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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Heimatsehnsucht

Und sie sann und grübelte, was sie tun, wie sie ihm helfen sollte, sich selbst
wiederzufinden, wieder der alte zu werden.

Schlug der Hausarzt, der ihn erst so kurze Zeit kannte, den rechten Weg ein?
Würden gesunde Luft, Ruhe und ein heiteres Gesicht allein es vollbringen? Wäre
es nicht vielleicht besser, eine Autorität zu Rate zu ziehen? Einen Psychiater, der
den Jrrgängen dieser ruhelosen Seele nachzuspüren verstünde?

Und dann erschrak sie vor den eignen Gedanken. Um Gottes willen, ihr Mann
war doch nicht geisteskrank? Es war nichts als die alte fixe Idee, dieser sonderbare
religiöse Starrsinn, der es nicht zulassen wollte, daß seine Knaben in einer evan¬
gelischen Schule aufwuchsen. Der unbeugsame Fanatismus, gegen den sie ein ganzes
Jahr lang mit allen Waffen der Mutterliebe gekcimpft hatte, bis das todkranke
Kind ihr die Waffen aus der Hand nahm und den Starrsinn des Vaters waffenlos
besiegte. Sollte die alte Not nun wieder von vorn beginnen?

Ach, wo war ein Freund, der ihr riet und half? Sie dachte an Hans Ncck-
linghcms, der Heinz ja seit den Jugendjahren kannte, ihm immer ein treuer Freund
gewesen war, und ihr schien es, als ob seine bloße Gegenwart, seine Heiterkeit, seine
Sympathie allein ihr schon Beruhigung und Trost gewähren würde. Ihr selber
wohl, aber auch Heinrich? Seit jenem Musikabend hatte sie ihn selten und flüchtig
gesehen, aber sie empfand doch mit jenem geheimnisvollen sechsten Sinne unsers
Wesens, daß eine leise Entfremdung zwischeu ihn und Heinrich getreten war. Wie
durfte sie es da wagen, ihn kommen zu lassen? Für ihren Frieden fürchtete sie
nicht, ihre Seele war rein und ruhig, in den langen Wochen am Krankenbett ihres
Kindes, in der neuen Sorge um den Gatten und der fast mütterlichen Pflege, die
sie ihm widmete, hatte sie sich selbst wieder gefunden, und alles andre Begehren,
das einmal flüchtig wie ein Windhauch über den klaren Spiegel ihrer Seele hin¬
geglitten, war vergessen. Aber um Heinrichs willen, um sei" Mißtrauen nicht zu
wecken, seine krankhafte Empfindlichkeit nicht zu reizen, durfte sie nicht daran denken,
den Freund herzuzitieren.

Sie lag stundenlang schlaflos und hielt Umschau nach einer treuen und starken
Hand, die hier helfen könnte. Auch Heinrich schlief nicht, sie hörte ihn sich unruhig
herumwerfen, manchmal stöhnte er leise, und als sie sich aufrichtete und im blassen
Dämmern der Mainacht hinüber spähte, sah sie ihn aufrecht im Bett sitzen und den
Oberkörper wie in Schmerzen hin und her wiegen.

Sogleich war sie auf und an seiner Seite. Fehlt dir etwas, Heinz? Willst
du nicht ein zweites Pulver nehmen, damit du schlafen kannst?

Nein, laß, es geht schon vorüber. Aber bleib bei mir, Maria, mir ist so angst.
Sind wir allein?

Ganz allein, liebes Herz. Wer sollte wohl hier sein?

Mir war, als hörte ich ein Rauschen und Flügelwehen, es strich so kalt über
mein Gesicht.

Vielleicht eine Fledermaus? suchte Maria ihn zu beruhigen und schauderte vor
Furcht und Kälte in ihrem dünnen Nachtgewande. Sie machte Licht, leuchtete das
ganze Zimmer ub, fand aber nichts. Dann mischte sie ihm eine beruhigende Limonade
und redete ihm zu, daß er ein zweites Schlafpulver nahm. Danach wurde er ruhiger,
und bald hörte Maria, die am Bettrande sitzend seine Hand hielt, ihn tief und leise
atmen. Sie wartete noch eine Weile, löste sacht ihre Hand aus der seinen und
schlich, halberstarrt in der Kühle des ungeheizten Zimmers, in ihr Bett zurück.

Mit weit offnen Augen lag sie und hörte in der von keinem äußerlichen Laut
unterbrochner Totenstille der schlafenden Frühlingsnacht auf das Kreisen und Singen
des Blutes in ihren Ohren. Und erschöpfte ihr Hirn in fruchtlosem Grübeln, bis
ihr endlich, wie eine Erlösung, der Gedanke an den alten Militärpfarrer, den
Freund ihrer Eltern kam, dem wollte sie schreiben, ihn bitten, sie einmal zu be-


Heimatsehnsucht

Und sie sann und grübelte, was sie tun, wie sie ihm helfen sollte, sich selbst
wiederzufinden, wieder der alte zu werden.

Schlug der Hausarzt, der ihn erst so kurze Zeit kannte, den rechten Weg ein?
Würden gesunde Luft, Ruhe und ein heiteres Gesicht allein es vollbringen? Wäre
es nicht vielleicht besser, eine Autorität zu Rate zu ziehen? Einen Psychiater, der
den Jrrgängen dieser ruhelosen Seele nachzuspüren verstünde?

Und dann erschrak sie vor den eignen Gedanken. Um Gottes willen, ihr Mann
war doch nicht geisteskrank? Es war nichts als die alte fixe Idee, dieser sonderbare
religiöse Starrsinn, der es nicht zulassen wollte, daß seine Knaben in einer evan¬
gelischen Schule aufwuchsen. Der unbeugsame Fanatismus, gegen den sie ein ganzes
Jahr lang mit allen Waffen der Mutterliebe gekcimpft hatte, bis das todkranke
Kind ihr die Waffen aus der Hand nahm und den Starrsinn des Vaters waffenlos
besiegte. Sollte die alte Not nun wieder von vorn beginnen?

Ach, wo war ein Freund, der ihr riet und half? Sie dachte an Hans Ncck-
linghcms, der Heinz ja seit den Jugendjahren kannte, ihm immer ein treuer Freund
gewesen war, und ihr schien es, als ob seine bloße Gegenwart, seine Heiterkeit, seine
Sympathie allein ihr schon Beruhigung und Trost gewähren würde. Ihr selber
wohl, aber auch Heinrich? Seit jenem Musikabend hatte sie ihn selten und flüchtig
gesehen, aber sie empfand doch mit jenem geheimnisvollen sechsten Sinne unsers
Wesens, daß eine leise Entfremdung zwischeu ihn und Heinrich getreten war. Wie
durfte sie es da wagen, ihn kommen zu lassen? Für ihren Frieden fürchtete sie
nicht, ihre Seele war rein und ruhig, in den langen Wochen am Krankenbett ihres
Kindes, in der neuen Sorge um den Gatten und der fast mütterlichen Pflege, die
sie ihm widmete, hatte sie sich selbst wieder gefunden, und alles andre Begehren,
das einmal flüchtig wie ein Windhauch über den klaren Spiegel ihrer Seele hin¬
geglitten, war vergessen. Aber um Heinrichs willen, um sei« Mißtrauen nicht zu
wecken, seine krankhafte Empfindlichkeit nicht zu reizen, durfte sie nicht daran denken,
den Freund herzuzitieren.

Sie lag stundenlang schlaflos und hielt Umschau nach einer treuen und starken
Hand, die hier helfen könnte. Auch Heinrich schlief nicht, sie hörte ihn sich unruhig
herumwerfen, manchmal stöhnte er leise, und als sie sich aufrichtete und im blassen
Dämmern der Mainacht hinüber spähte, sah sie ihn aufrecht im Bett sitzen und den
Oberkörper wie in Schmerzen hin und her wiegen.

Sogleich war sie auf und an seiner Seite. Fehlt dir etwas, Heinz? Willst
du nicht ein zweites Pulver nehmen, damit du schlafen kannst?

Nein, laß, es geht schon vorüber. Aber bleib bei mir, Maria, mir ist so angst.
Sind wir allein?

Ganz allein, liebes Herz. Wer sollte wohl hier sein?

Mir war, als hörte ich ein Rauschen und Flügelwehen, es strich so kalt über
mein Gesicht.

Vielleicht eine Fledermaus? suchte Maria ihn zu beruhigen und schauderte vor
Furcht und Kälte in ihrem dünnen Nachtgewande. Sie machte Licht, leuchtete das
ganze Zimmer ub, fand aber nichts. Dann mischte sie ihm eine beruhigende Limonade
und redete ihm zu, daß er ein zweites Schlafpulver nahm. Danach wurde er ruhiger,
und bald hörte Maria, die am Bettrande sitzend seine Hand hielt, ihn tief und leise
atmen. Sie wartete noch eine Weile, löste sacht ihre Hand aus der seinen und
schlich, halberstarrt in der Kühle des ungeheizten Zimmers, in ihr Bett zurück.

Mit weit offnen Augen lag sie und hörte in der von keinem äußerlichen Laut
unterbrochner Totenstille der schlafenden Frühlingsnacht auf das Kreisen und Singen
des Blutes in ihren Ohren. Und erschöpfte ihr Hirn in fruchtlosem Grübeln, bis
ihr endlich, wie eine Erlösung, der Gedanke an den alten Militärpfarrer, den
Freund ihrer Eltern kam, dem wollte sie schreiben, ihn bitten, sie einmal zu be-


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[0560] Heimatsehnsucht Und sie sann und grübelte, was sie tun, wie sie ihm helfen sollte, sich selbst wiederzufinden, wieder der alte zu werden. Schlug der Hausarzt, der ihn erst so kurze Zeit kannte, den rechten Weg ein? Würden gesunde Luft, Ruhe und ein heiteres Gesicht allein es vollbringen? Wäre es nicht vielleicht besser, eine Autorität zu Rate zu ziehen? Einen Psychiater, der den Jrrgängen dieser ruhelosen Seele nachzuspüren verstünde? Und dann erschrak sie vor den eignen Gedanken. Um Gottes willen, ihr Mann war doch nicht geisteskrank? Es war nichts als die alte fixe Idee, dieser sonderbare religiöse Starrsinn, der es nicht zulassen wollte, daß seine Knaben in einer evan¬ gelischen Schule aufwuchsen. Der unbeugsame Fanatismus, gegen den sie ein ganzes Jahr lang mit allen Waffen der Mutterliebe gekcimpft hatte, bis das todkranke Kind ihr die Waffen aus der Hand nahm und den Starrsinn des Vaters waffenlos besiegte. Sollte die alte Not nun wieder von vorn beginnen? Ach, wo war ein Freund, der ihr riet und half? Sie dachte an Hans Ncck- linghcms, der Heinz ja seit den Jugendjahren kannte, ihm immer ein treuer Freund gewesen war, und ihr schien es, als ob seine bloße Gegenwart, seine Heiterkeit, seine Sympathie allein ihr schon Beruhigung und Trost gewähren würde. Ihr selber wohl, aber auch Heinrich? Seit jenem Musikabend hatte sie ihn selten und flüchtig gesehen, aber sie empfand doch mit jenem geheimnisvollen sechsten Sinne unsers Wesens, daß eine leise Entfremdung zwischeu ihn und Heinrich getreten war. Wie durfte sie es da wagen, ihn kommen zu lassen? Für ihren Frieden fürchtete sie nicht, ihre Seele war rein und ruhig, in den langen Wochen am Krankenbett ihres Kindes, in der neuen Sorge um den Gatten und der fast mütterlichen Pflege, die sie ihm widmete, hatte sie sich selbst wieder gefunden, und alles andre Begehren, das einmal flüchtig wie ein Windhauch über den klaren Spiegel ihrer Seele hin¬ geglitten, war vergessen. Aber um Heinrichs willen, um sei« Mißtrauen nicht zu wecken, seine krankhafte Empfindlichkeit nicht zu reizen, durfte sie nicht daran denken, den Freund herzuzitieren. Sie lag stundenlang schlaflos und hielt Umschau nach einer treuen und starken Hand, die hier helfen könnte. Auch Heinrich schlief nicht, sie hörte ihn sich unruhig herumwerfen, manchmal stöhnte er leise, und als sie sich aufrichtete und im blassen Dämmern der Mainacht hinüber spähte, sah sie ihn aufrecht im Bett sitzen und den Oberkörper wie in Schmerzen hin und her wiegen. Sogleich war sie auf und an seiner Seite. Fehlt dir etwas, Heinz? Willst du nicht ein zweites Pulver nehmen, damit du schlafen kannst? Nein, laß, es geht schon vorüber. Aber bleib bei mir, Maria, mir ist so angst. Sind wir allein? Ganz allein, liebes Herz. Wer sollte wohl hier sein? Mir war, als hörte ich ein Rauschen und Flügelwehen, es strich so kalt über mein Gesicht. Vielleicht eine Fledermaus? suchte Maria ihn zu beruhigen und schauderte vor Furcht und Kälte in ihrem dünnen Nachtgewande. Sie machte Licht, leuchtete das ganze Zimmer ub, fand aber nichts. Dann mischte sie ihm eine beruhigende Limonade und redete ihm zu, daß er ein zweites Schlafpulver nahm. Danach wurde er ruhiger, und bald hörte Maria, die am Bettrande sitzend seine Hand hielt, ihn tief und leise atmen. Sie wartete noch eine Weile, löste sacht ihre Hand aus der seinen und schlich, halberstarrt in der Kühle des ungeheizten Zimmers, in ihr Bett zurück. Mit weit offnen Augen lag sie und hörte in der von keinem äußerlichen Laut unterbrochner Totenstille der schlafenden Frühlingsnacht auf das Kreisen und Singen des Blutes in ihren Ohren. Und erschöpfte ihr Hirn in fruchtlosem Grübeln, bis ihr endlich, wie eine Erlösung, der Gedanke an den alten Militärpfarrer, den Freund ihrer Eltern kam, dem wollte sie schreiben, ihn bitten, sie einmal zu be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/560>, abgerufen am 23.07.2024.