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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Moritz Lazarus Lebenserinnerungen

machen würde. Manchmal ist mir das Verfehlteste als mein Allerbestes erschienen
und ganz wackere Leistungen höchst armselig." Als Heyses Haus fast fertig ist,
schickt ihm Lazarus zur Ausschmückung des Salons einen prachtvollen Smyrna-
teppich. Seine Einfügung in den Haushalt schildert Heyse mit fast dramatischer
Kunst: "Als ich vor vierzehn Tagen einmal im Hause nachsah, lag im Flur
eine festumschnürte Riesenschlange, die sechs Männer zu schleppen gehabt hatten.
Ich habe meinem Gelüst, mich an ihrer bunten Haut zu weiden, tapfer wider¬
standen, um sie standlos und unverbunden übersommern zu lassen. Nun ist aber
der Diener angewiesen, sie im Festgemach auszubreiten, und die ersten Füße,
die sie treten werden, sollen die meiner eignen Gebieterin sein.... Wie die
Hausfrau dann heimkehrte, und ich sie, ohne ein Wort zu sagen, an das Ufer
des Smyrnäer Meeres führte, und sie nun mit einem Ach! des Entzückens ihren
kleinen Fuß in die dunkelgrünen Wellen setzte und in der Mitte angelangt
ausrief: Hilf, hilf, ich versinke! -- diese Szene würdig zu schildern, wäre eine
schwere, aber lohnende Aufgabe für meine Feder gewesen, obwohl ich nicht wie
Lord Byron sagen kann: ässoription is toros.... Der biedre Braun, unser
Bauführer, sperrte Mund und Nase auf, als er diese Pracht erblickte. Nie in
seinem Leben hat er desgleichen gesehen. In der Tat ist in ganz Bayern wohl
kein zweiter anzutreffen, da wir ein armes aber ehrliches Volk und der Wohl¬
lüste des Nordens noch ungewohnt sind. Nun wird mein Kredit zwar nicht
Wenig wachsen, wenn die Mur von dieser Üppigkeit erst durch die Stadt läuft.
Zugleich aber wird man mich für einen kleinen Krösus halten und mich von
allen Seiten mit doppelter Kreide bedienen." Bei einem Besuche in München
hatte Lazarus Lenbach gebeten, ihn zu malen, und hatte ihm gesessen. Von
den Fortschritten des Bildes meldet Heyse: "Bei Lenbach habe ich neulich zwei
Stunden malen helfen. Er hatte seiner löblichen Gewohnheit gemäß richtig
wieder das Bild ganz von frischem angefangen, in kleinerm Format, Brustbild,
lauge nicht so glücklich und so selbstverständlich wie nach der Natur, aus purer
Rock- und Hosenfurcht! Ich ruhte nicht eher, bis er wieder die alte Tafel auf
der Staffelei hatte, den unruhigen Hintergrund ins gleiche und alles in eine
klare Gesamtstimmung gebracht hatte, die ihn nun selbst ergötzte. Denn diese
paar Stunden vivum haben doch das Wesentliche von Deinem lieben Ich
bereits offenbart, weit schlagender als die spätere Leinwand. Nun wird es dabei
bleiben."

Bis in die achtziger Jahre hinein bleibt das schöne Verhältnis zwischen
Lazarus und Heyse ungetrübt. Jede Falte seines Seelenlebens breitet der Dichter
dem Philosophen aus, auch die düstern Regungen der "Selbstgeringschätzung"
und des Weltschmerzes werden ihm nicht verborgen. Und wie dankbar ist Heyse
für die Tröstungen, die ihm zuteil werden: "Es gehört einmal zu meinem
Glücksetat, von Euch überschützt und verzogen zu werdeu -- und da ich. soviel
us weiß, im Laufe der Jahre uicht schlechter oder auch uur eitler dadurch ge¬
worden bin, im Gegenteil dieser Zeugnisse ans Eurem überfließenden Gnadenschatz


Moritz Lazarus Lebenserinnerungen

machen würde. Manchmal ist mir das Verfehlteste als mein Allerbestes erschienen
und ganz wackere Leistungen höchst armselig." Als Heyses Haus fast fertig ist,
schickt ihm Lazarus zur Ausschmückung des Salons einen prachtvollen Smyrna-
teppich. Seine Einfügung in den Haushalt schildert Heyse mit fast dramatischer
Kunst: „Als ich vor vierzehn Tagen einmal im Hause nachsah, lag im Flur
eine festumschnürte Riesenschlange, die sechs Männer zu schleppen gehabt hatten.
Ich habe meinem Gelüst, mich an ihrer bunten Haut zu weiden, tapfer wider¬
standen, um sie standlos und unverbunden übersommern zu lassen. Nun ist aber
der Diener angewiesen, sie im Festgemach auszubreiten, und die ersten Füße,
die sie treten werden, sollen die meiner eignen Gebieterin sein.... Wie die
Hausfrau dann heimkehrte, und ich sie, ohne ein Wort zu sagen, an das Ufer
des Smyrnäer Meeres führte, und sie nun mit einem Ach! des Entzückens ihren
kleinen Fuß in die dunkelgrünen Wellen setzte und in der Mitte angelangt
ausrief: Hilf, hilf, ich versinke! — diese Szene würdig zu schildern, wäre eine
schwere, aber lohnende Aufgabe für meine Feder gewesen, obwohl ich nicht wie
Lord Byron sagen kann: ässoription is toros.... Der biedre Braun, unser
Bauführer, sperrte Mund und Nase auf, als er diese Pracht erblickte. Nie in
seinem Leben hat er desgleichen gesehen. In der Tat ist in ganz Bayern wohl
kein zweiter anzutreffen, da wir ein armes aber ehrliches Volk und der Wohl¬
lüste des Nordens noch ungewohnt sind. Nun wird mein Kredit zwar nicht
Wenig wachsen, wenn die Mur von dieser Üppigkeit erst durch die Stadt läuft.
Zugleich aber wird man mich für einen kleinen Krösus halten und mich von
allen Seiten mit doppelter Kreide bedienen." Bei einem Besuche in München
hatte Lazarus Lenbach gebeten, ihn zu malen, und hatte ihm gesessen. Von
den Fortschritten des Bildes meldet Heyse: „Bei Lenbach habe ich neulich zwei
Stunden malen helfen. Er hatte seiner löblichen Gewohnheit gemäß richtig
wieder das Bild ganz von frischem angefangen, in kleinerm Format, Brustbild,
lauge nicht so glücklich und so selbstverständlich wie nach der Natur, aus purer
Rock- und Hosenfurcht! Ich ruhte nicht eher, bis er wieder die alte Tafel auf
der Staffelei hatte, den unruhigen Hintergrund ins gleiche und alles in eine
klare Gesamtstimmung gebracht hatte, die ihn nun selbst ergötzte. Denn diese
paar Stunden vivum haben doch das Wesentliche von Deinem lieben Ich
bereits offenbart, weit schlagender als die spätere Leinwand. Nun wird es dabei
bleiben."

Bis in die achtziger Jahre hinein bleibt das schöne Verhältnis zwischen
Lazarus und Heyse ungetrübt. Jede Falte seines Seelenlebens breitet der Dichter
dem Philosophen aus, auch die düstern Regungen der „Selbstgeringschätzung"
und des Weltschmerzes werden ihm nicht verborgen. Und wie dankbar ist Heyse
für die Tröstungen, die ihm zuteil werden: „Es gehört einmal zu meinem
Glücksetat, von Euch überschützt und verzogen zu werdeu — und da ich. soviel
us weiß, im Laufe der Jahre uicht schlechter oder auch uur eitler dadurch ge¬
worden bin, im Gegenteil dieser Zeugnisse ans Eurem überfließenden Gnadenschatz


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[0469] Moritz Lazarus Lebenserinnerungen machen würde. Manchmal ist mir das Verfehlteste als mein Allerbestes erschienen und ganz wackere Leistungen höchst armselig." Als Heyses Haus fast fertig ist, schickt ihm Lazarus zur Ausschmückung des Salons einen prachtvollen Smyrna- teppich. Seine Einfügung in den Haushalt schildert Heyse mit fast dramatischer Kunst: „Als ich vor vierzehn Tagen einmal im Hause nachsah, lag im Flur eine festumschnürte Riesenschlange, die sechs Männer zu schleppen gehabt hatten. Ich habe meinem Gelüst, mich an ihrer bunten Haut zu weiden, tapfer wider¬ standen, um sie standlos und unverbunden übersommern zu lassen. Nun ist aber der Diener angewiesen, sie im Festgemach auszubreiten, und die ersten Füße, die sie treten werden, sollen die meiner eignen Gebieterin sein.... Wie die Hausfrau dann heimkehrte, und ich sie, ohne ein Wort zu sagen, an das Ufer des Smyrnäer Meeres führte, und sie nun mit einem Ach! des Entzückens ihren kleinen Fuß in die dunkelgrünen Wellen setzte und in der Mitte angelangt ausrief: Hilf, hilf, ich versinke! — diese Szene würdig zu schildern, wäre eine schwere, aber lohnende Aufgabe für meine Feder gewesen, obwohl ich nicht wie Lord Byron sagen kann: ässoription is toros.... Der biedre Braun, unser Bauführer, sperrte Mund und Nase auf, als er diese Pracht erblickte. Nie in seinem Leben hat er desgleichen gesehen. In der Tat ist in ganz Bayern wohl kein zweiter anzutreffen, da wir ein armes aber ehrliches Volk und der Wohl¬ lüste des Nordens noch ungewohnt sind. Nun wird mein Kredit zwar nicht Wenig wachsen, wenn die Mur von dieser Üppigkeit erst durch die Stadt läuft. Zugleich aber wird man mich für einen kleinen Krösus halten und mich von allen Seiten mit doppelter Kreide bedienen." Bei einem Besuche in München hatte Lazarus Lenbach gebeten, ihn zu malen, und hatte ihm gesessen. Von den Fortschritten des Bildes meldet Heyse: „Bei Lenbach habe ich neulich zwei Stunden malen helfen. Er hatte seiner löblichen Gewohnheit gemäß richtig wieder das Bild ganz von frischem angefangen, in kleinerm Format, Brustbild, lauge nicht so glücklich und so selbstverständlich wie nach der Natur, aus purer Rock- und Hosenfurcht! Ich ruhte nicht eher, bis er wieder die alte Tafel auf der Staffelei hatte, den unruhigen Hintergrund ins gleiche und alles in eine klare Gesamtstimmung gebracht hatte, die ihn nun selbst ergötzte. Denn diese paar Stunden vivum haben doch das Wesentliche von Deinem lieben Ich bereits offenbart, weit schlagender als die spätere Leinwand. Nun wird es dabei bleiben." Bis in die achtziger Jahre hinein bleibt das schöne Verhältnis zwischen Lazarus und Heyse ungetrübt. Jede Falte seines Seelenlebens breitet der Dichter dem Philosophen aus, auch die düstern Regungen der „Selbstgeringschätzung" und des Weltschmerzes werden ihm nicht verborgen. Und wie dankbar ist Heyse für die Tröstungen, die ihm zuteil werden: „Es gehört einmal zu meinem Glücksetat, von Euch überschützt und verzogen zu werdeu — und da ich. soviel us weiß, im Laufe der Jahre uicht schlechter oder auch uur eitler dadurch ge¬ worden bin, im Gegenteil dieser Zeugnisse ans Eurem überfließenden Gnadenschatz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/469>, abgerufen am 23.07.2024.