Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.l)c>r vierzig Ialzren wurde, und zu der allgemeine" Sorge kam die besondre um meine hochbetagte Die Fahrt verlief ganz friedlich; erst bei den Fichtelhäuseru, einer Am 18. erschien schon früh vier Uhr ein Trupp thüringischer Ulanen und l)c>r vierzig Ialzren wurde, und zu der allgemeine» Sorge kam die besondre um meine hochbetagte Die Fahrt verlief ganz friedlich; erst bei den Fichtelhäuseru, einer Am 18. erschien schon früh vier Uhr ein Trupp thüringischer Ulanen und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300865"/> <fw type="header" place="top"> l)c>r vierzig Ialzren</fw><lb/> <p xml:id="ID_1501" prev="#ID_1500"> wurde, und zu der allgemeine» Sorge kam die besondre um meine hochbetagte<lb/> Großmutter, die in Bernstadt nicht weit von Herruhut, vier Stunden von<lb/> Zitten und nahe bei der preußischen Grenze ein kleines Haus besaß und mit<lb/> ihrer ältesten Tochter von dort zum Feste gekommen war. Wahrscheinlich war<lb/> die kleine Stadt schon besetzt. Sie machte sich deshalb schon am 16. ans, um<lb/> heimzukehren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1502"> Die Fahrt verlief ganz friedlich; erst bei den Fichtelhäuseru, einer<lb/> Hänsergruppe eine halbe Stunde vor Bernstadt, zeigte sich preußisches Militär,<lb/> das die Reisenden anhielt und ausfragte, auch nach der Stimmung, sie aber<lb/> durchließ; im Hause war schon Einquartierung. Die Preußen schienen anzu¬<lb/> nehmen, daß Zitten von den Österreichern besetzt sei, und daß ein Zusammenstoß<lb/> bevorstehe, und dort erwartete man jede Stunde ihren Einmarsch. In der<lb/> Tat ritten zweimal an diesem Tage, früh und Nachmittags, Offiziers¬<lb/> patrouillen der Radetzkyhusareu, die Straße von Gabel hereinkommend, in<lb/> Zitten ein und zogen ihrerseits Erkundigungen nach den Preußen ein, von<lb/> denen man auch nicht viel wußte, außer daß Loben in ihren Händen, und daß<lb/> die sächsischen Truppen im Rückzüge über das Erzgebirge uach Böhmen seien.<lb/> Aber am nächsten Tage, am 17., Sonntags, jagte früh um vier Uhr der erste<lb/> preußische Husar durch die Stadt, kurz nach acht Uhr hielt eine Offiziers¬<lb/> patrouille vor dem Rathause, die ein Graf Hohenthal führte; er ließ, ohne<lb/> abzusteigen, den Bürgermeister Haberkoru herunterkommen und fragte ihn aus.<lb/> Später ritt ein Nekognoszierungstrnpp auf der Grottaner Straße hinaus uach<lb/> dem österreichischen Grenzposten; der dort postierte ungarische Husar schoß<lb/> seinen Karabiner in die Luft ab — der erste Schuß, der hier fiel — und<lb/> rief dadurch seiue Kameraden herbei, vor denen die Preußen wieder davon<lb/> ritten; sie hatten genug gesehen. Am Abend wurde die Proklamation König<lb/> Johanns „An meine Sachsen" bekannt. Sie wurde mit sehr gemischten<lb/> Empfindungen aufgenommen. Denn danach war Sachsen wenigstens vor<lb/> der Hand aufgegeben, ohne wirksame Hilfe von Österreich. Auch in sehr<lb/> konservativen und gut sächsischen Kreisen urteilte man jetzt sehr abfällig<lb/> über Beusts impotente Großmachtspolitik, die Sachsen ins Unglück gebracht<lb/> habe. Und doch hatte man sie lange Zeit gebilligt und bewundert und den<lb/> großen Minister gepriesen, der das kleine Sachsen zu so hohem Ansehen er¬<lb/> hoben habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1503" next="#ID_1504"> Am 18. erschien schon früh vier Uhr ein Trupp thüringischer Ulanen und<lb/> zerstörte den Bahnhofstelegraphen, dann ritten sie durch die Stadt, „in der<lb/> grauen Morgendämmerung eine fast gespensterhafte Erscheinung". Am Nach¬<lb/> mittage aber kam die erste große Requisition an den ganzen Bezirk für die<lb/> achte Division Horn, die um Loben stand, und um sie beizutreiben, rückte ein<lb/> halbes Bataillon vom 71. Infanterieregiment ein, das sofort Vorposten<lb/> nach der Grenze zu aussetzte und jeden Verkehr nach dieser Seite hin aufhob.<lb/> Der Führer brachte auch die Proklamation König Wilhelms „An das deutsche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
l)c>r vierzig Ialzren
wurde, und zu der allgemeine» Sorge kam die besondre um meine hochbetagte
Großmutter, die in Bernstadt nicht weit von Herruhut, vier Stunden von
Zitten und nahe bei der preußischen Grenze ein kleines Haus besaß und mit
ihrer ältesten Tochter von dort zum Feste gekommen war. Wahrscheinlich war
die kleine Stadt schon besetzt. Sie machte sich deshalb schon am 16. ans, um
heimzukehren.
Die Fahrt verlief ganz friedlich; erst bei den Fichtelhäuseru, einer
Hänsergruppe eine halbe Stunde vor Bernstadt, zeigte sich preußisches Militär,
das die Reisenden anhielt und ausfragte, auch nach der Stimmung, sie aber
durchließ; im Hause war schon Einquartierung. Die Preußen schienen anzu¬
nehmen, daß Zitten von den Österreichern besetzt sei, und daß ein Zusammenstoß
bevorstehe, und dort erwartete man jede Stunde ihren Einmarsch. In der
Tat ritten zweimal an diesem Tage, früh und Nachmittags, Offiziers¬
patrouillen der Radetzkyhusareu, die Straße von Gabel hereinkommend, in
Zitten ein und zogen ihrerseits Erkundigungen nach den Preußen ein, von
denen man auch nicht viel wußte, außer daß Loben in ihren Händen, und daß
die sächsischen Truppen im Rückzüge über das Erzgebirge uach Böhmen seien.
Aber am nächsten Tage, am 17., Sonntags, jagte früh um vier Uhr der erste
preußische Husar durch die Stadt, kurz nach acht Uhr hielt eine Offiziers¬
patrouille vor dem Rathause, die ein Graf Hohenthal führte; er ließ, ohne
abzusteigen, den Bürgermeister Haberkoru herunterkommen und fragte ihn aus.
Später ritt ein Nekognoszierungstrnpp auf der Grottaner Straße hinaus uach
dem österreichischen Grenzposten; der dort postierte ungarische Husar schoß
seinen Karabiner in die Luft ab — der erste Schuß, der hier fiel — und
rief dadurch seiue Kameraden herbei, vor denen die Preußen wieder davon
ritten; sie hatten genug gesehen. Am Abend wurde die Proklamation König
Johanns „An meine Sachsen" bekannt. Sie wurde mit sehr gemischten
Empfindungen aufgenommen. Denn danach war Sachsen wenigstens vor
der Hand aufgegeben, ohne wirksame Hilfe von Österreich. Auch in sehr
konservativen und gut sächsischen Kreisen urteilte man jetzt sehr abfällig
über Beusts impotente Großmachtspolitik, die Sachsen ins Unglück gebracht
habe. Und doch hatte man sie lange Zeit gebilligt und bewundert und den
großen Minister gepriesen, der das kleine Sachsen zu so hohem Ansehen er¬
hoben habe.
Am 18. erschien schon früh vier Uhr ein Trupp thüringischer Ulanen und
zerstörte den Bahnhofstelegraphen, dann ritten sie durch die Stadt, „in der
grauen Morgendämmerung eine fast gespensterhafte Erscheinung". Am Nach¬
mittage aber kam die erste große Requisition an den ganzen Bezirk für die
achte Division Horn, die um Loben stand, und um sie beizutreiben, rückte ein
halbes Bataillon vom 71. Infanterieregiment ein, das sofort Vorposten
nach der Grenze zu aussetzte und jeden Verkehr nach dieser Seite hin aufhob.
Der Führer brachte auch die Proklamation König Wilhelms „An das deutsche
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