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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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sein und sich mit Auswanderungsgedanken tragen. Möglich, daß sie sich nach den
letzten Ereignissen und Zugeständnissen der Krone zum Bleiben bewegen lassen:
im Interesse der Kolonisierung von Transkaspien wäre es zu wünschen. Auf uns
machten diese "Milchtrinker", wie ihr Name in deutscher Übersetzung lautet,
einen recht guten Eindruck, trotz einer gewissen auf unsern Geldbeutel und unsre
Abfahrtwünsche gerichteten Pfiffigkeit. Erst gegen vier Uhr waren unsre Kutscher,
so sehr wir auch drängten, zur Abfahrt bereit. Dann aber brachten sie uns, n>n
dem Hundewetter in den höhern Bergregionen zu entfliehn, in unglaublich kurzer
Zeit nach der Poststation Kurtsch-Sön und lieferten uns nach dreiundeinhalb-
stiindiger Fahrt (48 Kilometer Weg) wohlbehalten bei Madame Gittard ab.
Fast rührend war des Polizeimeisters Sorge um unser Wohl. Zweimal hatte
er sich erkundigen lassen, und am nächsten Morgen sprach er selber vor, um
sich zu vergewissern, ob uns nichts zugestoßen sei, denn er hatte Land und
Leuten nicht getraut. Wir aber hatten nichts verdächtiges und von dem leb¬
haften Verkehr außer der Lastwagenkolvnne an der Grenze nur eine ans Persien
kommende Kamelkarawane gesehen, die in Kurtsch-Sön zur Ruhe überging. Sie
brachte Wolle, Tierhäute, Seidenwaren und Teppiche in großen Warmhalten.
Es sind dieses die Haupteinfuhrartikel aus Persien, die teils zu Lande weiter
nach Chiwci und Buchara, teils über Krasnodowsk nach Nußland gehn. Der
Umfang dieses Handels ergibt sich daraus, daß schon im Jahre 1899 gegen
tausend Karawanen mit 56576 Kamelen. 2223 Pferden und 25080 Maultieren
das Hnnptzollamt passierten und außerdem eine Anzahl Frachtfnhrleute zwischen
Meschhed und Aschabad in ständigen Warenaustausch tätig siud. Die Einfuhr¬
ziffer betrug in dem genannten Jahre 2366912 Rubel; für die eingeführten
Waren wurden 449298 Rubel an Zoll entrichtet. Die Ausfuhr nach Persien,
die sich besonders auf Petroleum, Zucker und Manufakturwaren erstreckte, er¬
reichte annähernd dieselben Wertzahlen.

Der Handel konzentriert sich in zahlreichen Läden und Magazinen, im
russischen Gostinnij Door und in einer ganzen Anzahl Karawansereien und
wird von Russen, Armeniern, Kankasiern, Persern, Chiwesen und Juden be¬
trieben. Das Haudelsviertel entbehrt jedoch durchaus des Reizes, den das
vielgeschäftige, buntbewegte Treiben, die Urtümlichkeit in den Lebensverhältnissen
der Bewohner des Orients anderwärts bietet. Der Handel nähert sich auch
Formen, die dem Europäer geläufiger siud, und mit denen die asiatischen Händler
w dieser jungen Stadt haben rechnen lernen. Man kauft darum hier nicht
billig und preiswert, wenn man kaufen will. Wenn man das Angebot er¬
warten kann, ist man jedoch in der Lage, sich so wunderbar schöne Teppiche
Zu erwerben, wie sie die Zimmer des Generalkommandos schmücken.




Grenzboten IV 190671

sein und sich mit Auswanderungsgedanken tragen. Möglich, daß sie sich nach den
letzten Ereignissen und Zugeständnissen der Krone zum Bleiben bewegen lassen:
im Interesse der Kolonisierung von Transkaspien wäre es zu wünschen. Auf uns
machten diese „Milchtrinker", wie ihr Name in deutscher Übersetzung lautet,
einen recht guten Eindruck, trotz einer gewissen auf unsern Geldbeutel und unsre
Abfahrtwünsche gerichteten Pfiffigkeit. Erst gegen vier Uhr waren unsre Kutscher,
so sehr wir auch drängten, zur Abfahrt bereit. Dann aber brachten sie uns, n>n
dem Hundewetter in den höhern Bergregionen zu entfliehn, in unglaublich kurzer
Zeit nach der Poststation Kurtsch-Sön und lieferten uns nach dreiundeinhalb-
stiindiger Fahrt (48 Kilometer Weg) wohlbehalten bei Madame Gittard ab.
Fast rührend war des Polizeimeisters Sorge um unser Wohl. Zweimal hatte
er sich erkundigen lassen, und am nächsten Morgen sprach er selber vor, um
sich zu vergewissern, ob uns nichts zugestoßen sei, denn er hatte Land und
Leuten nicht getraut. Wir aber hatten nichts verdächtiges und von dem leb¬
haften Verkehr außer der Lastwagenkolvnne an der Grenze nur eine ans Persien
kommende Kamelkarawane gesehen, die in Kurtsch-Sön zur Ruhe überging. Sie
brachte Wolle, Tierhäute, Seidenwaren und Teppiche in großen Warmhalten.
Es sind dieses die Haupteinfuhrartikel aus Persien, die teils zu Lande weiter
nach Chiwci und Buchara, teils über Krasnodowsk nach Nußland gehn. Der
Umfang dieses Handels ergibt sich daraus, daß schon im Jahre 1899 gegen
tausend Karawanen mit 56576 Kamelen. 2223 Pferden und 25080 Maultieren
das Hnnptzollamt passierten und außerdem eine Anzahl Frachtfnhrleute zwischen
Meschhed und Aschabad in ständigen Warenaustausch tätig siud. Die Einfuhr¬
ziffer betrug in dem genannten Jahre 2366912 Rubel; für die eingeführten
Waren wurden 449298 Rubel an Zoll entrichtet. Die Ausfuhr nach Persien,
die sich besonders auf Petroleum, Zucker und Manufakturwaren erstreckte, er¬
reichte annähernd dieselben Wertzahlen.

Der Handel konzentriert sich in zahlreichen Läden und Magazinen, im
russischen Gostinnij Door und in einer ganzen Anzahl Karawansereien und
wird von Russen, Armeniern, Kankasiern, Persern, Chiwesen und Juden be¬
trieben. Das Haudelsviertel entbehrt jedoch durchaus des Reizes, den das
vielgeschäftige, buntbewegte Treiben, die Urtümlichkeit in den Lebensverhältnissen
der Bewohner des Orients anderwärts bietet. Der Handel nähert sich auch
Formen, die dem Europäer geläufiger siud, und mit denen die asiatischen Händler
w dieser jungen Stadt haben rechnen lernen. Man kauft darum hier nicht
billig und preiswert, wenn man kaufen will. Wenn man das Angebot er¬
warten kann, ist man jedoch in der Lage, sich so wunderbar schöne Teppiche
Zu erwerben, wie sie die Zimmer des Generalkommandos schmücken.




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[0557] sein und sich mit Auswanderungsgedanken tragen. Möglich, daß sie sich nach den letzten Ereignissen und Zugeständnissen der Krone zum Bleiben bewegen lassen: im Interesse der Kolonisierung von Transkaspien wäre es zu wünschen. Auf uns machten diese „Milchtrinker", wie ihr Name in deutscher Übersetzung lautet, einen recht guten Eindruck, trotz einer gewissen auf unsern Geldbeutel und unsre Abfahrtwünsche gerichteten Pfiffigkeit. Erst gegen vier Uhr waren unsre Kutscher, so sehr wir auch drängten, zur Abfahrt bereit. Dann aber brachten sie uns, n>n dem Hundewetter in den höhern Bergregionen zu entfliehn, in unglaublich kurzer Zeit nach der Poststation Kurtsch-Sön und lieferten uns nach dreiundeinhalb- stiindiger Fahrt (48 Kilometer Weg) wohlbehalten bei Madame Gittard ab. Fast rührend war des Polizeimeisters Sorge um unser Wohl. Zweimal hatte er sich erkundigen lassen, und am nächsten Morgen sprach er selber vor, um sich zu vergewissern, ob uns nichts zugestoßen sei, denn er hatte Land und Leuten nicht getraut. Wir aber hatten nichts verdächtiges und von dem leb¬ haften Verkehr außer der Lastwagenkolvnne an der Grenze nur eine ans Persien kommende Kamelkarawane gesehen, die in Kurtsch-Sön zur Ruhe überging. Sie brachte Wolle, Tierhäute, Seidenwaren und Teppiche in großen Warmhalten. Es sind dieses die Haupteinfuhrartikel aus Persien, die teils zu Lande weiter nach Chiwci und Buchara, teils über Krasnodowsk nach Nußland gehn. Der Umfang dieses Handels ergibt sich daraus, daß schon im Jahre 1899 gegen tausend Karawanen mit 56576 Kamelen. 2223 Pferden und 25080 Maultieren das Hnnptzollamt passierten und außerdem eine Anzahl Frachtfnhrleute zwischen Meschhed und Aschabad in ständigen Warenaustausch tätig siud. Die Einfuhr¬ ziffer betrug in dem genannten Jahre 2366912 Rubel; für die eingeführten Waren wurden 449298 Rubel an Zoll entrichtet. Die Ausfuhr nach Persien, die sich besonders auf Petroleum, Zucker und Manufakturwaren erstreckte, er¬ reichte annähernd dieselben Wertzahlen. Der Handel konzentriert sich in zahlreichen Läden und Magazinen, im russischen Gostinnij Door und in einer ganzen Anzahl Karawansereien und wird von Russen, Armeniern, Kankasiern, Persern, Chiwesen und Juden be¬ trieben. Das Haudelsviertel entbehrt jedoch durchaus des Reizes, den das vielgeschäftige, buntbewegte Treiben, die Urtümlichkeit in den Lebensverhältnissen der Bewohner des Orients anderwärts bietet. Der Handel nähert sich auch Formen, die dem Europäer geläufiger siud, und mit denen die asiatischen Händler w dieser jungen Stadt haben rechnen lernen. Man kauft darum hier nicht billig und preiswert, wenn man kaufen will. Wenn man das Angebot er¬ warten kann, ist man jedoch in der Lage, sich so wunderbar schöne Teppiche Zu erwerben, wie sie die Zimmer des Generalkommandos schmücken. Grenzboten IV 190671

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/557>, abgerufen am 23.07.2024.