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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Liebesbriefe

Beachtung verdienen auch die Briefe, die zu schwerer Zeit zwischen Carl
von Clausewitz und seiner Braut gewechselt worden sind. Diese berichtet das
Wort einer preußischen Prinzessin: "Wie sonderbar, daß es noch Menschen
geben kann, Thoren möchte ich sie beinahe nennen oder vielmehr unglücklich
geleitete, welche nicht einsehen, daß Liebe das einzige wahre Gute in der Welt
ist, daß wir nur darum leben, uns nur darum Unsterblichkeit versprechen können,
und uns nur darum ein Himmel reizen kann, und daß er nur daraus ge¬
bildet sein kann. Wir wollen sie bedauern, sie sind die Unglücklicheren."
Werther und Lotte werden zitiert, auch Max und Thekla. (Kleist hatte den
"Wallenstein" schon 1800 seiner Wilhelmine mit den Worten gesandt: "Alles,
was Max Piccolomini sagt, möge, wenn es einige Ähnlichkeit hat, für mich
gelten, alles, was Thekla sagt, soll, wenn es einige Ähnlichkeit hat, für Dich
gelten.")

Justinus Kerners Liebesbriefe sind, wie die Mehrzahl seiner Gedichte,
von süßer Wehmut erfüllt. Tiefer Ernst spricht auch aus denen, die uns
von Wilhelm von Humboldt mitgeteilt werden. "Ich möchte Dir, redet er die
Freundin Johanna Motherby an, heiter und leicht schreiben, um Dich froh
und heiter zu machen. Aber es will mir nicht gelingen." Tändelnd sind die
Episteln gehalten, die dieselbe Frau von dem wackern Kämpen E. M. Arndt
empfing. Anreden wie "kleine Lieblingin", "liebstes Seelchen", "kleines
flatterndes Täubchen" klingen ans seinem Munde seltsam. Karl Maria
von Weber dürfen wir im herbsten Schmerz und im schelmischsten Übermut
beobachten.

Die jugendliche Glut in den Ergießungen Waiblingers, Raimunds Gebet
an die Jungfrau Maria, unter deren Bilde er sich ohne priesterlichen Segen
mit der Geliebten vermählt, die Liebestragödie der Charlotte Stieglitz, deren
Glück wir bis zum Höhepunkte steigen, sich verdüstern und so grausam mit ihrem
freiwilligen Tode enden sehen, alles das fesselt den Leser nicht wenig.

Vom feinsten psychologischen und teilweise auch poetischen Reiz sind die
Briefe Mörikes, einen grellen Mißklang dagegen geben die sich anschließenden
Blätter von Grabbes Hand. Der Herausgeber hätte hier übrigens, nament¬
lich im Hinblick auf das im Anhang abgedruckte Schreiben an Immermann,
nicht ungesagt lassen dürfen, daß Grabbes Behauptungen, soweit sie seine
Frau betreffen, mit Vorsicht aufzunehmen sind. Immermann wenigstens er¬
klärte, Grabbes Ansprüche an das Vermögen seiner Gattin seien einer fixen
Idee entsprungen.*)

Von Immermann selbst sind einige schöne Briefe aufgenommen worden,
die von seinem späten Liebesglück ergreifende Kunde geben. Wie Schleier¬
macher seiner Henriette gegenüber empfand der Dichter des "Münchhausen"



*) Vgl. meinen Aufsatz in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung vom 13. No¬
vember 1904.
Deutsche Liebesbriefe

Beachtung verdienen auch die Briefe, die zu schwerer Zeit zwischen Carl
von Clausewitz und seiner Braut gewechselt worden sind. Diese berichtet das
Wort einer preußischen Prinzessin: „Wie sonderbar, daß es noch Menschen
geben kann, Thoren möchte ich sie beinahe nennen oder vielmehr unglücklich
geleitete, welche nicht einsehen, daß Liebe das einzige wahre Gute in der Welt
ist, daß wir nur darum leben, uns nur darum Unsterblichkeit versprechen können,
und uns nur darum ein Himmel reizen kann, und daß er nur daraus ge¬
bildet sein kann. Wir wollen sie bedauern, sie sind die Unglücklicheren."
Werther und Lotte werden zitiert, auch Max und Thekla. (Kleist hatte den
„Wallenstein" schon 1800 seiner Wilhelmine mit den Worten gesandt: „Alles,
was Max Piccolomini sagt, möge, wenn es einige Ähnlichkeit hat, für mich
gelten, alles, was Thekla sagt, soll, wenn es einige Ähnlichkeit hat, für Dich
gelten.")

Justinus Kerners Liebesbriefe sind, wie die Mehrzahl seiner Gedichte,
von süßer Wehmut erfüllt. Tiefer Ernst spricht auch aus denen, die uns
von Wilhelm von Humboldt mitgeteilt werden. „Ich möchte Dir, redet er die
Freundin Johanna Motherby an, heiter und leicht schreiben, um Dich froh
und heiter zu machen. Aber es will mir nicht gelingen." Tändelnd sind die
Episteln gehalten, die dieselbe Frau von dem wackern Kämpen E. M. Arndt
empfing. Anreden wie „kleine Lieblingin", „liebstes Seelchen", „kleines
flatterndes Täubchen" klingen ans seinem Munde seltsam. Karl Maria
von Weber dürfen wir im herbsten Schmerz und im schelmischsten Übermut
beobachten.

Die jugendliche Glut in den Ergießungen Waiblingers, Raimunds Gebet
an die Jungfrau Maria, unter deren Bilde er sich ohne priesterlichen Segen
mit der Geliebten vermählt, die Liebestragödie der Charlotte Stieglitz, deren
Glück wir bis zum Höhepunkte steigen, sich verdüstern und so grausam mit ihrem
freiwilligen Tode enden sehen, alles das fesselt den Leser nicht wenig.

Vom feinsten psychologischen und teilweise auch poetischen Reiz sind die
Briefe Mörikes, einen grellen Mißklang dagegen geben die sich anschließenden
Blätter von Grabbes Hand. Der Herausgeber hätte hier übrigens, nament¬
lich im Hinblick auf das im Anhang abgedruckte Schreiben an Immermann,
nicht ungesagt lassen dürfen, daß Grabbes Behauptungen, soweit sie seine
Frau betreffen, mit Vorsicht aufzunehmen sind. Immermann wenigstens er¬
klärte, Grabbes Ansprüche an das Vermögen seiner Gattin seien einer fixen
Idee entsprungen.*)

Von Immermann selbst sind einige schöne Briefe aufgenommen worden,
die von seinem späten Liebesglück ergreifende Kunde geben. Wie Schleier¬
macher seiner Henriette gegenüber empfand der Dichter des „Münchhausen"



*) Vgl. meinen Aufsatz in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung vom 13. No¬
vember 1904.
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[0542] Deutsche Liebesbriefe Beachtung verdienen auch die Briefe, die zu schwerer Zeit zwischen Carl von Clausewitz und seiner Braut gewechselt worden sind. Diese berichtet das Wort einer preußischen Prinzessin: „Wie sonderbar, daß es noch Menschen geben kann, Thoren möchte ich sie beinahe nennen oder vielmehr unglücklich geleitete, welche nicht einsehen, daß Liebe das einzige wahre Gute in der Welt ist, daß wir nur darum leben, uns nur darum Unsterblichkeit versprechen können, und uns nur darum ein Himmel reizen kann, und daß er nur daraus ge¬ bildet sein kann. Wir wollen sie bedauern, sie sind die Unglücklicheren." Werther und Lotte werden zitiert, auch Max und Thekla. (Kleist hatte den „Wallenstein" schon 1800 seiner Wilhelmine mit den Worten gesandt: „Alles, was Max Piccolomini sagt, möge, wenn es einige Ähnlichkeit hat, für mich gelten, alles, was Thekla sagt, soll, wenn es einige Ähnlichkeit hat, für Dich gelten.") Justinus Kerners Liebesbriefe sind, wie die Mehrzahl seiner Gedichte, von süßer Wehmut erfüllt. Tiefer Ernst spricht auch aus denen, die uns von Wilhelm von Humboldt mitgeteilt werden. „Ich möchte Dir, redet er die Freundin Johanna Motherby an, heiter und leicht schreiben, um Dich froh und heiter zu machen. Aber es will mir nicht gelingen." Tändelnd sind die Episteln gehalten, die dieselbe Frau von dem wackern Kämpen E. M. Arndt empfing. Anreden wie „kleine Lieblingin", „liebstes Seelchen", „kleines flatterndes Täubchen" klingen ans seinem Munde seltsam. Karl Maria von Weber dürfen wir im herbsten Schmerz und im schelmischsten Übermut beobachten. Die jugendliche Glut in den Ergießungen Waiblingers, Raimunds Gebet an die Jungfrau Maria, unter deren Bilde er sich ohne priesterlichen Segen mit der Geliebten vermählt, die Liebestragödie der Charlotte Stieglitz, deren Glück wir bis zum Höhepunkte steigen, sich verdüstern und so grausam mit ihrem freiwilligen Tode enden sehen, alles das fesselt den Leser nicht wenig. Vom feinsten psychologischen und teilweise auch poetischen Reiz sind die Briefe Mörikes, einen grellen Mißklang dagegen geben die sich anschließenden Blätter von Grabbes Hand. Der Herausgeber hätte hier übrigens, nament¬ lich im Hinblick auf das im Anhang abgedruckte Schreiben an Immermann, nicht ungesagt lassen dürfen, daß Grabbes Behauptungen, soweit sie seine Frau betreffen, mit Vorsicht aufzunehmen sind. Immermann wenigstens er¬ klärte, Grabbes Ansprüche an das Vermögen seiner Gattin seien einer fixen Idee entsprungen.*) Von Immermann selbst sind einige schöne Briefe aufgenommen worden, die von seinem späten Liebesglück ergreifende Kunde geben. Wie Schleier¬ macher seiner Henriette gegenüber empfand der Dichter des „Münchhausen" *) Vgl. meinen Aufsatz in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung vom 13. No¬ vember 1904.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/542>, abgerufen am 23.07.2024.