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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Groszherzog Friedrich von Laden in Versailles

der Kaisertitel der Preis sei, "um welchen Konzessionen reellerer Art erlangt
werden könnten". Der Kabinettssekretär Eisenhardt hatte ihm wiederholt im
Auftrage des Königs die Erlangung einer territorialen Vergrößerung für Bayern
recht nachdrücklich nahe gelegt, die Erkenntnis, daß eine solche nicht zu er¬
reichen sei, war es wohl hauptsächlich, die beim Grafen Bray den Wunsch
rege machte, nach München zu gehn. Es fallen in jene Zeit eine Reihe sehr
interessanter Mitteilungen, die jedoch den Rahmen dieser Erinnerungen zu
weit ausdehnen würden. Wenn Graf Bray seinem Könige noch am 3. No¬
vember berichten konnte, die Idee von Kaiser und Reich sei dahin zu benutzen,
daß neben dem Deutschen Kaiser der König von Bayern als Repräsentant des
Deutschen Reiches erscheine, so spricht das allerdings dafür, daß der bayrische
Minister entweder sich selbst oder dem König über die Situation unberechtigte
Illusionen machte. Die Verzögerungen wirkten in den nationalen Kreisen
Bayerns schließlich so verstimmend, daß Minister Schlör am 19. November
an den Grafen Bray nach Versailles telegraphierte: "Die Dinge haben einen
Punkt erreicht, daß wir nicht mehr rückwärts, sondern nur vorwärts können.
Jeder Tag macht unsre Position schwieriger. Möge recht bald ein Abschluß
erfolgen, denn eine Isolierung Bayerns würde ich als das Ende selbst, nicht
bloß als den Anfang vom Ende betrachten." Am 23. November erfolgte der
Abschluß. König Ludwig hatte nicht nur die Einladung zu einem Fürsten¬
kongreß nach Versailles kategorisch (mit einer Sehnendehnnng) abgelehnt, obwohl
König Johann von Sachsen, der älteste der deutschen Fürsten, sie angenommen,
sondern er hatte sich auch schon vorher zu dem Wunsche des Großherzogs
von Baden, den König in München zur Verhandlung in der Kciiserfragc
persönlich aufzusuchen, ablehnend verhalten. Der Großherzog sandte infolge¬
dessen den Staatsrat Gelzer mit einem Schreiben an den König nach München,
das die Initiative Ludwigs des Zweiten zur Annahme des Kaisertitels durch
König Wilhelm herbeiführen sollte. König Ludwig empfing Gelzer nicht, sondern
ließ durch Eisenhardt mit ihm verhandeln, der dann unterm 3. Dezember noch
ein von großen Gedanken ausgehendes Schreiben an den König richtete. König
Ludwig gab in seiner Autwort vom 11. Dezember seiner vollen Zustimmung zu
der staatsrechtlichen Anschauung und der patriotischen Tendenz dieses Schreibens
warmen Ausdruck.

Inzwischen hatte die Verfassungsfrage von Versailles aus eine ihrer Lösung
zuführende Beeinflussung gefunden. Bismarck hatte dem Großherzog alsbald
nach dessen Ankunft in Versailles die großen Schwierigkeiten der Lage, die
namentlich auch durch die Umgebung des Königs geschaffen würden, in münd¬
licher Unterredung eingehend geschildert. Unter dem 9. November berichtet er
ihm eingehend über den Stand der Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten,
wobei er bemerkte, Bayern habe zwar das Kaisertum und das Reich angeboten,
aber betrachte es als eine Art von Tauschobjekt, namentlich hinsichtlich der
Leitung der auswärtigen Politik. Hierauf habe Bismarck erklärt, dein gegenüber


Grenzboten IV 1906 3
Groszherzog Friedrich von Laden in Versailles

der Kaisertitel der Preis sei, „um welchen Konzessionen reellerer Art erlangt
werden könnten". Der Kabinettssekretär Eisenhardt hatte ihm wiederholt im
Auftrage des Königs die Erlangung einer territorialen Vergrößerung für Bayern
recht nachdrücklich nahe gelegt, die Erkenntnis, daß eine solche nicht zu er¬
reichen sei, war es wohl hauptsächlich, die beim Grafen Bray den Wunsch
rege machte, nach München zu gehn. Es fallen in jene Zeit eine Reihe sehr
interessanter Mitteilungen, die jedoch den Rahmen dieser Erinnerungen zu
weit ausdehnen würden. Wenn Graf Bray seinem Könige noch am 3. No¬
vember berichten konnte, die Idee von Kaiser und Reich sei dahin zu benutzen,
daß neben dem Deutschen Kaiser der König von Bayern als Repräsentant des
Deutschen Reiches erscheine, so spricht das allerdings dafür, daß der bayrische
Minister entweder sich selbst oder dem König über die Situation unberechtigte
Illusionen machte. Die Verzögerungen wirkten in den nationalen Kreisen
Bayerns schließlich so verstimmend, daß Minister Schlör am 19. November
an den Grafen Bray nach Versailles telegraphierte: „Die Dinge haben einen
Punkt erreicht, daß wir nicht mehr rückwärts, sondern nur vorwärts können.
Jeder Tag macht unsre Position schwieriger. Möge recht bald ein Abschluß
erfolgen, denn eine Isolierung Bayerns würde ich als das Ende selbst, nicht
bloß als den Anfang vom Ende betrachten." Am 23. November erfolgte der
Abschluß. König Ludwig hatte nicht nur die Einladung zu einem Fürsten¬
kongreß nach Versailles kategorisch (mit einer Sehnendehnnng) abgelehnt, obwohl
König Johann von Sachsen, der älteste der deutschen Fürsten, sie angenommen,
sondern er hatte sich auch schon vorher zu dem Wunsche des Großherzogs
von Baden, den König in München zur Verhandlung in der Kciiserfragc
persönlich aufzusuchen, ablehnend verhalten. Der Großherzog sandte infolge¬
dessen den Staatsrat Gelzer mit einem Schreiben an den König nach München,
das die Initiative Ludwigs des Zweiten zur Annahme des Kaisertitels durch
König Wilhelm herbeiführen sollte. König Ludwig empfing Gelzer nicht, sondern
ließ durch Eisenhardt mit ihm verhandeln, der dann unterm 3. Dezember noch
ein von großen Gedanken ausgehendes Schreiben an den König richtete. König
Ludwig gab in seiner Autwort vom 11. Dezember seiner vollen Zustimmung zu
der staatsrechtlichen Anschauung und der patriotischen Tendenz dieses Schreibens
warmen Ausdruck.

Inzwischen hatte die Verfassungsfrage von Versailles aus eine ihrer Lösung
zuführende Beeinflussung gefunden. Bismarck hatte dem Großherzog alsbald
nach dessen Ankunft in Versailles die großen Schwierigkeiten der Lage, die
namentlich auch durch die Umgebung des Königs geschaffen würden, in münd¬
licher Unterredung eingehend geschildert. Unter dem 9. November berichtet er
ihm eingehend über den Stand der Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten,
wobei er bemerkte, Bayern habe zwar das Kaisertum und das Reich angeboten,
aber betrachte es als eine Art von Tauschobjekt, namentlich hinsichtlich der
Leitung der auswärtigen Politik. Hierauf habe Bismarck erklärt, dein gegenüber


Grenzboten IV 1906 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/29>, abgerufen am 23.07.2024.