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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Mitteilung zuging, wonach sich die Schwierigkeiten, die die bayrische Regierung
finde, die Verträge im Landtage durchzubringen, nahezu unüberwindlich ge¬
stalteten. Ein wesentliches Mittel zur Abhilfe könne nur noch darin gefunden
werden, daß Preußen auf den vereinbarten Fahneneid Verzicht leiste; das
bayrische Heer sei ohnehin ein so großer Körper, daß es besondre Rücksichten
beanspruchen könne. Der König erwiderte, er erinnere sich im Augenblick des
Wortlauts der Vereinbarungen nicht so genau, daß er eine bestimmte Erklärung
geben könnte, aber er halte schon jetzt dafür, daß eine solche Änderung mit Rück¬
sicht auf alle übrigen Staaten nicht getroffen werden könne. Hierauf wurde
geantwortet, es sei auch nicht die Absicht, den Vertrag zu ändern, sondern nur
eine geheime Verabredung zu treffen, wonach der Vertrag in diesem Punkte
nicht zur Anwendung kommen sollte. Diese Zumutung lehnte der König in der
bestimmtesten Weise ab. Zu derselben Zeit war ein Brief des Königs Ludwig
übergeben worden, in dem nur eine Entschuldigung enthalten war, der vom
Fürsten Lynar überbrachten Einladung nach Versailles nicht Folge leisten zu
können. Der König befinde sich unwohl, und es sei ihm die Reise ins Haupt¬
quartier deshalb unmöglich. Von einer Veränderung in der Eidesleistung war
in diesem kurzen und kühlen Schreiben keine Rede. Der Bundeskanzler beschritt
nunmehr auf Weisung des Königs Wilhelm den amtlichen Weg nach München,
aber der preußische Gesandte vermochte nur mitzuteilen, Graf Bray erkläre, außer¬
stande zu sein, seinen König zu sprechen. Der bayrische Landtag nahm, wie
hier vorgreifend bemerkt sein möge, die Verträge am 21. Januar nach zehntägiger
leidenschaftlicher Debatte mit knapper Zweidrittelmajorität an, unter Verwahrung
der sogenannten Patriotenpartei. Zugleich wurde in München verbreitet, der
König sei sehr enttäuscht, daß sein Antrag auf Herstellung der Kaiserwttrde mi߬
verstanden worden sei; er habe durchaus nicht an ein erbliches preußisches
Kaisertum gedacht, und es sei auch in seinem Briefe von der Erblichkeit nicht
die Rede gewesen. Diese Dinge waren selbstverständlich nicht geeignet, in Ver¬
sailles eine Neigung hervorzurufen, Bayern noch weitere Zugeständnisse zu
machen und namentlich die Kaiserproklamation über den 18. Januar hinaus bis
nach Annahme der Verträge durch den bayrischen Landtag zu verschieben. Auch
der badische Gesandte in München, Herr von Mohl, berichtete am 16. Januar
dem Großherzog über das angeblich von Sr. Majestät dem König von Bayern
gestellte Verlangen, den Fahneneid des bayrischen Heeres nachzulassen, und
noch im Mürz 1871 meldete der badische Gesandte von Freydorf dem Gro߬
herzog aus Berlin aus den Verhandlungen des Verfassungsausschusses, daß
Bayern beim Artikel 63 hinter dem Worte "Kaiser" die Einschaltung "als
Bundesfeldherr" beantrage, was von andrer Seite abgelehnt und schließlich auch
schon als Tautologie für überflüssig angesehen wurde.

Der 18. Januar nahte heran, und es mußten Beschlüsse gefaßt werden.
Der Gang der Angelegenheit war für den König angreifend und ermüdend,
er sprach die Absicht aus, die Heereseinheit nunmehr aufzugeben und wieder


Grenzboten IV 1906 26
Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Mitteilung zuging, wonach sich die Schwierigkeiten, die die bayrische Regierung
finde, die Verträge im Landtage durchzubringen, nahezu unüberwindlich ge¬
stalteten. Ein wesentliches Mittel zur Abhilfe könne nur noch darin gefunden
werden, daß Preußen auf den vereinbarten Fahneneid Verzicht leiste; das
bayrische Heer sei ohnehin ein so großer Körper, daß es besondre Rücksichten
beanspruchen könne. Der König erwiderte, er erinnere sich im Augenblick des
Wortlauts der Vereinbarungen nicht so genau, daß er eine bestimmte Erklärung
geben könnte, aber er halte schon jetzt dafür, daß eine solche Änderung mit Rück¬
sicht auf alle übrigen Staaten nicht getroffen werden könne. Hierauf wurde
geantwortet, es sei auch nicht die Absicht, den Vertrag zu ändern, sondern nur
eine geheime Verabredung zu treffen, wonach der Vertrag in diesem Punkte
nicht zur Anwendung kommen sollte. Diese Zumutung lehnte der König in der
bestimmtesten Weise ab. Zu derselben Zeit war ein Brief des Königs Ludwig
übergeben worden, in dem nur eine Entschuldigung enthalten war, der vom
Fürsten Lynar überbrachten Einladung nach Versailles nicht Folge leisten zu
können. Der König befinde sich unwohl, und es sei ihm die Reise ins Haupt¬
quartier deshalb unmöglich. Von einer Veränderung in der Eidesleistung war
in diesem kurzen und kühlen Schreiben keine Rede. Der Bundeskanzler beschritt
nunmehr auf Weisung des Königs Wilhelm den amtlichen Weg nach München,
aber der preußische Gesandte vermochte nur mitzuteilen, Graf Bray erkläre, außer¬
stande zu sein, seinen König zu sprechen. Der bayrische Landtag nahm, wie
hier vorgreifend bemerkt sein möge, die Verträge am 21. Januar nach zehntägiger
leidenschaftlicher Debatte mit knapper Zweidrittelmajorität an, unter Verwahrung
der sogenannten Patriotenpartei. Zugleich wurde in München verbreitet, der
König sei sehr enttäuscht, daß sein Antrag auf Herstellung der Kaiserwttrde mi߬
verstanden worden sei; er habe durchaus nicht an ein erbliches preußisches
Kaisertum gedacht, und es sei auch in seinem Briefe von der Erblichkeit nicht
die Rede gewesen. Diese Dinge waren selbstverständlich nicht geeignet, in Ver¬
sailles eine Neigung hervorzurufen, Bayern noch weitere Zugeständnisse zu
machen und namentlich die Kaiserproklamation über den 18. Januar hinaus bis
nach Annahme der Verträge durch den bayrischen Landtag zu verschieben. Auch
der badische Gesandte in München, Herr von Mohl, berichtete am 16. Januar
dem Großherzog über das angeblich von Sr. Majestät dem König von Bayern
gestellte Verlangen, den Fahneneid des bayrischen Heeres nachzulassen, und
noch im Mürz 1871 meldete der badische Gesandte von Freydorf dem Gro߬
herzog aus Berlin aus den Verhandlungen des Verfassungsausschusses, daß
Bayern beim Artikel 63 hinter dem Worte „Kaiser" die Einschaltung „als
Bundesfeldherr" beantrage, was von andrer Seite abgelehnt und schließlich auch
schon als Tautologie für überflüssig angesehen wurde.

Der 18. Januar nahte heran, und es mußten Beschlüsse gefaßt werden.
Der Gang der Angelegenheit war für den König angreifend und ermüdend,
er sprach die Absicht aus, die Heereseinheit nunmehr aufzugeben und wieder


Grenzboten IV 1906 26
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[0209] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Mitteilung zuging, wonach sich die Schwierigkeiten, die die bayrische Regierung finde, die Verträge im Landtage durchzubringen, nahezu unüberwindlich ge¬ stalteten. Ein wesentliches Mittel zur Abhilfe könne nur noch darin gefunden werden, daß Preußen auf den vereinbarten Fahneneid Verzicht leiste; das bayrische Heer sei ohnehin ein so großer Körper, daß es besondre Rücksichten beanspruchen könne. Der König erwiderte, er erinnere sich im Augenblick des Wortlauts der Vereinbarungen nicht so genau, daß er eine bestimmte Erklärung geben könnte, aber er halte schon jetzt dafür, daß eine solche Änderung mit Rück¬ sicht auf alle übrigen Staaten nicht getroffen werden könne. Hierauf wurde geantwortet, es sei auch nicht die Absicht, den Vertrag zu ändern, sondern nur eine geheime Verabredung zu treffen, wonach der Vertrag in diesem Punkte nicht zur Anwendung kommen sollte. Diese Zumutung lehnte der König in der bestimmtesten Weise ab. Zu derselben Zeit war ein Brief des Königs Ludwig übergeben worden, in dem nur eine Entschuldigung enthalten war, der vom Fürsten Lynar überbrachten Einladung nach Versailles nicht Folge leisten zu können. Der König befinde sich unwohl, und es sei ihm die Reise ins Haupt¬ quartier deshalb unmöglich. Von einer Veränderung in der Eidesleistung war in diesem kurzen und kühlen Schreiben keine Rede. Der Bundeskanzler beschritt nunmehr auf Weisung des Königs Wilhelm den amtlichen Weg nach München, aber der preußische Gesandte vermochte nur mitzuteilen, Graf Bray erkläre, außer¬ stande zu sein, seinen König zu sprechen. Der bayrische Landtag nahm, wie hier vorgreifend bemerkt sein möge, die Verträge am 21. Januar nach zehntägiger leidenschaftlicher Debatte mit knapper Zweidrittelmajorität an, unter Verwahrung der sogenannten Patriotenpartei. Zugleich wurde in München verbreitet, der König sei sehr enttäuscht, daß sein Antrag auf Herstellung der Kaiserwttrde mi߬ verstanden worden sei; er habe durchaus nicht an ein erbliches preußisches Kaisertum gedacht, und es sei auch in seinem Briefe von der Erblichkeit nicht die Rede gewesen. Diese Dinge waren selbstverständlich nicht geeignet, in Ver¬ sailles eine Neigung hervorzurufen, Bayern noch weitere Zugeständnisse zu machen und namentlich die Kaiserproklamation über den 18. Januar hinaus bis nach Annahme der Verträge durch den bayrischen Landtag zu verschieben. Auch der badische Gesandte in München, Herr von Mohl, berichtete am 16. Januar dem Großherzog über das angeblich von Sr. Majestät dem König von Bayern gestellte Verlangen, den Fahneneid des bayrischen Heeres nachzulassen, und noch im Mürz 1871 meldete der badische Gesandte von Freydorf dem Gro߬ herzog aus Berlin aus den Verhandlungen des Verfassungsausschusses, daß Bayern beim Artikel 63 hinter dem Worte „Kaiser" die Einschaltung „als Bundesfeldherr" beantrage, was von andrer Seite abgelehnt und schließlich auch schon als Tautologie für überflüssig angesehen wurde. Der 18. Januar nahte heran, und es mußten Beschlüsse gefaßt werden. Der Gang der Angelegenheit war für den König angreifend und ermüdend, er sprach die Absicht aus, die Heereseinheit nunmehr aufzugeben und wieder Grenzboten IV 1906 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/209>, abgerufen am 23.07.2024.