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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

Rotwein, die wir mitgenommen, aber nicht ausgetrunken hatten. Vom Genuß
alkoholischer Getränke während der Fahrt sind wir mehr und mehr zurück¬
gekommen, während wir uns an Selterswasser und Fruchtsaft reichlich erfrischen.
Um den Wein aus dem Wege zu räumen, hatten wir ihn in einen leeren Sand¬
sack außerhalb des Korbes gesteckt und beim Klarmachen vergessen, ihn in Sicher¬
heit zu bringen. Jetzt hätten wir gern einen Schluck zu uns genommen.

Nendziny hieß das kleine Dorf, in dessen Nähe wir 12 Uhr 35 Minuten
"glatt" gelandet waren, 15 Werst östlich von Rooo Nadomsk im Gouvernement
Petrikau. Die Karte hatte uns also irregeführt: jene westliche schwarze Linie
bezeichnete vielmehr eine Landstraße, und die von uns überflogne Eisenbahn,
an der wir so gut hätten landen können, war schon die Warschauer Bahn ge¬
wesen. Die in vierzehn Stunden von uns zurückgelegte Luftstrecke betrug
570 Kilometer, 110 von der russischen Grenze bis zum Landungsplatz, die
Durchschnittsgeschwindigkeit 41 Kilometer die Stunde. Nun Hilfe herbei zum
Verpacken! Wir brauchten nicht lange darauf zu warten. Noch nirgends hatte
man uns nach einer Ballonfahrt herzlicher begrüßt als hier. Im Laufschritt
kamen sie aus dem Dorfe herbei, jung und alt, Männer und Frauen, viel mehr,
als wir in dieser einsamen Gegend vermutet hatten, und schüttelten uns zum
Gruße bieder die Hände. Dann stellten sie sich uns bereitweilig zur Verfügung
und leisteten geschickt, wozu wir sie anleiteten, sodaß die Verpackung gut und
rasch vonstatten ging.

Die gegenseitige Verständigung gab zu großer Heiterkeit Anlaß. Die paar
slawischen Brocken, die wir irgendwo einmal aufgelesen hatten, mußten herhalten,
das meiste aber tat die Zeichensprache, namentlich, wenn sichs um Zahlen
handelte. Vortrefflich bewährte sich auch der kleine Sprachanhang der Führer¬
instruktion. Er enthält in holländischer, dänischer, schwedischer, russischer, pol¬
nischer, tschechischer, ungarischer, rumänischer und türkischer Sprache 21 Fragen
nach der nötigsten Auskunft, die man der versammelten Menge einfach vorzu¬
lesen braucht. Das geschah auch hier, und unsern polnischen Landleuten machte
dies bei unsrer jedenfalls schauderhaften Aussprache riesiges Vergnügen, aber
sie verstanden uns doch. "Wir brauchen einen Wagen mit zwei Pferden für
den Ballon, wer will ihn besorgen? Er bekommt auch ein gutes Trinkgeld." Kaum
war das letzte Wort heraus, da lief auch schon ein hübscher, frischer Bursche,
der aufmerksam zugehört hatte, lachend davon, und in weniger als einer Stunde
war er mit einem zweispännigen Leiterwagen wieder zur Stelle. Alle sonstigen
Schwierigkeiten lösten sich vollends, als sich in langem Kaftan und mit Peies-
löckchen einige Juden einfanden, die wir hier sehr schätzen lernten, da sie sämt¬
lich auch fließend deutsch sprechen und über alles, was man zu wissen wünscht,
gut unterrichtet sind, also polnische Juden als Pioniere des Deutschtums und
der Bildung!

Noch ein heiterer Zwischenfall ereignete sich. Während der Verpackungs¬
arbeiten prasselte plötzlich ein durchdringender Gewitterguß auf uns nieder. Im


Luftreisen

Rotwein, die wir mitgenommen, aber nicht ausgetrunken hatten. Vom Genuß
alkoholischer Getränke während der Fahrt sind wir mehr und mehr zurück¬
gekommen, während wir uns an Selterswasser und Fruchtsaft reichlich erfrischen.
Um den Wein aus dem Wege zu räumen, hatten wir ihn in einen leeren Sand¬
sack außerhalb des Korbes gesteckt und beim Klarmachen vergessen, ihn in Sicher¬
heit zu bringen. Jetzt hätten wir gern einen Schluck zu uns genommen.

Nendziny hieß das kleine Dorf, in dessen Nähe wir 12 Uhr 35 Minuten
„glatt" gelandet waren, 15 Werst östlich von Rooo Nadomsk im Gouvernement
Petrikau. Die Karte hatte uns also irregeführt: jene westliche schwarze Linie
bezeichnete vielmehr eine Landstraße, und die von uns überflogne Eisenbahn,
an der wir so gut hätten landen können, war schon die Warschauer Bahn ge¬
wesen. Die in vierzehn Stunden von uns zurückgelegte Luftstrecke betrug
570 Kilometer, 110 von der russischen Grenze bis zum Landungsplatz, die
Durchschnittsgeschwindigkeit 41 Kilometer die Stunde. Nun Hilfe herbei zum
Verpacken! Wir brauchten nicht lange darauf zu warten. Noch nirgends hatte
man uns nach einer Ballonfahrt herzlicher begrüßt als hier. Im Laufschritt
kamen sie aus dem Dorfe herbei, jung und alt, Männer und Frauen, viel mehr,
als wir in dieser einsamen Gegend vermutet hatten, und schüttelten uns zum
Gruße bieder die Hände. Dann stellten sie sich uns bereitweilig zur Verfügung
und leisteten geschickt, wozu wir sie anleiteten, sodaß die Verpackung gut und
rasch vonstatten ging.

Die gegenseitige Verständigung gab zu großer Heiterkeit Anlaß. Die paar
slawischen Brocken, die wir irgendwo einmal aufgelesen hatten, mußten herhalten,
das meiste aber tat die Zeichensprache, namentlich, wenn sichs um Zahlen
handelte. Vortrefflich bewährte sich auch der kleine Sprachanhang der Führer¬
instruktion. Er enthält in holländischer, dänischer, schwedischer, russischer, pol¬
nischer, tschechischer, ungarischer, rumänischer und türkischer Sprache 21 Fragen
nach der nötigsten Auskunft, die man der versammelten Menge einfach vorzu¬
lesen braucht. Das geschah auch hier, und unsern polnischen Landleuten machte
dies bei unsrer jedenfalls schauderhaften Aussprache riesiges Vergnügen, aber
sie verstanden uns doch. „Wir brauchen einen Wagen mit zwei Pferden für
den Ballon, wer will ihn besorgen? Er bekommt auch ein gutes Trinkgeld." Kaum
war das letzte Wort heraus, da lief auch schon ein hübscher, frischer Bursche,
der aufmerksam zugehört hatte, lachend davon, und in weniger als einer Stunde
war er mit einem zweispännigen Leiterwagen wieder zur Stelle. Alle sonstigen
Schwierigkeiten lösten sich vollends, als sich in langem Kaftan und mit Peies-
löckchen einige Juden einfanden, die wir hier sehr schätzen lernten, da sie sämt¬
lich auch fließend deutsch sprechen und über alles, was man zu wissen wünscht,
gut unterrichtet sind, also polnische Juden als Pioniere des Deutschtums und
der Bildung!

Noch ein heiterer Zwischenfall ereignete sich. Während der Verpackungs¬
arbeiten prasselte plötzlich ein durchdringender Gewitterguß auf uns nieder. Im


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[0222] Luftreisen Rotwein, die wir mitgenommen, aber nicht ausgetrunken hatten. Vom Genuß alkoholischer Getränke während der Fahrt sind wir mehr und mehr zurück¬ gekommen, während wir uns an Selterswasser und Fruchtsaft reichlich erfrischen. Um den Wein aus dem Wege zu räumen, hatten wir ihn in einen leeren Sand¬ sack außerhalb des Korbes gesteckt und beim Klarmachen vergessen, ihn in Sicher¬ heit zu bringen. Jetzt hätten wir gern einen Schluck zu uns genommen. Nendziny hieß das kleine Dorf, in dessen Nähe wir 12 Uhr 35 Minuten „glatt" gelandet waren, 15 Werst östlich von Rooo Nadomsk im Gouvernement Petrikau. Die Karte hatte uns also irregeführt: jene westliche schwarze Linie bezeichnete vielmehr eine Landstraße, und die von uns überflogne Eisenbahn, an der wir so gut hätten landen können, war schon die Warschauer Bahn ge¬ wesen. Die in vierzehn Stunden von uns zurückgelegte Luftstrecke betrug 570 Kilometer, 110 von der russischen Grenze bis zum Landungsplatz, die Durchschnittsgeschwindigkeit 41 Kilometer die Stunde. Nun Hilfe herbei zum Verpacken! Wir brauchten nicht lange darauf zu warten. Noch nirgends hatte man uns nach einer Ballonfahrt herzlicher begrüßt als hier. Im Laufschritt kamen sie aus dem Dorfe herbei, jung und alt, Männer und Frauen, viel mehr, als wir in dieser einsamen Gegend vermutet hatten, und schüttelten uns zum Gruße bieder die Hände. Dann stellten sie sich uns bereitweilig zur Verfügung und leisteten geschickt, wozu wir sie anleiteten, sodaß die Verpackung gut und rasch vonstatten ging. Die gegenseitige Verständigung gab zu großer Heiterkeit Anlaß. Die paar slawischen Brocken, die wir irgendwo einmal aufgelesen hatten, mußten herhalten, das meiste aber tat die Zeichensprache, namentlich, wenn sichs um Zahlen handelte. Vortrefflich bewährte sich auch der kleine Sprachanhang der Führer¬ instruktion. Er enthält in holländischer, dänischer, schwedischer, russischer, pol¬ nischer, tschechischer, ungarischer, rumänischer und türkischer Sprache 21 Fragen nach der nötigsten Auskunft, die man der versammelten Menge einfach vorzu¬ lesen braucht. Das geschah auch hier, und unsern polnischen Landleuten machte dies bei unsrer jedenfalls schauderhaften Aussprache riesiges Vergnügen, aber sie verstanden uns doch. „Wir brauchen einen Wagen mit zwei Pferden für den Ballon, wer will ihn besorgen? Er bekommt auch ein gutes Trinkgeld." Kaum war das letzte Wort heraus, da lief auch schon ein hübscher, frischer Bursche, der aufmerksam zugehört hatte, lachend davon, und in weniger als einer Stunde war er mit einem zweispännigen Leiterwagen wieder zur Stelle. Alle sonstigen Schwierigkeiten lösten sich vollends, als sich in langem Kaftan und mit Peies- löckchen einige Juden einfanden, die wir hier sehr schätzen lernten, da sie sämt¬ lich auch fließend deutsch sprechen und über alles, was man zu wissen wünscht, gut unterrichtet sind, also polnische Juden als Pioniere des Deutschtums und der Bildung! Noch ein heiterer Zwischenfall ereignete sich. Während der Verpackungs¬ arbeiten prasselte plötzlich ein durchdringender Gewitterguß auf uns nieder. Im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/222>, abgerufen am 23.07.2024.