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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

Punkt elf Uhr stehn wir über dem viclschlotigen Kaiserslautern, dem
Mittelpunkte des ganzen Industriegebietes, seit alter Zeit schon dem Hauptüber-
gangsplcitze von der Rheinebene nach Lothringen.

Die erreichte Höhe beträgt 2900 Meter, wir haben nur noch zwei Sack
Ballast, die müssen wir für die Landung aufsparen. So, Ernst, nun legt der
Führer das Schicksal der Reisenden in deine Hand, führe du uns jetzt so weit
noch, wie es dir gefüllt. Es ist, als verstünde es der Brave, er trügt nicht
umsonst seinen Namen zu Ehren eines gewandten Ballonführers und Vereins¬
mitgliedes aus fürstlichem Geblüte, Seiner Hoheit des Prinzen Ernst von Sachsen-
Altenburg. Ganz, ganz langsam sinkt er, in der halben Stunde nicht mehr als
200 Meter. Dann aber läßt er sich von der immer heißer brennenden Sonne
wieder etwas empvrziehn. So beschreibt der Barograph eine sanft absteigende
Wellenlinie, wie überhaupt die ganze Fahrtkurve an Gleichmäßigkeit nichts zu
wünschen läßt: niedrig und beinahe wagerecht in der Nacht, von Tagesanbruch
an ganz allmählich und fast ununterbrochen ansteigend. So geben wir uns
jetzt eine Zeit lang nur beschaulichem Genießen hin. der gute Ernst sorgt ja für
uns. Sollten wir plötzlich stark ins Fallen kommen, so merken wirs dann
schon am Druck im Ohre. Was ist das doch für eine köstliche Pfingstreise!
Überall sonst wimmelts in diesen Tagen von Touristen zu Fuß und zu Rad,
hier wimmelts -- vorläufig wenigstens -- noch nicht, und Zusammenstöße wie
der Automobilfahrer brauchen wir nicht zu fürchten. Das ist die rechte
Stimmung, noch eine letzte gemütliche Mahlzeit einzunehmen, sind wir doch
allein von den Damen unsers Nechtscmwalts mit einem Mundvorrat versehen
worden, so ausgesucht, als wärs für ein Festmahl, und so reichlich, als gälte
es eine Fahrt nach dem Nordpol. Die zwei Teile eines Blechkastens, dessen
Inhalt wir geleert haben, lassen wir hinabfallen. Volle fünf Minuten lang
können wir sie beobachten, wie sie im Sonnenglanz leuchtend hinabwirbeln,
wie sie gleichsam miteinander spielend sich seitwärts verfolgen oder fliehen
"ut endlich winzigen Sternchen ähnlich im Walde verschwinden.

So treiben wir schmausend und plaudernd an Landstuhl vorbei. Der
Westrich. wie dieser Teil des Pfälzer Hochlandes genannt wird, senkt sich nach
Nordwesten mit ziemlich scharfem Rande gegen eine langgestreckte schmale
Ebene, in der parallel zur alten Kaiserstraße die Eisenbahn von Kaiserslautern
nach dem Bliestal und Saargemünd geführt ist. Wir schweben über ihr
entlang bis Nombnrg in der Pfalz und Schloß Karlsberg, dann, unsrer alten
Richtung getreu, über den sich zwischen Pfalz und Reichslande hineindrängenden
kleinen südöstlichen Zipfel der Rheinprovinz hinweg. Vor uns liegt das dicht¬
bevölkerte Saartal. und darüber hinaus öffnet sich das Hügelland Lothringens,
M unsrer Linken im Süden höher, nach Norden zu mehr sich abdachend, wie
die Hardt von unzählbaren größern und kleinern Tälern durchfurcht.

Die Geschwindigkeit des Windes ist im Zunehmen. Noch eine gute
Stunde, und wir überfliegen die französische Grenze, denn unser Ernst zeigt


Luftreisen

Punkt elf Uhr stehn wir über dem viclschlotigen Kaiserslautern, dem
Mittelpunkte des ganzen Industriegebietes, seit alter Zeit schon dem Hauptüber-
gangsplcitze von der Rheinebene nach Lothringen.

Die erreichte Höhe beträgt 2900 Meter, wir haben nur noch zwei Sack
Ballast, die müssen wir für die Landung aufsparen. So, Ernst, nun legt der
Führer das Schicksal der Reisenden in deine Hand, führe du uns jetzt so weit
noch, wie es dir gefüllt. Es ist, als verstünde es der Brave, er trügt nicht
umsonst seinen Namen zu Ehren eines gewandten Ballonführers und Vereins¬
mitgliedes aus fürstlichem Geblüte, Seiner Hoheit des Prinzen Ernst von Sachsen-
Altenburg. Ganz, ganz langsam sinkt er, in der halben Stunde nicht mehr als
200 Meter. Dann aber läßt er sich von der immer heißer brennenden Sonne
wieder etwas empvrziehn. So beschreibt der Barograph eine sanft absteigende
Wellenlinie, wie überhaupt die ganze Fahrtkurve an Gleichmäßigkeit nichts zu
wünschen läßt: niedrig und beinahe wagerecht in der Nacht, von Tagesanbruch
an ganz allmählich und fast ununterbrochen ansteigend. So geben wir uns
jetzt eine Zeit lang nur beschaulichem Genießen hin. der gute Ernst sorgt ja für
uns. Sollten wir plötzlich stark ins Fallen kommen, so merken wirs dann
schon am Druck im Ohre. Was ist das doch für eine köstliche Pfingstreise!
Überall sonst wimmelts in diesen Tagen von Touristen zu Fuß und zu Rad,
hier wimmelts — vorläufig wenigstens — noch nicht, und Zusammenstöße wie
der Automobilfahrer brauchen wir nicht zu fürchten. Das ist die rechte
Stimmung, noch eine letzte gemütliche Mahlzeit einzunehmen, sind wir doch
allein von den Damen unsers Nechtscmwalts mit einem Mundvorrat versehen
worden, so ausgesucht, als wärs für ein Festmahl, und so reichlich, als gälte
es eine Fahrt nach dem Nordpol. Die zwei Teile eines Blechkastens, dessen
Inhalt wir geleert haben, lassen wir hinabfallen. Volle fünf Minuten lang
können wir sie beobachten, wie sie im Sonnenglanz leuchtend hinabwirbeln,
wie sie gleichsam miteinander spielend sich seitwärts verfolgen oder fliehen
»ut endlich winzigen Sternchen ähnlich im Walde verschwinden.

So treiben wir schmausend und plaudernd an Landstuhl vorbei. Der
Westrich. wie dieser Teil des Pfälzer Hochlandes genannt wird, senkt sich nach
Nordwesten mit ziemlich scharfem Rande gegen eine langgestreckte schmale
Ebene, in der parallel zur alten Kaiserstraße die Eisenbahn von Kaiserslautern
nach dem Bliestal und Saargemünd geführt ist. Wir schweben über ihr
entlang bis Nombnrg in der Pfalz und Schloß Karlsberg, dann, unsrer alten
Richtung getreu, über den sich zwischen Pfalz und Reichslande hineindrängenden
kleinen südöstlichen Zipfel der Rheinprovinz hinweg. Vor uns liegt das dicht¬
bevölkerte Saartal. und darüber hinaus öffnet sich das Hügelland Lothringens,
M unsrer Linken im Süden höher, nach Norden zu mehr sich abdachend, wie
die Hardt von unzählbaren größern und kleinern Tälern durchfurcht.

Die Geschwindigkeit des Windes ist im Zunehmen. Noch eine gute
Stunde, und wir überfliegen die französische Grenze, denn unser Ernst zeigt


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[0057] Luftreisen Punkt elf Uhr stehn wir über dem viclschlotigen Kaiserslautern, dem Mittelpunkte des ganzen Industriegebietes, seit alter Zeit schon dem Hauptüber- gangsplcitze von der Rheinebene nach Lothringen. Die erreichte Höhe beträgt 2900 Meter, wir haben nur noch zwei Sack Ballast, die müssen wir für die Landung aufsparen. So, Ernst, nun legt der Führer das Schicksal der Reisenden in deine Hand, führe du uns jetzt so weit noch, wie es dir gefüllt. Es ist, als verstünde es der Brave, er trügt nicht umsonst seinen Namen zu Ehren eines gewandten Ballonführers und Vereins¬ mitgliedes aus fürstlichem Geblüte, Seiner Hoheit des Prinzen Ernst von Sachsen- Altenburg. Ganz, ganz langsam sinkt er, in der halben Stunde nicht mehr als 200 Meter. Dann aber läßt er sich von der immer heißer brennenden Sonne wieder etwas empvrziehn. So beschreibt der Barograph eine sanft absteigende Wellenlinie, wie überhaupt die ganze Fahrtkurve an Gleichmäßigkeit nichts zu wünschen läßt: niedrig und beinahe wagerecht in der Nacht, von Tagesanbruch an ganz allmählich und fast ununterbrochen ansteigend. So geben wir uns jetzt eine Zeit lang nur beschaulichem Genießen hin. der gute Ernst sorgt ja für uns. Sollten wir plötzlich stark ins Fallen kommen, so merken wirs dann schon am Druck im Ohre. Was ist das doch für eine köstliche Pfingstreise! Überall sonst wimmelts in diesen Tagen von Touristen zu Fuß und zu Rad, hier wimmelts — vorläufig wenigstens — noch nicht, und Zusammenstöße wie der Automobilfahrer brauchen wir nicht zu fürchten. Das ist die rechte Stimmung, noch eine letzte gemütliche Mahlzeit einzunehmen, sind wir doch allein von den Damen unsers Nechtscmwalts mit einem Mundvorrat versehen worden, so ausgesucht, als wärs für ein Festmahl, und so reichlich, als gälte es eine Fahrt nach dem Nordpol. Die zwei Teile eines Blechkastens, dessen Inhalt wir geleert haben, lassen wir hinabfallen. Volle fünf Minuten lang können wir sie beobachten, wie sie im Sonnenglanz leuchtend hinabwirbeln, wie sie gleichsam miteinander spielend sich seitwärts verfolgen oder fliehen »ut endlich winzigen Sternchen ähnlich im Walde verschwinden. So treiben wir schmausend und plaudernd an Landstuhl vorbei. Der Westrich. wie dieser Teil des Pfälzer Hochlandes genannt wird, senkt sich nach Nordwesten mit ziemlich scharfem Rande gegen eine langgestreckte schmale Ebene, in der parallel zur alten Kaiserstraße die Eisenbahn von Kaiserslautern nach dem Bliestal und Saargemünd geführt ist. Wir schweben über ihr entlang bis Nombnrg in der Pfalz und Schloß Karlsberg, dann, unsrer alten Richtung getreu, über den sich zwischen Pfalz und Reichslande hineindrängenden kleinen südöstlichen Zipfel der Rheinprovinz hinweg. Vor uns liegt das dicht¬ bevölkerte Saartal. und darüber hinaus öffnet sich das Hügelland Lothringens, M unsrer Linken im Süden höher, nach Norden zu mehr sich abdachend, wie die Hardt von unzählbaren größern und kleinern Tälern durchfurcht. Die Geschwindigkeit des Windes ist im Zunehmen. Noch eine gute Stunde, und wir überfliegen die französische Grenze, denn unser Ernst zeigt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/57>, abgerufen am 23.07.2024.