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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Liebesbriefe

Einen bedeutenden Fortschritt erkennen wir in den Briefen der Louise
Adelgunde Victorie Culmus. Nichts von der Schwerfälligkeit früherer Proben,
die mehr oder weniger vom Kanzleistil beeinflußt sind, ist hier zu gewahren,
keine Phrasen, keine Überschwenglichkeiten! Mit sichrer Ruhe spricht die
Schreiberin über die Lüsterungen, die andre, um sie bei Gottsched anzuschwärzen,
gegen sie erhoben haben; sie macht nicht den geringsten Versuch, diesen dadurch,
daß sie sich ihm in möglichst günstigem Lichte darstellt, an sich heranzuziehen,
im Gegenteil, sie sucht sich selbst aller Vorzüge zu entkleiden. "Glauben Sie,
schreibt sie dem Freunde, daß ich Ihnen lieber meine guten Eigenschaften (wenn
ich deren besüße) verheelen würde, als meine Fehler. Nach meiner Denkungs-
art wünsche ich geliebt zu seyn, so wie ich bin, und nicht, wie ich seyn
sollte." Ferner bittet sie Gottsched: "Machen Sie Ihren Freunden kein gar
zu reihendes Bild von mir. Mau verliert zu viel, wenn die Beschreibung zu
vorteilhaft gemacht ist." Wie wenig Recht der Empfänger aber hatte, sie
einer "kaltsinnigen, gleichgültigen Liebe" zu beschuldigen, lehren ihre Worte:
"oft wünsche ich, daß Sie mich weniger lieben möchten, als ich Sie liebe, um
nicht so viel zu leiden, als ich leide", und noch deutlicher ihre schöne Ant¬
wort auf seinen Werbebrief. Würdevoll tritt sie aus ihrer Zurückhaltung
heraus, bekennt freimütig ihre tiefe Neigung und verlobt sich freudig dem
langjährigen Freunde. Ein andres Schreiben zeigt sie mit den Vorbereitungen
zur Hochzeit beschäftigt, zärtlich des Bräutigams harrend, und ein weiteres
stammt aus den ersten Jahren ihrer Ehe, als der Gemahl sie einer Reise
halber auf kurze Zeit verlassen hatte. Die liebende Besorgnis um den Fernen,
die heiße Sehnsucht, die aus diesen Zeilen spricht, erweckt in uns ein tiefes
Mitleid mit der Schreiberin, wenn wir an die furchtbaren Enttäuschungen
denken, die sie in ihren? Bunde mit Gottsched später erleben sollte.

Ein andres Bild geben die Briefe von und an Klopstock. Das erste
Schreiben des Messiassängers ist an seine Cousine Marie Christine Schmidt,
die er unter dem Namen Fanny besang, gerichtet; es schließt mit dem Seufzer
des unglücklich Liebenden: "o wenn ich doch nur schon von der Erde ent¬
fernt wäre." Maßlos wie sein Schmerz ist seine Freude. Als er zwei Jahre
darauf an die "unaussprechlich süße" Meta Moller schreibt, haßt er die
Sprache, weil sie zu arm sei, seine Empfindungen auszudrücken. Während
sich andre Dichter durch die Liebe in ihrem Schaffen gefördert fühlen, be¬
herrscht sie ihn so, daß sie eher hemmend wirkt und seine Arbeit am Messias
nur sehr langsam fortschreiten läßt. Ebenso verstiegen sind die Briefe, die
Klopstock von Meta erhält. Nach der Abreise des Geliebten klagt sie, ähn¬
lich wie er bei einer andern Gelegenheit, sie sei noch "zu beklommen, um
weinen zu können" -- als ginge es ohne Tränen nicht. Charakteristisch ist
anch ihr feierliches Geständnis: "O Klopstock, Sie sind mir immer Ernst noch
liebenswürdiger als im Scherz , ob Sie mir gleich auch im Scherze unendlich
liebenswürdig sind."


Deutsche Liebesbriefe

Einen bedeutenden Fortschritt erkennen wir in den Briefen der Louise
Adelgunde Victorie Culmus. Nichts von der Schwerfälligkeit früherer Proben,
die mehr oder weniger vom Kanzleistil beeinflußt sind, ist hier zu gewahren,
keine Phrasen, keine Überschwenglichkeiten! Mit sichrer Ruhe spricht die
Schreiberin über die Lüsterungen, die andre, um sie bei Gottsched anzuschwärzen,
gegen sie erhoben haben; sie macht nicht den geringsten Versuch, diesen dadurch,
daß sie sich ihm in möglichst günstigem Lichte darstellt, an sich heranzuziehen,
im Gegenteil, sie sucht sich selbst aller Vorzüge zu entkleiden. „Glauben Sie,
schreibt sie dem Freunde, daß ich Ihnen lieber meine guten Eigenschaften (wenn
ich deren besüße) verheelen würde, als meine Fehler. Nach meiner Denkungs-
art wünsche ich geliebt zu seyn, so wie ich bin, und nicht, wie ich seyn
sollte." Ferner bittet sie Gottsched: „Machen Sie Ihren Freunden kein gar
zu reihendes Bild von mir. Mau verliert zu viel, wenn die Beschreibung zu
vorteilhaft gemacht ist." Wie wenig Recht der Empfänger aber hatte, sie
einer „kaltsinnigen, gleichgültigen Liebe" zu beschuldigen, lehren ihre Worte:
„oft wünsche ich, daß Sie mich weniger lieben möchten, als ich Sie liebe, um
nicht so viel zu leiden, als ich leide", und noch deutlicher ihre schöne Ant¬
wort auf seinen Werbebrief. Würdevoll tritt sie aus ihrer Zurückhaltung
heraus, bekennt freimütig ihre tiefe Neigung und verlobt sich freudig dem
langjährigen Freunde. Ein andres Schreiben zeigt sie mit den Vorbereitungen
zur Hochzeit beschäftigt, zärtlich des Bräutigams harrend, und ein weiteres
stammt aus den ersten Jahren ihrer Ehe, als der Gemahl sie einer Reise
halber auf kurze Zeit verlassen hatte. Die liebende Besorgnis um den Fernen,
die heiße Sehnsucht, die aus diesen Zeilen spricht, erweckt in uns ein tiefes
Mitleid mit der Schreiberin, wenn wir an die furchtbaren Enttäuschungen
denken, die sie in ihren? Bunde mit Gottsched später erleben sollte.

Ein andres Bild geben die Briefe von und an Klopstock. Das erste
Schreiben des Messiassängers ist an seine Cousine Marie Christine Schmidt,
die er unter dem Namen Fanny besang, gerichtet; es schließt mit dem Seufzer
des unglücklich Liebenden: „o wenn ich doch nur schon von der Erde ent¬
fernt wäre." Maßlos wie sein Schmerz ist seine Freude. Als er zwei Jahre
darauf an die „unaussprechlich süße" Meta Moller schreibt, haßt er die
Sprache, weil sie zu arm sei, seine Empfindungen auszudrücken. Während
sich andre Dichter durch die Liebe in ihrem Schaffen gefördert fühlen, be¬
herrscht sie ihn so, daß sie eher hemmend wirkt und seine Arbeit am Messias
nur sehr langsam fortschreiten läßt. Ebenso verstiegen sind die Briefe, die
Klopstock von Meta erhält. Nach der Abreise des Geliebten klagt sie, ähn¬
lich wie er bei einer andern Gelegenheit, sie sei noch „zu beklommen, um
weinen zu können" — als ginge es ohne Tränen nicht. Charakteristisch ist
anch ihr feierliches Geständnis: „O Klopstock, Sie sind mir immer Ernst noch
liebenswürdiger als im Scherz , ob Sie mir gleich auch im Scherze unendlich
liebenswürdig sind."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/536>, abgerufen am 23.07.2024.