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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Russische Gastfreundschaft !" Transkaspien

Besuch ab. So eine russische Kaserne in Zentralasien besteht aus einstöckigen
niedrigen langgestreckten Gebäuden. Ihr Inneres hat einen großen Schlafsaal
mit weißgetünchten Wänden und den üblichen militärischen Verzierungen,
Schlachtenbilderu, Zeichnungen des Gewehrs und der Geschoßflugbahucu.
Uniformskizzen und Zielscheiben. Die sorgfältig aufgerichteten Betten sind
niedrige hölzerne Tische mit einem Strohsack, Bettlaken und dunkelgrau-wollner
Decke. An dem Bezug des Kopfkissens, das der Staat uicht liefert, darf der
beneidenswerte Inhaber dieser zur Verweichlichung nicht beitragenden Bettstatt
seinen Drang nach Individualität auslassen; sein sonstiges Eigentum verwahrt
er in einer verschließbaren Kiste, da Spinde uicht vorhanden sind. Im Schlaf¬
saal spielt sich bei Kälte die gesamte Tätigkeit des Soldaten ab, und wohl-
verklebte Doppelfenster halten im Verein mit dem Filzbeschlag der Türen die
Temperatur auf der richtigen Hohe. Trotzdem waren die Räume gut durchlüftet.
Jede Kompagnie, Eskadron oder Batterie hat in abgeschlossenen Raume ihre
kleine Kapelle, bei deren Durchschreiten es für den Besucher zum guten Ton
gehört, die Kopfbedeckung abzunehmen. Dasselbe gilt übrigens für alle Räume,
in denen Bilder des regierenden Zaren angebracht sind. Jede Behörde, jedes
Gerichtsgebäude, jede staatliche Anstalt, auch die Post hat mit Zarenbildern
geschmückte Räume und verkündet auf diese Weise die Allgewalt des Herrschers.
Der Brauch ist uicht übel, aber den Geist der Kritik hat er doch nicht bannen
könne". Welche wirkliche Verehrung hätte zu diesen Bildern aufgeschaut,
wenn sich Nikolai der Zweite rechtzeitig und freiwillig zu den Reformen ent¬
schlossen hätte, zu denen er jetzt gezwungen worden ist! Über die Religiosität
des einfachen Russen, des Soldaten und über die von seiner Kirche geheiligten
Gebräuche samt den Bildern und Nothelfern soll man nicht spotten, wie es
unsre Witzblätter vielfach zu Beginn und während des letzten Krieges getan
haben: der fromme Glaube ist dem Soldaten etwas Innerliches, Hohes, Be¬
geisterndes, das ihm über Not und Gefahr hinweghilft.

Die materielle Lage des russischen Soldaten ist, ganz besonders, wenn
man den Maßstab seiner Verhältnisse vor und nach der Dienstzeit anlegt, nicht so
schlecht, als man annimmt. Die Löhnung ist freilich verschwindend gering.") Ich
möchte aber ausdrücklich feststellen, daß bei den niedern und bei einem großen
Teile der höhern Vorgesetzten viel Interesse für die Untergebnen vorhanden ist,
daß viele von jenen sie körperlich, moralisch und geistig zu fördern suchen, wo sie
können. Rein äußerlich ist kaum ein Unterschied gegen unsre Musketiere in der
Güte des Umzugs im Dienst zu erkennen; was die Zweckmäßigkeit anlangt,
ist die russische Uniformicrnng der unsern entschieden überlegen, da sie der
Temperaturveränderung angepaßt ist. Die Verpflegung kann bei den billigen
Preisen der Rohprodukte gut und schmackhaft zubereitet werden, wenngleich



Inzwischen ist sie nicht unbeträchtlich erhöht, "ut mich andre Maßregeln sind zur Ver¬
besserung der Lage des Soldaten getroffen worden.
Russische Gastfreundschaft !» Transkaspien

Besuch ab. So eine russische Kaserne in Zentralasien besteht aus einstöckigen
niedrigen langgestreckten Gebäuden. Ihr Inneres hat einen großen Schlafsaal
mit weißgetünchten Wänden und den üblichen militärischen Verzierungen,
Schlachtenbilderu, Zeichnungen des Gewehrs und der Geschoßflugbahucu.
Uniformskizzen und Zielscheiben. Die sorgfältig aufgerichteten Betten sind
niedrige hölzerne Tische mit einem Strohsack, Bettlaken und dunkelgrau-wollner
Decke. An dem Bezug des Kopfkissens, das der Staat uicht liefert, darf der
beneidenswerte Inhaber dieser zur Verweichlichung nicht beitragenden Bettstatt
seinen Drang nach Individualität auslassen; sein sonstiges Eigentum verwahrt
er in einer verschließbaren Kiste, da Spinde uicht vorhanden sind. Im Schlaf¬
saal spielt sich bei Kälte die gesamte Tätigkeit des Soldaten ab, und wohl-
verklebte Doppelfenster halten im Verein mit dem Filzbeschlag der Türen die
Temperatur auf der richtigen Hohe. Trotzdem waren die Räume gut durchlüftet.
Jede Kompagnie, Eskadron oder Batterie hat in abgeschlossenen Raume ihre
kleine Kapelle, bei deren Durchschreiten es für den Besucher zum guten Ton
gehört, die Kopfbedeckung abzunehmen. Dasselbe gilt übrigens für alle Räume,
in denen Bilder des regierenden Zaren angebracht sind. Jede Behörde, jedes
Gerichtsgebäude, jede staatliche Anstalt, auch die Post hat mit Zarenbildern
geschmückte Räume und verkündet auf diese Weise die Allgewalt des Herrschers.
Der Brauch ist uicht übel, aber den Geist der Kritik hat er doch nicht bannen
könne». Welche wirkliche Verehrung hätte zu diesen Bildern aufgeschaut,
wenn sich Nikolai der Zweite rechtzeitig und freiwillig zu den Reformen ent¬
schlossen hätte, zu denen er jetzt gezwungen worden ist! Über die Religiosität
des einfachen Russen, des Soldaten und über die von seiner Kirche geheiligten
Gebräuche samt den Bildern und Nothelfern soll man nicht spotten, wie es
unsre Witzblätter vielfach zu Beginn und während des letzten Krieges getan
haben: der fromme Glaube ist dem Soldaten etwas Innerliches, Hohes, Be¬
geisterndes, das ihm über Not und Gefahr hinweghilft.

Die materielle Lage des russischen Soldaten ist, ganz besonders, wenn
man den Maßstab seiner Verhältnisse vor und nach der Dienstzeit anlegt, nicht so
schlecht, als man annimmt. Die Löhnung ist freilich verschwindend gering.") Ich
möchte aber ausdrücklich feststellen, daß bei den niedern und bei einem großen
Teile der höhern Vorgesetzten viel Interesse für die Untergebnen vorhanden ist,
daß viele von jenen sie körperlich, moralisch und geistig zu fördern suchen, wo sie
können. Rein äußerlich ist kaum ein Unterschied gegen unsre Musketiere in der
Güte des Umzugs im Dienst zu erkennen; was die Zweckmäßigkeit anlangt,
ist die russische Uniformicrnng der unsern entschieden überlegen, da sie der
Temperaturveränderung angepaßt ist. Die Verpflegung kann bei den billigen
Preisen der Rohprodukte gut und schmackhaft zubereitet werden, wenngleich



Inzwischen ist sie nicht unbeträchtlich erhöht, „ut mich andre Maßregeln sind zur Ver¬
besserung der Lage des Soldaten getroffen worden.
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[0426] Russische Gastfreundschaft !» Transkaspien Besuch ab. So eine russische Kaserne in Zentralasien besteht aus einstöckigen niedrigen langgestreckten Gebäuden. Ihr Inneres hat einen großen Schlafsaal mit weißgetünchten Wänden und den üblichen militärischen Verzierungen, Schlachtenbilderu, Zeichnungen des Gewehrs und der Geschoßflugbahucu. Uniformskizzen und Zielscheiben. Die sorgfältig aufgerichteten Betten sind niedrige hölzerne Tische mit einem Strohsack, Bettlaken und dunkelgrau-wollner Decke. An dem Bezug des Kopfkissens, das der Staat uicht liefert, darf der beneidenswerte Inhaber dieser zur Verweichlichung nicht beitragenden Bettstatt seinen Drang nach Individualität auslassen; sein sonstiges Eigentum verwahrt er in einer verschließbaren Kiste, da Spinde uicht vorhanden sind. Im Schlaf¬ saal spielt sich bei Kälte die gesamte Tätigkeit des Soldaten ab, und wohl- verklebte Doppelfenster halten im Verein mit dem Filzbeschlag der Türen die Temperatur auf der richtigen Hohe. Trotzdem waren die Räume gut durchlüftet. Jede Kompagnie, Eskadron oder Batterie hat in abgeschlossenen Raume ihre kleine Kapelle, bei deren Durchschreiten es für den Besucher zum guten Ton gehört, die Kopfbedeckung abzunehmen. Dasselbe gilt übrigens für alle Räume, in denen Bilder des regierenden Zaren angebracht sind. Jede Behörde, jedes Gerichtsgebäude, jede staatliche Anstalt, auch die Post hat mit Zarenbildern geschmückte Räume und verkündet auf diese Weise die Allgewalt des Herrschers. Der Brauch ist uicht übel, aber den Geist der Kritik hat er doch nicht bannen könne». Welche wirkliche Verehrung hätte zu diesen Bildern aufgeschaut, wenn sich Nikolai der Zweite rechtzeitig und freiwillig zu den Reformen ent¬ schlossen hätte, zu denen er jetzt gezwungen worden ist! Über die Religiosität des einfachen Russen, des Soldaten und über die von seiner Kirche geheiligten Gebräuche samt den Bildern und Nothelfern soll man nicht spotten, wie es unsre Witzblätter vielfach zu Beginn und während des letzten Krieges getan haben: der fromme Glaube ist dem Soldaten etwas Innerliches, Hohes, Be¬ geisterndes, das ihm über Not und Gefahr hinweghilft. Die materielle Lage des russischen Soldaten ist, ganz besonders, wenn man den Maßstab seiner Verhältnisse vor und nach der Dienstzeit anlegt, nicht so schlecht, als man annimmt. Die Löhnung ist freilich verschwindend gering.") Ich möchte aber ausdrücklich feststellen, daß bei den niedern und bei einem großen Teile der höhern Vorgesetzten viel Interesse für die Untergebnen vorhanden ist, daß viele von jenen sie körperlich, moralisch und geistig zu fördern suchen, wo sie können. Rein äußerlich ist kaum ein Unterschied gegen unsre Musketiere in der Güte des Umzugs im Dienst zu erkennen; was die Zweckmäßigkeit anlangt, ist die russische Uniformicrnng der unsern entschieden überlegen, da sie der Temperaturveränderung angepaßt ist. Die Verpflegung kann bei den billigen Preisen der Rohprodukte gut und schmackhaft zubereitet werden, wenngleich Inzwischen ist sie nicht unbeträchtlich erhöht, „ut mich andre Maßregeln sind zur Ver¬ besserung der Lage des Soldaten getroffen worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/426>, abgerufen am 23.07.2024.