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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Bundeskanzlers enthielt unter anerkennenden Worten für die badische Politik
und die immer bewährten nationalen Gesinnungen Badens die prinzipielle
Annahme des Anerbietens und zugleich die Einladung, Herr von Freydorf oder
einer seiner Kollegen möge zu diesem Zwecke nach Versailles kommen, zumal
da sich die württembergischen Minister des Krieges und der Justiz dazu
erboten hätten und der Bundeskanzler das Anerbieten angenommen habe. Das
historisch denkwürdige Schreiben ist mit den begleitenden Bemerkungen des Gro߬
herzogs bei Lorenz a. a. O. S. 608--609 in den Anmerkungen abgedruckt. Nach
München hatte Bismarck am 14. Oktober die telegraphische Mitteilung gerichtet,
daß er das Anerbieten Württembergs, Bevollmächtigte nach Versailles zu ent¬
senden, angenommen habe und Bayern anheimstelle, entweder auch in Versailles
zu unterhandeln oder die Rückkehr des Staatsministers Delbrück nach München
abzuwarten. Bayern antwortete am nächsten Tage zustimmend, und am 20. Ok¬
tober reisten die Minister Graf Bray, Freiherr von Pranckh und von Lutz nach
Versailles ab.

Der Monat Oktober war somit dazu bestimmt, die entscheidende Wendung
zu bringen, endlich waren die Bevollmächtigten aller süddeutschen Staaten in
Versailles vereinigt, der Wunsch des Großherzogs war erfüllt. Neben den ge¬
schäftlichen Verhandlungen einher ging der sehr rege Gedankenaustausch eines
Kreises von deutschen Fürsten, die in Versailles den König und den Kron¬
prinzen umgaben, und, vom geschäftlichen Stande der Dinge nicht immer hin¬
reichend unterrichtet, sich verpflichtet hielten, ihrerseits fördernd einzugreifen,
um namentlich die Kaiserfrage zu beschleunigen, in der Überzeugung, daß sich
nach der prinzipiellen Erledigung dieser die Verfassungsfrage um so leichter
lösen lassen werde. Man hielt dafür, daß um einerseits den König Wilhelm,
andrerseits den König von Bayern, beide bei ihrer bekannten Denkungsart,
für die Kaiseridee zu gewinnen, die fürstliche Vermittlung und nicht die ge¬
schäftliche Behandlung in erster Linie einzusetzen habe. Aus diesem fürstlichen
Kreise heraus entstand so um diese Zeit abermals eine Denkschrift, die der
Herzog von Koburg, wohl im Einvernehmen mit dem Großherzog Friedrich, zu
Anfang Oktober an den Bundeskanzler richtete, um von diesem mündlich oder
schriftlich eine Erklärung über den Inhalt zu erreichen. Die Denkschrift be¬
handelte in zwei Abschnitten die Erweiterung des Nordhundes, den Übergang
des Bundes zum Deutschen Reich und die Wiederherstellung der Kaiserwürde.
Die Antwort Bismarcks datiert vom 12. Oktober, also von demselben Datum
wie das Schreiben nach Karlsruhe, worin der Großherzog freilich eine Antwort
auf die Kaiserfrage vermißte. Sie sagte in der Hauptsache: "daß alle wesentlichen
in der Denkschrift des Herzogs enthaltnen Gedanken seit langer Zeit die seinigen
und seit Beginn dieses Krieges fast ohne Einschränkung in der Ausführung be¬
griffen seien." Wie sehr um diesen Zeitpunkt alle verwandten Strömungen in
Versailles zusammenliefen, beweist, daß anch Gelzer am 7. Oktober ein Schreiben
an den Kronprinzen richtete, wohl ebenfalls nicht ohne Vorwissen des Groß-


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Bundeskanzlers enthielt unter anerkennenden Worten für die badische Politik
und die immer bewährten nationalen Gesinnungen Badens die prinzipielle
Annahme des Anerbietens und zugleich die Einladung, Herr von Freydorf oder
einer seiner Kollegen möge zu diesem Zwecke nach Versailles kommen, zumal
da sich die württembergischen Minister des Krieges und der Justiz dazu
erboten hätten und der Bundeskanzler das Anerbieten angenommen habe. Das
historisch denkwürdige Schreiben ist mit den begleitenden Bemerkungen des Gro߬
herzogs bei Lorenz a. a. O. S. 608—609 in den Anmerkungen abgedruckt. Nach
München hatte Bismarck am 14. Oktober die telegraphische Mitteilung gerichtet,
daß er das Anerbieten Württembergs, Bevollmächtigte nach Versailles zu ent¬
senden, angenommen habe und Bayern anheimstelle, entweder auch in Versailles
zu unterhandeln oder die Rückkehr des Staatsministers Delbrück nach München
abzuwarten. Bayern antwortete am nächsten Tage zustimmend, und am 20. Ok¬
tober reisten die Minister Graf Bray, Freiherr von Pranckh und von Lutz nach
Versailles ab.

Der Monat Oktober war somit dazu bestimmt, die entscheidende Wendung
zu bringen, endlich waren die Bevollmächtigten aller süddeutschen Staaten in
Versailles vereinigt, der Wunsch des Großherzogs war erfüllt. Neben den ge¬
schäftlichen Verhandlungen einher ging der sehr rege Gedankenaustausch eines
Kreises von deutschen Fürsten, die in Versailles den König und den Kron¬
prinzen umgaben, und, vom geschäftlichen Stande der Dinge nicht immer hin¬
reichend unterrichtet, sich verpflichtet hielten, ihrerseits fördernd einzugreifen,
um namentlich die Kaiserfrage zu beschleunigen, in der Überzeugung, daß sich
nach der prinzipiellen Erledigung dieser die Verfassungsfrage um so leichter
lösen lassen werde. Man hielt dafür, daß um einerseits den König Wilhelm,
andrerseits den König von Bayern, beide bei ihrer bekannten Denkungsart,
für die Kaiseridee zu gewinnen, die fürstliche Vermittlung und nicht die ge¬
schäftliche Behandlung in erster Linie einzusetzen habe. Aus diesem fürstlichen
Kreise heraus entstand so um diese Zeit abermals eine Denkschrift, die der
Herzog von Koburg, wohl im Einvernehmen mit dem Großherzog Friedrich, zu
Anfang Oktober an den Bundeskanzler richtete, um von diesem mündlich oder
schriftlich eine Erklärung über den Inhalt zu erreichen. Die Denkschrift be¬
handelte in zwei Abschnitten die Erweiterung des Nordhundes, den Übergang
des Bundes zum Deutschen Reich und die Wiederherstellung der Kaiserwürde.
Die Antwort Bismarcks datiert vom 12. Oktober, also von demselben Datum
wie das Schreiben nach Karlsruhe, worin der Großherzog freilich eine Antwort
auf die Kaiserfrage vermißte. Sie sagte in der Hauptsache: „daß alle wesentlichen
in der Denkschrift des Herzogs enthaltnen Gedanken seit langer Zeit die seinigen
und seit Beginn dieses Krieges fast ohne Einschränkung in der Ausführung be¬
griffen seien." Wie sehr um diesen Zeitpunkt alle verwandten Strömungen in
Versailles zusammenliefen, beweist, daß anch Gelzer am 7. Oktober ein Schreiben
an den Kronprinzen richtete, wohl ebenfalls nicht ohne Vorwissen des Groß-


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[0026] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Bundeskanzlers enthielt unter anerkennenden Worten für die badische Politik und die immer bewährten nationalen Gesinnungen Badens die prinzipielle Annahme des Anerbietens und zugleich die Einladung, Herr von Freydorf oder einer seiner Kollegen möge zu diesem Zwecke nach Versailles kommen, zumal da sich die württembergischen Minister des Krieges und der Justiz dazu erboten hätten und der Bundeskanzler das Anerbieten angenommen habe. Das historisch denkwürdige Schreiben ist mit den begleitenden Bemerkungen des Gro߬ herzogs bei Lorenz a. a. O. S. 608—609 in den Anmerkungen abgedruckt. Nach München hatte Bismarck am 14. Oktober die telegraphische Mitteilung gerichtet, daß er das Anerbieten Württembergs, Bevollmächtigte nach Versailles zu ent¬ senden, angenommen habe und Bayern anheimstelle, entweder auch in Versailles zu unterhandeln oder die Rückkehr des Staatsministers Delbrück nach München abzuwarten. Bayern antwortete am nächsten Tage zustimmend, und am 20. Ok¬ tober reisten die Minister Graf Bray, Freiherr von Pranckh und von Lutz nach Versailles ab. Der Monat Oktober war somit dazu bestimmt, die entscheidende Wendung zu bringen, endlich waren die Bevollmächtigten aller süddeutschen Staaten in Versailles vereinigt, der Wunsch des Großherzogs war erfüllt. Neben den ge¬ schäftlichen Verhandlungen einher ging der sehr rege Gedankenaustausch eines Kreises von deutschen Fürsten, die in Versailles den König und den Kron¬ prinzen umgaben, und, vom geschäftlichen Stande der Dinge nicht immer hin¬ reichend unterrichtet, sich verpflichtet hielten, ihrerseits fördernd einzugreifen, um namentlich die Kaiserfrage zu beschleunigen, in der Überzeugung, daß sich nach der prinzipiellen Erledigung dieser die Verfassungsfrage um so leichter lösen lassen werde. Man hielt dafür, daß um einerseits den König Wilhelm, andrerseits den König von Bayern, beide bei ihrer bekannten Denkungsart, für die Kaiseridee zu gewinnen, die fürstliche Vermittlung und nicht die ge¬ schäftliche Behandlung in erster Linie einzusetzen habe. Aus diesem fürstlichen Kreise heraus entstand so um diese Zeit abermals eine Denkschrift, die der Herzog von Koburg, wohl im Einvernehmen mit dem Großherzog Friedrich, zu Anfang Oktober an den Bundeskanzler richtete, um von diesem mündlich oder schriftlich eine Erklärung über den Inhalt zu erreichen. Die Denkschrift be¬ handelte in zwei Abschnitten die Erweiterung des Nordhundes, den Übergang des Bundes zum Deutschen Reich und die Wiederherstellung der Kaiserwürde. Die Antwort Bismarcks datiert vom 12. Oktober, also von demselben Datum wie das Schreiben nach Karlsruhe, worin der Großherzog freilich eine Antwort auf die Kaiserfrage vermißte. Sie sagte in der Hauptsache: „daß alle wesentlichen in der Denkschrift des Herzogs enthaltnen Gedanken seit langer Zeit die seinigen und seit Beginn dieses Krieges fast ohne Einschränkung in der Ausführung be¬ griffen seien." Wie sehr um diesen Zeitpunkt alle verwandten Strömungen in Versailles zusammenliefen, beweist, daß anch Gelzer am 7. Oktober ein Schreiben an den Kronprinzen richtete, wohl ebenfalls nicht ohne Vorwissen des Groß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/26>, abgerufen am 23.07.2024.