Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.Die Bernstorffs verbirgt, er nippt wohl hie und da einmal an dem Pariser Freudenbecher, aber Er kam (18. Juni 1733) in einem interessanten Zeitpunkte in Dresden Die Bernstorffs verbirgt, er nippt wohl hie und da einmal an dem Pariser Freudenbecher, aber Er kam (18. Juni 1733) in einem interessanten Zeitpunkte in Dresden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300751"/> <fw type="header" place="top"> Die Bernstorffs</fw><lb/> <p xml:id="ID_1014" prev="#ID_1013"> verbirgt, er nippt wohl hie und da einmal an dem Pariser Freudenbecher, aber<lb/> ehe es zum völligen Rausche kommt, entweicht er nach England und kehrt<lb/> von da über Holland im Herbst 1731 auf das heimische Gartow zurück. Seine<lb/> Bildung gilt nun für abgeschlossen, und so rüstet sich der Zwanzigjährige zu<lb/> selbständiger Tätigkeit. Seine protestantische Empfindung, sein Wunsch, in<lb/> einem größern Staatswesen emporzukommen, und endlich die schon auf der<lb/> Reise mit dänischen Staatsmännern angeknüpften Verbindungen führen ihn<lb/> nach Kopenhagen. Nach einem Probejahr in der „deutschen Kanzley" wurde<lb/> er am 4. Mai 1733 von Christian dem Sechsten zum Lnvo^6 öxtraoräwÄirs<lb/> am kursüchsischen Hofe in Dresden ernannt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1015" next="#ID_1016"> Er kam (18. Juni 1733) in einem interessanten Zeitpunkte in Dresden<lb/> an: August der Starke war tot, und August der Dritte war im Begriff, mit<lb/> Hilfe Rußlands und Österreichs seine Nachfolge in Polen durchzusetzen. Schnell<lb/> erkannte er im Grafen Brühl den kommenden Mann und knüpfte mit ihm<lb/> freundschaftliche Verbindungen an. Die folgenden Abschnitte des Buches führen<lb/> den Leser in sehr eingehender Weise in die Leiden und Freuden eines Diplo¬<lb/> matenlebens des achtzehnten Jahrhunderts ein. Wir begleiten Bernstorff auf<lb/> seinen Reisen nach Polen, die er im Gefolge des sächsischen Hofes mit vierzehn<lb/> Dienern und dreißig Pferden unternimmt — kein Wunder, daß ihm bei dieser<lb/> Lebensführung sein Jahresgehalt von 3000 Talern durchaus ungenügend er¬<lb/> schien —, wir sehen ihn 1737 das gesellige, glänzende Dresden mit dem öden<lb/> Regensburg vertauschen, wo er einen erschreckenden Einblick in die elende<lb/> Versumpfung des reichsdeutschen politischen Lebens tat; 1741, zur Zeit der<lb/> Schlacht von Mollwitz, siedelte er nach Frankfurt über. Hatte er früher in Polen<lb/> den russischen Gesandten den Herrn spielen sehen, so bot sich ihm hier ein ähn¬<lb/> liches Schauspiel dar, als Frankreichs Gesandter, der Marschall Belle-Jsle,<lb/> beim Wahlkollegium in Frankfurt auftrat. Bernstorffs Briefe und Berichte<lb/> entwerfen von diesem französischen Diplomaten und Feldherrn, der noch ein¬<lb/> mal den Kampf Frankreichs gegen Habsburg organisieren und die öster¬<lb/> reichische Erbschaft unter die konkurrierenden deutschen Fürsten verteilen sollte,<lb/> ein überaus glänzendes Bild. „Er vereinigt eine Menge Eigenschaften, von<lb/> denen jede für sich eiuen Mann berühmt machen könnte, und damit verbindet<lb/> er eine gewaltige, unermüdliche Arbeitskraft." Andre Geschichtsquellen (vgl-<lb/> Ziekursch, Sachsen und Preußen um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts<lb/> S. 93 f.) lassen den Marschall, der sich meist fern vom Kriegsschauplatz in<lb/> Frankfurt oder in Dresden aufhielt, viel unbedeutender erscheinen. Es mag<lb/> wohl sein, daß der intime Verkehr, zu dem Belle-Jsle den dänischen Gesandten<lb/> in Frankfurt heranzog, ferner die freundschaftliche Neigung, die Bernstorff zu<lb/> Belle-Isles Gattin faßte, ihm manches in hellerer Beleuchtung zeigte. Die<lb/> Sehnsucht nach der Eleganz von Paris erwachte unter dem Einflüsse der<lb/> Marschallin Belle-Jsle und der prachtvollen Abendgesellschaften, die sie in<lb/> ihrem Frankfurter Palais gab, von neuem in Bernstorff. Deshalb erfüllte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
Die Bernstorffs
verbirgt, er nippt wohl hie und da einmal an dem Pariser Freudenbecher, aber
ehe es zum völligen Rausche kommt, entweicht er nach England und kehrt
von da über Holland im Herbst 1731 auf das heimische Gartow zurück. Seine
Bildung gilt nun für abgeschlossen, und so rüstet sich der Zwanzigjährige zu
selbständiger Tätigkeit. Seine protestantische Empfindung, sein Wunsch, in
einem größern Staatswesen emporzukommen, und endlich die schon auf der
Reise mit dänischen Staatsmännern angeknüpften Verbindungen führen ihn
nach Kopenhagen. Nach einem Probejahr in der „deutschen Kanzley" wurde
er am 4. Mai 1733 von Christian dem Sechsten zum Lnvo^6 öxtraoräwÄirs
am kursüchsischen Hofe in Dresden ernannt.
Er kam (18. Juni 1733) in einem interessanten Zeitpunkte in Dresden
an: August der Starke war tot, und August der Dritte war im Begriff, mit
Hilfe Rußlands und Österreichs seine Nachfolge in Polen durchzusetzen. Schnell
erkannte er im Grafen Brühl den kommenden Mann und knüpfte mit ihm
freundschaftliche Verbindungen an. Die folgenden Abschnitte des Buches führen
den Leser in sehr eingehender Weise in die Leiden und Freuden eines Diplo¬
matenlebens des achtzehnten Jahrhunderts ein. Wir begleiten Bernstorff auf
seinen Reisen nach Polen, die er im Gefolge des sächsischen Hofes mit vierzehn
Dienern und dreißig Pferden unternimmt — kein Wunder, daß ihm bei dieser
Lebensführung sein Jahresgehalt von 3000 Talern durchaus ungenügend er¬
schien —, wir sehen ihn 1737 das gesellige, glänzende Dresden mit dem öden
Regensburg vertauschen, wo er einen erschreckenden Einblick in die elende
Versumpfung des reichsdeutschen politischen Lebens tat; 1741, zur Zeit der
Schlacht von Mollwitz, siedelte er nach Frankfurt über. Hatte er früher in Polen
den russischen Gesandten den Herrn spielen sehen, so bot sich ihm hier ein ähn¬
liches Schauspiel dar, als Frankreichs Gesandter, der Marschall Belle-Jsle,
beim Wahlkollegium in Frankfurt auftrat. Bernstorffs Briefe und Berichte
entwerfen von diesem französischen Diplomaten und Feldherrn, der noch ein¬
mal den Kampf Frankreichs gegen Habsburg organisieren und die öster¬
reichische Erbschaft unter die konkurrierenden deutschen Fürsten verteilen sollte,
ein überaus glänzendes Bild. „Er vereinigt eine Menge Eigenschaften, von
denen jede für sich eiuen Mann berühmt machen könnte, und damit verbindet
er eine gewaltige, unermüdliche Arbeitskraft." Andre Geschichtsquellen (vgl-
Ziekursch, Sachsen und Preußen um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts
S. 93 f.) lassen den Marschall, der sich meist fern vom Kriegsschauplatz in
Frankfurt oder in Dresden aufhielt, viel unbedeutender erscheinen. Es mag
wohl sein, daß der intime Verkehr, zu dem Belle-Jsle den dänischen Gesandten
in Frankfurt heranzog, ferner die freundschaftliche Neigung, die Bernstorff zu
Belle-Isles Gattin faßte, ihm manches in hellerer Beleuchtung zeigte. Die
Sehnsucht nach der Eleganz von Paris erwachte unter dem Einflüsse der
Marschallin Belle-Jsle und der prachtvollen Abendgesellschaften, die sie in
ihrem Frankfurter Palais gab, von neuem in Bernstorff. Deshalb erfüllte
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