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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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während der Sakußkci, dem Auftakt jedes russischen Mahles, auf unser Ver¬
mögen stattfand, Alkohol zu bewältige". Der erste Angriff wurde um so heftiger .
erneut, als das Frühstück beschleunigt werden mußte. Nur die Nähe des
Kommandeurs schützte etwas, sonst gab es kein Halten und Zögern, jedes
Glas mußte geleert werden und wurde erbarmungslos von neuem bis zum
Rande gefüllt. Und dazu saugen die jungen Offiziere, größtenteils Kaurasier,
der Sitte ihrer Heimat entsprechend, jedem von uns vierstimmig ein Lied zu,
worin sie Glück und Segen wünschen, und das durchaus dazu angetan ist, die
durch Reden auf Waffenbrüderschaft und Freundschaft gesteigerte Stimmung
auf die Höhe zu bringen. Es war nicht ganz leicht, die Schützen von der
Notwendigkeit zu überzeugen, uns loszureißen. Eine reitende Batterie, die
früher der im Kriege bewährte Kosakenführer, Generalleutnant Mischtscheuko,
befehligt hatte, harrte ebenfalls unsers Besuchs.

Die Kaserne, ein niederes Gebäude, ganz wie die Schützenkaserne einge¬
richtet, lag um Eingang des ans drei Seiten von Ställen umgebnen große"
Platzes, auf dein sich die Tätigkeit dieser Truppe abspielt. Zunächst führte
uns der Battcriekommcmdeur durch die sauber aufgeräumten, freundlichen
Wohurünme, die Kapelle und die Küche, bat mich, seine Mannschaften zu
begrüßen, und freute sich des kräftigen Gegenrnfs: "Wir sind froh, unsre
Schuldigkeit getan zu haben." Dann wurden die 265 Pferde der immer
kriegsbereit gehaltnen Batterie gezeigt, die, aus Jnnerrnßland stammend, an¬
standslos in rückwärts offnen Schuppen der Winterkälte ausgesetzt werden
und, durch keine Streu verwöhnt, zu sehr kriegsbrauchbaren Tieren erzogen
werden. Hier heißt es biegen oder breche" -- sie biegen sich. Es machte
dem braven Oberstleutnant offenbar Freude, seine Batterie zu alarmieren.
Binnen drei Minuten stand sie angeschirrt. Und wenn dieses Kunststückchen
auch sicher vorbereitet war, so sah es doch gut ans und war nur möglich,
weil die Pferde, von der Stallhalfter losgemacht, dnrch einen ermunternden
Nagaikaklaps veranlaßt, frei zu dem Geschützpark in der Mitte des Platzes
galoppierten. In geschlossener Batteriefront standen die grün gcstrichuen Ge¬
schütze und Munitionswagen dort bereit. Bespannt schwenkte die Batterie
einmal in guter Ordnung um uns im Kreise herum, und erfreut kassierte die
Mannschaft des zuerst fertig gewordnen Geschützes den ihr gespendeten Zehn-
Rubelschein ein. Der Batterickommandenr mußte uus um, weil die Zeit
drängte, ziehn lassen. Zur Führung gab er uns einen seiner Leutnants mit,
der auf seinem Tekinzenstreitroß neben uns die Droschkenkutscher zu höchster
Eile anspornte. Im Galopp ging es in der Richtung auf den Ani Keschi auf
den Exerzierplatz des ersten Tamanregiments der Knbaukasakeu los. Hier hielt
schon der Brigadekommandeur und das ganze Offizierkorps des Regiments,
lauter hohe kräftige Gestalten mit kühnen, energisch geschulteren Gesichtszügen,
alle gut beritten und in der langen dunkeln Wintertscherkeßka noch schlanker
erscheinend, als sie in der Wirklichkeit sein mochten. Man kann nicht leugne",


während der Sakußkci, dem Auftakt jedes russischen Mahles, auf unser Ver¬
mögen stattfand, Alkohol zu bewältige». Der erste Angriff wurde um so heftiger .
erneut, als das Frühstück beschleunigt werden mußte. Nur die Nähe des
Kommandeurs schützte etwas, sonst gab es kein Halten und Zögern, jedes
Glas mußte geleert werden und wurde erbarmungslos von neuem bis zum
Rande gefüllt. Und dazu saugen die jungen Offiziere, größtenteils Kaurasier,
der Sitte ihrer Heimat entsprechend, jedem von uns vierstimmig ein Lied zu,
worin sie Glück und Segen wünschen, und das durchaus dazu angetan ist, die
durch Reden auf Waffenbrüderschaft und Freundschaft gesteigerte Stimmung
auf die Höhe zu bringen. Es war nicht ganz leicht, die Schützen von der
Notwendigkeit zu überzeugen, uns loszureißen. Eine reitende Batterie, die
früher der im Kriege bewährte Kosakenführer, Generalleutnant Mischtscheuko,
befehligt hatte, harrte ebenfalls unsers Besuchs.

Die Kaserne, ein niederes Gebäude, ganz wie die Schützenkaserne einge¬
richtet, lag um Eingang des ans drei Seiten von Ställen umgebnen große»
Platzes, auf dein sich die Tätigkeit dieser Truppe abspielt. Zunächst führte
uns der Battcriekommcmdeur durch die sauber aufgeräumten, freundlichen
Wohurünme, die Kapelle und die Küche, bat mich, seine Mannschaften zu
begrüßen, und freute sich des kräftigen Gegenrnfs: „Wir sind froh, unsre
Schuldigkeit getan zu haben." Dann wurden die 265 Pferde der immer
kriegsbereit gehaltnen Batterie gezeigt, die, aus Jnnerrnßland stammend, an¬
standslos in rückwärts offnen Schuppen der Winterkälte ausgesetzt werden
und, durch keine Streu verwöhnt, zu sehr kriegsbrauchbaren Tieren erzogen
werden. Hier heißt es biegen oder breche» — sie biegen sich. Es machte
dem braven Oberstleutnant offenbar Freude, seine Batterie zu alarmieren.
Binnen drei Minuten stand sie angeschirrt. Und wenn dieses Kunststückchen
auch sicher vorbereitet war, so sah es doch gut ans und war nur möglich,
weil die Pferde, von der Stallhalfter losgemacht, dnrch einen ermunternden
Nagaikaklaps veranlaßt, frei zu dem Geschützpark in der Mitte des Platzes
galoppierten. In geschlossener Batteriefront standen die grün gcstrichuen Ge¬
schütze und Munitionswagen dort bereit. Bespannt schwenkte die Batterie
einmal in guter Ordnung um uns im Kreise herum, und erfreut kassierte die
Mannschaft des zuerst fertig gewordnen Geschützes den ihr gespendeten Zehn-
Rubelschein ein. Der Batterickommandenr mußte uus um, weil die Zeit
drängte, ziehn lassen. Zur Führung gab er uns einen seiner Leutnants mit,
der auf seinem Tekinzenstreitroß neben uns die Droschkenkutscher zu höchster
Eile anspornte. Im Galopp ging es in der Richtung auf den Ani Keschi auf
den Exerzierplatz des ersten Tamanregiments der Knbaukasakeu los. Hier hielt
schon der Brigadekommandeur und das ganze Offizierkorps des Regiments,
lauter hohe kräftige Gestalten mit kühnen, energisch geschulteren Gesichtszügen,
alle gut beritten und in der langen dunkeln Wintertscherkeßka noch schlanker
erscheinend, als sie in der Wirklichkeit sein mochten. Man kann nicht leugne»,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/430>, abgerufen am 23.07.2024.