Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.Luftreisen Erweiterungen, wie das Welsche Loch am ringsumströmten Biedensand, das Wenig Minuten nach zehn wars, als wir den Rhein in 2500 Meter Luftreisen Erweiterungen, wie das Welsche Loch am ringsumströmten Biedensand, das Wenig Minuten nach zehn wars, als wir den Rhein in 2500 Meter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300555"/> <fw type="header" place="top"> Luftreisen</fw><lb/> <p xml:id="ID_133" prev="#ID_132"> Erweiterungen, wie das Welsche Loch am ringsumströmten Biedensand, das<lb/> halbmondförmige Becken bei Roxheim, ein Nest des Altrheins, und die Menge<lb/> großer und kleiner Inseln zu dem stündigen Bilde der Landschaft gehören. Auch<lb/> die Farbe des Wassers, ein Helles Graugrün, wäre zu zart für eine Über¬<lb/> schwemmung. Das Auge des Luftschiffers dringt bis auf den Grund der Fluten.<lb/> Hätte der grimme Hagen den Nibelungenhort hier versenkt, wir müßten ihn er¬<lb/> spähen können. Auf den Auen zu beiden Ufern des Rheines ist das gemähte<lb/> Gras zu Puppen aufgehäuft, uns erscheinen sie wie metallene Buckel auf<lb/> bronznem Schilde, von grünlicher Palma überzogen. Verödet dagegen liegt der<lb/> einst so gefeierte Rosengarten, durch den die Straße von Frau Ales Fürsten¬<lb/> abtei, ihrer und Siegfrieds letzter Ruhestatt, von Lorsch aus nach der Rhein¬<lb/> brücke und der treuen Kaiserstadt selbst führt. Unter den Kirchen von Worms<lb/> macht sich der Dom durch seine schlanken Rundtürme an den vier Ecken bemerkbar,<lb/> während seine Kuppeltürme verschwinden; daneben, durchs Glas wohl zu er¬<lb/> kennen, Lutherplatz und Lutherdenkmal. Den Lauf des Rheines verfolgen wir<lb/> aufwärts bis über die Einmündung des Neckars, über Mannheim und Ludwigs¬<lb/> hafen hinaus; und wären die Wolken im Südosten noch weiter zurückgewichen,<lb/> so würde am Ende der Bergstraße auch Heidelberg sichtbar sein. Dafür gibt<lb/> der duftige Wolkenkranz dem entzückenden Bilde einen malerischen Abschluß,<lb/> wirkungsvoller als nach der entgegengesetzten Seite der im zitternden Sonnen¬<lb/> licht verschwimmende Horizont.</p><lb/> <p xml:id="ID_134"> Wenig Minuten nach zehn wars, als wir den Rhein in 2500 Meter<lb/> Höhe überflogen. Jetzt erreichen wir ein wenig nördlich von Frcmtcnthcil die<lb/> bayrische Rheinpfalz, zunächst die noch zur oberrheinischen Tiefebene gehörende<lb/> Vorderpfalz. Ein Kranz von Städten umsäumt sie im Westen am steilen Ab¬<lb/> Hange der Hardt, es sind, von Neustadt im Süden anfangend, lauter wenigstens<lb/> in ihren Weinen uns wohlbekannte Orte: Mußbach, Königsbach, Ruppertsbcrg,<lb/> Deidesheim, Forst, Wachenheim, Dürkheim, Ungstein. Gleich darüber beginnt<lb/> schon die Hinterpfalz, das Hochland der Hardt. Reizende Bilder auch hier, aber<lb/> es fehlt das Großzügige der vorher geschauten Landschaft, wofür Auge und<lb/> Sinn so leicht empfänglich ist. Es fällt schwer, sich zurechtzufinden in diesem<lb/> Gewirr von bewaldeten Hügeln, von anmutigen Tälern und Tülchen, vielver-<lb/> schlungnen Straßen, von Schlössern und Burgen und Stätten des Gewerbfleißes,<lb/> die der Steinkohlenreichtum des Landes hat entstehn lassen. Und dazu — wir<lb/> müssens bekennen — sind unsre Augen nach mehr als zwölfstündigem an¬<lb/> gestrengtem Schauen, die letzten Stunden in blendendem Sonnenlicht, doch etwas<lb/> angegriffen. Ein scherzhafter Anblick belebt uns wieder: eine genau symmetrische<lb/> große Waldblöße mit Steinbrüchen oder Kalkgruben erinnert lebhaft an die in<lb/> unsrer Kindheit so beliebten Klecksphotographien, und unser Berliner Reisegefährte<lb/> zitiert ein Wort von Justinus Kerner:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l/> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
Luftreisen
Erweiterungen, wie das Welsche Loch am ringsumströmten Biedensand, das
halbmondförmige Becken bei Roxheim, ein Nest des Altrheins, und die Menge
großer und kleiner Inseln zu dem stündigen Bilde der Landschaft gehören. Auch
die Farbe des Wassers, ein Helles Graugrün, wäre zu zart für eine Über¬
schwemmung. Das Auge des Luftschiffers dringt bis auf den Grund der Fluten.
Hätte der grimme Hagen den Nibelungenhort hier versenkt, wir müßten ihn er¬
spähen können. Auf den Auen zu beiden Ufern des Rheines ist das gemähte
Gras zu Puppen aufgehäuft, uns erscheinen sie wie metallene Buckel auf
bronznem Schilde, von grünlicher Palma überzogen. Verödet dagegen liegt der
einst so gefeierte Rosengarten, durch den die Straße von Frau Ales Fürsten¬
abtei, ihrer und Siegfrieds letzter Ruhestatt, von Lorsch aus nach der Rhein¬
brücke und der treuen Kaiserstadt selbst führt. Unter den Kirchen von Worms
macht sich der Dom durch seine schlanken Rundtürme an den vier Ecken bemerkbar,
während seine Kuppeltürme verschwinden; daneben, durchs Glas wohl zu er¬
kennen, Lutherplatz und Lutherdenkmal. Den Lauf des Rheines verfolgen wir
aufwärts bis über die Einmündung des Neckars, über Mannheim und Ludwigs¬
hafen hinaus; und wären die Wolken im Südosten noch weiter zurückgewichen,
so würde am Ende der Bergstraße auch Heidelberg sichtbar sein. Dafür gibt
der duftige Wolkenkranz dem entzückenden Bilde einen malerischen Abschluß,
wirkungsvoller als nach der entgegengesetzten Seite der im zitternden Sonnen¬
licht verschwimmende Horizont.
Wenig Minuten nach zehn wars, als wir den Rhein in 2500 Meter
Höhe überflogen. Jetzt erreichen wir ein wenig nördlich von Frcmtcnthcil die
bayrische Rheinpfalz, zunächst die noch zur oberrheinischen Tiefebene gehörende
Vorderpfalz. Ein Kranz von Städten umsäumt sie im Westen am steilen Ab¬
Hange der Hardt, es sind, von Neustadt im Süden anfangend, lauter wenigstens
in ihren Weinen uns wohlbekannte Orte: Mußbach, Königsbach, Ruppertsbcrg,
Deidesheim, Forst, Wachenheim, Dürkheim, Ungstein. Gleich darüber beginnt
schon die Hinterpfalz, das Hochland der Hardt. Reizende Bilder auch hier, aber
es fehlt das Großzügige der vorher geschauten Landschaft, wofür Auge und
Sinn so leicht empfänglich ist. Es fällt schwer, sich zurechtzufinden in diesem
Gewirr von bewaldeten Hügeln, von anmutigen Tälern und Tülchen, vielver-
schlungnen Straßen, von Schlössern und Burgen und Stätten des Gewerbfleißes,
die der Steinkohlenreichtum des Landes hat entstehn lassen. Und dazu — wir
müssens bekennen — sind unsre Augen nach mehr als zwölfstündigem an¬
gestrengtem Schauen, die letzten Stunden in blendendem Sonnenlicht, doch etwas
angegriffen. Ein scherzhafter Anblick belebt uns wieder: eine genau symmetrische
große Waldblöße mit Steinbrüchen oder Kalkgruben erinnert lebhaft an die in
unsrer Kindheit so beliebten Klecksphotographien, und unser Berliner Reisegefährte
zitiert ein Wort von Justinus Kerner:
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |