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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Luftreisen

Eine halbe Stunde später trägt uns der Ballon über die Spree selbst,
die hier mehrere Inseln bildet. Etwa sechs Kilometer südlich grüßt hell er¬
leuchtet unser altes gutes Kottbus, das uns, seit wir das erstemal bei strahlender
Mittagssonne darüber hinweggekommen sind, und durch drei damals ausge-
nommne Bilder nach seiner ganzen Anlage und in allen seinen Teilen wohl¬
vertraut ist. Ja als wir später einmal, um das von oben Geschaute auch
aus nächster Nähe kennen zu lernen, mit einem eingebornen Kottbuser die Stadt
durchwanderten, zeigte dieser sich über die Gliederung des Ortes weniger unter¬
richtet als wir.

Die anfängliche Windgeschwindigkeit von 36 Kilometern in der Stunde
hat sich auf etwa 45 gesteigert. Rasch nähern wir uns der Eisenbahn
Kottbus-Frankfurt a. O. ein wenig südlich von Penz und bewegen uns un¬
mittelbar über eine Gruppe von Seen hinweg, die sich zu einer großen, von
schmalen Landstreifen durchsetzten Wasserfläche vereinigen, Teufelsteich, Hölder
und Neuendorfer Teich. Der Blick, der sich uns von der Mitte aus bietet, ist
ganz entzückend: das Wasser schimmert, vom Winde bewegt, im Scheine des Voll¬
monds, der selbst von leuchtenden Wolken umgeben ist, während eine lange, dunkle
Stratusschicht darunter lagert. Wald begrenzt die Flüche im Osten, die Bahn
Kottbns- Guben führt durch ihn hindurch und überschreitet dann die Malxe, deren
geradliniger Lauf zeigt, daß es eine künstliche Wasserverbindung ist.

An Großartigkeit der Eindrücke steht die heutige Fahrt hinter der vorigen
ja weit zurück, es ist etwas andres, Thüringer Wald, Rhön und Spessart,
Main und Rhein, bayrische Pfalz und Lothringen aus Himmelshöhen zu be¬
trachten als Teile des norddeutschen Tieflandes. Aber auch ihnen fehlt es
nicht an besondern Reizen, und gerade jetzt im sanften Lichte des aufdämmernden
Morgens und dann, während Mond und Sonne um die Herrschaft miteinander
ringen, versetzt dieser schlichte Wechsel von Wald und nebelfeuchter Niederung,
von riesigen langgestreckten Fruchtgefilden und saftig grünen Wiesen in eine
ernste, weihevolle Stimmung.

Eine niedrige Hügelkette begleitet den westlichen Talrand der Reiße, mit
der das Stromgebiet der Oder beginnt. Jenseits von ihr ruht in waldiger
Umgebung Birkenberg mit seinem Schloß. Es ist genau dieselbe Zeit, zu der
wir auf unsrer letzten Fahrt in Ohrdruf eine Feuersbrunst beobachteten, und
merkwürdig, auch hier wieder entdecken wir ein großes Schadenfeuer. Es ist
nicht das einzige an diesem Morgen, noch an zwei andern Orten nehmen wir
Vründe wahr, wie denn kaum eine unsrer Ballonfahrten ohne diesen Anblick
geblieben ist von dem Waldbrand bei Langenau in Schlesien am 18. Juli 1904
bis heute. Ein wenig östlich schaut lieblich aus dem Busch hervor eine schmucke
kleine Ortschaft mit höher liegender Kirche, daneben ein großes Rittergut, dessen
lange Wirtschaftsgebäude mehrere Höfe umschließen, Kohlo.

Nördlich von Jeßnitz und Starzeddel an der Lubst, einem Nebenflüßchen der
Reiße, passieren wir die Bahn Breslau-Berlin und haben nun wieder ausge-


Luftreisen

Eine halbe Stunde später trägt uns der Ballon über die Spree selbst,
die hier mehrere Inseln bildet. Etwa sechs Kilometer südlich grüßt hell er¬
leuchtet unser altes gutes Kottbus, das uns, seit wir das erstemal bei strahlender
Mittagssonne darüber hinweggekommen sind, und durch drei damals ausge-
nommne Bilder nach seiner ganzen Anlage und in allen seinen Teilen wohl¬
vertraut ist. Ja als wir später einmal, um das von oben Geschaute auch
aus nächster Nähe kennen zu lernen, mit einem eingebornen Kottbuser die Stadt
durchwanderten, zeigte dieser sich über die Gliederung des Ortes weniger unter¬
richtet als wir.

Die anfängliche Windgeschwindigkeit von 36 Kilometern in der Stunde
hat sich auf etwa 45 gesteigert. Rasch nähern wir uns der Eisenbahn
Kottbus-Frankfurt a. O. ein wenig südlich von Penz und bewegen uns un¬
mittelbar über eine Gruppe von Seen hinweg, die sich zu einer großen, von
schmalen Landstreifen durchsetzten Wasserfläche vereinigen, Teufelsteich, Hölder
und Neuendorfer Teich. Der Blick, der sich uns von der Mitte aus bietet, ist
ganz entzückend: das Wasser schimmert, vom Winde bewegt, im Scheine des Voll¬
monds, der selbst von leuchtenden Wolken umgeben ist, während eine lange, dunkle
Stratusschicht darunter lagert. Wald begrenzt die Flüche im Osten, die Bahn
Kottbns- Guben führt durch ihn hindurch und überschreitet dann die Malxe, deren
geradliniger Lauf zeigt, daß es eine künstliche Wasserverbindung ist.

An Großartigkeit der Eindrücke steht die heutige Fahrt hinter der vorigen
ja weit zurück, es ist etwas andres, Thüringer Wald, Rhön und Spessart,
Main und Rhein, bayrische Pfalz und Lothringen aus Himmelshöhen zu be¬
trachten als Teile des norddeutschen Tieflandes. Aber auch ihnen fehlt es
nicht an besondern Reizen, und gerade jetzt im sanften Lichte des aufdämmernden
Morgens und dann, während Mond und Sonne um die Herrschaft miteinander
ringen, versetzt dieser schlichte Wechsel von Wald und nebelfeuchter Niederung,
von riesigen langgestreckten Fruchtgefilden und saftig grünen Wiesen in eine
ernste, weihevolle Stimmung.

Eine niedrige Hügelkette begleitet den westlichen Talrand der Reiße, mit
der das Stromgebiet der Oder beginnt. Jenseits von ihr ruht in waldiger
Umgebung Birkenberg mit seinem Schloß. Es ist genau dieselbe Zeit, zu der
wir auf unsrer letzten Fahrt in Ohrdruf eine Feuersbrunst beobachteten, und
merkwürdig, auch hier wieder entdecken wir ein großes Schadenfeuer. Es ist
nicht das einzige an diesem Morgen, noch an zwei andern Orten nehmen wir
Vründe wahr, wie denn kaum eine unsrer Ballonfahrten ohne diesen Anblick
geblieben ist von dem Waldbrand bei Langenau in Schlesien am 18. Juli 1904
bis heute. Ein wenig östlich schaut lieblich aus dem Busch hervor eine schmucke
kleine Ortschaft mit höher liegender Kirche, daneben ein großes Rittergut, dessen
lange Wirtschaftsgebäude mehrere Höfe umschließen, Kohlo.

Nördlich von Jeßnitz und Starzeddel an der Lubst, einem Nebenflüßchen der
Reiße, passieren wir die Bahn Breslau-Berlin und haben nun wieder ausge-


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[0215] Luftreisen Eine halbe Stunde später trägt uns der Ballon über die Spree selbst, die hier mehrere Inseln bildet. Etwa sechs Kilometer südlich grüßt hell er¬ leuchtet unser altes gutes Kottbus, das uns, seit wir das erstemal bei strahlender Mittagssonne darüber hinweggekommen sind, und durch drei damals ausge- nommne Bilder nach seiner ganzen Anlage und in allen seinen Teilen wohl¬ vertraut ist. Ja als wir später einmal, um das von oben Geschaute auch aus nächster Nähe kennen zu lernen, mit einem eingebornen Kottbuser die Stadt durchwanderten, zeigte dieser sich über die Gliederung des Ortes weniger unter¬ richtet als wir. Die anfängliche Windgeschwindigkeit von 36 Kilometern in der Stunde hat sich auf etwa 45 gesteigert. Rasch nähern wir uns der Eisenbahn Kottbus-Frankfurt a. O. ein wenig südlich von Penz und bewegen uns un¬ mittelbar über eine Gruppe von Seen hinweg, die sich zu einer großen, von schmalen Landstreifen durchsetzten Wasserfläche vereinigen, Teufelsteich, Hölder und Neuendorfer Teich. Der Blick, der sich uns von der Mitte aus bietet, ist ganz entzückend: das Wasser schimmert, vom Winde bewegt, im Scheine des Voll¬ monds, der selbst von leuchtenden Wolken umgeben ist, während eine lange, dunkle Stratusschicht darunter lagert. Wald begrenzt die Flüche im Osten, die Bahn Kottbns- Guben führt durch ihn hindurch und überschreitet dann die Malxe, deren geradliniger Lauf zeigt, daß es eine künstliche Wasserverbindung ist. An Großartigkeit der Eindrücke steht die heutige Fahrt hinter der vorigen ja weit zurück, es ist etwas andres, Thüringer Wald, Rhön und Spessart, Main und Rhein, bayrische Pfalz und Lothringen aus Himmelshöhen zu be¬ trachten als Teile des norddeutschen Tieflandes. Aber auch ihnen fehlt es nicht an besondern Reizen, und gerade jetzt im sanften Lichte des aufdämmernden Morgens und dann, während Mond und Sonne um die Herrschaft miteinander ringen, versetzt dieser schlichte Wechsel von Wald und nebelfeuchter Niederung, von riesigen langgestreckten Fruchtgefilden und saftig grünen Wiesen in eine ernste, weihevolle Stimmung. Eine niedrige Hügelkette begleitet den westlichen Talrand der Reiße, mit der das Stromgebiet der Oder beginnt. Jenseits von ihr ruht in waldiger Umgebung Birkenberg mit seinem Schloß. Es ist genau dieselbe Zeit, zu der wir auf unsrer letzten Fahrt in Ohrdruf eine Feuersbrunst beobachteten, und merkwürdig, auch hier wieder entdecken wir ein großes Schadenfeuer. Es ist nicht das einzige an diesem Morgen, noch an zwei andern Orten nehmen wir Vründe wahr, wie denn kaum eine unsrer Ballonfahrten ohne diesen Anblick geblieben ist von dem Waldbrand bei Langenau in Schlesien am 18. Juli 1904 bis heute. Ein wenig östlich schaut lieblich aus dem Busch hervor eine schmucke kleine Ortschaft mit höher liegender Kirche, daneben ein großes Rittergut, dessen lange Wirtschaftsgebäude mehrere Höfe umschließen, Kohlo. Nördlich von Jeßnitz und Starzeddel an der Lubst, einem Nebenflüßchen der Reiße, passieren wir die Bahn Breslau-Berlin und haben nun wieder ausge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/215>, abgerufen am 23.07.2024.