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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Herzogs, worin er die Kaiserwürde als eine der Nation gegenüber übernommne
Bürgschaft ihrer unwiderruflichen Einigung bezeichnete.

Die badischen Minister Jolly und Freydorf hatten auf die am 17. Oktober
vom Grafen Flemming überbrachte Einladung die Reise am 20. angetreten.
Aus den Aufzeichnungen und Briefen des Ministers von Freydorf ist einiges
im Jahre 1883 veröffentlicht worden. Sie atmen meist große Zufriedenheit.
Unterm 29. Oktober notiert Freydorf: "Bei einer Unterredung gratulierte ich
Bismarck zur Durchführung seines Werkes. Er Hütte mir in Berlin gesagt,
die Einigung des Südens mit dem Norden werde so sicher kommen, als das
Wasser den Berg hinabfließe. . . . Bismarck dankte, daß wir in unsrer Politik
trotz der abwehrenden Haltung, die zu beobachten er genötigt gewesen, nicht
gewankt, sondern festgehalten hätten."

Die Notwendigkeit weiterer Kreditmaßnahmen sowie andre geschäftliche
Gründe hatten inzwischen die Dringlichkeit der Einberufung des Norddeutschen
Reichstags nahe gelegt. Bismarck hatte die Abgeordneten von Bennigsen,
Friedenthal und von Blankenburg, die Führer der nationalliberalcn, der frei¬
konservativen und der konservativen Partei, nach Versailles entboten, sowohl um
die Einberufung des Reichstags mit ihnen zu erörtern als auch die deutsche Ver¬
fassungsfrage mit diesen Führern der Mehrheit des Hauses zu besprechen. Es
war eine Zeit lang der Gedanke ventiliert worden, den Reichstag und auch einen
Kongreß der deutschen Fürsten nach Versailles zu berufen, um so an dieser historisch
bedeutsamen Stätte der deutschen Verfassungsfrage einen feierlichen Abschluß zu
geben. Der Gedanke wurde jedoch fallen gelassen. Wohl aber sollte der Zu¬
sammentritt des Reichstags auf die zögernden süddeutschen Regierungen und ihre
Kammern einen Druck ausüben. Die Einberufung erfolgte demnach am 12. No¬
vember, nachdem die Verhandlungen mit Baden, Hessen und Württemberg dem
Abschluß nahe schienen, sodciß die Unterzeichnung auf den 15., Delbrücks Abreise
für den 17. oder 18. November in Aussicht genommen werden konnte, auf den
24. November nach Berlin.

Auf die Einzelheiten der Verhandlungen einzugehen, würde den Rahmen
dieses Artikels überschreiten. Die politischen Fragen wurden mit Delbrück, die
militärischen mit den: Kriegsminister von Roon erörtert. Bei der verschieden¬
artigen Stellung der süddeutschen Staaten hatte der Bundeskanzler eine gemein¬
same Verhandlung nicht für angemessen erachtet, vielmehr, wie Freydorf be¬
richtet, den Weg der Verhandlung mit den einzelnen Vertretungen gewählt,
worauf nach Umstünden ein allgemeiner Zusammentritt folgen könne. Bekannt¬
lich fiel in jener Zeit die Zurückhaltung der bayrischen Unterhändler außer¬
ordentlich auf. die unter allen Umstünden mindestens die Selbständigkeit des
Heerwesens, der Diplomatie und des Post- und Telegraphcnwcsens für Bayern
retten wollten. Sowohl bei den preußischen Unterhändlern als in dem fürst¬
lichen Kreise hatte diese Haltung der Bayern große Verstimmungen hervorgerufen,
hauptsächlich wegen des Umstandes, daß man die Bereitwilligkeit Bayerns nach


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Herzogs, worin er die Kaiserwürde als eine der Nation gegenüber übernommne
Bürgschaft ihrer unwiderruflichen Einigung bezeichnete.

Die badischen Minister Jolly und Freydorf hatten auf die am 17. Oktober
vom Grafen Flemming überbrachte Einladung die Reise am 20. angetreten.
Aus den Aufzeichnungen und Briefen des Ministers von Freydorf ist einiges
im Jahre 1883 veröffentlicht worden. Sie atmen meist große Zufriedenheit.
Unterm 29. Oktober notiert Freydorf: „Bei einer Unterredung gratulierte ich
Bismarck zur Durchführung seines Werkes. Er Hütte mir in Berlin gesagt,
die Einigung des Südens mit dem Norden werde so sicher kommen, als das
Wasser den Berg hinabfließe. . . . Bismarck dankte, daß wir in unsrer Politik
trotz der abwehrenden Haltung, die zu beobachten er genötigt gewesen, nicht
gewankt, sondern festgehalten hätten."

Die Notwendigkeit weiterer Kreditmaßnahmen sowie andre geschäftliche
Gründe hatten inzwischen die Dringlichkeit der Einberufung des Norddeutschen
Reichstags nahe gelegt. Bismarck hatte die Abgeordneten von Bennigsen,
Friedenthal und von Blankenburg, die Führer der nationalliberalcn, der frei¬
konservativen und der konservativen Partei, nach Versailles entboten, sowohl um
die Einberufung des Reichstags mit ihnen zu erörtern als auch die deutsche Ver¬
fassungsfrage mit diesen Führern der Mehrheit des Hauses zu besprechen. Es
war eine Zeit lang der Gedanke ventiliert worden, den Reichstag und auch einen
Kongreß der deutschen Fürsten nach Versailles zu berufen, um so an dieser historisch
bedeutsamen Stätte der deutschen Verfassungsfrage einen feierlichen Abschluß zu
geben. Der Gedanke wurde jedoch fallen gelassen. Wohl aber sollte der Zu¬
sammentritt des Reichstags auf die zögernden süddeutschen Regierungen und ihre
Kammern einen Druck ausüben. Die Einberufung erfolgte demnach am 12. No¬
vember, nachdem die Verhandlungen mit Baden, Hessen und Württemberg dem
Abschluß nahe schienen, sodciß die Unterzeichnung auf den 15., Delbrücks Abreise
für den 17. oder 18. November in Aussicht genommen werden konnte, auf den
24. November nach Berlin.

Auf die Einzelheiten der Verhandlungen einzugehen, würde den Rahmen
dieses Artikels überschreiten. Die politischen Fragen wurden mit Delbrück, die
militärischen mit den: Kriegsminister von Roon erörtert. Bei der verschieden¬
artigen Stellung der süddeutschen Staaten hatte der Bundeskanzler eine gemein¬
same Verhandlung nicht für angemessen erachtet, vielmehr, wie Freydorf be¬
richtet, den Weg der Verhandlung mit den einzelnen Vertretungen gewählt,
worauf nach Umstünden ein allgemeiner Zusammentritt folgen könne. Bekannt¬
lich fiel in jener Zeit die Zurückhaltung der bayrischen Unterhändler außer¬
ordentlich auf. die unter allen Umstünden mindestens die Selbständigkeit des
Heerwesens, der Diplomatie und des Post- und Telegraphcnwcsens für Bayern
retten wollten. Sowohl bei den preußischen Unterhändlern als in dem fürst¬
lichen Kreise hatte diese Haltung der Bayern große Verstimmungen hervorgerufen,
hauptsächlich wegen des Umstandes, daß man die Bereitwilligkeit Bayerns nach


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[0027] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Herzogs, worin er die Kaiserwürde als eine der Nation gegenüber übernommne Bürgschaft ihrer unwiderruflichen Einigung bezeichnete. Die badischen Minister Jolly und Freydorf hatten auf die am 17. Oktober vom Grafen Flemming überbrachte Einladung die Reise am 20. angetreten. Aus den Aufzeichnungen und Briefen des Ministers von Freydorf ist einiges im Jahre 1883 veröffentlicht worden. Sie atmen meist große Zufriedenheit. Unterm 29. Oktober notiert Freydorf: „Bei einer Unterredung gratulierte ich Bismarck zur Durchführung seines Werkes. Er Hütte mir in Berlin gesagt, die Einigung des Südens mit dem Norden werde so sicher kommen, als das Wasser den Berg hinabfließe. . . . Bismarck dankte, daß wir in unsrer Politik trotz der abwehrenden Haltung, die zu beobachten er genötigt gewesen, nicht gewankt, sondern festgehalten hätten." Die Notwendigkeit weiterer Kreditmaßnahmen sowie andre geschäftliche Gründe hatten inzwischen die Dringlichkeit der Einberufung des Norddeutschen Reichstags nahe gelegt. Bismarck hatte die Abgeordneten von Bennigsen, Friedenthal und von Blankenburg, die Führer der nationalliberalcn, der frei¬ konservativen und der konservativen Partei, nach Versailles entboten, sowohl um die Einberufung des Reichstags mit ihnen zu erörtern als auch die deutsche Ver¬ fassungsfrage mit diesen Führern der Mehrheit des Hauses zu besprechen. Es war eine Zeit lang der Gedanke ventiliert worden, den Reichstag und auch einen Kongreß der deutschen Fürsten nach Versailles zu berufen, um so an dieser historisch bedeutsamen Stätte der deutschen Verfassungsfrage einen feierlichen Abschluß zu geben. Der Gedanke wurde jedoch fallen gelassen. Wohl aber sollte der Zu¬ sammentritt des Reichstags auf die zögernden süddeutschen Regierungen und ihre Kammern einen Druck ausüben. Die Einberufung erfolgte demnach am 12. No¬ vember, nachdem die Verhandlungen mit Baden, Hessen und Württemberg dem Abschluß nahe schienen, sodciß die Unterzeichnung auf den 15., Delbrücks Abreise für den 17. oder 18. November in Aussicht genommen werden konnte, auf den 24. November nach Berlin. Auf die Einzelheiten der Verhandlungen einzugehen, würde den Rahmen dieses Artikels überschreiten. Die politischen Fragen wurden mit Delbrück, die militärischen mit den: Kriegsminister von Roon erörtert. Bei der verschieden¬ artigen Stellung der süddeutschen Staaten hatte der Bundeskanzler eine gemein¬ same Verhandlung nicht für angemessen erachtet, vielmehr, wie Freydorf be¬ richtet, den Weg der Verhandlung mit den einzelnen Vertretungen gewählt, worauf nach Umstünden ein allgemeiner Zusammentritt folgen könne. Bekannt¬ lich fiel in jener Zeit die Zurückhaltung der bayrischen Unterhändler außer¬ ordentlich auf. die unter allen Umstünden mindestens die Selbständigkeit des Heerwesens, der Diplomatie und des Post- und Telegraphcnwcsens für Bayern retten wollten. Sowohl bei den preußischen Unterhändlern als in dem fürst¬ lichen Kreise hatte diese Haltung der Bayern große Verstimmungen hervorgerufen, hauptsächlich wegen des Umstandes, daß man die Bereitwilligkeit Bayerns nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/27>, abgerufen am 23.07.2024.