Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hartmann über das Leben

stammt. Seine Kunst besteht darin, von diesem Energiestrom ein Teilchen auf
seine Mühle zu leiten, um sie in Betrieb zu erhalten." Der Besitz so kom¬
plizierter Hilfsmechanismen, wie die Katalysatoren. Fermente und Profer¬
mente sind, "zeigt am deutlichsten, daß auch das niedrigste uns bekannte
Protoplasma schon das Ergebnis einer langen Entwicklungsreihe sem muß.
in der diese chemischen Apparate erworben, vervollkommnet und vererbt wurden,
und daß es nicht angeht, die uns bekannten einzelligen Organismen als
homogene Tröpfchen zu behandeln, von denen erst alle Differenzierung aus¬
gehe". Von der chemischen Zusammensetzung der Fermente wissen wir noch
nichts, und man wird sie vielleicht niemals herausbekommen, weil diese Stoffe
so veränderlich sind, daß sie bei jedem Verjuch. sie chemischen Reaktionen zu
unterwerfen, zu etwas andern, werden. Trotzdem ist die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, daß auch sie dereinst einmal künstlich hergestellt werden, "denn
sie sind Stoffe wie alle andern, und der Unterschied des Organischen vom
Unorganischen liegt nicht in irgendeinem Stoff oder einer stoffverbindung. Der
Unterschied liegt vielmehr in der Art und Weise, wie das Leben die leichte
Wandelbarkeit dieser Stoffe zu seinen Zwecken benutzt, und diesen zweckmüßigen
Gebrauch kann der Chemiker schon deshalb nicht nachahmen, weil er nicht wie
das Protoplasma eine Empfindung für die feinsten Reize hat. auf die es gilt,
zweckmäßig zu reagieren. Dachte man sich eine Anzahl höchst verfeinerter
chemischer Wahrnehmungsinstrumeute dem Chemiker zu Gebote stehend, durch
die es ihm möglich würde, in einer von ihm hergestellten chemischen Stoff¬
mischung solche feinste chemische Reize wahrzunehmen, und dächte man die
Chemie weit genug fortgeschritten, auf solche Reize alle zweckmäßigen Reaktionen
vorzunehmen, dann hätte der Chemiker allerdings die Stoffmischung auf so
lange verlebendigt, als er ihr seine Aufmerksamkeit zuwendete, aber nur da¬
durch, daß er sie zu einem Teil seines persönlichen Lebens gemacht und sie
mit seiner Seele beseelt Hütte. Sobald er dann an sein Frühstück ginge, Ware
dieses Verhältnis zu Ende, und die Stoffmischung wieder unlebendig wie
zuvor. Dem Schöpfer ins Handwerk pfuschen könnte er dadurch doch meh.
Außerdem ist aber die menschliche Aufmerksamkeit viel zu eng emgeschran .
"is daß sie alle die Aufgaben gleichzeitig bewältigen könnte, die iedes Zell-
plasma im kleinsten Raume tatsächlich zugleich löst. Daraus erhellt schon daß
ein etwaiges Zeitbewußtsein noch weniger als das menschliche ^ante ist. die
Aufgaben des ^ellprotoplasma gleichzeitig zu bewältigen, daß also das Hrmzip
der immanenten Zweckmäßigkeit in der Autonomie des Lebens eine ganz andr
Form habe" muß als die Zweckmäßigkeitsvorstellungen im Bewuß se n I
u"serm Bewußtsein. Das ist unbestreitbar. Ebenso, daß em Jug res e u
Umsches Bewiißt ein noch weniger leisten könnte °is das menschliche und daß
ein Zellen- oder Atombewußtsein, wenn es eins gäbe, of za doch nur em
dumpfe Empfindung sein würde, erst recht nicht zu den beschnebnen our^b°ren Leistungen befähigt wäre. Wir ziehn daraus aber acht mit Hartmann


Hartmann über das Leben

stammt. Seine Kunst besteht darin, von diesem Energiestrom ein Teilchen auf
seine Mühle zu leiten, um sie in Betrieb zu erhalten.» Der Besitz so kom¬
plizierter Hilfsmechanismen, wie die Katalysatoren. Fermente und Profer¬
mente sind, „zeigt am deutlichsten, daß auch das niedrigste uns bekannte
Protoplasma schon das Ergebnis einer langen Entwicklungsreihe sem muß.
in der diese chemischen Apparate erworben, vervollkommnet und vererbt wurden,
und daß es nicht angeht, die uns bekannten einzelligen Organismen als
homogene Tröpfchen zu behandeln, von denen erst alle Differenzierung aus¬
gehe". Von der chemischen Zusammensetzung der Fermente wissen wir noch
nichts, und man wird sie vielleicht niemals herausbekommen, weil diese Stoffe
so veränderlich sind, daß sie bei jedem Verjuch. sie chemischen Reaktionen zu
unterwerfen, zu etwas andern, werden. Trotzdem ist die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, daß auch sie dereinst einmal künstlich hergestellt werden, „denn
sie sind Stoffe wie alle andern, und der Unterschied des Organischen vom
Unorganischen liegt nicht in irgendeinem Stoff oder einer stoffverbindung. Der
Unterschied liegt vielmehr in der Art und Weise, wie das Leben die leichte
Wandelbarkeit dieser Stoffe zu seinen Zwecken benutzt, und diesen zweckmüßigen
Gebrauch kann der Chemiker schon deshalb nicht nachahmen, weil er nicht wie
das Protoplasma eine Empfindung für die feinsten Reize hat. auf die es gilt,
zweckmäßig zu reagieren. Dachte man sich eine Anzahl höchst verfeinerter
chemischer Wahrnehmungsinstrumeute dem Chemiker zu Gebote stehend, durch
die es ihm möglich würde, in einer von ihm hergestellten chemischen Stoff¬
mischung solche feinste chemische Reize wahrzunehmen, und dächte man die
Chemie weit genug fortgeschritten, auf solche Reize alle zweckmäßigen Reaktionen
vorzunehmen, dann hätte der Chemiker allerdings die Stoffmischung auf so
lange verlebendigt, als er ihr seine Aufmerksamkeit zuwendete, aber nur da¬
durch, daß er sie zu einem Teil seines persönlichen Lebens gemacht und sie
mit seiner Seele beseelt Hütte. Sobald er dann an sein Frühstück ginge, Ware
dieses Verhältnis zu Ende, und die Stoffmischung wieder unlebendig wie
zuvor. Dem Schöpfer ins Handwerk pfuschen könnte er dadurch doch meh.
Außerdem ist aber die menschliche Aufmerksamkeit viel zu eng emgeschran .
"is daß sie alle die Aufgaben gleichzeitig bewältigen könnte, die iedes Zell-
plasma im kleinsten Raume tatsächlich zugleich löst. Daraus erhellt schon daß
ein etwaiges Zeitbewußtsein noch weniger als das menschliche ^ante ist. die
Aufgaben des ^ellprotoplasma gleichzeitig zu bewältigen, daß also das Hrmzip
der immanenten Zweckmäßigkeit in der Autonomie des Lebens eine ganz andr
Form habe» muß als die Zweckmäßigkeitsvorstellungen im Bewuß se n I
u»serm Bewußtsein. Das ist unbestreitbar. Ebenso, daß em Jug res e u
Umsches Bewiißt ein noch weniger leisten könnte °is das menschliche und daß
ein Zellen- oder Atombewußtsein, wenn es eins gäbe, of za doch nur em
dumpfe Empfindung sein würde, erst recht nicht zu den beschnebnen our^b°ren Leistungen befähigt wäre. Wir ziehn daraus aber acht mit Hartmann


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0411" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300910"/>
          <fw type="header" place="top"> Hartmann über das Leben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1701" prev="#ID_1700" next="#ID_1702"> stammt. Seine Kunst besteht darin, von diesem Energiestrom ein Teilchen auf<lb/>
seine Mühle zu leiten, um sie in Betrieb zu erhalten.» Der Besitz so kom¬<lb/>
plizierter Hilfsmechanismen, wie die Katalysatoren. Fermente und Profer¬<lb/>
mente sind, &#x201E;zeigt am deutlichsten, daß auch das niedrigste uns bekannte<lb/>
Protoplasma schon das Ergebnis einer langen Entwicklungsreihe sem muß.<lb/>
in der diese chemischen Apparate erworben, vervollkommnet und vererbt wurden,<lb/>
und daß es nicht angeht, die uns bekannten einzelligen Organismen als<lb/>
homogene Tröpfchen zu behandeln, von denen erst alle Differenzierung aus¬<lb/>
gehe". Von der chemischen Zusammensetzung der Fermente wissen wir noch<lb/>
nichts, und man wird sie vielleicht niemals herausbekommen, weil diese Stoffe<lb/>
so veränderlich sind, daß sie bei jedem Verjuch. sie chemischen Reaktionen zu<lb/>
unterwerfen, zu etwas andern, werden. Trotzdem ist die Möglichkeit nicht<lb/>
ausgeschlossen, daß auch sie dereinst einmal künstlich hergestellt werden, &#x201E;denn<lb/>
sie sind Stoffe wie alle andern, und der Unterschied des Organischen vom<lb/>
Unorganischen liegt nicht in irgendeinem Stoff oder einer stoffverbindung. Der<lb/>
Unterschied liegt vielmehr in der Art und Weise, wie das Leben die leichte<lb/>
Wandelbarkeit dieser Stoffe zu seinen Zwecken benutzt, und diesen zweckmüßigen<lb/>
Gebrauch kann der Chemiker schon deshalb nicht nachahmen, weil er nicht wie<lb/>
das Protoplasma eine Empfindung für die feinsten Reize hat. auf die es gilt,<lb/>
zweckmäßig zu reagieren. Dachte man sich eine Anzahl höchst verfeinerter<lb/>
chemischer Wahrnehmungsinstrumeute dem Chemiker zu Gebote stehend, durch<lb/>
die es ihm möglich würde, in einer von ihm hergestellten chemischen Stoff¬<lb/>
mischung solche feinste chemische Reize wahrzunehmen, und dächte man die<lb/>
Chemie weit genug fortgeschritten, auf solche Reize alle zweckmäßigen Reaktionen<lb/>
vorzunehmen, dann hätte der Chemiker allerdings die Stoffmischung auf so<lb/>
lange verlebendigt, als er ihr seine Aufmerksamkeit zuwendete, aber nur da¬<lb/>
durch, daß er sie zu einem Teil seines persönlichen Lebens gemacht und sie<lb/>
mit seiner Seele beseelt Hütte. Sobald er dann an sein Frühstück ginge, Ware<lb/>
dieses Verhältnis zu Ende, und die Stoffmischung wieder unlebendig wie<lb/>
zuvor. Dem Schöpfer ins Handwerk pfuschen könnte er dadurch doch meh.<lb/>
Außerdem ist aber die menschliche Aufmerksamkeit viel zu eng emgeschran .<lb/>
"is daß sie alle die Aufgaben gleichzeitig bewältigen könnte, die iedes Zell-<lb/>
plasma im kleinsten Raume tatsächlich zugleich löst. Daraus erhellt schon daß<lb/>
ein etwaiges Zeitbewußtsein noch weniger als das menschliche ^ante ist. die<lb/>
Aufgaben des ^ellprotoplasma gleichzeitig zu bewältigen, daß also das Hrmzip<lb/>
der immanenten Zweckmäßigkeit in der Autonomie des Lebens eine ganz andr<lb/>
Form habe» muß als die Zweckmäßigkeitsvorstellungen im Bewuß se n I<lb/>
u»serm Bewußtsein. Das ist unbestreitbar. Ebenso, daß em Jug res e u<lb/>
Umsches Bewiißt ein noch weniger leisten könnte °is das menschliche und daß<lb/>
ein Zellen- oder Atombewußtsein, wenn es eins gäbe, of za doch nur em<lb/>
dumpfe Empfindung sein würde, erst recht nicht zu den beschnebnen our^b°ren Leistungen befähigt wäre. Wir ziehn daraus aber acht mit Hartmann</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0411] Hartmann über das Leben stammt. Seine Kunst besteht darin, von diesem Energiestrom ein Teilchen auf seine Mühle zu leiten, um sie in Betrieb zu erhalten.» Der Besitz so kom¬ plizierter Hilfsmechanismen, wie die Katalysatoren. Fermente und Profer¬ mente sind, „zeigt am deutlichsten, daß auch das niedrigste uns bekannte Protoplasma schon das Ergebnis einer langen Entwicklungsreihe sem muß. in der diese chemischen Apparate erworben, vervollkommnet und vererbt wurden, und daß es nicht angeht, die uns bekannten einzelligen Organismen als homogene Tröpfchen zu behandeln, von denen erst alle Differenzierung aus¬ gehe". Von der chemischen Zusammensetzung der Fermente wissen wir noch nichts, und man wird sie vielleicht niemals herausbekommen, weil diese Stoffe so veränderlich sind, daß sie bei jedem Verjuch. sie chemischen Reaktionen zu unterwerfen, zu etwas andern, werden. Trotzdem ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß auch sie dereinst einmal künstlich hergestellt werden, „denn sie sind Stoffe wie alle andern, und der Unterschied des Organischen vom Unorganischen liegt nicht in irgendeinem Stoff oder einer stoffverbindung. Der Unterschied liegt vielmehr in der Art und Weise, wie das Leben die leichte Wandelbarkeit dieser Stoffe zu seinen Zwecken benutzt, und diesen zweckmüßigen Gebrauch kann der Chemiker schon deshalb nicht nachahmen, weil er nicht wie das Protoplasma eine Empfindung für die feinsten Reize hat. auf die es gilt, zweckmäßig zu reagieren. Dachte man sich eine Anzahl höchst verfeinerter chemischer Wahrnehmungsinstrumeute dem Chemiker zu Gebote stehend, durch die es ihm möglich würde, in einer von ihm hergestellten chemischen Stoff¬ mischung solche feinste chemische Reize wahrzunehmen, und dächte man die Chemie weit genug fortgeschritten, auf solche Reize alle zweckmäßigen Reaktionen vorzunehmen, dann hätte der Chemiker allerdings die Stoffmischung auf so lange verlebendigt, als er ihr seine Aufmerksamkeit zuwendete, aber nur da¬ durch, daß er sie zu einem Teil seines persönlichen Lebens gemacht und sie mit seiner Seele beseelt Hütte. Sobald er dann an sein Frühstück ginge, Ware dieses Verhältnis zu Ende, und die Stoffmischung wieder unlebendig wie zuvor. Dem Schöpfer ins Handwerk pfuschen könnte er dadurch doch meh. Außerdem ist aber die menschliche Aufmerksamkeit viel zu eng emgeschran . "is daß sie alle die Aufgaben gleichzeitig bewältigen könnte, die iedes Zell- plasma im kleinsten Raume tatsächlich zugleich löst. Daraus erhellt schon daß ein etwaiges Zeitbewußtsein noch weniger als das menschliche ^ante ist. die Aufgaben des ^ellprotoplasma gleichzeitig zu bewältigen, daß also das Hrmzip der immanenten Zweckmäßigkeit in der Autonomie des Lebens eine ganz andr Form habe» muß als die Zweckmäßigkeitsvorstellungen im Bewuß se n I u»serm Bewußtsein. Das ist unbestreitbar. Ebenso, daß em Jug res e u Umsches Bewiißt ein noch weniger leisten könnte °is das menschliche und daß ein Zellen- oder Atombewußtsein, wenn es eins gäbe, of za doch nur em dumpfe Empfindung sein würde, erst recht nicht zu den beschnebnen our^b°ren Leistungen befähigt wäre. Wir ziehn daraus aber acht mit Hartmann

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/411
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/411>, abgerufen am 23.07.2024.