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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Boden in Versailles

An demselben Tage war die Antwort des Königs, die Kaiserwürde an¬
nehmen zu wollen, nachdem der bayrische Antrag mit der Zustimmung aller
Fürsten offiziell in Berlin übergeben worden war, im gleichlautenden Wortlaut
allen Fürsten und freien Städten zugegangen. Am Sonntag, den 15. Januar
eröffnete der König seinen endgiltigen Willen, daß die Kaiserproklamation am
18. Januar stattfinden solle, und beauftragte den Kronprinzen mit der Anordnung
der Feier. Am 16. Januar erging eine Resolution des Königs an den Bundes¬
kanzler, in der er bestimmte, daß er den Titel Kaiser von Deutschland führen
wolle. Indem er sich bedauernd darüber aussprach, daß ihm nicht früher bekannt
geworden sei, in welcher Weise die Frage mit Bayern behandelt wurde, erklärte
er, die Konsequenzen dieses Verfahrens nicht annehmen zu können, da er die
Bezeichnung Kaiser von Deutschland für die richtigere halte. In allen andern
Punkten trat er überwiegend den Anträgen Bismarcks gegenüber denen des
Kronprinzen bei. In seiner Erwiderung beharrte der Kanzler unter Betonung
seiner Verantwortlichkeit durchaus bei seiner Behauptung, daß der Titel Kaiser
von Deutschland einen Territorialanspruch enthalte, und er scheint bei diesem
Anlaß die Kabinettsfrage gestellt zu haben. Ebenso aber blieben die Fürsten auf
ihrem Standpunkte, und der Großherzog von Baden wies dem Kronprinzen
gegenüber nachdrücklich auf die für Deutschlands politische Verhältnisse immer
drohendere Gefahr hin, daß die bayrischen Minister, die die Sache offenbar
ganz auf ihre eigne Faust und nicht einmal unter ausdrücklicher Jnstruierung
des Königs Ludwig dem Bundeskanzler abgerungen haben müßten, immer
verwegner und übermütiger werden würden, wenn man ihnen auch hierin zu
Willen sein wollte. Die Auffassung des Bundeskanzlers hatte inzwischen eine
Unterstützung gefunden durch den Hausminister von Schleinitz, der mit dem
Oberzeremonienmeister Grafen Stillfried auf Befehl des Königs in Versailles
eingetroffen war. Für den 17. Januar war vom König eine Konferenz an¬
beraumt, an der außer ihm der Kronprinz, Bismarck und der Hausminister von
Schleinitz teilnahmen. Über diese Konferenz hat Bismarck in den "Gedanken
und Erinnerungen" berichtet. Das Ergebnis war, daß der König den Befehl
gab, die ganze Feierlichkeit abzusagen, weil eine Einigung nicht stattfinden
könne. Nicht ohne Mühe gelang es, ihn zu beruhigen, um die Festsetzungen zu
treffen, die seitdem in Deutschland öffentliches Recht geworden find. Besonders
gereizt soll der König dadurch gewesen sein, daß Bismarck seinen Rücktritt in
Aussicht stellte, an dem dieser noch in seinem Gespräch mit dem Großherzog
nach der Kaisertafel des nächsten Tages festhielt.

Unter dieser schwülen Stimmung für alle beteiligten Kreise kam der 18. Januar,
die weltgeschichtliche Feierlichkeit heran. Der König hatte die Teegcsellschaft für
den 17. abends absagen lassen, eine Aussprache hatte infolgedessen nicht mehr
stattfinden können. Der Großherzog empfing vom König wie vom Kronprinzen die
Mitteilung, daß, obgleich Graf Bismarck den Titel Kaiser von Deutschland nicht
wolle, der Großherzog diese Bezeichnung doch gebrauchen solle, wenn er nach dem


Großherzog Friedrich von Boden in Versailles

An demselben Tage war die Antwort des Königs, die Kaiserwürde an¬
nehmen zu wollen, nachdem der bayrische Antrag mit der Zustimmung aller
Fürsten offiziell in Berlin übergeben worden war, im gleichlautenden Wortlaut
allen Fürsten und freien Städten zugegangen. Am Sonntag, den 15. Januar
eröffnete der König seinen endgiltigen Willen, daß die Kaiserproklamation am
18. Januar stattfinden solle, und beauftragte den Kronprinzen mit der Anordnung
der Feier. Am 16. Januar erging eine Resolution des Königs an den Bundes¬
kanzler, in der er bestimmte, daß er den Titel Kaiser von Deutschland führen
wolle. Indem er sich bedauernd darüber aussprach, daß ihm nicht früher bekannt
geworden sei, in welcher Weise die Frage mit Bayern behandelt wurde, erklärte
er, die Konsequenzen dieses Verfahrens nicht annehmen zu können, da er die
Bezeichnung Kaiser von Deutschland für die richtigere halte. In allen andern
Punkten trat er überwiegend den Anträgen Bismarcks gegenüber denen des
Kronprinzen bei. In seiner Erwiderung beharrte der Kanzler unter Betonung
seiner Verantwortlichkeit durchaus bei seiner Behauptung, daß der Titel Kaiser
von Deutschland einen Territorialanspruch enthalte, und er scheint bei diesem
Anlaß die Kabinettsfrage gestellt zu haben. Ebenso aber blieben die Fürsten auf
ihrem Standpunkte, und der Großherzog von Baden wies dem Kronprinzen
gegenüber nachdrücklich auf die für Deutschlands politische Verhältnisse immer
drohendere Gefahr hin, daß die bayrischen Minister, die die Sache offenbar
ganz auf ihre eigne Faust und nicht einmal unter ausdrücklicher Jnstruierung
des Königs Ludwig dem Bundeskanzler abgerungen haben müßten, immer
verwegner und übermütiger werden würden, wenn man ihnen auch hierin zu
Willen sein wollte. Die Auffassung des Bundeskanzlers hatte inzwischen eine
Unterstützung gefunden durch den Hausminister von Schleinitz, der mit dem
Oberzeremonienmeister Grafen Stillfried auf Befehl des Königs in Versailles
eingetroffen war. Für den 17. Januar war vom König eine Konferenz an¬
beraumt, an der außer ihm der Kronprinz, Bismarck und der Hausminister von
Schleinitz teilnahmen. Über diese Konferenz hat Bismarck in den „Gedanken
und Erinnerungen" berichtet. Das Ergebnis war, daß der König den Befehl
gab, die ganze Feierlichkeit abzusagen, weil eine Einigung nicht stattfinden
könne. Nicht ohne Mühe gelang es, ihn zu beruhigen, um die Festsetzungen zu
treffen, die seitdem in Deutschland öffentliches Recht geworden find. Besonders
gereizt soll der König dadurch gewesen sein, daß Bismarck seinen Rücktritt in
Aussicht stellte, an dem dieser noch in seinem Gespräch mit dem Großherzog
nach der Kaisertafel des nächsten Tages festhielt.

Unter dieser schwülen Stimmung für alle beteiligten Kreise kam der 18. Januar,
die weltgeschichtliche Feierlichkeit heran. Der König hatte die Teegcsellschaft für
den 17. abends absagen lassen, eine Aussprache hatte infolgedessen nicht mehr
stattfinden können. Der Großherzog empfing vom König wie vom Kronprinzen die
Mitteilung, daß, obgleich Graf Bismarck den Titel Kaiser von Deutschland nicht
wolle, der Großherzog diese Bezeichnung doch gebrauchen solle, wenn er nach dem


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[0211] Großherzog Friedrich von Boden in Versailles An demselben Tage war die Antwort des Königs, die Kaiserwürde an¬ nehmen zu wollen, nachdem der bayrische Antrag mit der Zustimmung aller Fürsten offiziell in Berlin übergeben worden war, im gleichlautenden Wortlaut allen Fürsten und freien Städten zugegangen. Am Sonntag, den 15. Januar eröffnete der König seinen endgiltigen Willen, daß die Kaiserproklamation am 18. Januar stattfinden solle, und beauftragte den Kronprinzen mit der Anordnung der Feier. Am 16. Januar erging eine Resolution des Königs an den Bundes¬ kanzler, in der er bestimmte, daß er den Titel Kaiser von Deutschland führen wolle. Indem er sich bedauernd darüber aussprach, daß ihm nicht früher bekannt geworden sei, in welcher Weise die Frage mit Bayern behandelt wurde, erklärte er, die Konsequenzen dieses Verfahrens nicht annehmen zu können, da er die Bezeichnung Kaiser von Deutschland für die richtigere halte. In allen andern Punkten trat er überwiegend den Anträgen Bismarcks gegenüber denen des Kronprinzen bei. In seiner Erwiderung beharrte der Kanzler unter Betonung seiner Verantwortlichkeit durchaus bei seiner Behauptung, daß der Titel Kaiser von Deutschland einen Territorialanspruch enthalte, und er scheint bei diesem Anlaß die Kabinettsfrage gestellt zu haben. Ebenso aber blieben die Fürsten auf ihrem Standpunkte, und der Großherzog von Baden wies dem Kronprinzen gegenüber nachdrücklich auf die für Deutschlands politische Verhältnisse immer drohendere Gefahr hin, daß die bayrischen Minister, die die Sache offenbar ganz auf ihre eigne Faust und nicht einmal unter ausdrücklicher Jnstruierung des Königs Ludwig dem Bundeskanzler abgerungen haben müßten, immer verwegner und übermütiger werden würden, wenn man ihnen auch hierin zu Willen sein wollte. Die Auffassung des Bundeskanzlers hatte inzwischen eine Unterstützung gefunden durch den Hausminister von Schleinitz, der mit dem Oberzeremonienmeister Grafen Stillfried auf Befehl des Königs in Versailles eingetroffen war. Für den 17. Januar war vom König eine Konferenz an¬ beraumt, an der außer ihm der Kronprinz, Bismarck und der Hausminister von Schleinitz teilnahmen. Über diese Konferenz hat Bismarck in den „Gedanken und Erinnerungen" berichtet. Das Ergebnis war, daß der König den Befehl gab, die ganze Feierlichkeit abzusagen, weil eine Einigung nicht stattfinden könne. Nicht ohne Mühe gelang es, ihn zu beruhigen, um die Festsetzungen zu treffen, die seitdem in Deutschland öffentliches Recht geworden find. Besonders gereizt soll der König dadurch gewesen sein, daß Bismarck seinen Rücktritt in Aussicht stellte, an dem dieser noch in seinem Gespräch mit dem Großherzog nach der Kaisertafel des nächsten Tages festhielt. Unter dieser schwülen Stimmung für alle beteiligten Kreise kam der 18. Januar, die weltgeschichtliche Feierlichkeit heran. Der König hatte die Teegcsellschaft für den 17. abends absagen lassen, eine Aussprache hatte infolgedessen nicht mehr stattfinden können. Der Großherzog empfing vom König wie vom Kronprinzen die Mitteilung, daß, obgleich Graf Bismarck den Titel Kaiser von Deutschland nicht wolle, der Großherzog diese Bezeichnung doch gebrauchen solle, wenn er nach dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/211>, abgerufen am 23.07.2024.