Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.Hartmann über das Leben Gleichmäßigkeit der Form bei wechselnder Stärke des Stoffzuflusses verbürgt Einen tiefen Einblick in die Wunder der organischen Selbstregulierung Grenzboten IV 1906
Hartmann über das Leben Gleichmäßigkeit der Form bei wechselnder Stärke des Stoffzuflusses verbürgt Einen tiefen Einblick in die Wunder der organischen Selbstregulierung Grenzboten IV 1906
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300908"/> <fw type="header" place="top"> Hartmann über das Leben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1698" prev="#ID_1697"> Gleichmäßigkeit der Form bei wechselnder Stärke des Stoffzuflusses verbürgt<lb/> wird, aber ein Springbrunnen oder eine Flamme selbst wird sich ebensowenig<lb/> jemals selbst regulieren, wie sie überhaupt die Maschinenbedingungen herstellen,<lb/> auf denen ihr Bestand beruht." Deshalb sei es eine Verkennung des Tat¬<lb/> bestandes, wenn Preyer die Flammen für eine Art von Organismen hält.</p><lb/> <p xml:id="ID_1699" next="#ID_1700"> Einen tiefen Einblick in die Wunder der organischen Selbstregulierung<lb/> eröffnet Hartmann schon in dem Abschnitt über die Zelle. ..Das Leben besteht<lb/> durch chemische Umwandlungen. Zerlegungen und Verbindungen Imchr etwa<lb/> in solchen!^. Einen erheblichen und stets sich mehrenden Teil der organischen<lb/> Verbindungen vermag auch der Chemiker in seinem Laboratorium herzustellen,<lb/> aber mit ganz andern Mitteln und auf ganz andern Wegen als die Natur<lb/> in den Organismen. Das chemische Laboratorium, in dem die Natur sie ge¬<lb/> winnt, ist das Protoplasma, das aus Zweckmüßigkeitsgründen in Zellen<lb/> gegliedert ist. Nur durch absichtliche Tätigkeit des Chemikers und unabsichtliche<lb/> Tätigkeit des lebenden Protoplasma, auf keine dritte Weise entstehen die<lb/> organischen Verbindungen... . Noch Haeckel betrachtete früher das Protoplasma<lb/> eines einzelligen Organismus, der Ausbe, als ein homogenes Tröpfchen, und<lb/> lange Zeit galt es einfach für lebendes Eiweiß, weil alles Protoplasma tue<lb/> chemischen Eiweißreaktionen zeigte, also Eiweiß enthielt. Die Meer gewonnene)<lb/> Einsicht in die außerordentlich verwickelte Struktur und chemische Zusammen¬<lb/> setzung des Protoplasma stößt alle Schlußfolgerungen um. die an diese ver¬<lb/> meintliche Einfachheit geknüpft wurden, und läßt die niedrigsten uns bekannten<lb/> Organismen bereits als kunstvoll organisierte und chemisch mannigfaltige Gebilde<lb/> Erstehen." Es sei vorläufig noch nicht einmal ausgemacht, ob Eiweiß über¬<lb/> haupt jederzeit ein unentbehrlicher Bestandteil des Protoplasmas sei. Unsre<lb/> Kenntnis der Zusammensetzung dieser Gebilde stecke noch in den Anfängen.<lb/> Dagegen wüßten wir manches über ihre Wirksamkeit. „In der Leberzelle eines<lb/> Wirbeltieres kennen wir schon jetzt eine ganze Reihe gleichzeitig verlaufender<lb/> chemischer Vorgänge: aus Glykogen wird Zucker gebildet, um dem Blute den<lb/> "öligen Zuckergehalt zu sicher», und umgekehrt aus Zucker Glykogen. um das<lb/> Blut von zu starkem Zuckergehalt zu entlasten; aus Amidosäuren und Ammoniak<lb/> wird Harnstoff und Harnsäure hergestellt folgen noch fünf solche Umwandlungen^zugeführte Gifte können festgehalten oder unschädlich gemacht werden. Und<lb/> "lie diese und vermutlich noch viele andre Umsätze spielen sich gleichzeitig in<lb/> ewer Zelle ab, deren Größe etwa den tausendsten Teil eines Stecknadelknopfes<lb/> beträgt. Wie viel Gefäße und Vorrichtungen würde der Chemiker zu ihnen<lb/> brauchen! Was aber den ganzen Vorgang hier auszeichnet, bemerkt em<lb/> Chemiker, der ihn beschreibt.' das ist die erstannliche Einfachheit und Zweck¬<lb/> mäßigkeit der angewendeten Mittel und die fich daraus ergebende Raum- und<lb/> Kraftersparnis." Während die Leber- und die Nierenzellen nur für e B -<lb/> ürfnisse des Gesamtorganismus sorgen, dem sie.arges°ren ^ Pasi sich d .<lb/> Milchdrüsen den Bedürfnissen eil.es andern Orgamsmns. des Säuglings. an.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1906</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0409]
Hartmann über das Leben
Gleichmäßigkeit der Form bei wechselnder Stärke des Stoffzuflusses verbürgt
wird, aber ein Springbrunnen oder eine Flamme selbst wird sich ebensowenig
jemals selbst regulieren, wie sie überhaupt die Maschinenbedingungen herstellen,
auf denen ihr Bestand beruht." Deshalb sei es eine Verkennung des Tat¬
bestandes, wenn Preyer die Flammen für eine Art von Organismen hält.
Einen tiefen Einblick in die Wunder der organischen Selbstregulierung
eröffnet Hartmann schon in dem Abschnitt über die Zelle. ..Das Leben besteht
durch chemische Umwandlungen. Zerlegungen und Verbindungen Imchr etwa
in solchen!^. Einen erheblichen und stets sich mehrenden Teil der organischen
Verbindungen vermag auch der Chemiker in seinem Laboratorium herzustellen,
aber mit ganz andern Mitteln und auf ganz andern Wegen als die Natur
in den Organismen. Das chemische Laboratorium, in dem die Natur sie ge¬
winnt, ist das Protoplasma, das aus Zweckmüßigkeitsgründen in Zellen
gegliedert ist. Nur durch absichtliche Tätigkeit des Chemikers und unabsichtliche
Tätigkeit des lebenden Protoplasma, auf keine dritte Weise entstehen die
organischen Verbindungen... . Noch Haeckel betrachtete früher das Protoplasma
eines einzelligen Organismus, der Ausbe, als ein homogenes Tröpfchen, und
lange Zeit galt es einfach für lebendes Eiweiß, weil alles Protoplasma tue
chemischen Eiweißreaktionen zeigte, also Eiweiß enthielt. Die Meer gewonnene)
Einsicht in die außerordentlich verwickelte Struktur und chemische Zusammen¬
setzung des Protoplasma stößt alle Schlußfolgerungen um. die an diese ver¬
meintliche Einfachheit geknüpft wurden, und läßt die niedrigsten uns bekannten
Organismen bereits als kunstvoll organisierte und chemisch mannigfaltige Gebilde
Erstehen." Es sei vorläufig noch nicht einmal ausgemacht, ob Eiweiß über¬
haupt jederzeit ein unentbehrlicher Bestandteil des Protoplasmas sei. Unsre
Kenntnis der Zusammensetzung dieser Gebilde stecke noch in den Anfängen.
Dagegen wüßten wir manches über ihre Wirksamkeit. „In der Leberzelle eines
Wirbeltieres kennen wir schon jetzt eine ganze Reihe gleichzeitig verlaufender
chemischer Vorgänge: aus Glykogen wird Zucker gebildet, um dem Blute den
"öligen Zuckergehalt zu sicher», und umgekehrt aus Zucker Glykogen. um das
Blut von zu starkem Zuckergehalt zu entlasten; aus Amidosäuren und Ammoniak
wird Harnstoff und Harnsäure hergestellt folgen noch fünf solche Umwandlungen^zugeführte Gifte können festgehalten oder unschädlich gemacht werden. Und
"lie diese und vermutlich noch viele andre Umsätze spielen sich gleichzeitig in
ewer Zelle ab, deren Größe etwa den tausendsten Teil eines Stecknadelknopfes
beträgt. Wie viel Gefäße und Vorrichtungen würde der Chemiker zu ihnen
brauchen! Was aber den ganzen Vorgang hier auszeichnet, bemerkt em
Chemiker, der ihn beschreibt.' das ist die erstannliche Einfachheit und Zweck¬
mäßigkeit der angewendeten Mittel und die fich daraus ergebende Raum- und
Kraftersparnis." Während die Leber- und die Nierenzellen nur für e B -
ürfnisse des Gesamtorganismus sorgen, dem sie.arges°ren ^ Pasi sich d .
Milchdrüsen den Bedürfnissen eil.es andern Orgamsmns. des Säuglings. an.
Grenzboten IV 1906
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