündenregister doppelt so groß geworden, weil bei so reichen Talenten die
größten Erfolge möglich gewesen wären. Wer das parlamentarische Leben
jener Zeit kennt, der weiß, wie maßgebend sogar für die einflußreichsten
Parlamentarier Lob und Tadel der Zeitungen war, und daß nicht das Parla¬
ment die Presse beeinflußte, sondern daß im Gegenteil die Deutschliberalen
ihre politische Anregung bei den tonangebenden hauptstädtischen Blättern
suchten und fanden. Unter diesen Umständen ging die Wendung der Meinung
in der Partei mit raschen Schritten vor sich, und nach kaum einem Jahre war
auch die öffentliche Meinung sattsam darüber belehrt worden, daß das Ministerium
schleunigst durch ein besseres zu ersetzen sei.

Der Ofcnheimsche Prozeß und die Beseitigung des Handelsministers
Banhans im Frühjahre 1875, eigentlich ein Menetekel für den Börsen¬
liberalismus, nutzten die diesen ergebner Blätter, um die erregte Volksstimmung
von der Gründerwirtschaft abzulenken, direkt gegen das Ministerium aus. Die
offnen und versteckten Angriffe richteten sich namentlich gegen den Minister¬
präsidenten, dem man Unfähigkeit vorwarf, man witzelte über "das Ministerium
Auersperg. genannt Lasfer". Ein Auersperg war freilich schwer zu ersetzen,
unter der hohen Aristokratie hätte sich kein Nachfolger für ihn gefunden.
Aber lebte denn nicht Papa Schmerling noch, der bekannte "Vater der Ver¬
fassung", dessen Liberalismus doktrinärster Sorte allen Frondeuren gegen das
Ministerium recht sein mußte? Er gehörte zwar nicht dem höchsten Adel an,


Aus der Zeit der „Herbstzeitlosen"

Die Weltausstellung an sich verlief glänzend, der Besuch war großartig,
fast alle Fürsten Europas, unter ihnen Kaiser Wilhelm und Viktor Emanuel,
waren erschienen, man hatte Berlin wieder einmal überstrahlt. Aber der
äußerliche Glanz der Ausstellung litt nicht wenig durch den noch vor der
Eröffnung eingetretnen wirtschaftlichen Krach, der das Volksvermögen um
Millionen schädigte, und an dessen Nachwirkungen das Land noch viele Jahre
zu tragen hatte. Das war sehr unangenehm, die hauptstädtische Presse, ob¬
gleich sie sich selbst nicht schuldlos wußte, brauchte einen Schuldigen und
fand ihn nach französischem Muster im Ministerium. Dieses enthielt allerdings
Leute, die in der Gründerzeit nicht weniger gesündigt hatten als die Presse
selbst, aber das wäre ihnen leicht verziehen worden, wenn sie bereit gewesen
wären, nach dem Krache Millionen für die Börse und deren Kostgänger zu
opfern. Die Presse forderte es dringend, die liberale Partei wäre zur Be¬
willigung bereit gewesen, denn sie tat ja alles, was die Presse vorschrieb,
nur das Ministerium verhielt sich ablehnend. Damit hauptsächlich hatte es
die Gunst der sogenannten öffentlichen Meinung verscherzt, der Kampf der
Presse gegen das Ministerium begann und damit auch die Spaltung der
Partei in Fraktionen, zunächst in die „Alten" und die „Jungen". In der
damaligen Wiener Journalistik war unstreitig sehr viel Begabung vorhanden,
und sie hätte mit den besten Erfolgen wirken können, wäre ihr Charakter
ebenso ausgesprochen gewesen wie die Begabung. Darum ist aber auch ihr
Sündenregister doppelt so groß geworden, weil bei so reichen Talenten die
größten Erfolge möglich gewesen wären. Wer das parlamentarische Leben
jener Zeit kennt, der weiß, wie maßgebend sogar für die einflußreichsten
Parlamentarier Lob und Tadel der Zeitungen war, und daß nicht das Parla¬
ment die Presse beeinflußte, sondern daß im Gegenteil die Deutschliberalen
ihre politische Anregung bei den tonangebenden hauptstädtischen Blättern
suchten und fanden. Unter diesen Umständen ging die Wendung der Meinung
in der Partei mit raschen Schritten vor sich, und nach kaum einem Jahre war
auch die öffentliche Meinung sattsam darüber belehrt worden, daß das Ministerium
schleunigst durch ein besseres zu ersetzen sei.

Der Ofcnheimsche Prozeß und die Beseitigung des Handelsministers
Banhans im Frühjahre 1875, eigentlich ein Menetekel für den Börsen¬
liberalismus, nutzten die diesen ergebner Blätter, um die erregte Volksstimmung
von der Gründerwirtschaft abzulenken, direkt gegen das Ministerium aus. Die
offnen und versteckten Angriffe richteten sich namentlich gegen den Minister¬
präsidenten, dem man Unfähigkeit vorwarf, man witzelte über „das Ministerium
Auersperg. genannt Lasfer". Ein Auersperg war freilich schwer zu ersetzen,
unter der hohen Aristokratie hätte sich kein Nachfolger für ihn gefunden.
Aber lebte denn nicht Papa Schmerling noch, der bekannte „Vater der Ver¬
fassung", dessen Liberalismus doktrinärster Sorte allen Frondeuren gegen das
Ministerium recht sein mußte? Er gehörte zwar nicht dem höchsten Adel an,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/579>, abgerufen am 23.07.2024.