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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Zeit der "Herbstzeitlosen"

kleinliche Hartnäckigkeit der Dcutschliberalen ihnen -- freilich auch zum Nach¬
teil des Staates -- ihre politische Stellung und sogar die Aussicht auf eine
führende Rolle auch für die weitere Zukunft gekostet hat. Sie sind die
eigentlichen Schöpfer des "Systems Taaffe" gewesen, weil sie sich in die
Gutheißung des Berliner Vertrags und in die Festsetzung der Armeeorgani¬
sation nicht fügen wollten. Bei zwei so wichtigen Staatsnotwendigkeiten
mußte von der Regierung der Versuch gemacht werden, wie man das ohne sie
zustande bringen könne, und nachdem dies einmal gelungen war, ist bis auf
den heutigen Tag noch sehr vieles ohne sie zuwege gebracht worden. Wie
Vismarck treffend bemerkt hatte, war der große Fehler der Verfassungspartei
ein solcher, wie er den meisten liberalen Parteien eigen ist. Aus Doktrinarismus
verschloß man sich in der Regel den Geboten der harten Notwendigkeit, und
wenn dann schließlich die Macht der Tatsachen einen Teil der Partei zum
Nachgeben gezwungen hatte, war die Wirkung nach oben und nach unten schon
verloren. Denn die Opfer, die jetzt von der Bevölkerung doch übernommen
werden mußten, nachdem man vorher die Opposition dagegen geschürt hatte,
wurden nun mit größerm Widerwillen getragen, als es sonst der Fall gewesen
wäre, während die Regierung, statt durch freiwillige Gewährung zu Dank
verpflichtet zu sein, in ihrer Zuversicht auf die Opferwilligkeit, die Vaterlands¬
liebe und die politische Einsicht der Deutschliberalen immer mehr erschüttert
wurde. Die ersten Führer und Redner der Verfassungspartei: Herbst, Giskrci,
Rechbauer, Sturm, Steile u. a. bekämpften regelmäßig die Forderungen für
das Heer, sodaß das Armeebudget wiederholt gegen ihre Stimmen von den
Polen und den Ultramontanen bewilligt werden mußte. So untergruben aus
"freisinnigen" Bedenken und Lehrmeinungen die Deutschliberalen nicht nur das
Vertrauen, das sie beim Kaiser genossen, sondern sie entäußerten sich zugleich
auch ihres besten Rechts, maßgebend auf die Staatsgeschäfte einzuwirken. Und
wenn das noch einen praktischen Zweck gehabt Hütte! Aber alles, was die
Deutschliberalen ablehnten oder nur nach lungern Zögern annahmen, be¬
willigten Polen, Ultramontane und Feudale unverdrossen, denn die Haupt¬
kosten für die neuen Bewilligungen fielen auf die Schultern der Wühler der
Deutschliberalen. Das Hütten diese auch haben können, ohne durch grund¬
sätzliche Opposition die eigne Regierung zu erschüttern und das Zutrauen der
Krone aufs Spiel zu setzen.

Man hat auf dieser Seite nie begriffen, daß man dem wichtigsten aller
Titel und Rechte, einer maßgebenden Stellung in der Monarchie, in demselben
Augenblick entsagte, wo man sich an Eifer für die Sicherheit und die Gro߬
machtstellung der Monarchie von den slawischen und andern Mitbewerbern
übertreffen ließ. Und noch dazu nutzlos. Denn nur die freisinnige Doktrin
hatte man gerettet und behauptet, aber bezahlen mußte man, wofür sich andre
lieb Kind gemacht hatten. Man mag es den andern Verteidigern der Ver¬
fassungspartei wohl glauben, daß sie den besten Willen hatte, in Österreich


Aus der Zeit der „Herbstzeitlosen"

kleinliche Hartnäckigkeit der Dcutschliberalen ihnen — freilich auch zum Nach¬
teil des Staates — ihre politische Stellung und sogar die Aussicht auf eine
führende Rolle auch für die weitere Zukunft gekostet hat. Sie sind die
eigentlichen Schöpfer des „Systems Taaffe" gewesen, weil sie sich in die
Gutheißung des Berliner Vertrags und in die Festsetzung der Armeeorgani¬
sation nicht fügen wollten. Bei zwei so wichtigen Staatsnotwendigkeiten
mußte von der Regierung der Versuch gemacht werden, wie man das ohne sie
zustande bringen könne, und nachdem dies einmal gelungen war, ist bis auf
den heutigen Tag noch sehr vieles ohne sie zuwege gebracht worden. Wie
Vismarck treffend bemerkt hatte, war der große Fehler der Verfassungspartei
ein solcher, wie er den meisten liberalen Parteien eigen ist. Aus Doktrinarismus
verschloß man sich in der Regel den Geboten der harten Notwendigkeit, und
wenn dann schließlich die Macht der Tatsachen einen Teil der Partei zum
Nachgeben gezwungen hatte, war die Wirkung nach oben und nach unten schon
verloren. Denn die Opfer, die jetzt von der Bevölkerung doch übernommen
werden mußten, nachdem man vorher die Opposition dagegen geschürt hatte,
wurden nun mit größerm Widerwillen getragen, als es sonst der Fall gewesen
wäre, während die Regierung, statt durch freiwillige Gewährung zu Dank
verpflichtet zu sein, in ihrer Zuversicht auf die Opferwilligkeit, die Vaterlands¬
liebe und die politische Einsicht der Deutschliberalen immer mehr erschüttert
wurde. Die ersten Führer und Redner der Verfassungspartei: Herbst, Giskrci,
Rechbauer, Sturm, Steile u. a. bekämpften regelmäßig die Forderungen für
das Heer, sodaß das Armeebudget wiederholt gegen ihre Stimmen von den
Polen und den Ultramontanen bewilligt werden mußte. So untergruben aus
„freisinnigen" Bedenken und Lehrmeinungen die Deutschliberalen nicht nur das
Vertrauen, das sie beim Kaiser genossen, sondern sie entäußerten sich zugleich
auch ihres besten Rechts, maßgebend auf die Staatsgeschäfte einzuwirken. Und
wenn das noch einen praktischen Zweck gehabt Hütte! Aber alles, was die
Deutschliberalen ablehnten oder nur nach lungern Zögern annahmen, be¬
willigten Polen, Ultramontane und Feudale unverdrossen, denn die Haupt¬
kosten für die neuen Bewilligungen fielen auf die Schultern der Wühler der
Deutschliberalen. Das Hütten diese auch haben können, ohne durch grund¬
sätzliche Opposition die eigne Regierung zu erschüttern und das Zutrauen der
Krone aufs Spiel zu setzen.

Man hat auf dieser Seite nie begriffen, daß man dem wichtigsten aller
Titel und Rechte, einer maßgebenden Stellung in der Monarchie, in demselben
Augenblick entsagte, wo man sich an Eifer für die Sicherheit und die Gro߬
machtstellung der Monarchie von den slawischen und andern Mitbewerbern
übertreffen ließ. Und noch dazu nutzlos. Denn nur die freisinnige Doktrin
hatte man gerettet und behauptet, aber bezahlen mußte man, wofür sich andre
lieb Kind gemacht hatten. Man mag es den andern Verteidigern der Ver¬
fassungspartei wohl glauben, daß sie den besten Willen hatte, in Österreich


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[0575] Aus der Zeit der „Herbstzeitlosen" kleinliche Hartnäckigkeit der Dcutschliberalen ihnen — freilich auch zum Nach¬ teil des Staates — ihre politische Stellung und sogar die Aussicht auf eine führende Rolle auch für die weitere Zukunft gekostet hat. Sie sind die eigentlichen Schöpfer des „Systems Taaffe" gewesen, weil sie sich in die Gutheißung des Berliner Vertrags und in die Festsetzung der Armeeorgani¬ sation nicht fügen wollten. Bei zwei so wichtigen Staatsnotwendigkeiten mußte von der Regierung der Versuch gemacht werden, wie man das ohne sie zustande bringen könne, und nachdem dies einmal gelungen war, ist bis auf den heutigen Tag noch sehr vieles ohne sie zuwege gebracht worden. Wie Vismarck treffend bemerkt hatte, war der große Fehler der Verfassungspartei ein solcher, wie er den meisten liberalen Parteien eigen ist. Aus Doktrinarismus verschloß man sich in der Regel den Geboten der harten Notwendigkeit, und wenn dann schließlich die Macht der Tatsachen einen Teil der Partei zum Nachgeben gezwungen hatte, war die Wirkung nach oben und nach unten schon verloren. Denn die Opfer, die jetzt von der Bevölkerung doch übernommen werden mußten, nachdem man vorher die Opposition dagegen geschürt hatte, wurden nun mit größerm Widerwillen getragen, als es sonst der Fall gewesen wäre, während die Regierung, statt durch freiwillige Gewährung zu Dank verpflichtet zu sein, in ihrer Zuversicht auf die Opferwilligkeit, die Vaterlands¬ liebe und die politische Einsicht der Deutschliberalen immer mehr erschüttert wurde. Die ersten Führer und Redner der Verfassungspartei: Herbst, Giskrci, Rechbauer, Sturm, Steile u. a. bekämpften regelmäßig die Forderungen für das Heer, sodaß das Armeebudget wiederholt gegen ihre Stimmen von den Polen und den Ultramontanen bewilligt werden mußte. So untergruben aus „freisinnigen" Bedenken und Lehrmeinungen die Deutschliberalen nicht nur das Vertrauen, das sie beim Kaiser genossen, sondern sie entäußerten sich zugleich auch ihres besten Rechts, maßgebend auf die Staatsgeschäfte einzuwirken. Und wenn das noch einen praktischen Zweck gehabt Hütte! Aber alles, was die Deutschliberalen ablehnten oder nur nach lungern Zögern annahmen, be¬ willigten Polen, Ultramontane und Feudale unverdrossen, denn die Haupt¬ kosten für die neuen Bewilligungen fielen auf die Schultern der Wühler der Deutschliberalen. Das Hütten diese auch haben können, ohne durch grund¬ sätzliche Opposition die eigne Regierung zu erschüttern und das Zutrauen der Krone aufs Spiel zu setzen. Man hat auf dieser Seite nie begriffen, daß man dem wichtigsten aller Titel und Rechte, einer maßgebenden Stellung in der Monarchie, in demselben Augenblick entsagte, wo man sich an Eifer für die Sicherheit und die Gro߬ machtstellung der Monarchie von den slawischen und andern Mitbewerbern übertreffen ließ. Und noch dazu nutzlos. Denn nur die freisinnige Doktrin hatte man gerettet und behauptet, aber bezahlen mußte man, wofür sich andre lieb Kind gemacht hatten. Man mag es den andern Verteidigern der Ver¬ fassungspartei wohl glauben, daß sie den besten Willen hatte, in Österreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/575>, abgerufen am 23.07.2024.