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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Verhandlungen in den bayrischen Kammern in der einen oder andern Weise
abgeschlossen seien. Wie der Großherzog in seinen Aufzeichnungen berichtet, war
die Stimmung, als man sich am Silvesterabend beim König versammelte, sehr
ernst, und König Wilhelm selbst verriet eine große innere Bewegung in den
freundlichen Worten, die er fast an jeden einzelnen der Anwesenden mit dank¬
barer Anerkennung des von allen Geleisteten richtete. Der Stimmung der
Fürsten gab der Kronprinz mit der Bitte Ausdruck, daß beim Empfang am
Neujahrsmorgen eine Ansprache mit Rücksicht auf die Schöpfung des Reiches und
des Kaisers gehalten werden dürfe, aber der König konnte sich besonders im
Hinblick ans eine erneute Erkrankung des Bundeskanzlers, der wieder an einer
Venenentzündung daniederlag, dazu nicht entschließen.

Bismarck hatte sich seit mehrern Tagen in seiner Wohnung so vollständig
abgeschlossen, daß auch der Großherzog von Baden nicht zu ihm gelangen konnte.
Am Neujahrsmorgen verabredeten jedoch die anwesenden Fürsten, der Gro߬
herzog solle bei der königlichen Tafel eine Rede in ihrem Namen mit dem Hin¬
weis auf die Neugestaltung der Dinge halten, wozu sich der Großherzog unter
der Bedingung bereit erklärte, daß er die Zustimmung des Königs dazu erlangen
könne. Großherzog Friedrich selbst berichtet darüber: "Alles, was den König per¬
sönlich betrifft, ist ihm unangenehm, und besonders, wenn etwas gesagt werden
soll, was zu seinem Lobe dient, so protestiert er dagegen. So war es denn auch
zuerst, als ich ihm den Wunsch der Fürsten und meine Gedanken darüber mit¬
geteilt hatte. Endlich aber sagte er: Er wolle selbst einen kurzen Trinkspruch
auf die Anwesenden ausbringen, und da könne ich ja dann darauf antworten,
aber ganz kurz. Ich bat ihn nun, aus Rücksicht für die Absicht der Fürsten
mir zu gestatten, ihm das Wesentliche meines Entwurfs mitzuteilen, und nach¬
dem es geschehen war, sagte er: Nun in Gottes Namen, wenn ihr es so
wollt, so will ich euch nicht stören, aber wissen will ich nichts davon, denn das
darf man nicht glauben, daß ich mir solche Dinge gern sagen lasse." Zur
Tafel waren alle in Versailles anwesenden Fürsten eingeladen, auch der Kron¬
prinz von Sachsen war aus seinem Hauptquartier eingetroffen, es war eine
Gesellschaft von mehr als hundert Personen. Zur gegebnen Zeit erhob sich der
König zu einem Trinkspruch, worin er den Wunsch aussprach, daß das neue
Jahr für Deutschland ein glückliches werden möge. Er blicke dankend auf das
cwgelcmfne Jahr, in dem durch die Mitwirkung der deutschen Fürsten und des
vereinigten Heeres so Großes geleistet worden. Er danke dem Heere und dessen
Führern sowie den Fürsten und bringe deren Wohl aus. Die herrliche Ant¬
wort des Großherzogs hier vollständig wiederzugeben, gestattet der Raum nicht,
sie ist ohnehin in alle Geschichtsbücher der großen Zeit übergegangen. Sie
gipfelt in dem Satze: "Der heutige Tag ist dazu bestimmt, das ehrwürdige
Deutsche Reich in verjüngter Kraft erstehen zu sehen. Eure königliche Majestät
wollen aber die angebotne Krone des Reiches erst dann ergreifen, wenn sie alle
Glieder desselben schützend umfassen kann. Nichtsdestoweniger erblicken wir


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Verhandlungen in den bayrischen Kammern in der einen oder andern Weise
abgeschlossen seien. Wie der Großherzog in seinen Aufzeichnungen berichtet, war
die Stimmung, als man sich am Silvesterabend beim König versammelte, sehr
ernst, und König Wilhelm selbst verriet eine große innere Bewegung in den
freundlichen Worten, die er fast an jeden einzelnen der Anwesenden mit dank¬
barer Anerkennung des von allen Geleisteten richtete. Der Stimmung der
Fürsten gab der Kronprinz mit der Bitte Ausdruck, daß beim Empfang am
Neujahrsmorgen eine Ansprache mit Rücksicht auf die Schöpfung des Reiches und
des Kaisers gehalten werden dürfe, aber der König konnte sich besonders im
Hinblick ans eine erneute Erkrankung des Bundeskanzlers, der wieder an einer
Venenentzündung daniederlag, dazu nicht entschließen.

Bismarck hatte sich seit mehrern Tagen in seiner Wohnung so vollständig
abgeschlossen, daß auch der Großherzog von Baden nicht zu ihm gelangen konnte.
Am Neujahrsmorgen verabredeten jedoch die anwesenden Fürsten, der Gro߬
herzog solle bei der königlichen Tafel eine Rede in ihrem Namen mit dem Hin¬
weis auf die Neugestaltung der Dinge halten, wozu sich der Großherzog unter
der Bedingung bereit erklärte, daß er die Zustimmung des Königs dazu erlangen
könne. Großherzog Friedrich selbst berichtet darüber: „Alles, was den König per¬
sönlich betrifft, ist ihm unangenehm, und besonders, wenn etwas gesagt werden
soll, was zu seinem Lobe dient, so protestiert er dagegen. So war es denn auch
zuerst, als ich ihm den Wunsch der Fürsten und meine Gedanken darüber mit¬
geteilt hatte. Endlich aber sagte er: Er wolle selbst einen kurzen Trinkspruch
auf die Anwesenden ausbringen, und da könne ich ja dann darauf antworten,
aber ganz kurz. Ich bat ihn nun, aus Rücksicht für die Absicht der Fürsten
mir zu gestatten, ihm das Wesentliche meines Entwurfs mitzuteilen, und nach¬
dem es geschehen war, sagte er: Nun in Gottes Namen, wenn ihr es so
wollt, so will ich euch nicht stören, aber wissen will ich nichts davon, denn das
darf man nicht glauben, daß ich mir solche Dinge gern sagen lasse." Zur
Tafel waren alle in Versailles anwesenden Fürsten eingeladen, auch der Kron¬
prinz von Sachsen war aus seinem Hauptquartier eingetroffen, es war eine
Gesellschaft von mehr als hundert Personen. Zur gegebnen Zeit erhob sich der
König zu einem Trinkspruch, worin er den Wunsch aussprach, daß das neue
Jahr für Deutschland ein glückliches werden möge. Er blicke dankend auf das
cwgelcmfne Jahr, in dem durch die Mitwirkung der deutschen Fürsten und des
vereinigten Heeres so Großes geleistet worden. Er danke dem Heere und dessen
Führern sowie den Fürsten und bringe deren Wohl aus. Die herrliche Ant¬
wort des Großherzogs hier vollständig wiederzugeben, gestattet der Raum nicht,
sie ist ohnehin in alle Geschichtsbücher der großen Zeit übergegangen. Sie
gipfelt in dem Satze: „Der heutige Tag ist dazu bestimmt, das ehrwürdige
Deutsche Reich in verjüngter Kraft erstehen zu sehen. Eure königliche Majestät
wollen aber die angebotne Krone des Reiches erst dann ergreifen, wenn sie alle
Glieder desselben schützend umfassen kann. Nichtsdestoweniger erblicken wir


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[0205] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Verhandlungen in den bayrischen Kammern in der einen oder andern Weise abgeschlossen seien. Wie der Großherzog in seinen Aufzeichnungen berichtet, war die Stimmung, als man sich am Silvesterabend beim König versammelte, sehr ernst, und König Wilhelm selbst verriet eine große innere Bewegung in den freundlichen Worten, die er fast an jeden einzelnen der Anwesenden mit dank¬ barer Anerkennung des von allen Geleisteten richtete. Der Stimmung der Fürsten gab der Kronprinz mit der Bitte Ausdruck, daß beim Empfang am Neujahrsmorgen eine Ansprache mit Rücksicht auf die Schöpfung des Reiches und des Kaisers gehalten werden dürfe, aber der König konnte sich besonders im Hinblick ans eine erneute Erkrankung des Bundeskanzlers, der wieder an einer Venenentzündung daniederlag, dazu nicht entschließen. Bismarck hatte sich seit mehrern Tagen in seiner Wohnung so vollständig abgeschlossen, daß auch der Großherzog von Baden nicht zu ihm gelangen konnte. Am Neujahrsmorgen verabredeten jedoch die anwesenden Fürsten, der Gro߬ herzog solle bei der königlichen Tafel eine Rede in ihrem Namen mit dem Hin¬ weis auf die Neugestaltung der Dinge halten, wozu sich der Großherzog unter der Bedingung bereit erklärte, daß er die Zustimmung des Königs dazu erlangen könne. Großherzog Friedrich selbst berichtet darüber: „Alles, was den König per¬ sönlich betrifft, ist ihm unangenehm, und besonders, wenn etwas gesagt werden soll, was zu seinem Lobe dient, so protestiert er dagegen. So war es denn auch zuerst, als ich ihm den Wunsch der Fürsten und meine Gedanken darüber mit¬ geteilt hatte. Endlich aber sagte er: Er wolle selbst einen kurzen Trinkspruch auf die Anwesenden ausbringen, und da könne ich ja dann darauf antworten, aber ganz kurz. Ich bat ihn nun, aus Rücksicht für die Absicht der Fürsten mir zu gestatten, ihm das Wesentliche meines Entwurfs mitzuteilen, und nach¬ dem es geschehen war, sagte er: Nun in Gottes Namen, wenn ihr es so wollt, so will ich euch nicht stören, aber wissen will ich nichts davon, denn das darf man nicht glauben, daß ich mir solche Dinge gern sagen lasse." Zur Tafel waren alle in Versailles anwesenden Fürsten eingeladen, auch der Kron¬ prinz von Sachsen war aus seinem Hauptquartier eingetroffen, es war eine Gesellschaft von mehr als hundert Personen. Zur gegebnen Zeit erhob sich der König zu einem Trinkspruch, worin er den Wunsch aussprach, daß das neue Jahr für Deutschland ein glückliches werden möge. Er blicke dankend auf das cwgelcmfne Jahr, in dem durch die Mitwirkung der deutschen Fürsten und des vereinigten Heeres so Großes geleistet worden. Er danke dem Heere und dessen Führern sowie den Fürsten und bringe deren Wohl aus. Die herrliche Ant¬ wort des Großherzogs hier vollständig wiederzugeben, gestattet der Raum nicht, sie ist ohnehin in alle Geschichtsbücher der großen Zeit übergegangen. Sie gipfelt in dem Satze: „Der heutige Tag ist dazu bestimmt, das ehrwürdige Deutsche Reich in verjüngter Kraft erstehen zu sehen. Eure königliche Majestät wollen aber die angebotne Krone des Reiches erst dann ergreifen, wenn sie alle Glieder desselben schützend umfassen kann. Nichtsdestoweniger erblicken wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/205>, abgerufen am 23.07.2024.