Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur angeblichen Abrüstung

eine billigere Methode, eine ebenso leistungsfähige Armee für den Kriegsfall zu
schaffen, so brauchen sie ja bloß in den einzelnen Parlamenten -- sie haben
in allen Mandate -- die Regierung und die Mehrheit davon zu überzeugen.
Bisher ist ihnen das nicht nur uicht gelungen, sondern sie haben es noch nicht
einmal versucht. Man wird darum berechtigt sein, auch diese Idee für eine
Selbsttäuschung zu halten und die Behauptung, daß man "die Wehrkraft der
Länder nicht in nichtrationcller Weise herabsetzen wolle", für eine bloße Agitations¬
phrase anzusehen.

Daß es sich um so etwas Ähnliches handelt, geht aus folgenden weitern
Sätzen des Berichterstatters hervor: "Mit der Verminderung der jetzt immensen
Budgets für die stehenden Streitkrüfte würden reichste Hilfsquellen für die
anderweitige Förderung der Nationen gewonnen, die sonst gar nicht zur Ver¬
fügung gestellt werden könne". Mit der Verminderung der stehenden Heere
schwinden auch gewaltige Versuchungen." Der erste Satz ist schon durch das
oben Ausgeführte widerlegt: solange die Friedensfreunde nicht mit dein Rezept
herausrücken, wie man mit geringern Kosten ebenso gute Kriegsheere schaffen
kam,, sind die jetzigen Armeen ebeu die billigsten Die in Aussicht gestellten
"reichsten Hilfsquellen" aus deu verminderten Heeresetats sind bis dahin einfach
nicht zu haben, und der Hinweis auf sie ist nichts andres als ein agitatorischer
Appell an die Begehrlichkeit der großen Masse, deren Einsicht nicht begreift,
daß unsre Hauptaufgabe in der Erhaltung unsers Nationalstaates besteht, und
daß für diesen Zweck anch unsre Hauptausgabe gemacht werden muß. Es ist
nichts andres als ein demagogischer Agitationskniff der gewöhnlichsten Art, die
große Menge auf den angeblich reichen Geldtopf des Staats zu Hetzen, der
immer für die tollsten Wünsche herhalten soll, während ihm doch nur die
knappsten Mittel für die dringendsten Staatsbedürfnissc bewilligt werden. Hier
handelt es sich also nicht mehr um eine Selbsttäuschung, sondern es liegt die
unverhüllteste Demagogie vor. Auch der zweite Satz beruht auf einer seltsamen
Vermischung von Unwissenheit, Täuschung und Demagogie. Hat der Bericht¬
erstatter der Politischen Korrespondenz die letzten vierzig Jahre, in denen die
Massenheere der allgemeinen Wehrpflicht entstanden sind, verschlafen, daß er von
"gewaltige" Versuchungen" spricht, die in großen "stehenden Heeren" liegen sollen?
Es hat doch in Enropa keinen friedlichem Zeitraum gegeben, als der, seitdem
die großen Heere der allgemeinen Wehrpflicht bestehn, keine einzige der früher
so häufigen "Mobilisierungen" ist vorgekommen, seit 1871 ist allein Rußland
zweimal genötigt gewesen, zum Schwerte zu greifen, das übrige Europa hat
Ruhe gehabt. In den gewaltige" Volksheere" der allgemeinen Wehrpflicht
liegen eher "Versuchungen", zu friedfertig zu sein, wie es ja auch vou gewissen
Seiten unserm Kaiser zum Vorwurfe gemacht wird, weil er, getreu dem Programm
seiner beiden Vorfahren, das gewaltigste Heer des Weltteils nur zur Aufrecht¬
erhaltung des Friedens anwenden will, soweit dies mit Ehren geschehn tan". Von
Dekasse und Konsorten läßt man sich natürlich nicht auf die Seite drängen.


Zur angeblichen Abrüstung

eine billigere Methode, eine ebenso leistungsfähige Armee für den Kriegsfall zu
schaffen, so brauchen sie ja bloß in den einzelnen Parlamenten — sie haben
in allen Mandate — die Regierung und die Mehrheit davon zu überzeugen.
Bisher ist ihnen das nicht nur uicht gelungen, sondern sie haben es noch nicht
einmal versucht. Man wird darum berechtigt sein, auch diese Idee für eine
Selbsttäuschung zu halten und die Behauptung, daß man „die Wehrkraft der
Länder nicht in nichtrationcller Weise herabsetzen wolle", für eine bloße Agitations¬
phrase anzusehen.

Daß es sich um so etwas Ähnliches handelt, geht aus folgenden weitern
Sätzen des Berichterstatters hervor: „Mit der Verminderung der jetzt immensen
Budgets für die stehenden Streitkrüfte würden reichste Hilfsquellen für die
anderweitige Förderung der Nationen gewonnen, die sonst gar nicht zur Ver¬
fügung gestellt werden könne«. Mit der Verminderung der stehenden Heere
schwinden auch gewaltige Versuchungen." Der erste Satz ist schon durch das
oben Ausgeführte widerlegt: solange die Friedensfreunde nicht mit dein Rezept
herausrücken, wie man mit geringern Kosten ebenso gute Kriegsheere schaffen
kam,, sind die jetzigen Armeen ebeu die billigsten Die in Aussicht gestellten
„reichsten Hilfsquellen" aus deu verminderten Heeresetats sind bis dahin einfach
nicht zu haben, und der Hinweis auf sie ist nichts andres als ein agitatorischer
Appell an die Begehrlichkeit der großen Masse, deren Einsicht nicht begreift,
daß unsre Hauptaufgabe in der Erhaltung unsers Nationalstaates besteht, und
daß für diesen Zweck anch unsre Hauptausgabe gemacht werden muß. Es ist
nichts andres als ein demagogischer Agitationskniff der gewöhnlichsten Art, die
große Menge auf den angeblich reichen Geldtopf des Staats zu Hetzen, der
immer für die tollsten Wünsche herhalten soll, während ihm doch nur die
knappsten Mittel für die dringendsten Staatsbedürfnissc bewilligt werden. Hier
handelt es sich also nicht mehr um eine Selbsttäuschung, sondern es liegt die
unverhüllteste Demagogie vor. Auch der zweite Satz beruht auf einer seltsamen
Vermischung von Unwissenheit, Täuschung und Demagogie. Hat der Bericht¬
erstatter der Politischen Korrespondenz die letzten vierzig Jahre, in denen die
Massenheere der allgemeinen Wehrpflicht entstanden sind, verschlafen, daß er von
»gewaltige« Versuchungen" spricht, die in großen „stehenden Heeren" liegen sollen?
Es hat doch in Enropa keinen friedlichem Zeitraum gegeben, als der, seitdem
die großen Heere der allgemeinen Wehrpflicht bestehn, keine einzige der früher
so häufigen „Mobilisierungen" ist vorgekommen, seit 1871 ist allein Rußland
zweimal genötigt gewesen, zum Schwerte zu greifen, das übrige Europa hat
Ruhe gehabt. In den gewaltige« Volksheere« der allgemeinen Wehrpflicht
liegen eher „Versuchungen", zu friedfertig zu sein, wie es ja auch vou gewissen
Seiten unserm Kaiser zum Vorwurfe gemacht wird, weil er, getreu dem Programm
seiner beiden Vorfahren, das gewaltigste Heer des Weltteils nur zur Aufrecht¬
erhaltung des Friedens anwenden will, soweit dies mit Ehren geschehn tan«. Von
Dekasse und Konsorten läßt man sich natürlich nicht auf die Seite drängen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300792"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur angeblichen Abrüstung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1230" prev="#ID_1229"> eine billigere Methode, eine ebenso leistungsfähige Armee für den Kriegsfall zu<lb/>
schaffen, so brauchen sie ja bloß in den einzelnen Parlamenten &#x2014; sie haben<lb/>
in allen Mandate &#x2014; die Regierung und die Mehrheit davon zu überzeugen.<lb/>
Bisher ist ihnen das nicht nur uicht gelungen, sondern sie haben es noch nicht<lb/>
einmal versucht. Man wird darum berechtigt sein, auch diese Idee für eine<lb/>
Selbsttäuschung zu halten und die Behauptung, daß man &#x201E;die Wehrkraft der<lb/>
Länder nicht in nichtrationcller Weise herabsetzen wolle", für eine bloße Agitations¬<lb/>
phrase anzusehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1231"> Daß es sich um so etwas Ähnliches handelt, geht aus folgenden weitern<lb/>
Sätzen des Berichterstatters hervor: &#x201E;Mit der Verminderung der jetzt immensen<lb/>
Budgets für die stehenden Streitkrüfte würden reichste Hilfsquellen für die<lb/>
anderweitige Förderung der Nationen gewonnen, die sonst gar nicht zur Ver¬<lb/>
fügung gestellt werden könne«. Mit der Verminderung der stehenden Heere<lb/>
schwinden auch gewaltige Versuchungen." Der erste Satz ist schon durch das<lb/>
oben Ausgeführte widerlegt: solange die Friedensfreunde nicht mit dein Rezept<lb/>
herausrücken, wie man mit geringern Kosten ebenso gute Kriegsheere schaffen<lb/>
kam,, sind die jetzigen Armeen ebeu die billigsten Die in Aussicht gestellten<lb/>
&#x201E;reichsten Hilfsquellen" aus deu verminderten Heeresetats sind bis dahin einfach<lb/>
nicht zu haben, und der Hinweis auf sie ist nichts andres als ein agitatorischer<lb/>
Appell an die Begehrlichkeit der großen Masse, deren Einsicht nicht begreift,<lb/>
daß unsre Hauptaufgabe in der Erhaltung unsers Nationalstaates besteht, und<lb/>
daß für diesen Zweck anch unsre Hauptausgabe gemacht werden muß. Es ist<lb/>
nichts andres als ein demagogischer Agitationskniff der gewöhnlichsten Art, die<lb/>
große Menge auf den angeblich reichen Geldtopf des Staats zu Hetzen, der<lb/>
immer für die tollsten Wünsche herhalten soll, während ihm doch nur die<lb/>
knappsten Mittel für die dringendsten Staatsbedürfnissc bewilligt werden. Hier<lb/>
handelt es sich also nicht mehr um eine Selbsttäuschung, sondern es liegt die<lb/>
unverhüllteste Demagogie vor. Auch der zweite Satz beruht auf einer seltsamen<lb/>
Vermischung von Unwissenheit, Täuschung und Demagogie. Hat der Bericht¬<lb/>
erstatter der Politischen Korrespondenz die letzten vierzig Jahre, in denen die<lb/>
Massenheere der allgemeinen Wehrpflicht entstanden sind, verschlafen, daß er von<lb/>
»gewaltige« Versuchungen" spricht, die in großen &#x201E;stehenden Heeren" liegen sollen?<lb/>
Es hat doch in Enropa keinen friedlichem Zeitraum gegeben, als der, seitdem<lb/>
die großen Heere der allgemeinen Wehrpflicht bestehn, keine einzige der früher<lb/>
so häufigen &#x201E;Mobilisierungen" ist vorgekommen, seit 1871 ist allein Rußland<lb/>
zweimal genötigt gewesen, zum Schwerte zu greifen, das übrige Europa hat<lb/>
Ruhe gehabt. In den gewaltige« Volksheere« der allgemeinen Wehrpflicht<lb/>
liegen eher &#x201E;Versuchungen", zu friedfertig zu sein, wie es ja auch vou gewissen<lb/>
Seiten unserm Kaiser zum Vorwurfe gemacht wird, weil er, getreu dem Programm<lb/>
seiner beiden Vorfahren, das gewaltigste Heer des Weltteils nur zur Aufrecht¬<lb/>
erhaltung des Friedens anwenden will, soweit dies mit Ehren geschehn tan«. Von<lb/>
Dekasse und Konsorten läßt man sich natürlich nicht auf die Seite drängen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Zur angeblichen Abrüstung eine billigere Methode, eine ebenso leistungsfähige Armee für den Kriegsfall zu schaffen, so brauchen sie ja bloß in den einzelnen Parlamenten — sie haben in allen Mandate — die Regierung und die Mehrheit davon zu überzeugen. Bisher ist ihnen das nicht nur uicht gelungen, sondern sie haben es noch nicht einmal versucht. Man wird darum berechtigt sein, auch diese Idee für eine Selbsttäuschung zu halten und die Behauptung, daß man „die Wehrkraft der Länder nicht in nichtrationcller Weise herabsetzen wolle", für eine bloße Agitations¬ phrase anzusehen. Daß es sich um so etwas Ähnliches handelt, geht aus folgenden weitern Sätzen des Berichterstatters hervor: „Mit der Verminderung der jetzt immensen Budgets für die stehenden Streitkrüfte würden reichste Hilfsquellen für die anderweitige Förderung der Nationen gewonnen, die sonst gar nicht zur Ver¬ fügung gestellt werden könne«. Mit der Verminderung der stehenden Heere schwinden auch gewaltige Versuchungen." Der erste Satz ist schon durch das oben Ausgeführte widerlegt: solange die Friedensfreunde nicht mit dein Rezept herausrücken, wie man mit geringern Kosten ebenso gute Kriegsheere schaffen kam,, sind die jetzigen Armeen ebeu die billigsten Die in Aussicht gestellten „reichsten Hilfsquellen" aus deu verminderten Heeresetats sind bis dahin einfach nicht zu haben, und der Hinweis auf sie ist nichts andres als ein agitatorischer Appell an die Begehrlichkeit der großen Masse, deren Einsicht nicht begreift, daß unsre Hauptaufgabe in der Erhaltung unsers Nationalstaates besteht, und daß für diesen Zweck anch unsre Hauptausgabe gemacht werden muß. Es ist nichts andres als ein demagogischer Agitationskniff der gewöhnlichsten Art, die große Menge auf den angeblich reichen Geldtopf des Staats zu Hetzen, der immer für die tollsten Wünsche herhalten soll, während ihm doch nur die knappsten Mittel für die dringendsten Staatsbedürfnissc bewilligt werden. Hier handelt es sich also nicht mehr um eine Selbsttäuschung, sondern es liegt die unverhüllteste Demagogie vor. Auch der zweite Satz beruht auf einer seltsamen Vermischung von Unwissenheit, Täuschung und Demagogie. Hat der Bericht¬ erstatter der Politischen Korrespondenz die letzten vierzig Jahre, in denen die Massenheere der allgemeinen Wehrpflicht entstanden sind, verschlafen, daß er von »gewaltige« Versuchungen" spricht, die in großen „stehenden Heeren" liegen sollen? Es hat doch in Enropa keinen friedlichem Zeitraum gegeben, als der, seitdem die großen Heere der allgemeinen Wehrpflicht bestehn, keine einzige der früher so häufigen „Mobilisierungen" ist vorgekommen, seit 1871 ist allein Rußland zweimal genötigt gewesen, zum Schwerte zu greifen, das übrige Europa hat Ruhe gehabt. In den gewaltige« Volksheere« der allgemeinen Wehrpflicht liegen eher „Versuchungen", zu friedfertig zu sein, wie es ja auch vou gewissen Seiten unserm Kaiser zum Vorwurfe gemacht wird, weil er, getreu dem Programm seiner beiden Vorfahren, das gewaltigste Heer des Weltteils nur zur Aufrecht¬ erhaltung des Friedens anwenden will, soweit dies mit Ehren geschehn tan«. Von Dekasse und Konsorten läßt man sich natürlich nicht auf die Seite drängen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/293>, abgerufen am 23.07.2024.