Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vor vierzig Jahren

setzen könnten, und er rief ihnen schließlich zu: "Ist es denn ein schlechtes
Lob für einen preußischen Minister, daß unsre Feinde ihn hassen wie den
Gottseibeiuns?" Das war ein offnes, mannhaftes Wort mitten in der Ver¬
wirrung und Verhetzung der Gemüter, das vielen erlösend kam. Klärend
wirkte auch die zusammenfassende Antwort König Wilhelms im Staatsanzeiger
auf die verschiednen Friedensadressen, worin er sein ernstliches Streben nach
einem Ausgleich mit der Landesvertretung beteuerte; nachdem er schon am
10. Mai das Abgeordnetenhaus aufgelöst hatte, schrieb er jetzt im Juni die
Neuwahlen auf den 3. Juli aus. Das Gezänk der Parteien sollte verstummen,
denn das Wort gehörte jetzt den Waffen, das verstand jeder.

Nun ging es Schlag auf Schlag. Am 12. Juni wurde gemeldet, General
Manteuffel habe den Zusammentritt der von den Österreichern nach Itzehoe
eiuberufnen holsteinischen Stündeversammlnng verhindert und sei im Vormarsche
auf Altona, das preußische Panzerschiff "Arminius" und mehrere Kanonen¬
boote seien vor Hamburg erschienen, die Österreicher der Brigade Kalik (etwa
5000 Mann) stünden im Begriff, die Elbe zu überschreiten und durch Hannover ab¬
zuziehen, Österreich aber habe in Frankfurt den Antrag auf Mobilisierung
sämtlicher außerpreußischer Bundeskoutingente gestellt! Am nächsten Tage schon
wurde der preußische Bundesreformplcm bekannt: der deutsche Bundesstaat unter
preußischer Führung mit Ausschluß Österreichs. Es war das klare Programm
der preußischen Politik, es war das, was die Liberalen selbst seit langer Zeit
begehrten. Und doch fiel er platt zu Boden. Die Deutschen vermochten wieder
einmal nicht die Sache von der Person zu trennen: sie wollten in ihrer un¬
geheuern Mehrzahl von Bismarck nun einmal nichts wissen und deshalb auch
nichts von seinem Reformplan. "Welche unermeßliche Wirkung würde dieser
vor vier Jahren hervorgebracht haben", schrieb damals mein Bater. Es war
der genaue Ausdruck der herrschenden Stimmung.

Nun brach es mit betäubender Schnelligkeit herein, das Kriegsgewitter,
und das stille Göttingen wurde plötzlich überflutet. Am Morgen des 13. Juni
ging der erste Zug mit Truppen der Brigade Kalik vorbei, gegen 10 Uhr
ein zweiter, ein Bataillon vom Infanterieregiment Namming, Ungarn und
Slawen. Trotz des trüben und regnerischen Wetters hatten sich Tausende von
Menschen eingefunden, um sie zu sehen, doch niemand erwiderte ihre Zurufe,
als sie einfuhren. Sie hatten einen längern Aufenthalt und stiegen aus, meist
stämmige Gestalten von mittlerer Größe im grauen Mantel, unter den Unter¬
offizieren manches intelligente Gesicht. Viele, namentlich die Unteroffiziere,
sprachen leidlich deutsch, die Slawen, bemerkte einer von diesen, verstünden
nur, was sie beim Regiment gelernt hätten. Mit ihren preußischen Kameraden
hatten sie häufige Prügeleien gehabt, doch sprachen sie davon ziemlich gleich-
giltig. Inzwischen frühstückten die Offiziere, meist stattliche Männer im weißen
Waffenrock, mit einigen Herren aus Göttingen und den Gendarmerieoffizieren,
bald in eifriges Gespräch verwickelt; Hochs auf Österreich und Hannover wurden


vor vierzig Jahren

setzen könnten, und er rief ihnen schließlich zu: „Ist es denn ein schlechtes
Lob für einen preußischen Minister, daß unsre Feinde ihn hassen wie den
Gottseibeiuns?" Das war ein offnes, mannhaftes Wort mitten in der Ver¬
wirrung und Verhetzung der Gemüter, das vielen erlösend kam. Klärend
wirkte auch die zusammenfassende Antwort König Wilhelms im Staatsanzeiger
auf die verschiednen Friedensadressen, worin er sein ernstliches Streben nach
einem Ausgleich mit der Landesvertretung beteuerte; nachdem er schon am
10. Mai das Abgeordnetenhaus aufgelöst hatte, schrieb er jetzt im Juni die
Neuwahlen auf den 3. Juli aus. Das Gezänk der Parteien sollte verstummen,
denn das Wort gehörte jetzt den Waffen, das verstand jeder.

Nun ging es Schlag auf Schlag. Am 12. Juni wurde gemeldet, General
Manteuffel habe den Zusammentritt der von den Österreichern nach Itzehoe
eiuberufnen holsteinischen Stündeversammlnng verhindert und sei im Vormarsche
auf Altona, das preußische Panzerschiff „Arminius" und mehrere Kanonen¬
boote seien vor Hamburg erschienen, die Österreicher der Brigade Kalik (etwa
5000 Mann) stünden im Begriff, die Elbe zu überschreiten und durch Hannover ab¬
zuziehen, Österreich aber habe in Frankfurt den Antrag auf Mobilisierung
sämtlicher außerpreußischer Bundeskoutingente gestellt! Am nächsten Tage schon
wurde der preußische Bundesreformplcm bekannt: der deutsche Bundesstaat unter
preußischer Führung mit Ausschluß Österreichs. Es war das klare Programm
der preußischen Politik, es war das, was die Liberalen selbst seit langer Zeit
begehrten. Und doch fiel er platt zu Boden. Die Deutschen vermochten wieder
einmal nicht die Sache von der Person zu trennen: sie wollten in ihrer un¬
geheuern Mehrzahl von Bismarck nun einmal nichts wissen und deshalb auch
nichts von seinem Reformplan. „Welche unermeßliche Wirkung würde dieser
vor vier Jahren hervorgebracht haben", schrieb damals mein Bater. Es war
der genaue Ausdruck der herrschenden Stimmung.

Nun brach es mit betäubender Schnelligkeit herein, das Kriegsgewitter,
und das stille Göttingen wurde plötzlich überflutet. Am Morgen des 13. Juni
ging der erste Zug mit Truppen der Brigade Kalik vorbei, gegen 10 Uhr
ein zweiter, ein Bataillon vom Infanterieregiment Namming, Ungarn und
Slawen. Trotz des trüben und regnerischen Wetters hatten sich Tausende von
Menschen eingefunden, um sie zu sehen, doch niemand erwiderte ihre Zurufe,
als sie einfuhren. Sie hatten einen längern Aufenthalt und stiegen aus, meist
stämmige Gestalten von mittlerer Größe im grauen Mantel, unter den Unter¬
offizieren manches intelligente Gesicht. Viele, namentlich die Unteroffiziere,
sprachen leidlich deutsch, die Slawen, bemerkte einer von diesen, verstünden
nur, was sie beim Regiment gelernt hätten. Mit ihren preußischen Kameraden
hatten sie häufige Prügeleien gehabt, doch sprachen sie davon ziemlich gleich-
giltig. Inzwischen frühstückten die Offiziere, meist stattliche Männer im weißen
Waffenrock, mit einigen Herren aus Göttingen und den Gendarmerieoffizieren,
bald in eifriges Gespräch verwickelt; Hochs auf Österreich und Hannover wurden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300809"/>
          <fw type="header" place="top"> vor vierzig Jahren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1276" prev="#ID_1275"> setzen könnten, und er rief ihnen schließlich zu: &#x201E;Ist es denn ein schlechtes<lb/>
Lob für einen preußischen Minister, daß unsre Feinde ihn hassen wie den<lb/>
Gottseibeiuns?" Das war ein offnes, mannhaftes Wort mitten in der Ver¬<lb/>
wirrung und Verhetzung der Gemüter, das vielen erlösend kam. Klärend<lb/>
wirkte auch die zusammenfassende Antwort König Wilhelms im Staatsanzeiger<lb/>
auf die verschiednen Friedensadressen, worin er sein ernstliches Streben nach<lb/>
einem Ausgleich mit der Landesvertretung beteuerte; nachdem er schon am<lb/>
10. Mai das Abgeordnetenhaus aufgelöst hatte, schrieb er jetzt im Juni die<lb/>
Neuwahlen auf den 3. Juli aus. Das Gezänk der Parteien sollte verstummen,<lb/>
denn das Wort gehörte jetzt den Waffen, das verstand jeder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1277"> Nun ging es Schlag auf Schlag. Am 12. Juni wurde gemeldet, General<lb/>
Manteuffel habe den Zusammentritt der von den Österreichern nach Itzehoe<lb/>
eiuberufnen holsteinischen Stündeversammlnng verhindert und sei im Vormarsche<lb/>
auf Altona, das preußische Panzerschiff &#x201E;Arminius" und mehrere Kanonen¬<lb/>
boote seien vor Hamburg erschienen, die Österreicher der Brigade Kalik (etwa<lb/>
5000 Mann) stünden im Begriff, die Elbe zu überschreiten und durch Hannover ab¬<lb/>
zuziehen, Österreich aber habe in Frankfurt den Antrag auf Mobilisierung<lb/>
sämtlicher außerpreußischer Bundeskoutingente gestellt! Am nächsten Tage schon<lb/>
wurde der preußische Bundesreformplcm bekannt: der deutsche Bundesstaat unter<lb/>
preußischer Führung mit Ausschluß Österreichs. Es war das klare Programm<lb/>
der preußischen Politik, es war das, was die Liberalen selbst seit langer Zeit<lb/>
begehrten. Und doch fiel er platt zu Boden. Die Deutschen vermochten wieder<lb/>
einmal nicht die Sache von der Person zu trennen: sie wollten in ihrer un¬<lb/>
geheuern Mehrzahl von Bismarck nun einmal nichts wissen und deshalb auch<lb/>
nichts von seinem Reformplan. &#x201E;Welche unermeßliche Wirkung würde dieser<lb/>
vor vier Jahren hervorgebracht haben", schrieb damals mein Bater. Es war<lb/>
der genaue Ausdruck der herrschenden Stimmung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1278" next="#ID_1279"> Nun brach es mit betäubender Schnelligkeit herein, das Kriegsgewitter,<lb/>
und das stille Göttingen wurde plötzlich überflutet. Am Morgen des 13. Juni<lb/>
ging der erste Zug mit Truppen der Brigade Kalik vorbei, gegen 10 Uhr<lb/>
ein zweiter, ein Bataillon vom Infanterieregiment Namming, Ungarn und<lb/>
Slawen. Trotz des trüben und regnerischen Wetters hatten sich Tausende von<lb/>
Menschen eingefunden, um sie zu sehen, doch niemand erwiderte ihre Zurufe,<lb/>
als sie einfuhren. Sie hatten einen längern Aufenthalt und stiegen aus, meist<lb/>
stämmige Gestalten von mittlerer Größe im grauen Mantel, unter den Unter¬<lb/>
offizieren manches intelligente Gesicht. Viele, namentlich die Unteroffiziere,<lb/>
sprachen leidlich deutsch, die Slawen, bemerkte einer von diesen, verstünden<lb/>
nur, was sie beim Regiment gelernt hätten. Mit ihren preußischen Kameraden<lb/>
hatten sie häufige Prügeleien gehabt, doch sprachen sie davon ziemlich gleich-<lb/>
giltig. Inzwischen frühstückten die Offiziere, meist stattliche Männer im weißen<lb/>
Waffenrock, mit einigen Herren aus Göttingen und den Gendarmerieoffizieren,<lb/>
bald in eifriges Gespräch verwickelt; Hochs auf Österreich und Hannover wurden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] vor vierzig Jahren setzen könnten, und er rief ihnen schließlich zu: „Ist es denn ein schlechtes Lob für einen preußischen Minister, daß unsre Feinde ihn hassen wie den Gottseibeiuns?" Das war ein offnes, mannhaftes Wort mitten in der Ver¬ wirrung und Verhetzung der Gemüter, das vielen erlösend kam. Klärend wirkte auch die zusammenfassende Antwort König Wilhelms im Staatsanzeiger auf die verschiednen Friedensadressen, worin er sein ernstliches Streben nach einem Ausgleich mit der Landesvertretung beteuerte; nachdem er schon am 10. Mai das Abgeordnetenhaus aufgelöst hatte, schrieb er jetzt im Juni die Neuwahlen auf den 3. Juli aus. Das Gezänk der Parteien sollte verstummen, denn das Wort gehörte jetzt den Waffen, das verstand jeder. Nun ging es Schlag auf Schlag. Am 12. Juni wurde gemeldet, General Manteuffel habe den Zusammentritt der von den Österreichern nach Itzehoe eiuberufnen holsteinischen Stündeversammlnng verhindert und sei im Vormarsche auf Altona, das preußische Panzerschiff „Arminius" und mehrere Kanonen¬ boote seien vor Hamburg erschienen, die Österreicher der Brigade Kalik (etwa 5000 Mann) stünden im Begriff, die Elbe zu überschreiten und durch Hannover ab¬ zuziehen, Österreich aber habe in Frankfurt den Antrag auf Mobilisierung sämtlicher außerpreußischer Bundeskoutingente gestellt! Am nächsten Tage schon wurde der preußische Bundesreformplcm bekannt: der deutsche Bundesstaat unter preußischer Führung mit Ausschluß Österreichs. Es war das klare Programm der preußischen Politik, es war das, was die Liberalen selbst seit langer Zeit begehrten. Und doch fiel er platt zu Boden. Die Deutschen vermochten wieder einmal nicht die Sache von der Person zu trennen: sie wollten in ihrer un¬ geheuern Mehrzahl von Bismarck nun einmal nichts wissen und deshalb auch nichts von seinem Reformplan. „Welche unermeßliche Wirkung würde dieser vor vier Jahren hervorgebracht haben", schrieb damals mein Bater. Es war der genaue Ausdruck der herrschenden Stimmung. Nun brach es mit betäubender Schnelligkeit herein, das Kriegsgewitter, und das stille Göttingen wurde plötzlich überflutet. Am Morgen des 13. Juni ging der erste Zug mit Truppen der Brigade Kalik vorbei, gegen 10 Uhr ein zweiter, ein Bataillon vom Infanterieregiment Namming, Ungarn und Slawen. Trotz des trüben und regnerischen Wetters hatten sich Tausende von Menschen eingefunden, um sie zu sehen, doch niemand erwiderte ihre Zurufe, als sie einfuhren. Sie hatten einen längern Aufenthalt und stiegen aus, meist stämmige Gestalten von mittlerer Größe im grauen Mantel, unter den Unter¬ offizieren manches intelligente Gesicht. Viele, namentlich die Unteroffiziere, sprachen leidlich deutsch, die Slawen, bemerkte einer von diesen, verstünden nur, was sie beim Regiment gelernt hätten. Mit ihren preußischen Kameraden hatten sie häufige Prügeleien gehabt, doch sprachen sie davon ziemlich gleich- giltig. Inzwischen frühstückten die Offiziere, meist stattliche Männer im weißen Waffenrock, mit einigen Herren aus Göttingen und den Gendarmerieoffizieren, bald in eifriges Gespräch verwickelt; Hochs auf Österreich und Hannover wurden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/310>, abgerufen am 23.07.2024.