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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur Iustizreform

züglich der Kosten unter Massigkeit der Beschwerde entscheidet. Der Vorschlag
dürfte unbedenklich sein, da der Zahlungsbefehl bloß die Bedeutung einer ver¬
stärkten Mahnung hat und sich nach dem Schema erledigt, die Berechnung der
Gerichtskosten aber ohnehin dem Gerichtsschreiber obliegt, dem auf dem Gebiete
des Kostenwesens hinreichende Übung und Erfahrung zur Seite stehn. Damit
würde der Richter von einem großen Teile mechanischer Arbeit befreit, für die
ihm gegenwärtig auch nach der angeführten Ministerialverfügung die Verant¬
wortlichkeit verbleiben muß. Dem Gerichtsschreiber des Amtsgerichts kann in
einfachen Sachen auch die Anfertigung des Tatbestandes der Urteile nach An¬
leitung und unter Kontrolle des Amtsrichters übertragen werden. In diesem
Zusammenhange mag darauf hingewiesen werden, daß die Einführung der Be¬
rufungssumme zu einer Vereinfachung des Tatbestandes in den nicht der Be¬
rufung unterliegenden Sachen dienen und der Tatbestand regelmüßig auf das
Angriffs- oder Verteidigungsmittel beschränkt werden kann, das zur Verurteilung
des Beklagten oder zur Abweisung der Klage führt.

Noch ein Wort über die Ausbildung der Referendare und die Beschäftigung
der Assessoren. Die Referendare sollten mit Schreibwerk und Protokollierung
möglichst verschont bleiben. Eine längere Ausbildung bei einem Anwalt halte
ich für sehr lehrreich. Nach ihrer Wahl sollte ihnen wenigstens für ein Jahr
die Beschäftigung in der Staats- oder der Kommunalverwaltung oder bei
einer größern Bank erlaubt sein. In derselben Weise sollte den Gerichts¬
assessoren die Gelegenheit zur weitern Ausbildung geboten werden. Daß die
Assessoren gleich nach bestandner Staatsprüfung zur unentgeltlichen Beschäf¬
tigung den Amtsgerichten überwiesen und "gleich auf das Publikum losge¬
lassen" werden, möchte ich nicht befürworten. Angemessener erscheint es mir,
daß die jüngern Assessoren während der Dauer ihrer unentgeltlichen Beschäftigung
wenigstens eine Zeit lang einem Landgericht als Beisitzer überwiesen werden
mit dem Rechte, an der Beratung teilzunehmen, jedoch ohne Stimmrecht.
Unter der Ägide älterer, erfahrner Richter und im Verkehr mit Kollegen und
Rechtsanwälten erweitern sie ihre Erfahrung und juristischen Kenntnisse. So
tüchtig geschult, werden sie sich in die Mannigfaltigkeit des ihnen aus der
Neferendarzeit nicht fremden amtsgerichtlichen Geschäftskreises mit Leichtigkeit
einarbeiten und beim Publikum mehr Vertrauen genießen. Mit dem Aufenthalt
am Sitze des Landgerichts würde allerdings für, die Assessoren, die nicht mehr
an dem heimatlichen oder dem benachbarten Amtsgerichte beschäftigt würden, eine
Erhöhung des Kostenaufwandes und damit eine Erschwerung des Eintritts in
die Richterkarriere verknüpft sein. Ob hierin ein Vorteil oder ein Nachteil zu
finden wäre, darüber werden freilich die Ansichten geteilt sein.




Zur Iustizreform

züglich der Kosten unter Massigkeit der Beschwerde entscheidet. Der Vorschlag
dürfte unbedenklich sein, da der Zahlungsbefehl bloß die Bedeutung einer ver¬
stärkten Mahnung hat und sich nach dem Schema erledigt, die Berechnung der
Gerichtskosten aber ohnehin dem Gerichtsschreiber obliegt, dem auf dem Gebiete
des Kostenwesens hinreichende Übung und Erfahrung zur Seite stehn. Damit
würde der Richter von einem großen Teile mechanischer Arbeit befreit, für die
ihm gegenwärtig auch nach der angeführten Ministerialverfügung die Verant¬
wortlichkeit verbleiben muß. Dem Gerichtsschreiber des Amtsgerichts kann in
einfachen Sachen auch die Anfertigung des Tatbestandes der Urteile nach An¬
leitung und unter Kontrolle des Amtsrichters übertragen werden. In diesem
Zusammenhange mag darauf hingewiesen werden, daß die Einführung der Be¬
rufungssumme zu einer Vereinfachung des Tatbestandes in den nicht der Be¬
rufung unterliegenden Sachen dienen und der Tatbestand regelmüßig auf das
Angriffs- oder Verteidigungsmittel beschränkt werden kann, das zur Verurteilung
des Beklagten oder zur Abweisung der Klage führt.

Noch ein Wort über die Ausbildung der Referendare und die Beschäftigung
der Assessoren. Die Referendare sollten mit Schreibwerk und Protokollierung
möglichst verschont bleiben. Eine längere Ausbildung bei einem Anwalt halte
ich für sehr lehrreich. Nach ihrer Wahl sollte ihnen wenigstens für ein Jahr
die Beschäftigung in der Staats- oder der Kommunalverwaltung oder bei
einer größern Bank erlaubt sein. In derselben Weise sollte den Gerichts¬
assessoren die Gelegenheit zur weitern Ausbildung geboten werden. Daß die
Assessoren gleich nach bestandner Staatsprüfung zur unentgeltlichen Beschäf¬
tigung den Amtsgerichten überwiesen und „gleich auf das Publikum losge¬
lassen" werden, möchte ich nicht befürworten. Angemessener erscheint es mir,
daß die jüngern Assessoren während der Dauer ihrer unentgeltlichen Beschäftigung
wenigstens eine Zeit lang einem Landgericht als Beisitzer überwiesen werden
mit dem Rechte, an der Beratung teilzunehmen, jedoch ohne Stimmrecht.
Unter der Ägide älterer, erfahrner Richter und im Verkehr mit Kollegen und
Rechtsanwälten erweitern sie ihre Erfahrung und juristischen Kenntnisse. So
tüchtig geschult, werden sie sich in die Mannigfaltigkeit des ihnen aus der
Neferendarzeit nicht fremden amtsgerichtlichen Geschäftskreises mit Leichtigkeit
einarbeiten und beim Publikum mehr Vertrauen genießen. Mit dem Aufenthalt
am Sitze des Landgerichts würde allerdings für, die Assessoren, die nicht mehr
an dem heimatlichen oder dem benachbarten Amtsgerichte beschäftigt würden, eine
Erhöhung des Kostenaufwandes und damit eine Erschwerung des Eintritts in
die Richterkarriere verknüpft sein. Ob hierin ein Vorteil oder ein Nachteil zu
finden wäre, darüber werden freilich die Ansichten geteilt sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/203>, abgerufen am 25.08.2024.