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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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lvundts Geschichte der bildenden Künste

Schöpfung erzeugen, und an die im allgemeinen immer zugleich neue, eigen¬
artige Gefühlswirkungen geknüpft sind. Zu diesen gehört in vorliegendem Falle
die eigentümliche Verbindung des Wohlgefallens an geometrischer Regelmäßig¬
keit mit den an das Objekt und den Akt seiner Wiedererkennung gebundnen Ge¬
fühlen." Dem Wohlgefallen an geometrischer Regelmäßigkeit entspringt dann
unter anderm die Gewohnheit, dieselbe Figur oft zu wiederholen und dieselben
Bilder in Reihen oder im Kreise anzuordnen. Der erste Gegenstand der nach¬
ahmenden Kunst ist das Tier, das zweite der Mensch. Das Tier wird im
Profil, der Mensch su lavo dargestellt, weil beide so in der Erinnerung haften,
und weil die Umrisse so am leichtesten zu treffen sind. Dann werden, zuerst
spielerisch, später mit Absicht auf Zwecke, auf eine gewisse Bedeutung, die Glieder
der verschiednen Arten von Wesen zu Mischformen verbunden; man zeichnet
Tierleiber mit Menschenköpfen, Menschenleiber mit Tierköpfen, geflügelte Löwen.
"Besonders die Hörner der Vierfüßer und die Flügel des Vogels werden als
Attribute benützt, die, wie sie in der Anschauung als relativ selbständige Körper-
cmhünge erscheinen, so beliebig mit andern Tier- oder mit Mcnschenformen ver¬
bunden werden können. Die Engels- und die Teufels gestalten der christlichen
Mythologie sind die letzten Überlebnisse dieser phantastischen Verbindungen,
deren Ursprung bis zu den Bilderschriften und sonstigen Denkmälern der Natur¬
völker zurückreicht." Die Sphinx ist geeignet, die Majestät des vergöttlichten
Herrschers darzustellen. "Die Ruhelage des Leibes in Verbindung mit dem
starr in die Ferne gerichteten Blick des ernsten Angesichts gibt dieser Doppel¬
gestalt einen Ausdruck imposanter Ruhe und Kraft, den die rein menschliche
Form weder in aufrechter noch in sitzender Stellung jemals in gleicher Weise
wie das mit der ganzen Masse seines Körpers auf dem Boden ruhende Tier
erreichen kann."

Die Sphinx gehört nun schon einer Stufe der bildenden Kunst an, bis zu
der von den Anfängen ein weiter Weg zurückzulegen war. Die Anfänge, die
in? Gebiete der Zierkunst liegen, lassen sich am deutlichsten an der Entwicklung
der Keramik erkennen. Fruchtschalen sind die ersten Gefäße gewesen. Ihre
Gestalt und die der Blütenkelche wird nachgeahmt, wenn man anfängt, künstliche
Gefäße herzustellen; zuerst aus Zweig- oder Strohgeflecht, dann ans Ton,
sobald man dessen Bildsamkeit erprobt und zufällig wahrgenommen hat, wie er
in der Sonnen- und Feuersglut hart wird. Die ersten Ornamente hat das
Tongefäß (das sich von den zwei Grundformen: Schüssel und Flasche aus in
die verschiedensten Gestalten differenziert) bei der Herstellung bekommen. Körbe
werden benutzt, dem Ton festen Halt und die Form zu geben; er wird ent¬
weder in den Korb gedrückt oder um diesen herum gelegt. In Körben oder an
Stricken wird das fertige aber noch weiche Gefäß zum Trocknen aufgehängt.
Die Korbgeflechte wie die Stricke hinterlassen parallele Ringe. Diese werden
vervollständigt, ergänzt, und nachdem einmal das Wohlgefallen an ihnen erwacht
ist, auch schon beim Formen des Topfes angebracht, wenn die Töpferkunst so
weit fortgeschritten ist, daß man des Korbgeflechts zur Herstellung nicht mehr


lvundts Geschichte der bildenden Künste

Schöpfung erzeugen, und an die im allgemeinen immer zugleich neue, eigen¬
artige Gefühlswirkungen geknüpft sind. Zu diesen gehört in vorliegendem Falle
die eigentümliche Verbindung des Wohlgefallens an geometrischer Regelmäßig¬
keit mit den an das Objekt und den Akt seiner Wiedererkennung gebundnen Ge¬
fühlen." Dem Wohlgefallen an geometrischer Regelmäßigkeit entspringt dann
unter anderm die Gewohnheit, dieselbe Figur oft zu wiederholen und dieselben
Bilder in Reihen oder im Kreise anzuordnen. Der erste Gegenstand der nach¬
ahmenden Kunst ist das Tier, das zweite der Mensch. Das Tier wird im
Profil, der Mensch su lavo dargestellt, weil beide so in der Erinnerung haften,
und weil die Umrisse so am leichtesten zu treffen sind. Dann werden, zuerst
spielerisch, später mit Absicht auf Zwecke, auf eine gewisse Bedeutung, die Glieder
der verschiednen Arten von Wesen zu Mischformen verbunden; man zeichnet
Tierleiber mit Menschenköpfen, Menschenleiber mit Tierköpfen, geflügelte Löwen.
„Besonders die Hörner der Vierfüßer und die Flügel des Vogels werden als
Attribute benützt, die, wie sie in der Anschauung als relativ selbständige Körper-
cmhünge erscheinen, so beliebig mit andern Tier- oder mit Mcnschenformen ver¬
bunden werden können. Die Engels- und die Teufels gestalten der christlichen
Mythologie sind die letzten Überlebnisse dieser phantastischen Verbindungen,
deren Ursprung bis zu den Bilderschriften und sonstigen Denkmälern der Natur¬
völker zurückreicht." Die Sphinx ist geeignet, die Majestät des vergöttlichten
Herrschers darzustellen. „Die Ruhelage des Leibes in Verbindung mit dem
starr in die Ferne gerichteten Blick des ernsten Angesichts gibt dieser Doppel¬
gestalt einen Ausdruck imposanter Ruhe und Kraft, den die rein menschliche
Form weder in aufrechter noch in sitzender Stellung jemals in gleicher Weise
wie das mit der ganzen Masse seines Körpers auf dem Boden ruhende Tier
erreichen kann."

Die Sphinx gehört nun schon einer Stufe der bildenden Kunst an, bis zu
der von den Anfängen ein weiter Weg zurückzulegen war. Die Anfänge, die
in? Gebiete der Zierkunst liegen, lassen sich am deutlichsten an der Entwicklung
der Keramik erkennen. Fruchtschalen sind die ersten Gefäße gewesen. Ihre
Gestalt und die der Blütenkelche wird nachgeahmt, wenn man anfängt, künstliche
Gefäße herzustellen; zuerst aus Zweig- oder Strohgeflecht, dann ans Ton,
sobald man dessen Bildsamkeit erprobt und zufällig wahrgenommen hat, wie er
in der Sonnen- und Feuersglut hart wird. Die ersten Ornamente hat das
Tongefäß (das sich von den zwei Grundformen: Schüssel und Flasche aus in
die verschiedensten Gestalten differenziert) bei der Herstellung bekommen. Körbe
werden benutzt, dem Ton festen Halt und die Form zu geben; er wird ent¬
weder in den Korb gedrückt oder um diesen herum gelegt. In Körben oder an
Stricken wird das fertige aber noch weiche Gefäß zum Trocknen aufgehängt.
Die Korbgeflechte wie die Stricke hinterlassen parallele Ringe. Diese werden
vervollständigt, ergänzt, und nachdem einmal das Wohlgefallen an ihnen erwacht
ist, auch schon beim Formen des Topfes angebracht, wenn die Töpferkunst so
weit fortgeschritten ist, daß man des Korbgeflechts zur Herstellung nicht mehr


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[0486] lvundts Geschichte der bildenden Künste Schöpfung erzeugen, und an die im allgemeinen immer zugleich neue, eigen¬ artige Gefühlswirkungen geknüpft sind. Zu diesen gehört in vorliegendem Falle die eigentümliche Verbindung des Wohlgefallens an geometrischer Regelmäßig¬ keit mit den an das Objekt und den Akt seiner Wiedererkennung gebundnen Ge¬ fühlen." Dem Wohlgefallen an geometrischer Regelmäßigkeit entspringt dann unter anderm die Gewohnheit, dieselbe Figur oft zu wiederholen und dieselben Bilder in Reihen oder im Kreise anzuordnen. Der erste Gegenstand der nach¬ ahmenden Kunst ist das Tier, das zweite der Mensch. Das Tier wird im Profil, der Mensch su lavo dargestellt, weil beide so in der Erinnerung haften, und weil die Umrisse so am leichtesten zu treffen sind. Dann werden, zuerst spielerisch, später mit Absicht auf Zwecke, auf eine gewisse Bedeutung, die Glieder der verschiednen Arten von Wesen zu Mischformen verbunden; man zeichnet Tierleiber mit Menschenköpfen, Menschenleiber mit Tierköpfen, geflügelte Löwen. „Besonders die Hörner der Vierfüßer und die Flügel des Vogels werden als Attribute benützt, die, wie sie in der Anschauung als relativ selbständige Körper- cmhünge erscheinen, so beliebig mit andern Tier- oder mit Mcnschenformen ver¬ bunden werden können. Die Engels- und die Teufels gestalten der christlichen Mythologie sind die letzten Überlebnisse dieser phantastischen Verbindungen, deren Ursprung bis zu den Bilderschriften und sonstigen Denkmälern der Natur¬ völker zurückreicht." Die Sphinx ist geeignet, die Majestät des vergöttlichten Herrschers darzustellen. „Die Ruhelage des Leibes in Verbindung mit dem starr in die Ferne gerichteten Blick des ernsten Angesichts gibt dieser Doppel¬ gestalt einen Ausdruck imposanter Ruhe und Kraft, den die rein menschliche Form weder in aufrechter noch in sitzender Stellung jemals in gleicher Weise wie das mit der ganzen Masse seines Körpers auf dem Boden ruhende Tier erreichen kann." Die Sphinx gehört nun schon einer Stufe der bildenden Kunst an, bis zu der von den Anfängen ein weiter Weg zurückzulegen war. Die Anfänge, die in? Gebiete der Zierkunst liegen, lassen sich am deutlichsten an der Entwicklung der Keramik erkennen. Fruchtschalen sind die ersten Gefäße gewesen. Ihre Gestalt und die der Blütenkelche wird nachgeahmt, wenn man anfängt, künstliche Gefäße herzustellen; zuerst aus Zweig- oder Strohgeflecht, dann ans Ton, sobald man dessen Bildsamkeit erprobt und zufällig wahrgenommen hat, wie er in der Sonnen- und Feuersglut hart wird. Die ersten Ornamente hat das Tongefäß (das sich von den zwei Grundformen: Schüssel und Flasche aus in die verschiedensten Gestalten differenziert) bei der Herstellung bekommen. Körbe werden benutzt, dem Ton festen Halt und die Form zu geben; er wird ent¬ weder in den Korb gedrückt oder um diesen herum gelegt. In Körben oder an Stricken wird das fertige aber noch weiche Gefäß zum Trocknen aufgehängt. Die Korbgeflechte wie die Stricke hinterlassen parallele Ringe. Diese werden vervollständigt, ergänzt, und nachdem einmal das Wohlgefallen an ihnen erwacht ist, auch schon beim Formen des Topfes angebracht, wenn die Töpferkunst so weit fortgeschritten ist, daß man des Korbgeflechts zur Herstellung nicht mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/486>, abgerufen am 23.07.2024.