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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

In der Tat überwog die Universität so, daß in denselben Kreisen
wohl die Bevölkerung der Stadt scherzweise in Professoren, Studenten und
Wichsiers eingeteilt wurde. Alles, was die Universität betraf, war stattlich,
würdig, reichlich: das schöne neue Kollegienhaus vor dem Weender Tore in
romanischem Stil, die großartige Universitätsbibliothek, die zum Teil in den
hohen, weiten Räumen einer ehemaligen Kirche untergebracht war, die Aula
in einem besondern Gebäude, das neue chemische Institut am Walle, die
"Stünkercmstalt", wie sie der Volkswitz nannte, endlich das Literarische
Museum in dem vornehmen großen Hause, das ehemals Otfried Müller ge¬
hört hatte, jetzt eine Lesehalle ersten Ranges enthielt und mit seinem schönen,
großen, schattigen Garten auch der Mittelpunkt akademischer Geselligkeit war.
Unter den Professoren gab es auch damals eine Reihe hervorragender Männer:
der Theolog Heinrich Ewald, einer der berühmten Göttinger Sieben, ein
langer hagrer Herr mit vollem weißem Haar, immer in Zylinder und schwarzem
Gehrock, der hochangesehene Jurist und Staatsrechtslehrer Heinrich Albert
Zachariä, in diesem Jahre Rektor, der Historiker Georg Waitz, der Archäolog
Ernst Curtius, der Philolog Hermann Sauppe, der Geolog und Geograph
Wolfgang Sartorius von Waltershausen, der Erforscher des Ätna, der Philo¬
soph Hermann Lotze u. a. in. Auch die Studentenschaft war aus Angehörigen
aller deutschen Stämme zusammengesetzt; im ganzen überwogen die Nord¬
deutschen, neben den Hannoveranern namentlich die Preußen, aber auch zahl¬
reiche Süddeutsche warm da und nicht wenige Schweizer. Die vornehmen
Verbindungen, in denen die Söhne des welfischen Adels dominierten, standen
sehr für sich, traten aber gelegentlich durch große Auffahrten, zu denen die
königliche Post elegante Wagen stellte, in die Öffentlichkeit. Gewisse kleine
gesellige Mittelpunkte bildeten daneben die zahlreichen Mittagstische in Privcit-
hüusern, in denen man für billige Preise vorzüglich und reichlich verpflegt
wurde, viel besser als damals durchschnittlich im sparsamen Sachsen. Ge¬
arbeitet wurde im ganzen fleißig, denn eine Bummeluniversitüt wie Heidel¬
berg und Freiburg ist das ernste Göttingen niemals gewesen.

Freilich, die bewegte Zeit forderte gebieterisch ihre Rechte, und gerade die
bunte Mischung der Studentenschaft, unter der sich viele ältere Leute befanden,
belebte das politische Interesse, weil sich sehr verschiedne Standpunkte geltend
machten. Auch die Professoren hatten die mannigfachsten Beziehungen nach
auswärts, einzelne sahen auf eine reife politische Erfahrung zurück, und nur
wenige gehörten ihrer Abkunft nach Hannover an. Georg Waitz war Holsteiner
und hatte im Frankfurter Parlament gesessen, dem auch Zachariä, ein geborner
Thüringer, von Anfang an angehört hatte, Ernst Curtius, obwohl Lübecker,
stand als ehemaliger Lehrer des Kronprinzen mit dem preußischen Hose
in engen Beziehungen, Hermann Lotze war ein geborner Sachse. So flössen
Beobachtungen und Erfahrungen von sehr verschiednen Seiten in diesem
"Universitätsdorf" an der Leine zusammen, und da ich in regelmäßigem Brief-


vor vierzig Jahren

In der Tat überwog die Universität so, daß in denselben Kreisen
wohl die Bevölkerung der Stadt scherzweise in Professoren, Studenten und
Wichsiers eingeteilt wurde. Alles, was die Universität betraf, war stattlich,
würdig, reichlich: das schöne neue Kollegienhaus vor dem Weender Tore in
romanischem Stil, die großartige Universitätsbibliothek, die zum Teil in den
hohen, weiten Räumen einer ehemaligen Kirche untergebracht war, die Aula
in einem besondern Gebäude, das neue chemische Institut am Walle, die
„Stünkercmstalt", wie sie der Volkswitz nannte, endlich das Literarische
Museum in dem vornehmen großen Hause, das ehemals Otfried Müller ge¬
hört hatte, jetzt eine Lesehalle ersten Ranges enthielt und mit seinem schönen,
großen, schattigen Garten auch der Mittelpunkt akademischer Geselligkeit war.
Unter den Professoren gab es auch damals eine Reihe hervorragender Männer:
der Theolog Heinrich Ewald, einer der berühmten Göttinger Sieben, ein
langer hagrer Herr mit vollem weißem Haar, immer in Zylinder und schwarzem
Gehrock, der hochangesehene Jurist und Staatsrechtslehrer Heinrich Albert
Zachariä, in diesem Jahre Rektor, der Historiker Georg Waitz, der Archäolog
Ernst Curtius, der Philolog Hermann Sauppe, der Geolog und Geograph
Wolfgang Sartorius von Waltershausen, der Erforscher des Ätna, der Philo¬
soph Hermann Lotze u. a. in. Auch die Studentenschaft war aus Angehörigen
aller deutschen Stämme zusammengesetzt; im ganzen überwogen die Nord¬
deutschen, neben den Hannoveranern namentlich die Preußen, aber auch zahl¬
reiche Süddeutsche warm da und nicht wenige Schweizer. Die vornehmen
Verbindungen, in denen die Söhne des welfischen Adels dominierten, standen
sehr für sich, traten aber gelegentlich durch große Auffahrten, zu denen die
königliche Post elegante Wagen stellte, in die Öffentlichkeit. Gewisse kleine
gesellige Mittelpunkte bildeten daneben die zahlreichen Mittagstische in Privcit-
hüusern, in denen man für billige Preise vorzüglich und reichlich verpflegt
wurde, viel besser als damals durchschnittlich im sparsamen Sachsen. Ge¬
arbeitet wurde im ganzen fleißig, denn eine Bummeluniversitüt wie Heidel¬
berg und Freiburg ist das ernste Göttingen niemals gewesen.

Freilich, die bewegte Zeit forderte gebieterisch ihre Rechte, und gerade die
bunte Mischung der Studentenschaft, unter der sich viele ältere Leute befanden,
belebte das politische Interesse, weil sich sehr verschiedne Standpunkte geltend
machten. Auch die Professoren hatten die mannigfachsten Beziehungen nach
auswärts, einzelne sahen auf eine reife politische Erfahrung zurück, und nur
wenige gehörten ihrer Abkunft nach Hannover an. Georg Waitz war Holsteiner
und hatte im Frankfurter Parlament gesessen, dem auch Zachariä, ein geborner
Thüringer, von Anfang an angehört hatte, Ernst Curtius, obwohl Lübecker,
stand als ehemaliger Lehrer des Kronprinzen mit dem preußischen Hose
in engen Beziehungen, Hermann Lotze war ein geborner Sachse. So flössen
Beobachtungen und Erfahrungen von sehr verschiednen Seiten in diesem
„Universitätsdorf" an der Leine zusammen, und da ich in regelmäßigem Brief-


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[0306] vor vierzig Jahren In der Tat überwog die Universität so, daß in denselben Kreisen wohl die Bevölkerung der Stadt scherzweise in Professoren, Studenten und Wichsiers eingeteilt wurde. Alles, was die Universität betraf, war stattlich, würdig, reichlich: das schöne neue Kollegienhaus vor dem Weender Tore in romanischem Stil, die großartige Universitätsbibliothek, die zum Teil in den hohen, weiten Räumen einer ehemaligen Kirche untergebracht war, die Aula in einem besondern Gebäude, das neue chemische Institut am Walle, die „Stünkercmstalt", wie sie der Volkswitz nannte, endlich das Literarische Museum in dem vornehmen großen Hause, das ehemals Otfried Müller ge¬ hört hatte, jetzt eine Lesehalle ersten Ranges enthielt und mit seinem schönen, großen, schattigen Garten auch der Mittelpunkt akademischer Geselligkeit war. Unter den Professoren gab es auch damals eine Reihe hervorragender Männer: der Theolog Heinrich Ewald, einer der berühmten Göttinger Sieben, ein langer hagrer Herr mit vollem weißem Haar, immer in Zylinder und schwarzem Gehrock, der hochangesehene Jurist und Staatsrechtslehrer Heinrich Albert Zachariä, in diesem Jahre Rektor, der Historiker Georg Waitz, der Archäolog Ernst Curtius, der Philolog Hermann Sauppe, der Geolog und Geograph Wolfgang Sartorius von Waltershausen, der Erforscher des Ätna, der Philo¬ soph Hermann Lotze u. a. in. Auch die Studentenschaft war aus Angehörigen aller deutschen Stämme zusammengesetzt; im ganzen überwogen die Nord¬ deutschen, neben den Hannoveranern namentlich die Preußen, aber auch zahl¬ reiche Süddeutsche warm da und nicht wenige Schweizer. Die vornehmen Verbindungen, in denen die Söhne des welfischen Adels dominierten, standen sehr für sich, traten aber gelegentlich durch große Auffahrten, zu denen die königliche Post elegante Wagen stellte, in die Öffentlichkeit. Gewisse kleine gesellige Mittelpunkte bildeten daneben die zahlreichen Mittagstische in Privcit- hüusern, in denen man für billige Preise vorzüglich und reichlich verpflegt wurde, viel besser als damals durchschnittlich im sparsamen Sachsen. Ge¬ arbeitet wurde im ganzen fleißig, denn eine Bummeluniversitüt wie Heidel¬ berg und Freiburg ist das ernste Göttingen niemals gewesen. Freilich, die bewegte Zeit forderte gebieterisch ihre Rechte, und gerade die bunte Mischung der Studentenschaft, unter der sich viele ältere Leute befanden, belebte das politische Interesse, weil sich sehr verschiedne Standpunkte geltend machten. Auch die Professoren hatten die mannigfachsten Beziehungen nach auswärts, einzelne sahen auf eine reife politische Erfahrung zurück, und nur wenige gehörten ihrer Abkunft nach Hannover an. Georg Waitz war Holsteiner und hatte im Frankfurter Parlament gesessen, dem auch Zachariä, ein geborner Thüringer, von Anfang an angehört hatte, Ernst Curtius, obwohl Lübecker, stand als ehemaliger Lehrer des Kronprinzen mit dem preußischen Hose in engen Beziehungen, Hermann Lotze war ein geborner Sachse. So flössen Beobachtungen und Erfahrungen von sehr verschiednen Seiten in diesem „Universitätsdorf" an der Leine zusammen, und da ich in regelmäßigem Brief-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/306>, abgerufen am 23.07.2024.