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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

gestoßen, säulenartig die einen, andre treiben aus breiten Grundpolstern immer
neue, sich nach oben verjüngende Ballen hervor, frühere Gebilde rücksichtslos
beiseite drängend und überholend. Die Phantasie glaubt oft wohlbekannte Bilder
in ihnen zu entdecken, die Mehrzahl aber spottet in ihrer wilden Abenteuerlich¬
keit jeder Beschreibung. Ein so hastiges Neuformen und Umformen entsinnen
wir uns noch nie gesehen zu haben, auch nicht, wenn wir stundenlang über
Wolkenmeeren dahinfuhren. Das muß wohl Gewitterwolken besonders eigen sein.
Bald finden wir uns in einen immer enger werdenden dampfenden Kessel ein¬
geschlossen, und über uns in wunderbarem Farbengegensatz zu unsrer leuchtend
Weißen Umgebung ein wolkenloser Himmel. Das ist nicht das tiefe, sanfte Blau,
wie wirs sonst über nordischen Landen gewöhnt sind, sondern ein Sattes Tief¬
blau, wie es auch der Südländer nur selten erschaut. Wie sonst wohl in der
Sternennacht dringt das Auge jetzt auch bei Tage ein in die Unergründlichkeit
des Äthers über unsrer Atmosphäre und ahnt die Geheimnisse, die er birgt. In
solchen Augenblicken mochte sich der Luftschiffer so gern dem Gedanken an Un¬
endlichkeit und Ewigkeit hingeben. Aber eine sich vor uns anstürmende Wolke,
der wir immer näher kommen, fordert uns zum Kampfe mit sich heraus. Ein
schöner Frauenkopf mit geknotetem Haar und stolzen, Nacken auf kräftiger,
schneeiger Büste, so tritt sie uns eine Weile entgegen. Dann zerfließt sie breit,
Zacken und Kanten schießen aus ihr hervor, ein eisstarrendes, vielgipfliges
Hochgebirge. Wir fürchten ihren Feuchtigkeit- und Elektrizitütsgehalt und werfen
Ballast aus, um sie. da sie sich langsamer vorwärts bewegt als wir, womöglich
zu überspringen ; aber je höher wir steigen, um so mehr nimmt auch sie an Höhe
und Umfang zu. ^ ",.^"


Sie wich und wechselte, rach zu umfließen,
Und wuchs geflügelt mir ums Haupt empor.

Wer wird Sieger sein? Immer mehr von unserm bisher so bedachtsam ge¬
sparten Ballast müssen wir opfern. Auf 3000 Meter schon haben wir in dem
ungleichen Ringen mit der Naturgewalt uns gehoben, doch der luftige Kampf
ist lange nicht vollendet, der Feind überragt uns wieder um Bergeshöhe, unser
Vorrat an Sand ist auf drei Säcke zusammengeschmolzen, das ist wenig mehr,
als wir zur Landung brauchen. Wir müssen die Waffen strecken und ergeben
uns auf Gnade und Ungnade, mag kommen, was da will. Aber wir haben es
wie einem großmütiger Gegner zu tun. Dieses Eingeständnis unsrer Ohnmacht
nur wars, das er uns abnötigen wollte. Mitleidig weicht er zur Seite und
läßt uns vorbei. Ein leichtes Schauern nur empfinden wir bei seiner feucht¬
kühlen Nähe, doch macht dieses unter den glühenden Strahlen der Augustsonne
bald wieder einem wohligen Wärmegefühl Platz.

Führer wie Mitreisende hat dieser Kampf in gespannter Erwartung und
Tätigkeit gehalten; nun er 9 Uhr 40 Minuten zu Ende ist, tritt einige Abspannung
um. Das auch diesesmal von freundlicher Damenhand mit feinem Verständnis
vorbereitete reiche Frühstück stellt uns wieder her, und der gute "Ernst" zeigt sich,


Luftreisen

gestoßen, säulenartig die einen, andre treiben aus breiten Grundpolstern immer
neue, sich nach oben verjüngende Ballen hervor, frühere Gebilde rücksichtslos
beiseite drängend und überholend. Die Phantasie glaubt oft wohlbekannte Bilder
in ihnen zu entdecken, die Mehrzahl aber spottet in ihrer wilden Abenteuerlich¬
keit jeder Beschreibung. Ein so hastiges Neuformen und Umformen entsinnen
wir uns noch nie gesehen zu haben, auch nicht, wenn wir stundenlang über
Wolkenmeeren dahinfuhren. Das muß wohl Gewitterwolken besonders eigen sein.
Bald finden wir uns in einen immer enger werdenden dampfenden Kessel ein¬
geschlossen, und über uns in wunderbarem Farbengegensatz zu unsrer leuchtend
Weißen Umgebung ein wolkenloser Himmel. Das ist nicht das tiefe, sanfte Blau,
wie wirs sonst über nordischen Landen gewöhnt sind, sondern ein Sattes Tief¬
blau, wie es auch der Südländer nur selten erschaut. Wie sonst wohl in der
Sternennacht dringt das Auge jetzt auch bei Tage ein in die Unergründlichkeit
des Äthers über unsrer Atmosphäre und ahnt die Geheimnisse, die er birgt. In
solchen Augenblicken mochte sich der Luftschiffer so gern dem Gedanken an Un¬
endlichkeit und Ewigkeit hingeben. Aber eine sich vor uns anstürmende Wolke,
der wir immer näher kommen, fordert uns zum Kampfe mit sich heraus. Ein
schöner Frauenkopf mit geknotetem Haar und stolzen, Nacken auf kräftiger,
schneeiger Büste, so tritt sie uns eine Weile entgegen. Dann zerfließt sie breit,
Zacken und Kanten schießen aus ihr hervor, ein eisstarrendes, vielgipfliges
Hochgebirge. Wir fürchten ihren Feuchtigkeit- und Elektrizitütsgehalt und werfen
Ballast aus, um sie. da sie sich langsamer vorwärts bewegt als wir, womöglich
zu überspringen ; aber je höher wir steigen, um so mehr nimmt auch sie an Höhe
und Umfang zu. ^ „,.^"


Sie wich und wechselte, rach zu umfließen,
Und wuchs geflügelt mir ums Haupt empor.

Wer wird Sieger sein? Immer mehr von unserm bisher so bedachtsam ge¬
sparten Ballast müssen wir opfern. Auf 3000 Meter schon haben wir in dem
ungleichen Ringen mit der Naturgewalt uns gehoben, doch der luftige Kampf
ist lange nicht vollendet, der Feind überragt uns wieder um Bergeshöhe, unser
Vorrat an Sand ist auf drei Säcke zusammengeschmolzen, das ist wenig mehr,
als wir zur Landung brauchen. Wir müssen die Waffen strecken und ergeben
uns auf Gnade und Ungnade, mag kommen, was da will. Aber wir haben es
wie einem großmütiger Gegner zu tun. Dieses Eingeständnis unsrer Ohnmacht
nur wars, das er uns abnötigen wollte. Mitleidig weicht er zur Seite und
läßt uns vorbei. Ein leichtes Schauern nur empfinden wir bei seiner feucht¬
kühlen Nähe, doch macht dieses unter den glühenden Strahlen der Augustsonne
bald wieder einem wohligen Wärmegefühl Platz.

Führer wie Mitreisende hat dieser Kampf in gespannter Erwartung und
Tätigkeit gehalten; nun er 9 Uhr 40 Minuten zu Ende ist, tritt einige Abspannung
um. Das auch diesesmal von freundlicher Damenhand mit feinem Verständnis
vorbereitete reiche Frühstück stellt uns wieder her, und der gute „Ernst" zeigt sich,


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[0219] Luftreisen gestoßen, säulenartig die einen, andre treiben aus breiten Grundpolstern immer neue, sich nach oben verjüngende Ballen hervor, frühere Gebilde rücksichtslos beiseite drängend und überholend. Die Phantasie glaubt oft wohlbekannte Bilder in ihnen zu entdecken, die Mehrzahl aber spottet in ihrer wilden Abenteuerlich¬ keit jeder Beschreibung. Ein so hastiges Neuformen und Umformen entsinnen wir uns noch nie gesehen zu haben, auch nicht, wenn wir stundenlang über Wolkenmeeren dahinfuhren. Das muß wohl Gewitterwolken besonders eigen sein. Bald finden wir uns in einen immer enger werdenden dampfenden Kessel ein¬ geschlossen, und über uns in wunderbarem Farbengegensatz zu unsrer leuchtend Weißen Umgebung ein wolkenloser Himmel. Das ist nicht das tiefe, sanfte Blau, wie wirs sonst über nordischen Landen gewöhnt sind, sondern ein Sattes Tief¬ blau, wie es auch der Südländer nur selten erschaut. Wie sonst wohl in der Sternennacht dringt das Auge jetzt auch bei Tage ein in die Unergründlichkeit des Äthers über unsrer Atmosphäre und ahnt die Geheimnisse, die er birgt. In solchen Augenblicken mochte sich der Luftschiffer so gern dem Gedanken an Un¬ endlichkeit und Ewigkeit hingeben. Aber eine sich vor uns anstürmende Wolke, der wir immer näher kommen, fordert uns zum Kampfe mit sich heraus. Ein schöner Frauenkopf mit geknotetem Haar und stolzen, Nacken auf kräftiger, schneeiger Büste, so tritt sie uns eine Weile entgegen. Dann zerfließt sie breit, Zacken und Kanten schießen aus ihr hervor, ein eisstarrendes, vielgipfliges Hochgebirge. Wir fürchten ihren Feuchtigkeit- und Elektrizitütsgehalt und werfen Ballast aus, um sie. da sie sich langsamer vorwärts bewegt als wir, womöglich zu überspringen ; aber je höher wir steigen, um so mehr nimmt auch sie an Höhe und Umfang zu. ^ „,.^" Sie wich und wechselte, rach zu umfließen, Und wuchs geflügelt mir ums Haupt empor. Wer wird Sieger sein? Immer mehr von unserm bisher so bedachtsam ge¬ sparten Ballast müssen wir opfern. Auf 3000 Meter schon haben wir in dem ungleichen Ringen mit der Naturgewalt uns gehoben, doch der luftige Kampf ist lange nicht vollendet, der Feind überragt uns wieder um Bergeshöhe, unser Vorrat an Sand ist auf drei Säcke zusammengeschmolzen, das ist wenig mehr, als wir zur Landung brauchen. Wir müssen die Waffen strecken und ergeben uns auf Gnade und Ungnade, mag kommen, was da will. Aber wir haben es wie einem großmütiger Gegner zu tun. Dieses Eingeständnis unsrer Ohnmacht nur wars, das er uns abnötigen wollte. Mitleidig weicht er zur Seite und läßt uns vorbei. Ein leichtes Schauern nur empfinden wir bei seiner feucht¬ kühlen Nähe, doch macht dieses unter den glühenden Strahlen der Augustsonne bald wieder einem wohligen Wärmegefühl Platz. Führer wie Mitreisende hat dieser Kampf in gespannter Erwartung und Tätigkeit gehalten; nun er 9 Uhr 40 Minuten zu Ende ist, tritt einige Abspannung um. Das auch diesesmal von freundlicher Damenhand mit feinem Verständnis vorbereitete reiche Frühstück stellt uns wieder her, und der gute „Ernst" zeigt sich,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/219>, abgerufen am 23.07.2024.