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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

großen Zeitromanen Verwendung fanden, kommen hier wieder zum Vorschein;
nur fehlt Oefterer das poetische Talent dieser beiden Vorgänger, und er erinnert
mehr an Hackländer, dessen Liebenswürdigkeit ihm freilich nicht eigen ist. Auch
hier wieder muß der Nichteingeweihte seine Vorbehalte machen. Aber auch wer
als norddeutscher Protestant den süddeutschen oder österreichischen Verhältnissen
Und dem jesuitischen Milieu fremd gegenübersteht, wird die Einseitigkeit heraus¬
finden, mit der Oefterer die Wirksamkeit der Gesellschaft Jesu zeichnet. Schon
das eine sagt man sich: eine Verbindung, die so durch Lug, Trug und Intrige
schreitet, könnte nicht durch Jahrhunderte bestehn und müßte längst an sich selbst
zugrunde gegangen sein. Auch wer also von den Erzählerreizen des Romans
gefesselt bis zu Ende gefolgt ist, wird gut tun, eine Kirchengeschichte zur Hand
zu nehmen oder zu sehen, was Carl Jentsch, ein Kundiger, über diesen Gegen¬
stand geschrieben hat. Erfreulich ist an dem Buche, daß der Verfasser den so
nahe liegenden Fehler vermieden hat, Schlüsselgeschichten zu schreiben und ver¬
stohlen auf wirkliche Begebnisse hinzudeuten. Der sittliche Ernst seiner Auf¬
fassung soll nicht bestritten werden, wenn ihm auch die religiöse Inbrunst fehlt,
die allein seinen Kampf in die höchste Sphäre heben könnte, und an deren
Stelle eine ziemlich vage Vorstellung echten Christentums getreten ist.

Da geht denn doch ein andres Buch aus katholischem Umkreis ganz
anders in die Tiefe und nicht nur in die Weite. Ich meine "Jesse und Maria"
von der Baronin Enrica von Handel - Mazzetti (München und Kempten,
Jos. Kösel). Die Geschichte spielt in den Donauländer oberhalb Wiens nach
dem Dreißigjährigen Kriege. Jesse ist ein protestantischer Ritter, Maria das
katholische Weib eines Försters. In jugendlichem Ungestüm will Jesse dem
gelungner Werk der österreichischen Gegenreformation den Boden abgraben. Er
verteilt evangelische Flugblätter, läßt sich wider das Verbot in seinem Schlosse
bei Pechlarn lutherisch trauen und gewinnt durch den Reiz seiner frischen Per¬
sönlichkeit wirklich einen großen Teil der Bevölkerung, freilich noch nicht bis
zum Übertritt. Vor einer Schranke wird sein Bemühen zusehenden: vor der
Marienverehrung des schlichten Landvolks und seinem Bilderkult. Der Mann
jener Maria hat auch sein Taferl in einem Wunderbaum, er schreibt ihm die
Genesung von schwerer Krankheit zu, und so sehr gerade ihn der Ritter ge¬
fangen genommen hat -- von dem Bilde, das Jesse, in beinahe krankhaftem Ab¬
scheu, stürzen will, mag er nicht lassen. Annalen lassen will ers, da der
Protestant es zu häßlich findet, abnehmen nimmer. Da kommt er, auch durch
seinen neuen Freund, in Schulden, und jener streckt ihm das Geld vor unter
der Bedingung, daß er ihm das Taferl schafft. Nach dem schwersten Seelen¬
kampf hat der Förster Schinnagel den furchtbaren Vertrag unterschrieben; schon
hat er das Bild aus seiner Haft gelöst und einstweilen in seiner Lade ver¬
borgen, um es später dem Ritter zu bringen. Nun aber tritt Maria hervor.
Sie, die sich einst dem Kloster geloben wollte und eine tiefe, innige Frömmig¬
keit dem alten Glauben bewahrt hat, mochte die Besuche Jesses in ihrem Hause


Neue Romane und Novellen

großen Zeitromanen Verwendung fanden, kommen hier wieder zum Vorschein;
nur fehlt Oefterer das poetische Talent dieser beiden Vorgänger, und er erinnert
mehr an Hackländer, dessen Liebenswürdigkeit ihm freilich nicht eigen ist. Auch
hier wieder muß der Nichteingeweihte seine Vorbehalte machen. Aber auch wer
als norddeutscher Protestant den süddeutschen oder österreichischen Verhältnissen
Und dem jesuitischen Milieu fremd gegenübersteht, wird die Einseitigkeit heraus¬
finden, mit der Oefterer die Wirksamkeit der Gesellschaft Jesu zeichnet. Schon
das eine sagt man sich: eine Verbindung, die so durch Lug, Trug und Intrige
schreitet, könnte nicht durch Jahrhunderte bestehn und müßte längst an sich selbst
zugrunde gegangen sein. Auch wer also von den Erzählerreizen des Romans
gefesselt bis zu Ende gefolgt ist, wird gut tun, eine Kirchengeschichte zur Hand
zu nehmen oder zu sehen, was Carl Jentsch, ein Kundiger, über diesen Gegen¬
stand geschrieben hat. Erfreulich ist an dem Buche, daß der Verfasser den so
nahe liegenden Fehler vermieden hat, Schlüsselgeschichten zu schreiben und ver¬
stohlen auf wirkliche Begebnisse hinzudeuten. Der sittliche Ernst seiner Auf¬
fassung soll nicht bestritten werden, wenn ihm auch die religiöse Inbrunst fehlt,
die allein seinen Kampf in die höchste Sphäre heben könnte, und an deren
Stelle eine ziemlich vage Vorstellung echten Christentums getreten ist.

Da geht denn doch ein andres Buch aus katholischem Umkreis ganz
anders in die Tiefe und nicht nur in die Weite. Ich meine „Jesse und Maria"
von der Baronin Enrica von Handel - Mazzetti (München und Kempten,
Jos. Kösel). Die Geschichte spielt in den Donauländer oberhalb Wiens nach
dem Dreißigjährigen Kriege. Jesse ist ein protestantischer Ritter, Maria das
katholische Weib eines Försters. In jugendlichem Ungestüm will Jesse dem
gelungner Werk der österreichischen Gegenreformation den Boden abgraben. Er
verteilt evangelische Flugblätter, läßt sich wider das Verbot in seinem Schlosse
bei Pechlarn lutherisch trauen und gewinnt durch den Reiz seiner frischen Per¬
sönlichkeit wirklich einen großen Teil der Bevölkerung, freilich noch nicht bis
zum Übertritt. Vor einer Schranke wird sein Bemühen zusehenden: vor der
Marienverehrung des schlichten Landvolks und seinem Bilderkult. Der Mann
jener Maria hat auch sein Taferl in einem Wunderbaum, er schreibt ihm die
Genesung von schwerer Krankheit zu, und so sehr gerade ihn der Ritter ge¬
fangen genommen hat — von dem Bilde, das Jesse, in beinahe krankhaftem Ab¬
scheu, stürzen will, mag er nicht lassen. Annalen lassen will ers, da der
Protestant es zu häßlich findet, abnehmen nimmer. Da kommt er, auch durch
seinen neuen Freund, in Schulden, und jener streckt ihm das Geld vor unter
der Bedingung, daß er ihm das Taferl schafft. Nach dem schwersten Seelen¬
kampf hat der Förster Schinnagel den furchtbaren Vertrag unterschrieben; schon
hat er das Bild aus seiner Haft gelöst und einstweilen in seiner Lade ver¬
borgen, um es später dem Ritter zu bringen. Nun aber tritt Maria hervor.
Sie, die sich einst dem Kloster geloben wollte und eine tiefe, innige Frömmig¬
keit dem alten Glauben bewahrt hat, mochte die Besuche Jesses in ihrem Hause


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[0418] Neue Romane und Novellen großen Zeitromanen Verwendung fanden, kommen hier wieder zum Vorschein; nur fehlt Oefterer das poetische Talent dieser beiden Vorgänger, und er erinnert mehr an Hackländer, dessen Liebenswürdigkeit ihm freilich nicht eigen ist. Auch hier wieder muß der Nichteingeweihte seine Vorbehalte machen. Aber auch wer als norddeutscher Protestant den süddeutschen oder österreichischen Verhältnissen Und dem jesuitischen Milieu fremd gegenübersteht, wird die Einseitigkeit heraus¬ finden, mit der Oefterer die Wirksamkeit der Gesellschaft Jesu zeichnet. Schon das eine sagt man sich: eine Verbindung, die so durch Lug, Trug und Intrige schreitet, könnte nicht durch Jahrhunderte bestehn und müßte längst an sich selbst zugrunde gegangen sein. Auch wer also von den Erzählerreizen des Romans gefesselt bis zu Ende gefolgt ist, wird gut tun, eine Kirchengeschichte zur Hand zu nehmen oder zu sehen, was Carl Jentsch, ein Kundiger, über diesen Gegen¬ stand geschrieben hat. Erfreulich ist an dem Buche, daß der Verfasser den so nahe liegenden Fehler vermieden hat, Schlüsselgeschichten zu schreiben und ver¬ stohlen auf wirkliche Begebnisse hinzudeuten. Der sittliche Ernst seiner Auf¬ fassung soll nicht bestritten werden, wenn ihm auch die religiöse Inbrunst fehlt, die allein seinen Kampf in die höchste Sphäre heben könnte, und an deren Stelle eine ziemlich vage Vorstellung echten Christentums getreten ist. Da geht denn doch ein andres Buch aus katholischem Umkreis ganz anders in die Tiefe und nicht nur in die Weite. Ich meine „Jesse und Maria" von der Baronin Enrica von Handel - Mazzetti (München und Kempten, Jos. Kösel). Die Geschichte spielt in den Donauländer oberhalb Wiens nach dem Dreißigjährigen Kriege. Jesse ist ein protestantischer Ritter, Maria das katholische Weib eines Försters. In jugendlichem Ungestüm will Jesse dem gelungner Werk der österreichischen Gegenreformation den Boden abgraben. Er verteilt evangelische Flugblätter, läßt sich wider das Verbot in seinem Schlosse bei Pechlarn lutherisch trauen und gewinnt durch den Reiz seiner frischen Per¬ sönlichkeit wirklich einen großen Teil der Bevölkerung, freilich noch nicht bis zum Übertritt. Vor einer Schranke wird sein Bemühen zusehenden: vor der Marienverehrung des schlichten Landvolks und seinem Bilderkult. Der Mann jener Maria hat auch sein Taferl in einem Wunderbaum, er schreibt ihm die Genesung von schwerer Krankheit zu, und so sehr gerade ihn der Ritter ge¬ fangen genommen hat — von dem Bilde, das Jesse, in beinahe krankhaftem Ab¬ scheu, stürzen will, mag er nicht lassen. Annalen lassen will ers, da der Protestant es zu häßlich findet, abnehmen nimmer. Da kommt er, auch durch seinen neuen Freund, in Schulden, und jener streckt ihm das Geld vor unter der Bedingung, daß er ihm das Taferl schafft. Nach dem schwersten Seelen¬ kampf hat der Förster Schinnagel den furchtbaren Vertrag unterschrieben; schon hat er das Bild aus seiner Haft gelöst und einstweilen in seiner Lade ver¬ borgen, um es später dem Ritter zu bringen. Nun aber tritt Maria hervor. Sie, die sich einst dem Kloster geloben wollte und eine tiefe, innige Frömmig¬ keit dem alten Glauben bewahrt hat, mochte die Besuche Jesses in ihrem Hause

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/418>, abgerufen am 23.07.2024.