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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

Vollmacht hatte, so wies er sie weiter nach Deutsch-Ossig an den Major von
Krenski, den Chef des Verpflegungswesens. Oberst von Zychlinski zeigte sich
dabei von den Vorgängen in Zittau wohl unterrichtet, ging aber über die
Ausschreitungen am Dienstag leicht hinweg als über etwas bei der Erregung
der Gemüter nicht weiter auffülliges. Dagegen machten die Verhandlungen
mit dem anwesenden Gerichtsamtmann Riedel, der als Verpflegungskommissar
schlimme Tage erlebt hatte und in großer Aufregung war, einen sehr pein¬
lichen, ja entmutigenden Eindruck auf die Deputation, sodaß sie nicht mehr
viel Hoffnung auf einen Erfolg ihrer Sendung hatte. Doch nahm sie der
Major von Krenski sehr artig auf und erkannte die schon von Zittau ge¬
brachten Opfer an, das in den Verpflegungs- und Nequisitionsbereich zweier
Divisionen (der 7. und 8.) geraten sei, erklärte aber auch sehr nachdrücklich,
Krieg sei eben Krieg, man müsse vom Feindeslande soviel wie möglich nehmen
und fordere nur das Notwendige; die wohlhabende Stadt könne unmöglich
schon erschöpft sein. Unter allen Umstünden möge man jeden Verkehr mit den
Österreichern verhindern. So langte die Deputation erst gegen Abend in dem
überfüllten Görlitz an und fand nicht ohne Mühe im "Hirsch" noch Unterkunft.
Noch am Abend empfing sie Generalmajor von Stülpnagel, der Oberquartier-
meister der ersten Armee. Die Darstellung der Sachlage, die der Führer der
Deputation, Stadtrat Haupt, versuchte, mit der Bemerkung kurz abschneidend,
er sei über die Vorgänge in Zittau "bis aufs Haar" instruiert, erörterte er
dann in seiner und gewandter, ja schwungvoller Sprache die harte Notwendig¬
keit des Krieges, die Opferwilligkeit des preußischen Volkes, die Grundsätze
beim Requirieren und versprach eine Audienz beim Prinzen zu vermitteln-
Aus den Zeitungen, die der Deputation nach mehreren Tagen in Görlitz zum
erstenmal wieder zu Gesicht kamen, ersahen die Zittauer Herren, daß "Hannover,
Kurhessen und Sachsen vorläufig verloren seien, daß Österreich den Krieg erklärt
habe, und die erste Entscheidung sich nähere". Nur mit banger Sorge konnten sie
an die Heimat zurückdenken, und in peinlichster Spannung verging ihnen der
Freitag, denn die Audienz beim Prinzen war erst um fünf Uhr Nachmittags
angesetzt, und doch bemerkten sie, daß der ganze Generalstab, der im "Hirsch"
Quartier hatte, schon um Mittag aufbrach. Was das bedeutete, wurde ihnen
klar, als sie sich nach dem Stüudehause zur Audienz begaben: kein Posten
war mehr zu sehen, auch der Prinz war weg, die Stadt fast entblößt von
Militär. Offenbar begann der Vormarsch nach Böhmen (nach dem Telegramm
Moltkes vom 22. Juni Nachmittags), und doch mußte die Deputation ihre
Abreise bis Sonnabend früh vier Uhr verschieben, um nicht aufs Ungewisse
in die Nacht hineinzufahren. Erreicht hatte sie nichts als die Anerkennung,
daß Zittau etwas stark mitgenommen worden, freilich auch die Überzeugung,
daß "unendlich größere Lasten unvermeidlich geworden" seien.

Inzwischen ergossen sich die preußischen Kolonnen durch Zittau. Der
Donnerstag Nachmittag war ruhig vorübergegangen, aber Abends gegen neun


vor vierzig Jahren

Vollmacht hatte, so wies er sie weiter nach Deutsch-Ossig an den Major von
Krenski, den Chef des Verpflegungswesens. Oberst von Zychlinski zeigte sich
dabei von den Vorgängen in Zittau wohl unterrichtet, ging aber über die
Ausschreitungen am Dienstag leicht hinweg als über etwas bei der Erregung
der Gemüter nicht weiter auffülliges. Dagegen machten die Verhandlungen
mit dem anwesenden Gerichtsamtmann Riedel, der als Verpflegungskommissar
schlimme Tage erlebt hatte und in großer Aufregung war, einen sehr pein¬
lichen, ja entmutigenden Eindruck auf die Deputation, sodaß sie nicht mehr
viel Hoffnung auf einen Erfolg ihrer Sendung hatte. Doch nahm sie der
Major von Krenski sehr artig auf und erkannte die schon von Zittau ge¬
brachten Opfer an, das in den Verpflegungs- und Nequisitionsbereich zweier
Divisionen (der 7. und 8.) geraten sei, erklärte aber auch sehr nachdrücklich,
Krieg sei eben Krieg, man müsse vom Feindeslande soviel wie möglich nehmen
und fordere nur das Notwendige; die wohlhabende Stadt könne unmöglich
schon erschöpft sein. Unter allen Umstünden möge man jeden Verkehr mit den
Österreichern verhindern. So langte die Deputation erst gegen Abend in dem
überfüllten Görlitz an und fand nicht ohne Mühe im „Hirsch" noch Unterkunft.
Noch am Abend empfing sie Generalmajor von Stülpnagel, der Oberquartier-
meister der ersten Armee. Die Darstellung der Sachlage, die der Führer der
Deputation, Stadtrat Haupt, versuchte, mit der Bemerkung kurz abschneidend,
er sei über die Vorgänge in Zittau „bis aufs Haar" instruiert, erörterte er
dann in seiner und gewandter, ja schwungvoller Sprache die harte Notwendig¬
keit des Krieges, die Opferwilligkeit des preußischen Volkes, die Grundsätze
beim Requirieren und versprach eine Audienz beim Prinzen zu vermitteln-
Aus den Zeitungen, die der Deputation nach mehreren Tagen in Görlitz zum
erstenmal wieder zu Gesicht kamen, ersahen die Zittauer Herren, daß „Hannover,
Kurhessen und Sachsen vorläufig verloren seien, daß Österreich den Krieg erklärt
habe, und die erste Entscheidung sich nähere". Nur mit banger Sorge konnten sie
an die Heimat zurückdenken, und in peinlichster Spannung verging ihnen der
Freitag, denn die Audienz beim Prinzen war erst um fünf Uhr Nachmittags
angesetzt, und doch bemerkten sie, daß der ganze Generalstab, der im „Hirsch"
Quartier hatte, schon um Mittag aufbrach. Was das bedeutete, wurde ihnen
klar, als sie sich nach dem Stüudehause zur Audienz begaben: kein Posten
war mehr zu sehen, auch der Prinz war weg, die Stadt fast entblößt von
Militär. Offenbar begann der Vormarsch nach Böhmen (nach dem Telegramm
Moltkes vom 22. Juni Nachmittags), und doch mußte die Deputation ihre
Abreise bis Sonnabend früh vier Uhr verschieben, um nicht aufs Ungewisse
in die Nacht hineinzufahren. Erreicht hatte sie nichts als die Anerkennung,
daß Zittau etwas stark mitgenommen worden, freilich auch die Überzeugung,
daß „unendlich größere Lasten unvermeidlich geworden" seien.

Inzwischen ergossen sich die preußischen Kolonnen durch Zittau. Der
Donnerstag Nachmittag war ruhig vorübergegangen, aber Abends gegen neun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/474>, abgerufen am 23.07.2024.